FÜNFZEHN

Lillian Phelans Träume von einem gemütlichen Weihnachtsmahl verflogen, als Troy Junior betrunken und mit Verspätung eintraf. Er und Biff stritten heftig miteinander. Sie waren in zwei Autos gekommen, neuen Porsches in unterschiedlichen Farben. Das Gebrüll wurde lauter, als der auch nicht mehr ganz nüchterne Rex dem älteren Bruder vorwarf, er verderbe seiner Mutter das Weihnachtsfest. Das Haus war voll. Außer Lillians vier Kindern -Troy Junior, Rex, Libbigail und Mary ROSS - waren auch alle elf Enkel gekommen. Sie hatten eine ganze Reihe von Freunden mitgebracht, von denen Lillian die meisten nicht eingeladen hatte.

Wie ihre Eltern hatten auch die Phelan-Enkel seit Troys Tod zahlreiche neue Freunde und Vertraute angelockt. Bis zu Troy Juniors Ankunft war die Weihnachtsfeier ausgesprochen angenehm verlaufen. Noch nie waren so viele herrliche Geschenke ausgetauscht worden. Die Phelan-Erben hatten nicht geknausert, als sie füreinander und für Lillian eingekauft hatten: Designer-Kleidung, Schmuck, elektronische Spielereien, sogar Kunstgegenstände. Ihre Großzügigkeit kannte keine Grenzen, und einige Stunden lang brachte das Geld das Beste in ihnen zum Vorschein.

In zwei Tagen sollte die Testamentseröffnung stattfinden.

Als Libbigails Mann, Spike, den Streit zwischen Troy Junior und Rex zu schlichten versuchte, musste er sich von Troy Junior den Vorwurf anhören, er sei nichts als »ein fetter Hippie, dem LSD das Gehirn gegrillt hat«. Als die gekränkte Libbigail daraufhin Biff eine Schlampe nannte, schloss sich Lillian in ihrem Schlafzimmer ein. Die Enkel und ihre Trabanten verschwanden im Keller, wo jemand einen Kasten Bier deponiert hatte.

Mary ROSS, vermutlich die vernünftigste und bestimmt die am wenigsten launische der vier, brachte ihre Brüder und Libbigail dazu, sich nicht weiter anzubrüllen, und schickte die Streithähne in unterschiedliche Ringecken.

Damit zerfiel die Gesellschaft in kleine Grüppchen; die einen gingen ins Wohnzimmer und die anderen ins Arbeitszimmer. Es war ein unbehaglicher Waffenstillstand.

Die Anwälte hatten nicht dazu beigetragen, die Situation zu entschärfen. Sie gingen jetzt getrennt voneinander vor, und jeder erklärte das dem von ihm vertretenen Phelan-Erben damit, dass er in dessen wohlverstandenem Interesse handele. Vor allem brachten sie Stunden mit Überlegungen zu, auf welche Weise man sich ein mö glichst großes Stück von dem Kuchen sichern konnte. Vier getrennte kleine Armeen von Anwälten - sechs, wenn man die von Geena und Ramble dazu zählte - befanden sich in heftigster Aktivität. Je mehr Zeit die Phelan-Erben mit ihren Anwälten zubrachten, desto weniger trauten sie einander.

Nach einer Stunde unbehaglichen Friedens tauchte Eillian auf, um die Lage zu erkunden. Wortlos ging sie in die Küche, wo sie letzte Hand anlegte, um das Abendessen auf den Tisch zu bringen. Ein Büffet war jetzt genau das Richtige. Die Gruppen konnten eine nach der anderen kommen, ihre Teller füllen und sich in die Sicherheit ihrer Ecke zurückziehen.

So kam es, dass die erste Familie Phelan doch ein friedliches Weihnachtsessen genießen konnte. Troy Junior verzehrte ganz allein Schinken und Süsskartoffeln auf der hinteren Veranda. Biff aß mit Eillian in der Küche.

Rex und seine Frau Amber, die Stripperin, genossen im Schlafzimmer Truthahn und sahen sich dabei ein Football-Spiel im Fernsehen an. Libbigail, Mary ROSS und ihre Männer aßen im Arbeitszimmer von Tabletts, die sie auf den Knien hielten.

Und die Enkel und ihr Anhang nahmen Pizzen mit in den Keller, wo das Bier in Strömen floss.

Die zweite Familie feierte überhaupt nicht Weihnachten, jedenfalls nicht gemeinsam. Janie, die den Feiertagen noch nie etwas hatte abgewinnen können, war nach Klosters in der Schweiz verschwunden, wo sich Europas Schickeria versammelt, um gesehen zu werden und Ski zu fahren. Ihr Begleiter, ein Bodybuilder namens Eance, war zwar mit seinen achtundzwanzig Jahren nur halb so alt wie sie, kam aber gern mit, da ihn die Reise nichts kostete.

Ihre Tochter Geena sah sich gezwungen, Weihnachten bei den Schwiegereltern in Connecticut zu verbringen. Normalerweise hätte schon der bloße Gedanke daran sie mit Grauen erfüllt, aber die Dinge hatten sich grundlegend gewandelt. Für Geenas Mann Cody war es eine triumphale Rückkehr auf den in die Jahre gekommenen Landsitz der Familie in der Nähe von Waterbury.

Einst hatten die Strongs als Reeder ein Vermögen gemacht, doch war von dem Geld nach Jahrhunderten der Misswirtschaft und der Inzucht so gut wie nichts mehr da. Zwar standen den Strongs dank ihrem Namen und Stammbaum nach wie vor die richtigen Schulen und Klubs offen, und Hochzeiten der Familie wurden immer noch ausführlich angekündigt, doch der Trog ging allmählich zur Neige. Zu viele Generation hatten sich daraus bedient.

Die Familie war hochnäsig, stolz auf ihren Namen, ihre Sprechweise und ihre Abstammung und tat nach außen hin so, als mache es ihr nichts aus, dass ihr Vermögen rapide geschrumpft war. Ihre Mitglieder arbeiteten in New York und Boston und verbrauchten, was sie verdienten, weil sie daran gewöhnt waren, dass der Reichtum im Hintergrund als Auffangnetz zur Verfügung stand.

Der letzte mit Weitblick gesegnete Strong, der dies Ende vorausgesehen zu haben schien, hatte dafür gesorgt, dass Gelder treuhänderisch für die Ausbildung junger Strongs festgelegt wurden. Die Stiftungsurkunden hatten Scharen von Anwälten abgefasst, dicke Dokumente, die gleich uneinnehmbaren Festungen den verzweifelten Sturmangriffen künftiger Strong-Generationen standhalten sollten. Als diese Angriffe dann kamen, zeigte sich, dass die Stiftungen nicht wankten und wichen, und so durfte sich jeder junge Strong nach wie vor darauf verlassen, eine erstklassige Ausbildung zu bekommen.

Codys Familie hatte es nicht besonders gut aufgenommen, dass er Geena Phelan geheiratet hatte, vor allem, weil es schon ihre zweite Ehe war. Da aber Troy Phelans Vermögen zum Zeitpunkt der Hochzeit auf sechs Milliarden Dollar geschätzt wurde, hatte man ihrer Aufnahme in die Familie keine Steine in den Weg gelegt. Dennoch würde man immer auf sie herabsehen, nicht nur weil sie geschieden war und keine Elite-Universität besucht hatte, sondern auch weil Cody ein wenig sonderbar war.

Doch an diesem Weihnachtstag waren alle da, um sie zu begrüßen. Noch nie hatte sie so viele dieser Menschen, die sie verabscheute, lächeln sehen, noch nie hatten so viele von ihnen sie steif umarmt, ihr verlegene Küsschen auf die Wangen gedrückt und ihr auf die Schultern geklopft. Diese Scheinheiligkeit ihrer Verwandtschaft machte Geene wütend.

Nach einigen Gläsern wurde Cody gesprächig. Die anderen Männer versammelten sich im Wohnzimmer um ihn, und es dauerte nicht lange, bis einer fragte: »Wie viel?«

Er verzog das Gesicht, als sei es ihm schon jetzt eine Bürde. »Wahrscheinlich eine halbe Milliarde.« Diesen Satz hatte er lange vor dem Badezimmerspiegel einstudiert.

Einige der Männer schnappten nach Luft. Andere verzogen angewidert das Gesicht, weil sie Cody kannten. Da sie zur Familie Strong gehörten, war ihnen klar, dass sie keinen Cent davon sehen würden. Alle schienen insgeheim vor Neid zu platzen. Das Gerücht breitete sich aus, und schon bald flüsterten sich die Frauen an verschiedenen Stellen des Hauses die Kunde von der halben Milliarde zu. Codys Mutter, eine verschrumpelte, prüde Frau, in deren Gesicht die Falten aufbrachen, wenn sie lächelte, zeigte sich entsetzt. Ein solches Vermögen war obszön. »Das ist neues Geld «, sagte sie zu einer ihrer Töchter. Zusammengescharrt hatte dieses neue Geld ein skandalumwitterter alter Bock mit drei Frauen und einem Haufen mißratener Kinder, von denen kein einziges

auf eine der besseren Schulen und Universitäten gegangen war.

Neu oder nicht, die jüngeren Frauen beneideten Geena um das Geld. Sie konnten sich schon die privaten Düsenflugzeuge, die Strandhäuser und die hinreißenden Familientreffen auf abgelegenen Inseln vorstellen. Wahrscheinlich würde es Treuhandstiftungen für die Erziehung von Nichten und Neffen geben, und vielleicht sogar Bargeschenke.

Der Gedanke an das Geld ließ die Strongs in einer Weise auftauen, wie das einem Außenseiter gegenüber noch nie geschehen war, fast bis zum Schmelzpunkt. Er lehrte sie Offenheit und Liebe und sorgte für ein angenehmes, gemütliches Weihnachten.

Als sich die Familie am Spätnachmittag zum traditionellen Festmahl versammelte, begann es zu schneien. Weihnachten wie im Bilderbuch, sagten die Strongs. Geena hasste sie mehr als je zuvor.

Ramble verbrachte den Feiertag in Gesellschaft seines Anwalts Yancy, was ihn sechshundert Dollar die Stunde kostete. Dieser Posten würde allerdings auf der Rechnung so gut versteckt werden, wie es nur Anwälte fertig bringen.

Wie Janie war auch Tira mit einem jungen Gigolo ins Ausland gereist. Vermutlich hielt sie sich gerade irgendwo am Strand auf, hatte bestimmt das Oberteil ihres Bikinis abgelegt und wahrscheinlich auch das Höschen. Es kümmerte sie nicht im geringsten, was ihr vierzehnjähriger Sohn treiben mochte.

Yancy, der zweimal geschieden war und nicht wieder geheiratet hatte, hatte aus seiner zweiten Ehe zwei elfjährige Söhne. Die Zwillinge waren für ihr Alter erstaunlich aufgeweckt, und da Ramble für sein Alter eher zurückgeblieben war, amüsierten sich alle drei königlich mit Video-Spielen im Schlafzimmer, während Yancy im Fernsehen ein Football-Spiel ansah.

Die üblichen fünf Millionen Dollar, die sein Mandant an seinem einundzwanzigsten Geburtstag bekommen sollte, würden angesichts seiner mangelnden Reife und fehlender häuslicher Unterweisung wohl nicht mal so lange halten wie bei den anderen Phelan-Nachkommen. Aber Yancy ging es nicht um magere fünf Millionen; zum Teufel, soviel würde er schon für seine Bemühungen um Rambles Anteil am Nachlass bekommen.

Yancy hatte andere Sorgen. Tira hatte den Anwalt gewechselt und eine in der Nähe des Capitols ansässige aggressive Kanzlei beauftragt, die gute Verbindungen hatte. Da sie lediglich eine ehemalige Ehefrau und keine Blutsverwandte war, würde ihr Anteil am Erbe weit geringer sein als der Rambles, was natürlich auch den neuen Anwälten klar war. Sie setzten Tira unter Druck, damit sie Yancy ausbootete und ihnen Ramble zuführte. Zum Glück lag der Mutter nicht viel an ihrem Sohn, und so kostete es Yancy keine große Mühe, einen Keil zwischen die beiden zu treiben. Das Lachen der drei Jungen war ihm Musik in den Ohren.

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