EINUNDVIERZIG

Zwei Tage angenehmer Beschäftigung brachten die Arbeit im kalten Keller der Dreifaltigkeitskirche nicht wirklich weiter, wohl aber wurde viel Kaffee getrunken. Der Lammeintopf wurde schließlich ganz aufgegessen, einige weitere Spanplatten wurden als Wandverkleidung angebracht und gestrichen, und eine Freundschaft entstand.

Als sich Nate am Dienstag Abend Farbe unter den Fingernägeln hervorkratzte, klingelte das Telefon. Josh war am Apparat und rief ihn in die Wirklichkeit zurück. »Richter Wycliff möchte dich morgen sehen«, sagte er. »Ich hab dich schon früher zu erreichen versucht.«

»Was will er?« fragte Nate mit vor Furcht tonloser Stimme.

»Vermutlich hat er Fragen über deine neue Mandantin.«

»Ich hab wirklich viel zu tun, Josh. Ich bin mit einem Umbau beschäftigt, anstreichen, Wandplatten und so weiter.«

»Tatsächlich?«

»Ja, ich arbeite am Umbau eines Kirchenkellers mit, und das muss zügig vorangehen.«

»Ich habe gar nicht gewusst, dass du ein Händchen für solche Dinge hast.«

»Muss ich wirklich kommen, Josh?«

»Ich glaube schon, mein Freund. Du hast dich bereit erklärt, den Fall Rachel Lane zu übernehmen. Das hab ich dem Richter auch schon gesagt. Du wirst gebraucht, alter Junge.«

»Wann und wo?«

»Komm morgen in mein Büro. Wir fahren dann gemeinsam rüber.«

»Ich möchte nicht in die Kanzlei, Josh. Das sind lauter unangenehme Erinnerungen. Können wir uns nicht im Gericht treffen?«

»Von mir aus. Sei um zwölf Uhr im Zimmer von Richter Wycliff.«

Nate legte ein weiteres Scheit in den Kamin und sah dem Schneetreiben vor der Veranda zu. Er wusste, wie man in Anzug und Krawatte mit einem Aktenkoffer auftritt, konnte sich verhalten und reden wie ein Anwalt, sagen, »Euer Ehren« und »Ich bitte das Gericht, zu berücksichtigen«, und er konnte Einsprüche in den Saal rufen und Zeugen in die Mangel nehmen. Er war zu allem imstande, was eine Million anderer taten, aber als Anwalt betrachtete er sich nicht mehr. Diese Zeiten waren Gott sei Dank vorbei.

Ein weiteres Mal würde er es tun, aber nur dies eine Mal. Er versuchte sich einzureden, dass er es für seine Mandantin Rachel tue, wusste aber, dass ihr das völlig gleichgültig war.

Er hatte ihr immer noch nicht geschrieben, obwohl er es sich oft vorgenommen hatte. Schon der Brief an Jevy hatte ihn zwei Stunden harte Arbeit gekostet, bei der nur anderthalb Seiten herausgekommen waren.

Nach drei Schneetagen fehlten ihm die feuchtheißen Straßen von Corumba mit dem gemächlichen Fußgängerverkehr, den Straßencafes und dem Lebensrhythmus, dessen unüber-hörbare Botschaft war: Es gibt nichts, das nicht bis morgen warten kann. Es schneite von Minute zu Minute heftiger. Vielleicht gibt es wieder einen Schneesturm, dachte er, dann werden die Straßen gesperrt, und ich brauche doch nicht hinzufahren.

Wieder einmal Sandwiches aus der griechischen Imbissstube, wieder Gewürzgürkchen und Tee. Josh richtete den Tisch her, während er und Nate auf Richter Wycliff warteten. »Hier ist die Gerichtsakte«, sagte er und gab Nate einen umfangreichen roten Ordner. »Und hier ist deine Antwort«, sagte er und gab ihm einen braunen Aktendeckel. »Du musst das so schnell wie möglich durchlesen und unterzeichnen.«

»Hat die Nachlass Verwaltung bereits darauf reagiert?« fragte Nate.

»Unsere Stellungnahme kommt morgen. Da drin liegt die von Rachel Lane, fix und fertig. Du musst sie nur noch unterschreiben.«

»Hier stimmt was nicht, Josh. Ich reiche eine Stellungnahme zu einer Testamentsanfechtung im Namen einer Mandantin ein, die nichts davon weiß.«

»Dann schick ihr eine Kopie.«

»Und wohin?«

»An ihre einzige bekannte Anschrift, die von World Tribes Missions in Houston, Texas. Steht alles in der Akte.« Kopfschüttelnd nahm Nate zur Kenntnis, dass Josh bereits alles Erforderliche vorbereitet hatte. Er kam sich vor wie ein Bauer auf einem Schachbrett. In ihrer vierseitigen Stellungnahme bestritt die Erbin Rachel Lane alle von den sechs Antragstellern, die das Testament anfochten, gemachten Behauptungen im allgemeinen und im besonderen, Stück für Stück. Nate las die sechs Anfechtungsanträge, während sich Josh mit seinem Mobiltelefon beschäftigte.

Letztlich liefen alle Anwürfe und juristisch verklausulierten Formulierungen auf die eine Frage hinaus: Hatte Troy Phelan gewusst, was er tat, als er sein letztes Testament verfaßte ? Das Verfahren würde der reinste Zirkus werden, denn bestimmt würden die Anwälte Psychiater aller Schulen und Schattierungen aufbieten, aber auch Angestellte vor Gericht auftreten lassen, frühere Mitarbeiter, einstige Freundinnen, Hausmeister, Zimmermädchen, Chauffeure, Piloten, Leibwächter, Ärzte und Prostituierte - kurz, jeden, der irgendwann einmal fünf Minuten mit dem Alten zugebracht hatte.

Nate war das alles zuviel. Die Akte belastete ihn immer mehr, je weiter er las. Am Ende der Auseinandersetzung würde der Aktenberg bestimmt ein ganzes Zimmer anfüllen.

Richter Wycliff kam um eins, wie immer in großer Eile. Während er sich die Robe herunterzerrte, entschuldigte er sich für die Verspätung. »Sie sind Nate O'Riley«, sagte er und hielt ihm die Hand hin.

»Ja, ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Josh löste sich endlich von seinem Mobiltelefon. Sie drängten sich um den kleinen Tisch und begannen zu essen. »Josh hat mir gesagt, dass Sie die reichste Frau der Welt aufgestöbert haben«, sagte Wycliff mit vollem Mund. »Stimmt. Vor etwa zwei Wochen.«

»Und Sie können mir nicht sagen, wo sie sich aufhält?«

»Sie hat mich gebeten, das nicht zu tun. Ich hab's ihr versprochen.«

»Wird sie zum gegebenen Zeitpunkt hier auftreten und Aussagen?«

»Das wird nicht nötig sein«, erklärte Josh. Natürlich befand sich in seiner Handakte eine von der Kanzlei Stafford vorbereitete Aktennotiz über die Notwendigkeit ihres Erscheinens im Laufe des Verfahrens. »Wenn sie nichts über Mr. Phelans Geisteszustand weiß, kann sie als Zeugin nichts zur Klärung der Sachlage beitragen.« »Aber sie ist eine der Parteien«, sagte Wycliff.

»Das ist richtig. Aber man kann sie von der Anwesenheitspflicht entbinden. Wir können die Auseinandersetzung auch ohne sie führen.«

»Und wer soll sie von der Anwesenheitspflicht entbinden?«

»Sie, Euer Ehren.«

»Ich beabsichtige, zum gegebenen Zeitpunkt einen Antrag zu stellen«, sagte Nate, »mit dem ich das Gericht bitte zu gestatten, dass das Verfahren in ihrer Abwesenheit durchgeführt werden kann.« Josh lächelte über den Tisch. Gut gemacht, Nate.

»Ich denke, darüber werden wir uns später den Kopf zerbrechen«, sagte Wycliff. »Im Augenblick geht es mir mehr um die Zeugenaussagen. Ich muss nicht betonen, wie sehr die Phelan-Nachkommen darauf drängen, dass die Sache vorangeht. «

»Die Nachlassverwaltung wird morgen ihre Stellungnahme vorlegen«, sagte Josh. »Wir sind für die Auseinandersetzung bereit.«

»Und was ist mit der Erbin?«

»Ich arbeite noch an ihrer Stellungnahme«, sagte Nate düster, als sitze er seit Tagen daran. »Aber bis morgen habe ich sie fertig.«

»Sind Sie für die Zeugenvernehmung bereit?«

»Ja, Sir.«

»Wann dürfen wir damit rechnen, dass Sie die von Ihrer Mandantin unterzeichnete Annahmeerklärung und Gerichtsstandvereinbarung vorlegen können?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Genaugenommen bin ich erst für Ihre Mandantin zuständig, wenn ich diese Dokumente in Händen habe.«

»Ja, ich verstehe. Bestimmt werden sie bald vorliegen. Die Post arbeitet da unten sehr langsam.«

Josh lächelte seinem Schützling zu.

»Sie haben sie also tatsächlich gefunden, ihr ein Exemplar des Testaments vorgelegt, ihr erläutert, was es mit der Gerichtsstandvereinbarung und der Annahmeerklärung auf sich hat, und sich bereit erklärt, sie zu vertreten?«

»Ja, Sir«, sagte Nate, aber nur, weil er musste.

»Sind Sie bereit, diesen Tatbestand in Form einer eidesstattlichen Erklärung in der Akte zu vermerken?«

»Ist das nicht ein bißchen ungewöhnlich?« fragte Josh.

»Möglich, aber wenn wir ohne ihre Vollmacht und Annahmeerklärung das Vorverfahren eröffnen, möchte ich irgendwas Schriftliches in der Akte haben, woraus hervorgeht, dass die Nachlassverwaltung Kontakt mit ihr aufgenommen hat und ihr bekannt ist, was wir hier tun.«

»Guter Gedanke«, sagte Josh, als stamme der Einfall von ihm selbst. »Nate unterschreibt das.«

Nate nickte und biss ein großes Stück von seinem Brot ab, wobei er hoffte, man werde ihn in Frieden essen lassen, ohne ihn zu weiteren Lügen zu zwingen.

»Hat sie Troy nahegestanden?« fragte Wycliff.

Nate kaute, solange er konnte, bevor er antwortete. »Das bleibt aber unter uns, nicht wahr?«

»Natürlich. Reines Geplauder.«

Ja, und solches Geplauder kann dazu führen, dass Prozesse gewonnen oder verloren werden. »Ich glaube nicht. Sie hatte ihn seit Jahren nicht gesehen.«

»Wie hat sie reagiert, als sie das Testament gesehen hat?«

Wycliff sagte das tatsächlich im Plauderton, und Nate war klar, dass er alle Einzelheiten wissen wollte. »Sie war überrascht, um es zurückhaltend zu formulieren«, sagte er trocken.

»Das kann ich mir vorstellen. Hat sie gefragt, um wie viel Geld es geht?«

»Zunächst nicht, später schon. Ich glaube, sie war überwältigt, wie wohl jeder an ihrer Stelle.«

»Ist sie verheiratet?«

»Nein.«

Josh begriff, dass der Richter noch eine ganze Weile weiter Fragen über Rachel stellen konnte. Das aber konnte gefährlich werden. Wycliff durfte zumindest jetzt noch nicht wissen, dass Rachel keinerlei Interesse an dem Geld hatte. Wenn er weiter bohrte, konnte Nate womöglich die Wahrheit herausrutschen. »Wissen Sie, Euer Ehren«, sagte er im Versuch, das Gespräch vorsichtig in eine andere Richtung zu lenken, »der Fall ist nicht kompliziert. Das Vorverfahren dauert bestimmt nicht lange. Die anderen wollen, dass die Sache schnell über die Bühne geht, und wir wollen das auch. Da liegt ein ganzer Haufen Geld auf dem Tisch, und jeder will da ran.

Warum können wir nicht das Vorverfahren kurzfristig terminieren und einen Zeitpunkt für das Verfahren festsetzen?«

Die Auseinandersetzung im Fall einer Testamentsanfechtung zu beschleunigen war alles andere als üblich. In

Nachlasssachen tätige Anwälte wurden nach Stunden bezahlt. Warum also dann die Eile?

»Interessant«, sagte Wycliff. »Woran denken Sie?«

»Vielleicht könnten wir so bald wie möglich eine Besprechung ansetzen, bei der alle Anwälte an einem Tisch sitzen. Jeder soll eine Liste möglicher Zeugen und Dokumente vorlegen, die er im Verfahren aufzubieten gedenkt. Man könnte dreißig Tage für alle Aussagen vorsehen und den eigentlichen Prozeßbeginn von heute an gerechnet in neunzig Tagen.« .

»Das ist aber schrecklich schnell.«

»Beim Bundesgericht machen wir das immer so. Es funktioniert. Die Jungs auf der Gegenseite werden drauf anspringen, weil ihre Mandanten alle pleite sind.«

»Was ist mit Ihnen, Mr. O'Riley? Hat Ihre Mandantin es eilig, an das Geld zu kommen?«

»Hätten Sie es nicht eilig?« fragte Nate den Richter.

Darauf lachten alle drei.

Als Grit schließlich durch den telefonischen Stacheldrahtverhau zu Hark durchdrang, waren seine ersten Worte: »Ich überlege, ob ich nicht zum Richter gehen soll.«

Hark drückte den Knopf an seinem Telefon, der die Bandaufnahme in Gang setzte, und sagte: »Guten Tag, Grit.« »Ich könnte ihm die Wahrheit sagen, dass sich nämlich Snead seine Außage für fünf Millionen hat abkaufen lassen und dass nichts von dem, was er sagt, der Wahrheit entspricht.«

Hark lachte gerade so laut, dass Grit es hören konnte. »Das können Sie nicht, Grit.«

»Natürlich kann ich das.«

»Besonders klug sind Sie wohl nicht, was? Hören Sie mir gut zu, Grit. Erstens haben Sie wie wir alle die Vereinbarung mit unterschrieben, sind also in ein rechtswidriges Vorgehen verwickelt, das Sie offen legen wollen. Zweitens, und das ist noch viel wichtiger, wissen Sie von Snead, weil Sie als Rechtsvertreter von Mary ROSS an dem Fall beteiligt waren. Das ist eine vertrauliche Beziehung. Wenn Sie Informationen weitergeben, die Ihnen als ihr Anwalt zu Ohren gekommen sind, dann verletzen Sie das Anwaltsgeheimnis. Sofern Sie etwas Törichtes tun, kommen Sie vor das Ehrengericht, und ich werde persönlich dafür sorgen, dass man Ihnen die Zulassung als Anwalt entzieht. Haben Sie das verstanden, Grit?«

»Sie sind ein Drecksack, Gettys. Sie haben mir meine Mandantin abspenstig gemacht.«

401

»Hätte sie sich nach einem anderen Anwalt umgesehen, wenn sie mit Ihnen zufrieden gewesen wäre?«

»Ich bin mit Ihnen noch nicht fertig.«

»Überlegen Sie sich gut, was Sie tun!«

Grit knallte den Hörer auf. Hark genoss den Moment, und machte sich wieder an die Arbeit.

Nate fuhr allein über den Potomac in die Stadt, am Lincoln Memorial vorbei, rollte ohne jede Eile im fließenden Verkehr. Ab und zu fielen Schneeflocken auf die Windschutzscheibe, aber der schwere Schneefall war ausgeblieben. An einer roten Ampel auf der Pennsylvania Avenue sah er im Rückspiegel, von einem Dutzend ähnlicher Gebäude umgeben, das Hochhaus, in dem er den größten Teil seiner letzten dreiundzwanzig Jahre verbracht hatte. Das Fenster seines Büros lag im fünften Stock. Er konnte es kaum sehen.

An der M-Straße, die nach Georgetown führte, kam er an den Stellen vorüber, die er früher so häufig aufgesucht hatte: an alten Kneipen und Bars, in denen er viele dunkle Stunden mit Menschen zugebracht hatte, an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Wohl aber wusste er noch die Namen der Barkeeper. Jedes dieser Lokale hatte seine eigene Geschichte. Als er noch trank, musste ein harter Tag in der Kanzlei oder bei Gericht durch einige Stunden Alkohol abgemildert werden, sonst hätte er nicht nach Hause gehen können. An der Wisconsin bog er nach Norden ab und sah ein Lokal, wo er sich mal mit einem College-Studenten geprügelt hatte, der betrunkener gewesen war als er selbst, und das alles wegen einer Schlampe von Studentin. Der Barkeeper hatte sie aufgefordert, ihre Prügelei draußen auszutragen. Als Nate am nächsten Morgen zum Gericht ging, hatte er ein Pflaster im Gesicht gehabt.

Als nächstes kam er an einem kleinen Cafe vorüber, wo er so viel Kokain gekauft hatte, dass er sich damit fast umgebracht hätte. Die Drogenpolizei hatte dort eine Razzia durchgeführt, während er sich im Entzug befand, und zwei Aktienhändler, die er gut kannte, mussten ins Gefängnis.

In diesen Straßen hatte er seine besten Jahre zugebracht, während seine Frauen zu Hause gewartet hatten und seine Kinder ohne ihren Vater aufgewachsen waren. Er schämte sich des Elends, das er heraufbeschworen hatte, und als er aus Georgetown hinausfuhr, schwor er sich, nie wieder dorthin zurückzukehren.

In Staffords Haus lud er weitere Kleidungsstücke und persönliche Habe ins Auto und fuhr dann eilends davon.

In der Tasche hatte er als Vorschuss für den ersten Monat einen Scheck über zehntausend Dollar. Der IRS wollte sechzig-tausend Dollar Steuerrückstände, und die Geldstrafe würde sich mindestens noch einmal auf denselben Betrag belaufen. Bei seiner zweiten Frau war er mit rund dreißigtausend Dollar Unterhaltszahlungen im Rückstand, monatliche Zahlungsverpflichtungen, die während seiner Entziehungskur aufgelaufen waren.

Dadurch, dass er sich für zahlungsunfähig erklärt hatte, waren diese Schulden nicht getilgt. Er musste sich eingestehen, dass seine finanzielle Zukunft wirklich düster aussah. Jedes seiner jüngeren Kinder kostete ihn pro Monat dreitausend Dollar. Die Studiengebühren samt Verpflegung und Unterkunft der beiden älteren im Studentenheim kosteten fast ebenso viel. Von dem Geld, das er mit dem Fall Phelan verdiente, konnte er einige Monate leben, aber wenn er Josh und Wycliff richtig verstanden hatte, würde die Entscheidung eher früher als später fallen.

Nach Abschluss der Nachlassangelegenheit würde sich Nate vor einem Bundesrichter der Steuerhinterziehung schuldig bekennen und seine Zulassung als Anwalt zurückgeben.

Phil sagte ihm, er solle sich keine Sorgen um die Zukunft machen, darum werde sich Gott kümmern.

Wieder einmal fragte sich Nate, ob sich Gott damit nicht mehr Mühe einhandelte, als Er erwartet hätte.

Da Nate außerstande war, auf etwas anderem zu schreiben als den in Anwaltskreisen üblichen Notizblöcken mit ihren weit auseinanderliegenden Linien und breiten Rändern, nahm er einen davon und versuchte, einen Brief an Rachel zustande zu bringen. Er wollte ihn mit dem Vermerk »persönlich und vertraulich« an die Adresse von World Tribes Missions in Houston schicken und in einem Begleitschreiben an die Mitarbeiter dort darum bitten, dass sie den Brief an Rachel weiterleiteten.

Irgend jemand dort wusste bestimmt, wer und wo sie war. Vielleicht gab es sogar jemanden, dem bekannt war, dass es sich bei ihr um Troy Phelans Tochter handelte. Sofern dieser Jemand seine Schlüsse zog, würde er mö g-licherweise merken, dass Rachel die Milliardenerbin war.

Außerdem vermutete Nate, sie würde sich mit World Tribes in Verbindung setzen - wenn sie das nicht ohnehin schon getan hatte. Sie war in Corumba gewesen und hatte ihn dort im Krankenhaus aufgesucht. Daher konnte er annehmen, dass sie in Houston angerufen und irgend jemandem von seinem Besuch berichtet hatte.

Sie hatte von ihrem jährlichen Etat gesprochen, den ihr die Mission zuteilte, also musste es irgendeine Art der postalischen Verbindung geben. Sofern dieser Brief in Houston in die richtigen Hände fiel, würde er vielleicht nach Corumba weitergeleitet, wo ihn Rachel zu gegebener Zeit abholen würde.

Er schrieb das Datum und begann dann: »Liebe Rachel«.

Eine Stunde verging, während er ins Feuer sah und nach Worten suchte, die nicht albern klangen. Schließlich begann er den Brief mit einem Absatz über den Schnee. Er fragte sie, ob ihr der Schnee fehle und wie die Winter ihrer Kindheit in Montana gewesen seien. Er fügte hinzu, dass der Schnee vor seinem Fenster dreißig Zentimeter hoch liege.

Er kam nicht umhin, ihr zu gestehen, dass er als ihr Anwalt tätig war. Als er in den Juristenjargon verfiel, ging ihm der Brief flott von der Hand. Er erklärte die Auseinandersetzung vor Gericht in so einfachen Worten, wie ihm das mö glich war.

Dann erzählte er ihr von Pfarrer Phil, der Kirche und dem Kellerraum. Er lese in der Bibel, und es gefalle ihm gut. Er bete für sie.

Schließlich war der Brief drei Seiten lang, und Nate war recht stolz auf sich. Er las ihn zweimal durch und befand ihn für wert, abgeschickt zu werden. Er war sicher, falls der Brief es je bis zu ihrer Hütte schaffte, würde sie ihn immer wieder lesen, ohne stilistischen Schwächen irgendwelche Beachtung zu schenken.

Nate sehnte sich danach, sie wiederzusehen.

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