Snead war zwei Schritte hinter Mr. Phelan und nahm eine Sekunde lang an, er werde ihn einholen. Er war so
entsetzt gewesen, als er den alten Mann nicht nur aufstehen und gehen, sondern praktisch zur Tür sprinten sah, dass er förmlich erstarrt war. Schon seit Jahren hatte sich Mr. Phelan nicht so schnell bewegt.
Snead erreichte das Geländer gerade noch rechtzeitig, um einen Entsetzensschrei auszustoßen, musste dann aber hilflos mit ansehen, wie Mr. Phelan lautlos fiel, mit Armen und Beinen um sich schlug und immer kleiner wurde, bis er auf dem Boden aufschlug. Snead krallte sich am Geländer fest, während er ungläubig nach unten sah.
Dann begannen ihm die Tränen über das Gesicht zu laufen.
Josh Stafford erreichte die Terrasse einen Schritt hinter Snead und bekam den Sturz zum größten Teil mit. Es geschah so schnell, zumindest der Sprung; der anschließende Sturz in die Tiefe schien eine Stunde zu dauern. Zwar fällt ein Mann von knapp siebzig Kilo in weniger als fünf Sekunden aus einer Höhe von neunzig Metern, aber Stafford erzählte später allen Leuten, der alte Mann habe eine Ewigkeit lang in der Luft geschwebt, wie eine Feder, die im Wind dahintreibt.
Tip Durban, der unmittelbar hinter Stafford das Geländer erreichte, bekam lediglich den Aufprall des Körpers auf der mit Ziegelsteinen gepflasterten Fläche zwischen dem Haupteingang und einer kreisförmigen Auffahrt mit. Aus irgendeinem Grund hielt Durban den Umschlag in der Hand, den er, ohne es zu merken, vom Tisch genommen hatte, während sie dem alten Troy nachsetzten. Er fühlte sich sehr viel schwerer an, als Durban in der beißend kalten Luft dastand und auf eine Szene aus einem Horrorfilm hinabsah, der sich die ersten Zuschauer näherten.
Troy Phelans Sturz verlief nicht so dramatis ch, wie er es sich gewünscht hatte. Er flog weder wie ein Engel der Erde entgegen, mit einem vollkommenen Kopfsprung, bei dem das Seidengewand hinter ihm flatterte, noch landete er genau in dem Augenblick tot vor den Augen seiner entsetzten Angehörigen, in dem sie das Gebäude verließen. Lediglich ein untergeordneter Angestellter aus der Lohnbuchhaltung, der nach einer sehr langen Mittagspause in einer Bar über den Parkplatz eilte, wurde Zeuge des Sturzes. Er hörte eine Stimme, hob den Blick zum obersten Stockwerk und sah entsetzt einen blassen, nackten Körper, um dessen Hals etwas wie ein Bettlaken flatterte. Wie nicht anders zu erwarten, landete er mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Boden.
Gerade als der Angestellte zu dem Punkt rannte, wo der Körper mit dem Rücken aufgeprallt war, merkte ein Angehöriger des Werkschutzes, dass etwas nicht in Ordnung war, und verließ seinen Posten neben dem Haupteingang des Phelan-Turms. Da weder der Wachmann noch der Angestellte Mr. Troy Phelan je gesehen hatte, wusste keiner von beiden zunächst, wessen blutigen, aberwitzig verdrehten und nackten Leichnam sie da betrachteten, den in Höhe der Arme ein Laken umgab. Mit Sicherheit wussten sie nur, dass der Mann tot war. Dreißig Sekunden später hätte sich Troys Wunsch erfüllt. Da sich Tira und Ramble im vierten Stock befunden hatten, verließen sie zusammen mit Dr. Theishen und ihrem Aufgebot von Anwälten als erste das Gebäude und erreichten daher auch als erste den Ort des Schreckens. Tira kreischte, nicht aus Schmerz, Liebe oder unter dem Eindruck eines Verlustes, sondern einfach wegen des Schocks, den der Anblick des alten Troy auf den Ziegelsteinen in ihr auslöste. So durchdringend war der Schrei, dass ihn Snead, Stafford und Durban dreizehn Stockwerke höher deutlich hören konnten.
Ramble fand den Anblick ziemlich stark. Da er mit dem Fernsehen aufgewachsen und süchtig nach VideoSpielen war, lockte ihn jede Schreckensszene geradezu magnetisch an. Er löste sich von seiner kreischenden Mutter und kniete sich neben seinen toten Vater. Der Wachmann legte ihm die Hand fest auf die Schulter.
»Das ist Troy Phelan«, sagte einer der Anwälte, während« sich über den Leichnam beugte.
»Sagen Sie bloß«, sagte der Wachmann.
»Ist ja 'n Ding«, sagte der Angestellte.
Weitere Menschen kamen aus dem Gebäude gerannt.
Die nächsten waren Janie, Geena und Cody mit ihrem Psychiater Dr. Flowe und ihren Anwälten. Aus ihrem Mund hörte man keine Schreie, niemand brach zusammen. Sie drängten sich dicht aneinander, hielten Abstand von Tira und ihrer Gruppe und glotzten wie alle anderen zu dem armen Troy hinüber.
Funkgeräte knisterten, als ein weiterer Wachmann eintraf und die Sache in die Hand nahm. Er rief nach einem Rettungswagen.
»Welchen Sinn soll das haben?« fragte der Angestellte aus der Lohnbuchhaltung, der sich in den Vordergrund spielte, weil er als erster am Ort des Geschehens eingetroffen war.
»Wollen Sie ihn etwa in Ihrem eigenen Wagen wegbringen?« fragte der Wachmann.
Ramble sah zu, wie das Blut die Mörtelfugen zwischen den Steinen füllte und in vollkommenen rechten Winkeln ein leichtes Gefalle hinablief, auf einen eingefrorenen Springbrunnen und einen Fahnenmast in der Nähe zu. Ein Aufzug voller Menschen hielt in der Eingangshalle. Die Türen öffneten sich, und Lillian trat mit ihren Kindern und deren Begleitern heraus. Die ganze Gruppe wandte sich nach links einem Nebenausgang entgegen, denn TJ und Rex hatten hinter dem Gebäude geparkt, weil sie sich auskannten: Beide hatten einst ein eigenes Büro in dem Gebäude besessen. Mit einem Mal rief jemand vom Haupteingang des Gebäudes her: »Mr. Phelan ist gesprungen!« Sie änderten ihre Richtung und eilten zum gepflasterten Vorplatz in der Nähe des Springbrunnens, wo sie ihn fanden.
Jetzt brauchten sie doch nicht auf den Gehirntumor zu warten.
Es dauerte rund eine Minute, bis sich Joshua Stafford von seinem Entsetzen erholt hatte und wieder wie ein Anwalt denken konnte. Er wartete, bis die Angehörigen der dritten und letzten Familie unten zu sehen waren, dann bat er Snead und Durban in den Raum zurück.
Snead stellte sich vor die immer noch eingeschaltete Kamera, und nachdem er geschworen hatte, die Wahrheit zu sagen, berichtete er, was er soeben mit angesehen hatte. Dabei musste er gegen seine Tränen ankämpfen. Stafford öffnete den Umschlag und hielt die gelben Blätter so nahe vor die Kamera, dass die Schrift lesbar war.
»Ich habe gesehen, wie er diese Blätter vor wenigen Sekunden unterschrieben hat«, bestätigte Snead.
»Und erkennen Sie das als seine Unterschrift?« fragte Stafford.
»Ja, ja, das ist sie.«
»Hat er erklärt, dass es sich dabei um seine letztwillige Verfügung handelt?«
»Er hat es als sein Testament bezeichnet.«
Stafford nahm die Blätter wieder an sich, bevor Snead lesen konnte, was darauf stand. Er ließ Durban dieselbe Aussage machen, stellte sich dann selbst vor die Kamera und erklärte, was er zum Ablauf der Ereignisse zu sagen hatte. Die Kamera wurde abgeschaltet, und die drei fuhren nach unten, um Mr. Phelan die letzte Ehre zu erweisen. Der Fahrstuhl war voller Angestellter der Firma, die zwar tief betroffen waren, es sich aber auf keinen Fall entgehen lassen wollten, den Alten ein letztes Mal zu sehen, noch dazu in dieser sonderbaren Situation. Allmählich leerte sich das Gebäude. In einer Ecke hörte man Snead erstickt schluchzen.
Wachmänner hatten die Menge abgedrängt. Man hörte eine Sirene näherkommen. Jemand machte letzte Erinnerungsfotos von Troy Phelan, der in einer Blutlache lag, dann wurde eine schwarze Decke über den Leichnam ausgebreitet.
Bei den Angehörigen überlagerte schon bald leichter Kummer das Entsetzen über den Tod. Gesenkten Hauptes standen sie da, den Blick betrübt auf die Decke gerichtet, und dachten an das, was zu erledigen sein würde. Es war unmöglich, Troy anzusehen und nicht an das viele Geld zu denken. Die Trauer um einen Verwandten, dem man entfremdet ist, hält nicht lange an, wenn man damit rechnen darf, eine halbe Milliarde Dollar zu erben -auch nicht, wenn es der eigene Vater ist.
Bei den Angestellten trat Verwirrung an die Stelle des Entsetzens. Zwar hieß es, er wohne da oben über ihnen, aber kaum jemand hatte ihn je gesehen. Er galt als exzentrisch, verrückt und krank - aber alles gründete sich auf Gerüchte, auch, dass er ein Menschenfeind sei. Wichtige Mitglieder der Unternehmensspitze sahen ihn einmal im Jahr. Wenn die Firma ohne sein Eingreifen so erfolgreich war, durften die Angestellten ihre Arbeitsplätze getrost für sicher halten.
Die Psychiater - Zadel, Flowe und Theishen - sahen sich mit einem Mal in einer beklemmenden Lage. Da erklärt man, jemand sei bei klarem Verstand, und gleich darauf geht er hin und springt in den Tod. Doch auch ein Ve r-rückter hat gelegentlich einen lichten Augenblick - diese rettende Formel wiederholten sie unaufhörlich, während sie inmitten der Menge zitterten. Während so jemand kurzzeitig bei klarem Verstand ist, kann er ohne weiteres ein gültiges Testament errichten. Von dieser Position würden sie auf keinen Fall abrücken. Gott sei Dank war alles auf Band aufgenommen worden. Der alte Troy war ein Fuchs, und er war bei klarem Verstand gewesen.
Und die Anwälte überwanden ihren Schock rasch und ohne Kummer zu empfinden. Mit entschlossener Miene betrachteten sie, neben ihren Mandanten stehend, das klägliche Bild, das sich ihnen bot. Das Honorar würde gewaltig sein.
Ein Rettungswagen fuhr auf die gepflasterte Fläche und blieb in unmittelbarer Nähe des Leichnams stehen. Stafford kroch unter dem Absperrband durch und flüsterte den Wachmännern etwas zu.
Rasch wurde Troy auf eine Bahre geladen und fortgebracht.
Zwanzig Jahre zuvor hatte Troy Phelan seinen Firmensitz in den Norden des Staates Virginia verlegt, um der hohen Besteuerung in New York zu entgehen. Die vierzig Millionen, die er für das Grundstück und das Hochhaus hatte aufwenden müssen, hatte er durch den Wechsel des Firmensitzes nach Virginia mehrfach eingespart. Den aufstrebenden Washingtoner Anwalt Joshua Stafford hatte er im Zusammenhang mit einem üblen Prozess kennengelernt, den er verloren hatte. Stafford hatte die Gegenseite vertreten und gewonnen. Troy, der seine Art des Vorgehens und seine Beharrlichkeit bewunderte, hatte ihn fortan mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Im zurückliegenden Jahrzehnt hatte Stafford die Größe seiner Kanzlei verdoppelt und mit den Einnahmen aus den juristischen Scharmützeln, die er für Troy führte, ein Vermögen gemacht.
Niemand hatte Troy Phelan in seinen letzten Lebensjahren nähergestanden als Josh Stafford. Er kehrte jetzt mit Durban ins Konferenzzimmer im dreizehnten Stock zurück, verschloss die Tür und schickte Snead mit der Anweisung fort, sich hinzulegen.
Vor laufender Kamera öffnete Stafford den Umschlag und entnahm ihm die drei gelben Bogen. Der erste enthielt eine für ihn bestimmte Mitteilung Troys. Er sagte in die Kamera: »Dieser an mich gerichtete handschriftliche Brief Troy Phelans trägt das Datum des heutigen Tages, Montag, 9. Dezember 1996. Er besteht aus fünf Absätzen. Ich lese ihn im Wortlaut vor:
>Lieber Josh, ich bin jetzt tot. Nachstehend meine Anweisungen, die ich Sie genau zu befolgen bitte. Ich möchte, dass meine Wünsche ausgeführt werden. Notfalls müssen Sie vor Gericht gehen, um sie durchzusetzen. Erstens soll aus Gründen, deren Bedeutung sich später zeigen wird, eine baldige Autopsie durchgeführt werden. Zweitens will ich keinerlei Beisetzungsfeierlichkeit, Gedenkgottesdienst oder eine ähnliche Veranstaltung. Man soll mich verbrennen und meine Asche aus der Luft über meiner Ranch in Wyoming verstreuen.
Drittens möchte ich, dass der Inhalt meines Testaments bis zum 15. Januar 1997 vertraulich bleibt. Dem Gesetz nach sind Sie nicht verpflichtet, es sogleich offen zulegen. Halten Sie es also einen Monat zurück.
Bis dann. Troy.<«
Bedächtig legte Stafford das erste Blatt auf den Tisch und nahm das zweite zur Hand. Er überflog es und sagte dann in die Kamera: »Das hier ist ein aus einer Seite bestehendes Dokument, das als Letzter Wille des Troy L. Phelan gekennzeichnet ist. Ich lese es im Wortlaut vor:
>Letztwillige Verfügung von Troy L. Phelan. Ich, Troy L. Phelan, widerrufe hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte nachdrücklich jedes früher von mir abgefasste Testament sowie alle Nachträge dazu und verfüge über mein Vermögen wie folgt:
Meinen Kindern Troy Phelan jun., Rex Phelan, Libbigail Jeter, Mary ROSS Jackman, Geena Strong sowie Ramble Phelan hinterlasse ich einen Geldbetrag, der ausreicht, ihre jeweiligen Schulden in der Höhe zu begleichen, die sie am heutigen Tag aufweisen. Nach dem heutigen Datum anfallende Schulden werden davon nicht gedeckt. Sollte einer der genannten Nachkommen den Versuch unternehmen, dieses Testament anzufechten, entfällt das für ihn vorgesehene Geldgeschenk vollständig.
Meine ehemaligen Ehefrauen Lillian, Janie und Tira bekommen nichts. Sie sind bei der Scheidung jeweils angemessen versorgt worden.
Mein verbleibendes Vermögen hinterlasse ich meiner am 2. November 1954 im katholischen Krankenhaus von New Orleans, Louisiana, geborenen Tochter Rachel Lane. Ihre Mutter, eine Frau namens Evelyn Cunningham, ist zwischenzeitlich verstorben.«
Keinen dieser beiden Namen hatte Stafford je gehört. Er musste Luft holen, bevor er mit dem Vorlesen fortfuhr. >»Zum Verwalter meines Nachlasses setze ich den Anwalt meines Vertrauens, Josh Stafford, ein und lasse ihm weitgehende Entscheidungsfreiheit in der Frage, wie er dabei vorgeht.
Es handelt sich um ein eigenhändiges Testament, das ich Wort für Wort selbst verfasst habe und nachstehend unterschreibe.
Unterschrieben am 9. Dezember 1996 um drei Uhr nachmittags von Troy L. Phelan<.«
Stafford legte das Blatt auf den Tisch und blinzelte in die Kamera. Obwohl er das Bedürfnis hatte, um das Gebäude herumzugehen, sich vielleicht ein wenig von der frischen Luft durchblasen zu lassen, fuhr er fort. Er nahm das dritte Blatt zur Hand und sagte: »Hierbei handelt es sich um eine aus einem Absatz bestehende Mitteilung, die wieder an mich gerichtet ist. Ich lese sie vor: Josh: Rachel Lane ist an der Grenze zwischen Brasilien und Bolivien als Missionarin einer Organisation namens World Tribes Missions tätig. Sie arbeitet in einer als Panta-nal bezeichneten abgelegenen Gegend unter Indianern. Die nächstgelegene Stadt ist Corumba. Ich habe seit zwanzig Jahren keine Verbindung zu ihr gehabt und sie auch jetzt nicht auftreiben können. Gezeichnet Troy Phelan<.«
Durban schaltete die Kamera ab und ging zweimal um den Tisch herum, während Stafford das Dokument immer wieder las.
»Wussten Sie, dass er eine uneheliche Tochter hatte?«
Stafford sah abwesend auf eine Wand. »Nein. Ich habe für Troy elf Testamente aufgesetzt, und er hat sie in keinem von ihnen auch nur einmal erwähnt.«
»Vermutlich dürfte uns das nicht überraschen.«
Stafford hatte häufig gesagt, Troy Phelan könne ihn nicht mehr überraschen. Im Geschäftsleben wie auch in seinen privaten Angelegenheiten war er launisch und sprunghaft gewesen. Obwohl Stafford Millionen damit verdient hatte, sich um diesen Mandanten zu kümmern und brisante Angelegenheiten für ihn zu entschärfen, war er wie vor den Kopf geschlagen. Er war soeben Zeuge eines recht dramatischen Selbstmords geworden, bei dem ein an den Rollstuhl gefesselter Mann mit einem Mal aufgesprungen und losgerannt war. Jetzt hatte er ein gültiges Testament vor sich, das in einigen knappen Absätzen eins der bedeutendsten Vermögen auf der Welt einer unbekannten Erbin hinterließ, ohne den geringsten Hinweis darauf, was mit dem Geld geschehen sollte. Die Erbschaftssteuer würde exorbitant sein.
»Ich brauche was zu trinken, Tip«, sagte er.
»Es ist ein bißchen früh dafür.«
Sie gingen nach nebenan in Phelans Büro, wo sie alles unverschlossen vorfanden. Seine gegenwärtige Sekretärin und alle anderen im dreizehnten Stock Beschäftigten waren noch unten.
Die beiden Männer schlossen die Tür hinter sich ab und gingen eilig daran, alles zu durchsuchen. Offensichtlich hatte Troy damit gerechnet, sonst hätte er nie und nimmer Schubladen und Aktenschränke unverschlossen gelassen, die private Papiere enthielten. Offenbar war ihm klar gewesen, dass Josh sofort handeln würde. In der mittleren Schublade seines Schreibtischs fanden sie einen fünf Wochen zuvor unterschriebenen Vertrag mit einem Krematorium in Alexandria. Darunter lag eine Akte über die World Tribes Missions.
Sie suchten zusammen, was sie tragen konnten, holten dann Snead und veranlassten ihn, das Büro abzuschließen. »Was steht in dem Testament, dem letzten?« fragte Snead, blass und mit geschwollenen Augen. Unmöglich konnte Mr. Phelan einfach so sterben, ohne ihm etwas zu hinterlassen, wovon er leben konnte. Immerhin hatte er ihm dreißig Jahre lang treu gedient.
»Das kann ich nicht sagen«, antwortete Stafford. »Ich komme morgen wieder, um alles zu inventarisieren. Lassen Sie keinen Menschen hier rein.«
»Natürlich nicht«, flüsterte Snead und brach erneut in Tränen aus.
Stafford und Durban brachten eine halbe Stunde mit einem Polizeibeamten zu, der routinemäßig gekommen war.
Sie zeigten ihm die Stelle, an der Troy über das Geländer geklettert war, nannten ihm die Namen von Zeugen,
beschrieben den letzten Brief und das letzte Testament, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Sie versprachen ihm eine Kopie des Autopsieberichts. Der Beamte betrachtete den Fall schon als abgeschlossen, bevor er das Gebäude verließ.
Sie fuhren zum Büro des Gerichtsmediziners, wo der Leichnam bereits eingetroffen war, und veranlassten die Autopsie.
»Wozu soll die dienen?« fragte Durban flüsternd, während sie auf Formulare warteten, die ausgefüllt werden mussten.
»Sie soll den Beweis liefern, dass weder Drogen noch Alkohol im Spiel waren, nichts, was seine geistigen Fähigkeiten hätte beeinträchtigen können. Er hat an alles gedacht.«
Erst kurz vor sechs konnten sie eine Bar im Willard Hotel aufsuchen, das in der Nähe des Weißen Hauses zwei Querstraßen von ihrem Büro entfernt lag. Nach einem kräftigen Schluck brachte Stafford zum ersten Mal ein Lächeln zustande. »Er hat wirklich an alles gedacht, nicht wahr?«
»Er ist sehr grausam«, sagte Durban, tief in Gedanken versunken. Zwar ließen die Auswirkungen des Schocks langsam nach, dafür aber meldete sich die Wirklichkeit zu Wort.
»Sie meinen wohl, er war grausam.«
»Nein, Troy ist noch immer da. Er bestimmt nach wie vor die Regeln, nach denen gespielt wird.«
»Können Sie sich vorstellen, wie viel Geld diese Dummköpfe im nächsten Monat ausgeben werden?«
»Es kommt mir wie ein Verbrechen vor, es ihnen nicht zu sagen.«
»Wir dürfen nicht. Wir haben unsere Anweisungen.«
Angesichts der Tatsache, dass es sich um Anwälte handelte, deren Mandanten nur selten miteinander sprachen, war die Sitzung ein seltener Fall von Kooperationsbereitschaft. Das ausgeprägteste Ego im Raum gehörte Hark Gettys, einem auf Prozesse geradezu erpichten Anwalt, der seit mehreren Jahren Rex Phelan vertrat. Hark hatte diese Sitzung einberufen, kurz nachdem er in seine Kanzlei an der Massachusetts Avenue zurückgekehrt war. Er hatte sogar TJs und Libbigails Anwälten seinen Vorschlag zugeflüstert, während sie zusahen, wie man den Alten in den Rettungswagen lud.
Der Einfall war so gut, dass seine Kollegen nichts dagegen vorbringen konnten. Gemeinsam mit Flowe, Zadel und Theishen trafen sie nach fünf Uhr in Gettys Kanzlei ein. Ein Gerichtsstenograph und zwei Videokameras warteten bereits.
Verständlicherweise machte sie der Selbstmord nervös. Die drei Psychiater wurden einzeln beiseite genommen und ausführlich über alles befragt, was sie an Mr. Phelan unmittelbar vor seinem Ende wahrgenommen hatten. Keiner der drei hatte den geringsten Zweifel daran, dass er genau gewusst hatte, was er tat, dass er bei klarem Verstand und mehr als nur testierfähig gewesen war. Sie wiesen mit Nachdruck darauf hin, dass man nicht verrückt zu sein braucht, um sich das Leben zu nehmen.
Als alle dreizehn Anwälte jede nur denkbare Meinung aus den Anwesenden herausgefragt hatten, beendete Gettys die Sitzung. Es war fast acht Uhr abends.