VIERUNDVIERZIG

Die Reihe der förmlichen Befragungen unter Eid, von denen jede einzelne protokolliert werden musste, begann am Montag, dem 17. Februar, in einem langen, kahlen Raum des Gerichts des Fairfax County. Eigentlich war er als Wartezimmer für Zeugen vorgesehen, doch Richter Wycliff hatte seinen Einfluss geltend gemacht und ihn für die zweite Monatshälfte reserviert. Mindestens fünfzehn Personen sollten als Zeugen gehört werden, und da sich die Anwälte nicht auf Ort und Zeit hatten einigen können, hatte Wycliff ein Machtwort gesprochen und festgesetzt, dass die Zeugen nacheinander Stunde um Stunde, Tag für Tag befragt würden, bis alles vorüber war. Zwar war eine solche Marathonveranstaltung selten, doch stand auch nicht oft ein so hohes Vermögen auf dem Spiel. Die Anwälte hatten eine verblüffende Fähigkeit bewiesen, ihre Terminkalender für den Zeitraum, in dem es um die Klärung des Phelan-Nachlasses gehen sollte, frei zuräumen. Man hatte Prozesse und andere Gerichtstermine verschoben, wichtige letzte Fristen erneut verlängern lassen, den Gerichten einzureichende Schriftsätze Kollegen zugeschoben und Urlaubspläne auf den Sommer verlegt. Juniorpartner wurden damit beauftragt, kleinere Fälle zu bearbeiten. Nichts war wichtiger als das Phelan-Chaos.

Nate erschien die Aussicht, zwei Wochen lang in einem Raum voller Anwälte Zeugen durch die Mangel zu drehen, fast so schlimm wie die Hölle.

Wenn seine Mandantin das Geld nicht wollte, warum sollte ihm dann nicht egal sein, wer es bekam?

Diese Haltung änderte sich, als er Troy Phelans Nachkommen kennen lernte.

Als erster wurde Mr. Troy Phelan jun. vernommen. Trotz seiner Vereidigung durch den Gerichtsdiener büßte er mit seinen unruhig umherhuschenden Augen und den geröteten Wangen jede Glaubwürdigkeit ein, kaum dass er am Kopfende des Tischs Platz genommen hatte. Eine Videokamera am anderen Ende nahm sein Gesicht in Großaufnahme auf.

Ein halbes Dutzend Anwälte aus Joshs Kanzlei, denen Nate nie begegnen würde, hatte Hunderte von Fragen vorbereitet, mit denen er ihn in die Ecke treiben konnte. Allerdings war Nate überzeugt, dass ihm das auch aus dem Handgelenk und ohne jede Vorbereitung möglich gewesen wäre. Zeugenbefragungen hatte er schon tausend Mal vorgenommen.

Nate stellte sich Troy Junior vor, der ihm nervös zulächelte, etwa so wie der Insasse einer Todeszelle gegenüber dem Henker. Sein Blick schien zu fragen: »Es wird doch nicht weh tun?«

Schon mit seiner freundlichen Einleitungsfrage, ob Troy Junior derzeit unter dem Einfluss von Alkohol, Drogen oder Medikamenten stehe, verärgerte Nate die Phelan-Anwälte auf der anderen Seite des Tisches. Lediglich Hark ordnete die Frage richtig ein. Er hatte fast ebenso viele Zeugenbefragungen durchgeführt wie Nate O'Riley.

Das Lächeln verschwand. »Nein«, blaffte Troy Junior. Zwar hatte er entsetzliche Kopfschmerzen von einem Kater, aber er war nüchtern.

»Und Ihnen ist klar, dass Sie soeben mit einem Eid bekräftigt haben, die Wahrheit zu sagen?«

»Ja.«

»Ist Ihnen auch klar, was Meineid bedeutet?«

»Absolut.«

»Wer ist Ihr Anwalt?« fragte Nate mit einer Handbewegung zur anderen Seite des Tisches.

»Hark Gettys.«

Mr. O'Rileys Überheblichkeit ärgerte die Anwälte erneut, diesmal auch Hark. Nate hatte sich nicht die Mühe gemacht, in Erfahrung zu bringen, welcher Anwalt welchen Mandanten vertrat. Seine Geringschätzung war beleidigend.

Innerhalb der ersten zwei Minuten hatte Nate den bösen Ton etabliert, den er den ganzen Tag über beibehalten sollte. Er ließ wenig Zweifel daran, dass er Troy Junior kein Wort glaubte, und vielleicht war der Mann ja doch nicht nüchtern. Es war ein alter Trick.

»Wie oft waren Sie verheiratet?«

»Und Sie?« blaffte Junior zurück, woraufhin er sich beifallheischend zu seinem Anwalt umsah. Hark betrachtete ein Blatt Papier.

Nate bewahrte die Ruhe. Wer wusste schon, was die Phelan-Anwälte über ihn gesagt hatten? Es war ihm egal. »Ich möchte Ihnen etwas erklären, Mr. Phelan«, sagte Nate ohne die geringste Spur von Erregung. »Ich werde das sehr langsam tun, und hören Sie bitte gut zu. Ich bin der Anwalt, Sie sind der Zeuge. Können Sie mir bis dahin folgen?«

Troy Junior nickte langsam.

»Ich stelle die Fragen, Sie antworten. Verstehen Sie das?«

Wieder nickte der Zeuge.

»Sie stellen keine Fragen, und ich gebe keine Antworten. Verstanden?«

»Ja.«

»So. Ich glaube nicht, dass Sie Schwierigkeiten mit den Antworten haben werden, wenn Sie gut zuhören, was ich frage. In Ordnung?«

Wieder nickte Junior.

»Sind Sie nach wie vor unsicher?«

»Nein.«

»Schön. Falls Sie bei einer Frage nicht sicher sind, dürfen Sie sich gern mit Ihrem Anwalt beraten. Drücke ich mich verständlich aus?«

»Absolut.«

»Wunderbar. Dann probieren wir es noch einmal. Wie oft waren Sie verheiratet?«

»Zweimal.«

Eine Stunde später waren Juniors Ehe, Kinder und seine Scheidung abgehandelt. Schwitzend fragte er sich, wie lange seine Befragung dauern würde. Die Phelan-Anwälte hielten den Blick ausdruckslos auf irgendwelche Bogen Papier gerichtet und fragten sich dasselbe. Dabei hatte Nate noch nicht ein einziges Mal auf die Blätter mit den für ihn vorbereiteten Fragen geschaut. Er konnte einen Zeugen schon dadurch in die größte Verlegenheit bringen, dass er ihm in die Augen sah und eine Frage an die andere knüpfte. Keine Einzelheit war ihm zu unbedeutend. Wo ist Ihre erste Frau zur Schule gegangen, wo hat sie studiert, was war ihre erste Stelle? War das ihre erste Ehe? Berichten Sie uns über die verschiedenen Anstellungen Ihrer Frau. Wir wollen uns einmal über die Scheidung unterhalten. Zu welchen Unterhaltszahlungen sind Sie verpflichtet? Sind Sie damit in Rückstand?

Die meisten dieser Aussagen hatten mit der Sache nicht das geringste zu tun, sondern dienten ausschließlich dem Zweck, den Zeugen zu reizen und ihm klarzumachen, dass man jederzeit Leichen aus dem Keller holen konnte. Troy Junior hatte die Anfechtungsklage eingereicht und musste jetzt die Folgen tragen.

Die verflossenen Jobs des Zeugen nahmen den Rest des Vormittags in Anspruch. Junior kam ziemlich ins Stottern, als ihn Nate nach den verschiedenen Positionen fragte, die er in den Unternehmen seines Vaters innegehabt hatte. Es gab Dutzende von Zeugen, die aufgerufen werden konnten, um seine Selbsteinschätzung in Frage zu stellen. Bei jeder Tätigkeit fragte Nate nach den Namen seiner sämtlichen Mitarbeiter und Vorgesetzten. Die Falle konnte jederzeit zuschnappen. Hark sah das kommen und beantragte eine Unterbrechung. Er trat mit seinem Mandanten auf den Gang hinaus und hielt ihm einen Vortrag über die Notwendigkeit, bei der Wahrheit zu bleiben.

Die Nachmittagssitzung war besonders hart. Als Nate nach dem Verbleib der fünf Millionen Dollar fragte, die Troy Junior zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag bekommen hatte, schienen sämtliche Anwälte des Phelan-Clans zu erstarren.

»Das ist schon lange her«, sagte Troy Junior resigniert. Nach vier Stunden mit Nate O'Riley war ihm klar, dass die nächste Runde für ihn qualvoll würde.

»Nun, dann wollen wir mal versuchen, uns zu erinnern«, sagte Nate mit einem Lächeln. Ihm waren keinerlei Zeichen von Ermüdung anzumerken. Er machte eher den Eindruck, als lege er größten Wert darauf, sich die Details vorzunehmen.

Er spielte seine Rolle glänzend. Es war ihm zuwider, Menschen zu quälen, die er nie wiederzusehen hoffte. Je mehr Fragen er stellte, desto mehr wuchs seine Entschlossenheit, seinen Beruf an den Nagel zu hängen.

»In welcher Form wurde Ihnen das Geld zur Verfügung gestellt?« fragte er.

»Ursprünglich lag es auf einem Bankkonto.«

»Hatten Sie Zugang zu diesem Konto?«

»Ja.«

»Hatte sonst noch jemand Zugriff darauf?« .

»Nein, nur ich.«

»Und auf welche Weise haben Sie den Zugriff auf das Konto ausgeübt?«

»Indem ich Schecks ausgestellt habe.«

Und das hatte er fleißig getan. Als erstes hatte er sich einen fabrikneuen dunkelblauen Maserati gekauft. Allein über den verdammten Wagen redeten sie eine volle Viertelstunde.

Als Troy Junior das Geld bekommen hatte, war er nicht aufs College zurückgegangen. Er feierte schlicht und einfach, doch kam das nicht etwa in Form eines Geständnisses zutage. Nate befragte ihn eingehend nach seiner beruflichen Tätigkeit zwischen dem einundzwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr, und aus dem, was er dabei erfuhr, schälte sich allmählich heraus, dass Troy Junior in diesen neun Jahren überhaupt nicht gearbeitet hatte. Er hatte Golf und Rugby gespielt, ein Auto nach dem anderen für das jeweils nächste in Zahlung gegeben, ein Jahr

auf den Bahamas und ein Jahr im Schickeria-Ort Vail zugebracht, war mit einer erstaunlichen Anzahl von Frauen herumgezogen, bis er schließlich mit neunundzwanzig Jahren die erste Ehe eingegangen war, und hatte mit dem Geld nur so um sich geworfen, bis nichts mehr da war.

Erst dann war der verlorene Sohn zum Vater zurückgekehrt und hatte ihn um einen Job gebeten.

Während der Nachmittag verging, bekam Nate allmählich eine Vorstellung davon, was für eine Katastrophe es für diesen Zeugen und alle Menschen in seinem Umfeld bedeuten würde, wenn er das Phelan-Vermögen in seine klebrigen Finger bekäme. Er würde sich mit dem Geld umbringen.

Um vier Uhr nachmittags bat Troy Junior um eine Vertagung. Dazu war Nate nicht bereit. Die Anwälte baten um eine Pause, eine Mitteilung wurde an Richter Wycliff gesandt, und während man wartete, warf Nate zum ersten Mal einen Blick auf die Blätter mit Joshs Fragen.

Der Richter entschied, die Befragung sei fortzusetzen.

Eine Woche nach Troys Selbstmord hatte Josh eine Detektivagentur damit beauftragt, die Phelan-Kinder unter die Lupe zu nehmen. Es war ihm dabei mehr um ihre finanzielle Lage als um ihr Privatleben gegangen. Nate überflog die wichtigsten Ergebnisse, während der Zeuge auf dem Gang rauchte.

»Was für ein Auto fahren Sie zur Zeit?« fragte Nate, als die Befragung wieder aufgenommen wurde. Er schlug jetzt eine andere Richtung ein.

»Einen Porsche.«

»Wann haben Sie den gekauft?«

»Den habe ich schon eine Weile.«

»Versuchen Sie bitte die Frage zu beantworten. Wann haben Sie ihn gekauft?«

»Vor ein paar Monaten.«

»Vor oder nach dem Tod Ihres Vaters?«

»Das weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube, vorher.«

Nate hob einen Bogen Papier. »An welchem Tag ist Ihr Vater gestorben?«

»Mal sehen. Es war ein Montag, äh, der neunte Dezember, glaube ich.«

»Haben Sie den Porsche vor oder nach dem neunten Dezember gekauft?«

»Wie schon gesagt, ich glaube, vorher.«

»Wieder falsch. Haben Sie nicht am Dienstag, dem zehnten Dezember, die Firma Irving Motors in Arlington aufgesucht und dort zum Preis von rund neunzigtausend Dollar einen schwarzen Porsche Carrera Turbo 911 erworben?« Während Nate die Frage formulierte, hielt er den Blick auf das Blatt in seiner Hand gerichtet.

Troy Junior wand sich erkennbar und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er sah hilfesuchend zu Hark hinüber, der die Achseln zuckte, als wolle er sagen: »Beantworten Sie die Frage. Er hat es schriftlich.«

»Ja.«

»Haben Sie an dem Tag noch weitere Autos gekauft?«

»Ja.«

»Wie viele?«

»Insgesamt zwei.«

»Zwei Porsches?«

»Ja.«

»Zum Gesamtbetrag von rund hundertachtzigtausend Dollar?«

»So etwa.«

»Wie haben Sie die Autos bezahlt?«

»Überhaupt nicht.«

»Heißt das, dass Irving Motors Ihnen die Autos geschenkt hat?«

»Nicht genau. Ich habe sie auf Kredit gekauft.«

»Waren Sie denn kreditwürdig?«

»Auf jeden Fall bei Irving Motors.«

»Und will die Firma ihr Geld?«

»Das denke ich schon.«

Nate nahm weitere Blätter zur Hand. »Sie hat sogar auf Herausgabe des Fahrzeugs geklagt, falls Sie nicht bezahlen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Haben Sie den Porsche heute auf dem Weg hierher gefahren?«

»Ja. Er steht auf dem Parkplatz.«

»Wir wollen das mal festhalten. Am zehnten Dezember, einen Tag nach dem Tod Ihres Vaters, haben Sie die Firma Irving Motors aufgesucht und zwei teure Autos auf Kredit gekauft, und jetzt, zwei Monate später, haben Sie noch nichts bezahlt und werden auf Zahlung oder Herausgabe verklagt. Stimmt das so?«

Der Zeuge nickte.

»Das ist aber nicht der einzige Prozess, in den Sie verwickelt sind, nicht wahr?«

»Nein«, sagte Troy Junior frustriert. Er tat Nate fast leid.

Eine Firma verlangte ihr Geld für gelieferte und nicht bezahlte Möbel, bei American Express stand er mit über fünfzehntausend Dollar in der Kreide. Eine Woche nach der Eröffnung von Troy Phelans Testament hatte eine

Bank Troy Junior verklagt, der sie dazu überredet hatte, ihm fünfundzwanzigtausend Dollar auf keine andere Sicherheit als seinen Namen hin zu leihen. Nate besaß Kopien der entsprechenden Dokumente, und so gingen sie die Einzelheiten aller Verfahren gründlich durch.

Um fünf Uhr wurde erneut eine Vertagung beantragt. Wieder wurde dem Richter eine Mitteilung geschickt. Diesmal erschien er selbst und fragte, wieweit die Sache gediehen sei. »Wann werden Sie Ihrer Ansicht nach mit diesem Zeugen fertig sein?« fragte er Nate.

»Ein Ende ist nicht in Sicht«, sagte Nate, den Blick auf Junior gerichtet, der wie benommen schien und sich vermutlich nach einem ordentlichen Schluck Alkohol sehnte.

»Dann machen Sie bis sechs weiter«, sagte Wycliff.

»Können wir morgen um acht anfangen?« fragte Nate, als ginge es um einen Strandausflug.

»Halb neun«, entschied der Richter und ging.

Während der letzten Stunde bombardierte Nate seinen Zeugen mit beliebigen Fragen zu vielen Themen. Junior hatte nicht die geringste Vorstellung, was Nate damit beabsichtigte, der sich als Meister seines Fachs erwies. Wenn sich der Befragte gerade ein wenig sicher fühlte, schlug Nate einen anderen Kurs ein und konfrontierte ihn mit einem neuen Thema.

So wollte er wissen, wie viel Geld Junior vom 9. bis zum 27. Dezember, dem Tag der Testamentseröffnung, ausgegeben hatte. Welche Weihnachtsgeschenke er seiner Frau gekauft und wie er dafür bezahlt hatte. Was hatte er für seine Kinder gekauft? Zurück zu den fünf Millionen: Hatte er einen Teil des Geldes in Vermögenswerten oder Aktien angelegt? Wie viel Geld hatte Biff im letzten Jahr verdient? Warum hatte ihr erster Mann die Kinder zugesprochen bekommen? Wie viele verschiedene Anwälte hatte Junior seit dem Tode seines Vaters mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt? So ging es weiter und weiter.

Um Punkt sechs Uhr erhob sich Hark und erklärte, dass die Befragung vertagt werde. Zehn Minuten später saß Troy Junior in einer drei Kilometer entfernten Hotelhalle an der Bar.

Nate verbrachte die Nacht im Gästezimmer der Staffords. Joshs Frau war zwar irgendwo im Hause, doch bekam er sie nicht zu sehen. Josh selbst hatte geschäftlich in New York zu tun.

Der zweite Tag der Befragung begann pünktlich. Die Besetzung war dieselbe, allerdings hatten sich die Anwälte deutlich legerer gekleidet. Junior trug einen roten Baumwollpullover.

Nate erkannte das Gesicht eines Betrunkenen - die Haut um die geröteten Augen war aufgedunsen, Wangen und Nase waren rot angelaufen, der Schweiß stand ihm auf der Stirn. So hatte sein eigenes Gesicht jahrelang ausgesehen. Der Kater gehörte ebenso zum Morgen danach wie die Dusche und die Zahnseide. Tabletten einnehmen, starken Kaffee trinken und viel Wasser. Wer dumm sein wollte, musste auch hart gegen sich selbst sein.

»Ihnen ist klar, dass Sie nach wie vor vereidigt sind, Mr. Phelan?« begann er.

»Ja.«

»Stehen Sie unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen?«

»Nein, Sir.«

»Gut. Beschäftigen wir uns noch einmal mit dem neunten Dezember, dem Tag, an dem Ihr Vater gestorben ist.

Wo befanden Sie sich, als ihn die drei Psychiater begutachtet haben?«

»Im Verwaltungsgebäude seiner Firma, in einem Besprechungsraum mit meinen Angehörigen.«

»Und Sie haben die gesamte Befragung verfolgt, nicht wahr?«

»Ja.«

»In dem Raum befanden sich zwei Farbfernseher mit einer Bildschirmdiagonale von Sechsundsechzig Zentimetern. Stimmt das?«

»Wenn Sie das sagen. Ich habe nicht nachgemessen.«

»Aber Sie konnten sie auf jeden Fall sehen, oder?«

»Ja.«

»Und Ihre Sicht war unbehindert.«

»Ich hatte einen deutlichen Blick darauf. Ja.«

»Und Sie hatten auch allen Grund, Ihren Vater aufmerksam zu beobachten.«

»Ja.«

»Hatten Sie Schwierigkeiten zu hören, was er sagte?«

»Nein.«

Den Anwälten war klar, worauf Nate hinauswollte. Es war eine unangenehme Seite ihres Falles, die sich aber nicht vermeiden ließ. Jeder der sechs Nachkommen würde diesen Weg gehen müssen.

»Sie haben also die gesamte Befragung mit angesehen und mit angehört?« , •

»Ja.«

»Und Ihnen ist nichts entgangen?«

»Mir ist nichts entgangen.«

»Einer der drei Psychiater, nämlich Dr. Zadel, war von Ihnen und Ihren Angehörigen beauftragt worden, stimmt das?«

»Das stimmt.«

»Wer hat ihn ausgewählt?«

»Die Anwälte.«

» Sie haben Ihre Anwälte damit beauftragt, den Psychiater auszuwählen?«

»Ja.«

Zehn Minuten lang befragte Nate ihn, aufgrund welcher Kriterien die Familie Dr. Zadel für eine so entscheidende Befragung ausgewählt hatte, und bekam schließlich, was er wollte. Man hatte sich für Zadel entschieden, weil er nachdrücklich empfohlen worden war und über eine große Erfahrung verfügte.

»Waren Sie mit der Art und Weise zufrieden, wie er die Befragung gehandhabt hat?« fragte Nate.

»Ich glaube schon.«

»Gab es etwas an Dr. Zadels Verhalten, was Ihnen nicht gefallen hat?«

»Ich kann mich nicht erinnern.«

Der Weg zum Rand des Steilhangs ging weiter. Troy Junior gab zu, dass er mit der Befragung und mit Zadel selbst wie auch mit der Schlussfolgerung zufrieden gewesen sei, zu der die drei Psychiater gelangt waren, und dass er das Gebäude mit der Überzeugung verlassen hatte, sein Vater wisse, was er tue.

»Und zu welchem Zeitpunkt nach der Befragung haben Sie erstmals am Geisteszustand Ihres Vaters gezwei-felt?« fragte Nate.

»Als er gesprungen ist.«

»Also am neunten Dezember?«

»Ja.«

»Das heißt, Sie hatten sofort Zweifel?«

»Ja.«

»Und was hat Dr. Zadel zu Ihnen gesagt, als Sie diese Zweifel geäußert haben?« .

»Ich habe nicht mit ihm gesprochen.«

»Ach nein?«

»Nein.«

»Wie oft haben Sie zwischen dem neunten und dem siebenundzwanzigsten Dezember, dem Tag, an dem das Testament im Gericht verlesen wurde, mit Dr. Zadel gesprochen?«

»Ich kann mich an kein einziges Mal erinnern.«

»Sind Sie irgendwann mit ihm zusammengetroffen?«

»Nein.«

»Haben Sie in seinem Büro angerufen?«

»Nein.«

»Haben Sie ihn seit dem neunten Dezember gesehen?«

»Nein.«

Nachdem ihn Nate an den Abgrund geführt hatte, war es Zeit, ihm einen Stoß zu geben. »Warum haben Sie Dr. Zadel gefeuert?«

Auf diese Frage war Junior in gewisser Weise vorbereitet worden. »Danach müssen Sie meinen Anwalt fragen«, sagte er und hoffte, Nate werde ihn eine Weile zufrieden lassen.

»Ich befrage nicht Ihren Anwalt, Mr. Phelan. Ich frage Sie, warum Sie Dr. Zadel gefeuert haben.«

»Danach müssen Sie die Anwälte fragen. Das ist Teil unserer Vorgehensweise.«

»Haben sich die Anwälte mit Ihnen in Verbindung gesetzt, bevor Dr. Zadel gefeuert wurde?«

»Das weiß ich nicht. Ich kann mich nicht daran erinnern.«

»Ist es Ihnen recht, dass Dr. Zadel nicht mehr für Sie tätig ist?«

»Natürlich.«

»Warum?«

»Weil er sich geirrt hat. Sehen Sie, mein Vater war ein Meister darin, andere Leute hinters Licht zu führen. So hat er es sein Leben lang gemacht, und auch bei der Befragung durch die Psychiater. Immerhin ist er anschließend von der Dachterrasse gesprungen. Er hat Zadel und die anderen reingelegt, und sie sind ihm auf den Leim gegangen. Es ist ganz klar, dass er verrückt gewesen sein muss.«

»Weil er gesprungen ist?«

»Ja, weil er gesprungen ist, weil er sein Geld irgendeinem unbekannten Menschen hinterlassen und nicht den geringsten Versuch gemacht hat, sein Vermögen vor der Erbschaftssteuer in Sicherheit zu bringen. Er muss schon eine ganze Weile den Verstand verloren haben. Was glauben Sie, warum wir diese Befragung angesetzt hatten? Wenn er nicht verrückt gewesen wäre, wären dann drei Psychiater nötig gewesen, die ihn auf seinen Geisteszustand überprüfen sollten, bevor er sein Testament unterzeichnete?«

»Aber die drei haben gesagt, dass alles in Ordnung war.«

»Ja, und damit haben sie völlig falsch gelegen. Er ist über das Terrassengeländer gesprungen. Leute, die bei klarem Verstand sind, tun so was nicht.«

»Und was wäre, wenn Ihr Vater das andere Testament und nicht das eigenhändige unterschrieben hätte und anschließend gesprungen wäre? Wäre er dann auch verrückt gewesen?«

»Dann wären wir nicht hier.«

Das war die einzige Gelegenheit während seines zweitägigen Martyriums, bei der Troy Junior ein Unentschieden herausholte. Nate war klar, dass er jetzt besser weitermachte und später noch einmal darauf zurückkäme.

»Lassen Sie uns über die Roosters Inns sprechen«, erklärte er, und Troy Juniors Schultern sanken eine Hand-breit. Dabei handelte es sich lediglich um eine seiner weiteren Unternehmungen, mit denen er finanziellen Schiffbruch erlitten hatte. Nate wollte alle noch so unbedeutenden Einzelheiten wissen. Ein Bankrott führte zum nächsten, und sobald man auf einen dieser Fälle zu sprechen kam, würde automatisch nach den anderen gefragt. Junior hatte ein trauriges Leben geführt. Zwar fiel es Nate schwer, mit ihm zu fühlen, doch war ihm klar, dass der arme Kerl nie einen Vater gehabt hatte. Er hatte sich nach dessen Anerkennung gesehnt, doch sie war ihm stets versagt geblieben. Soweit Nate von Josh wusste, hatte es Troy Phelan großes Vergnügen bereitet, wenn eine Unternehmung seiner Kinder fehlschlug.

Am zweiten Tag entließ er seinen Zeugen um halb sechs. Der nächste war Rex. Er hatte schon den ganzen Tag auf dem Gang gewartet und war höchst aufgebracht, als er hörte, dass er wieder vergeblich gekommen war.

Josh war aus New York zurück, und Nate aß gemeinsam mit ihm zu Abend.

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