VIERUNDDREISSIG

Obwohl alles, was Rex Phelan besaß, auf den Namen seiner Frau eingetragen war und er den größten Teil seines Erwachsenenlebens finanziell am Gängelband gehalten worden war, konnte er mit Zahlen umgehen - eine der wenigen Begabungen, die er von seinem Vater geerbt hatte. Er war der einzige Phelan-Erbe, der das Beharrungsvermögen und die Fähigkeit besaß, alle sechs Anfechtungsklagen gegen Troys Testament von vorn bis hinten zu lesen. Als er damit fertig war, ging ihm auf, dass sechs Kanzleien im großen und ganzen dieselbe Arbeit leisteten. In manchen Fällen kam es ihm vor, als seien die juristischen Formulierungen aus der vorigen oder der vorvorigen Eingabe Wort für Wort abgeschrieben worden.

Sechs Kanzleien, die denselben Kampf führten, und jede von ihnen wollte ein unmäßig großes Stück von dem zu verteilenden Kuchen. Es war an der Zeit, dass die Angehörigen eine Spur Familiensinn zeigten. Er beschloss, mit seinem Bruder TJ zu beginnen. Das schien ihm am einfachsten, weil es so aussah, als ob sich dessen Anwälte an die Standesrichtlinien klammerten.

Telefonisch teilte er Troy Junior mit, dass es ein Gebot der wirtschaftlichen Klugheit sei, das Kriegsbeil zu begraben. Die Brüder vereinbarten, sich heimlich zu treffen, damit es keinen Ärger mit ihren Frauen gab, die einander nicht außtehen konnten.

Sie trafen sich zum Frühstück in einer Imbissstube in einem Vorort und redeten eine Weile über Football, während sie Waffeln vertilgten. Es zeigte sich, dass sie ganz gut miteinander auskamen. Dann sprach Rex die Snead-Geschichte an. »Das ist ein Hammer«, erklärte er. »Je nachdem, was der Mann sagt, kann er uns buchstäblich zugrunde richten oder reich machen.« Er schmückte die Geschichte aus und kam schließlich auf die Zahlungsverpflichtung zu sprechen, welche die Anwälte unterschreiben wollten, alle bis auf die von Troy Junior beauftragten. »Deine Anwälte versauen die Sache«, sagte er finster und sah sich misstrauisch um, als säßen Spione an der Imbisstheke.

»Der Schweinehund will also fünf Millionen?« fragte Troy Junior, der das Snead nach wie vor nicht recht zutraute.

»Das ist so gut wie geschenkt. Er ist bereit zu sagen, dass er als einziger in der Nähe war, als unser Vater das Testament abgefasst hat. Wir müssen unbedingt verhindern, dass er uns um unser Erbe bringt. Als Anzahlung will er nur eine halbe Million. Später können wir ihn immer noch um den Rest bescheißen.«

Dieser Plan gefiel Troy Junior. Den Anwalt zu wechseln war für ihn nichts Neues. Wäre er ehrlich gewesen, hätte er zugegeben, dass ihn die Kanzlei, für die Hemba und Hamilton arbeiteten, einschüchterte. Vierhundert

Anwälte. Eine mit Marmor ausgekleidete Eingangshalle. Gemälde an den Wänden. Irgend jemand musste das Geld für den guten Geschmack dieser Leute aufbringen.

Rex kam auf etwas anderes zu sprechen. »Hast du die sechs Schriftsätze gelesen?« fragte er.

Troy Junior zerbiss eine Erdbeere und schüttelte den Kopf. Er hatte nicht einmal den in seinem Namen eingereichten gelesen. Hemba und Hamilton hatten mit ihm darüber gesprochen, und er hatte unterschrieben. Es war ein dicker Stapel gewesen, und Biff hatte im Auto vor der Tür gewartet.

»Nun, ich habe sie alle gründlich gelesen, und in allen steht genau dasselbe. Jede dieser sechs Kanzleien tut haargenau, was auch die anderen tun: Sie alle fechten dasselbe Testament an. Es ist absurd.«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, beeilte sich Troy Junior seinem Bruder zu versichern.

»Und alle sechs hoffen darauf, reich zu werden, wenn wir zu einer Einigung kommen. Wie viel kriegen deine Leute?«

»Wie viel zahlst du Hark Gettys?«

»Fünfundzwanzig Prozent.«

»Meine wollten dreißig. Wir haben uns auf zwanzig geeinigt.« Troy Junior strahlte vor Stolz, dass es ihm gelungen war, mehr herauszuhandeln als Rex.

»Sehen wir uns doch mal die Zahlen an«, fuhr Rex fort. »Stellen wir uns vor, wir verpflichteten Snead. Er sagt, was nötig ist, wir haben unsere Seelenheinis, die Kacke beginnt zu dampfen, und die Gegenseite erklärt sich zu einem Vergleich bereit. Angenommen, jeder Erbe bekommt, was weiß ich, sagen wir zwanzig Millionen. Das wären vierzig hier an diesem Tisch. Fünf kriegt Hark, vier gehen an deine Jungs. Das sind neun, bleiben einunddreißig für uns beide.«

»Damit wäre ich einverstanden.«

»Ich auch. Aber wenn wir deine Jungs aus dem Spiel lassen und uns zusammentun, ist Hark sicher bereit, bei seinem Honorarsatz Zugeständnisse zu machen. Wir brauchen diese vielen Anwälte nicht, TJ. Das sind lauter Trittbrettfahrer, die nur darauf warten, unser Geld einzusacken.«

»Ich kann Hark Gettys nicht außtehen.« »Von mir aus. Dann verhandle ich mit ihm. Du sollst dich ja auch nicht mit ihm anfreunden.«

»Warum setzen wir nicht Hark auf die Straße und bleiben bei meinen Leuten?«

»Weil er derjenige ist, der Snead aufgetrieben hat. Er hat auch die Bank aufgetrieben, die das Geld vorschießt, mit dem wir Snead kaufen können. Außerdem ist er bereit, die Papiere zu unterschreiben, während deine Leute Bedenken haben. Das ist eine hässliche Angelegenheit, TJ, und Hark weiß, wie man so was handhabt.«

»Ich halte ihn für einen korrupten Sauhund.« »Ist er auch! Aber er steht auf unserer Seite. Wenn wir uns zusammentun, bekommt er statt fünfundzwanzig nur zwanzig Prozent. Falls wir Mary ROSS auch mit auf unsere Seite ziehen können, geht er sicher auf siebzehneinhalb runter, und mit Libbigail auf fünfzehn.« »Die kriegen wir nie.« »Es besteht zumindest die Möglichkeit. Wenn wir zu dritt sind, ist vielleicht auch Libbigail bereit, sich die Sache anzuhören.«

»Und was ist mit dem Schlägertyp, mit dem sie verheiratet ist?« Troy Junior stellte diese Frage in vollem Ernst, als wäre nicht sein Bruder mit einer Stripperin verheiratet.

»Wir nehmen uns einen nach dem anderen vor. Erst müssen wir uns einigen, dann reden wir mit Mary ROSS. Ihr Anwalt Grit scheint mir keine besondere Leuchte zu sein.«

»Es hat keinen Sinn, sich zu streiten«, sagte Troy Junior betrübt.

»Das würde uns ein verdammtes Vermögen kosten. Höchste Zeit für einen Waffenstillstand.«

»Mama wird stolz sein.«

Das hochliegende Gelände am Xeco kannten die Indianer schon seit Jahrhunderten. Es diente ihnen als Lager für Fischer, die bisweilen über Nacht fortblieben, und als Rastplatz bei Fahrten auf den Flüssen. Rachel, Lako und ein weiterer Indianer namens Ten drängten sich unter einem strohgedeckten Schutzdach aneinander und warteten auf das Ende des Unwetters. Das Dach war undicht, und der Wind blies ihnen den Regen von der Seite ins Gesicht. Das Kanu lag zu ihren Füssen. Sie hatten es vom Fluss hergeschleppt, nachdem sie eine entsetzliche Stunde lang gegen das Unwetter angekämpft hatten. Rachel war bis auf die Haut durchnässt, aber zumindest war das Regenwasser warm. Mit Ausnahme einer Schnur um die Hüften und einer Lederhülle für ihre Geschlechtsteile waren die Männer nackt.

Früher hatte sie ein hölzernes Boot mit einem alten Außenbordmotor gehabt. Es hatte den Coopers gehört, ihren Vorgängern. Wenn Benzin da war, hatte sie es für Fahrten zwischen den vier Ipica-Dörfern benutzt. Außerdem war sie damit nach Corumba gefahren, zwei lange Tage auf dem Hinweg und vier zurück.

Schließlich hatte der Motor den Geist aufgegeben, und Geld für einen neuen gab es nicht. Jahr für Jahr hatte sie, immer wenn sie bei der Missionsgesellschaft ihren bescheidenen Etat vorlegte, gebeten, ihr einen neuen Außenbordmotor oder zumindest einen guten gebrauchten zur Verfügung zu stellen. Sie hatte in Corumba einen gesehen, der für dreihundert Dollar zu haben war. Aber Geld war überall auf der Welt knapp. Was sie bekam, brauchte sie für Medikamente und religiöse Schriften. Beten Sie weiter, hatte es jedes Mal geheißen. Vielleicht im nächsten Jahr.

Sie hatte das widerspruchslos hingenommen. Wenn der Herr es wollte, würde sie einen neuen Außenbordmotor bekommen. Über das Ob und Wann zu entscheiden war nicht ihre Aufgabe. Das stand allein Ihm zu.

Da sie über kein Boot verfügte, zog sie zu Fuß zwischen den Dörfern umher, fast immer in Begleitung des hin-

kenden Lako. Und einmal im Jahr, jeweils im August, brachte sie den Häuptling dazu, ihr ein Kanu und einen Führer für die Fahrt zum Paraguay zur Verfügung zu stellen. Dort wartete sie auf ein Viehtransportboot oder eine chalana nach Süden. Zwei Jahre zuvor hatte sie drei Tage warten müssen und im Stall einer kleinen Fazenda am Fluss übernachtet. In diesen drei Tagen war aus der Fremden erst eine Freundin und dann eine Missionarin geworden, denn der Bauer und seine Frau hatten sich dank ihrer Lehre und ihres Gebets zum Christentum bekehrt. Bei ihnen würde sie am nächsten Tag auf ein Boot nach Corumba warten.

Der Wind pfiff durch das Schutzdach. Sie hielt Lakos Hand, und sie beteten gemeinsam - nicht um ihre eigene Sicherheit, sondern um die Gesundheit ihres Freundes Nate.

Mr. Stafford ließ sich sein Frühstück aus Getreideflocken und Obst am Schreibtisch servieren. Er war nicht bereit, das Büro zu verlassen. Als er erklärte, er werde den ganzen Tag dableiben, machten sich seine beiden Sekretärinnen eilends daran, sechs Termine zu verlegen. Um zehn aß er ein Brötchen, gleichfalls am Schreibtisch. Er rief Senhor Ruiz an und erfuhr, dass er nicht in der Kanzlei sei, sondern irgendwo in der Stadt einen Termin wahrnähme. Valdir hatte ein Mobiltelefon. Warum hatte er nicht angerufen?

Ein Mitarbeiter legte ihm eine zweiseitige Zusammenfassung über Denguefieber vor, die er aus dem Internet gefischt hatte. Er teilte ihm mit, dass er einen Termin bei Gericht habe, und wollte wissen, ob Mr. Stafford noch mehr medizinische Aufgaben für ihn habe. Mr. Stafford fand das nicht lustig.

Josh las die Zusammenfassung, während er sein Brötchen aß. Darin hieß es, dass es sich bei Denguefieber um eine Virusinfektion handelt, die sich in allen tropischen Gebieten der Erde findet. Sie wird von einer Mücke der Gattung Ae'des übertragen, die vorwiegend tagsüber sticht. Das erste Anzeichen der Krankheit ist Abgeschla-genheit, darauf folgen rasch starke Kopfschmerzen hinter den Augen sowie leichtes Fieber, das sich bald verstärkt und von Schweißausbrüchen, Übelkeit und Erbrechen begleitet wird. Während das Fieber steigt, beginnen die Waden- und Rückenmuskeln zu schmerzen. Volkstümlich wird die Krankheit wegen der entsetzlichen Muskel- und Gelenkschmerzen auch als »Knochenbrecherfieber« bezeichnet. Nachdem alle anderen Symptome aufgetreten sind, zeigt sich ein Hautausschlag. Das Fieber kann durchaus etwa einen Tag außetzen, kehrt aber gewöhnlich verstärkt zurück. Nach etwa einer Woche klingen die Symptome ab, und die Gefahr ist vorüber. Es gibt weder ein Heilmittel noch einen Impfstoff. Nach einmonatiger Bettruhe und reichlich Flüssigkeitsaufnahme kann der Patient als wiederhergestellt gelten.

So verläuft die Krankheit in einem minder schweren Fall, doch kann sie auch als hämorrhagisches Denguefieber oder Dengue-Schocksyndrom auftreten. In dieser Form verläuft sie bisweilen tödlich, besonders bei Kindern.

Josh war bereit, Mr. Phelans Privatjet mit einem Arzt, einer Schwester und allem anderen, was nötig wäre, nach Corumb a zu schicken.

»Mr. Ruiz«, sagte eine Sekretärin durch die Gegensprechanlage. Keine anderen Anrufe wurden durchgestellt. Valdir rief aus dem Krankenhaus an. »Ich war gerade bei Mr. O'Riley«, sagte er langsam und deutlich. »Es geht ihm gut, aber er ist nicht vollständig bei Bewusstsein.«

»Kann er sprechen?« fragte Josh.

»Nein. Noch nicht. Er bekommt Mittel gegen seine Schmerzen.«

»Hat er einen guten Arzt?«

»Den besten. Es ist ein Bekannter von mir. Er ist gerade bei ihm.«

»Fragen Sie ihn, wann Mr. O'Riley nach Hause fliegen kann. Ich schicke ein privates Düsenflugzeug mit einem Arzt nach Corumba.«

Man hörte, wie im Hintergrund gesprochen wurde. »Nicht so bald«, berichtete Ruiz. »Er braucht Ruhe, wenn er aus dem Krankenhaus kommt.«

»Wann wird das sein?«

Wieder eine Unterhaltung. »Das kann er jetzt noch nicht sagen.«

Josh schüttelte den Kopf und warf die Reste seines Brötchens in den Papierkorb. »Haben Sie Mr. O'Riley etwas gesagt?« knurrte er ins Telefon.

»Nein«, sagte Ruiz. »Ich glaube, er schläft.«

»Hören Sie, es ist sehr wichtig, dass ich so bald wie möglich mit ihm rede. Ist das klar?«

»Das verstehe ich. Aber Sie müssen Geduld haben.«

»Ich bin kein geduldiger Mensch.«

»Das verstehe ich. Aber Sie müssen es versuchen.«

»Rufen Sie mich heute Nachmittag noch einmal an.«

Josh knallte den Hörer auf die Gabel und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Es war nicht klug gewesen,

Nate in seinem anfälligen Zustand den Gefahren der Tropen auszusetzen. Diese Entscheidung war von reiner Bequemlichkeit diktiert worden. Man konnte ihn für einige Wochen aus dem Weg schaffen, ihn woanders beschäftigen, während die Kanzlei das von ihm hinterlassene Chaos ordnete. Es gab außer Nate noch vier von Josh handverlesene Juniorpartner in der Kanzlei, die er selbst eingestellt und angelernt hatte. Er hatte sie in einigen Fragen der Geschäftsführung um ihre Ansicht gebeten. Als einziger hatte sich Tip für Nate ausgesprochen. Die drei anderen wollten, dass er aus der Kanzlei ausschied.

Nates Sekretärin war einem anderen Anwalt zugeteilt worden. Ein aufstrebender Kollege hatte in jüngster Zeit Nates Büro belegt, und es hieß, er fühle sich dort ganz heimisch.

Für den Fall, dass das Denguefieber dem armen Nate nicht den Garaus machte, wartete bereits der IRS auf ihn.

Ohne dass jemand etwas davon merkte, lief der Tropf um die Mitte des Tages leer, und es kümmerte sich auch niemand darum. Mehrere Stunden später wurde Nate wach. Sein Kopf fühlte sich leicht an, er spürte weder Schmerzen noch Fieber. Seine Glieder waren steif, doch er schwitzte nicht. Er fühlte die dicke Binde über den Augen, ertastete das Heftpflaster, das sie hielt, und beschloss nach einigem Überlegen, einmal nachzusehen. Da die Kanüle des Infusionsschlauchs im linken Arm steckte, zupfte er mit den Fingern der rechten Hand am Pflaster. Er hörte Stimmen in einem anderen Zimmer und Schritte auf einem harten Boden. Im Gang gingen Menschen hin und her. Irgendwo in seiner Nähe stöhnte jemand leise vor Schmerzen.

Nach einer Weile gelang es ihm, das Heftpflaster von seinen Haaren und seiner Haut zu lösen, wobei er denjenigen verfluchte, der es angebracht hatte. Er klappte die Binde zur Seite, so dass sie ihm über das linke Ohr hing. Das erste, was er sah, war abblätternde Farbe, ein stumpfes, ausgebleichtes Gelb an der Wand unmittelbar über ihm. Das Licht war ausgeschaltet, durch ein Fenster drangen Sonnenstrahlen herein. Die Deckenfarbe wies ebenfalls Risse auf, unter großen schwarzen Lücken hingen Spinnweben. Ein klappriger Ventilator eierte unter der Zimmerdecke.

Zwei Füße erregten seine Aufmerksamkeit, zwei alte, knotige, mit Narben übersäte Füße, die von den Zehen bis zur Ferse mit Wunden und Schwielen bedeckt waren. Als er den Kopf ein wenig hob, sah er, dass sie einem verschrumpelten kleinen Mann gehörten, dessen Bett mit dem Fußende fast an seines stieß. Er schien tot zu sein. Das Stöhnen kam von der Wand neben dem Fenster. Der arme Kerl in dem Bett da drüben war ebenso klein und ebenso verschrumpelt. Er saß mit verschränkten Armen und Beinen fast wie zu einer Kugel zusammengerollt mitten im Bett, als wäre er bewusstlos.

Die Luft war schwer vom Geruch abgestandenen Urins, menschlicher Exkremente und antiseptischer Mittel. Krankenschwestern lachten auf dem Gang. Von allen Wänden blätterte die Farbe. Außer Nates Bett standen noch fünf weitere im Raum, alle auf Rollen, einfach ohne erkennbare Ordnung hier und da abgestellt.

Sein dritter Zimmergenosse lag in der Nähe der Tür. Mit Ausnahme einer durchnässten Windel war er nackt, und sein ganzer Leib war mit offenen roten Schwären bedeckt. Auch er schien tot zu sein, und Nate hoffte im Interesse des Mannes, dass es sich so verhielt.

Nirgendwo gab es Knöpfe, auf die man hätte drücken können, keine Schnur, an der man ziehen konnte, um jemanden herbeizuholen, keine Möglichkeit, Hilfe anzufordern, außer indem man laut schrie. Dann aber wurden möglicherweise die Toten wach, erhoben sich von ihren Betten und suchten ihn heim.

Er wollte davonlaufen, die Füße über den Bettrand schwingen, sich den Infusionsschlauch aus dem Arm reißen und in die Freiheit rennen. Er würde sein Glück auf der Straße versuchen. Dort gab es bestimmt nicht soviel Krankheit wie hier. Alles war besser als diese Leprastation.

Aber seine Füße waren wie Ziegelsteine. Nate gab sich große Mühe, sie zu heben, doch einer wie der andere rührte sich kaum.

Er ließ den Kopf aufs Kissen sinken, schloss die Augen und überlegte, ob er weinen sollte. Hier liege ich in einem Land der dritten Welt im Krankenhaus, sagte er immer wieder vor sich hin. Ich bin aus Walnut Hill weggegangen, wo man tausend Dollar am Tag zahlen musste, alles auf Knopfdruck kam, wo sie Teppiche und Duschen hatten und Therapeuten darauf warteten, dass ich sie kommen ließ.

Der über und über mit offenen Wunden bedeckte Mann stieß einen Grunzlaut aus, und Nate ließ sich noch tiefer ins Bett sinken. Dann griff er vorsichtig nach der Binde, legte sie sich über die Augen und klebte sie mit dem Pflaster exakt an die Stelle, wo sie gewesen war, nur fester.

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