ZWEIUNDDREISSIG

Das Boot war eine chalana. Es hatte einen flachen Boden, sah aus wie ein Schuhkarton, war zehn Meter lang, zweieinhalb Meter breit, und diente dazu, Fracht durch das Pantanal zu transportieren. Jevy hatte Dutzende solcher chalanas geführt. Er sah das Licht um eine Biegung herum, und als er das Geräusch des Diesels hörte, wusste er gleich, was für eine Art Boot es war.

Außerdem kannte er den Bootsführer, der in seiner Koje schlief, als der Matrose die chalana stoppte. Es war fast drei Uhr morgens. Jevy band sein Boot am Bug fest und sprang an Bord. Man gab ihm zwei Bananen, während er in wenigen Worten seine Situation schilderte. Der Matrose brachte gesüßten Kaffee. Sie waren auf dem Weg nach Norden, wo sie am Militärstützpunkt Porto Indio mit den Soldaten Handel treiben wollten. Sie konnten Jevy zwanzig Liter Treibstoff abtreten. Jevy versprach, ihnen das Geld in Corumba zu geben. Kein Problem, auf dem Fluss half man sich gegenseitig.

Es gab noch mehr Kaffee und einige mit Zucker bestreute Waffeln. Dann erkundigte er sich nach der Santa Loura und Welly. »Sie liegt an der Einmündung des Cabixa«, sagte Jevy. »Da, wo früher der alte Anleger war.«

Die Männer schüttelten den Kopf. »Da war sie nicht«, sagte der Bootsführer. Der Matrose stimmte ihm zu. Sie kannten die Santa Loura, sie hatten sie nicht gesehen. Sie zu übersehen wäre unmöglich gewesen.

»Sie muss da sein«, sagte Jevy.

»Ist sie nicht. Wir sind gestern Mittag am Cabixa vorbeigekommen. Von der Santa Loura haben wir keine Spur gesehen.«

Vielleicht war Welly einige Kilometer weit den Cabixa hinaufgefahren, um nach ihnen Ausschau zu halten. Bestimmt hatte er sich entsetzliche Sorgen gemacht. Jevy würde ihm verzeihen, dass er die Santa Loura eigenmächtig geführt hatte, aber erst nachdem er ihn kräftig zusammengestaucht hatte.

Das Boot musste da sein, davon war er überzeugt. Er trank noch mehr Kaffee und berichtete von Nate und seiner Malaria. In Corumba erzählte man sich, dass die Krankheit seit neuestem wieder im Pantanal wütete. Solche Gerüchte hatte Jevy schon sein Leben lang gehört.

Sie füllten einen Kanister aus einem Fass an Bord der chalana. Als Faustregel galt, dass man während der Regenzeit dreimal so schnell flussabwärts fuhr wie flussaufwärts. Ein Boot mit einem guten Motor müsste den Cabixa in vier Stunden erreichen, die Handelsniederlassung in zehn, und Corumba in achtzehn. Die Santa Loura würde länger brauchen, immer vorausgesetzt, dass sie sie fanden, doch zumindest hätten sie dann Hängematten und etwas zu essen.

Jevy hatte sich vorgenommen, bei der Santa Loura anzulegen und kurze Rast zu halten. Er wollte Nate ins Bett bringen und mit Hilfe des Satellitentelefons Senhor Ruiz in Corumba anrufen. Der konnte dann einen guten Arzt auftreiben, der wissen würde, was zu tun war, wenn sie in Corumba eintrafen.

Der Bootsführer gab ihm noch eine Schachtel mit Waffeln und einen Pappbecher Kaffee. Jevy versprach, die Männer in der kommenden Woche in Corumba aufzusuchen. Er dankte ihnen und löste sein Boot. Nate lebte,

regte sich aber nicht. Das Fieber war nach wie vor nicht zurückgegangen.

Der Kaffee beschleunigte Jevys Puls und hielt ihn wach. Er spielte mit dem Gas und schob den Hebel langsam vor, bis der Motor zu stottern begann, dann nahm er ihn zurück, bis zu einer Stelle, wo er gerade nicht ausging. Als die Dunkelheit wich, legte sich dichter Nebel auf den Fluss.

Er erreichte die Einmündung des Cabixa eine Stunde nach der Morgendämmerung. Von der Santa Loura war nichts zu sehen. Jevy band das Boot am alten Anleger an und suchte nach dem Besitzer des einzigen Hauses in der Nähe. Er fand ihn im Stall, wo er eine Kuh molk. Er erinnerte sich an Jevy und berichtete von dem Gewitter, bei dem sich das Boot losgerissen hatte. Das schlimmste Unwetter, das sie je erlebt hatten. Es sei mitten in der Nacht ausgebrochen, und er habe nicht viel gesehen. Der Sturm habe so heftig getobt, berichtete er, dass er sich mit Frau und Kind unter dem Bett versteckt habe.

»Wo ist die Santa Loura gesunken?« fragte Jevy.

»Ich weiß es nicht.«

»Was ist mit dem Jungen?«

»Welly? Keine Ahnung.« „;,,

»Haben Sie mit sonst niemandem geredet? Hat jemand den Jungen gesehen?«

Niemand. Er hatte mit keinem Menschen auf dem Fluss gesprochen, seit Welly im Unwetter verschwunden war. Er zeigte sich tief betrübt und äußerte zu allem Überfluss die Meinung, dass Welly vermutlich tot war.

Nate lebte. Das Fieber ging deutlich zurück, und als er zu sich kam, fror er und hatte Durst. Er schob sich die Augenlider mit den Fingern hoch und sah nur Wasser um sich herum, das Strauchwerk am Ufer und das Bauernhaus.

»Jevy«, sagte er. Seine Kehle war entzündet, seine Stimme schwach. Er setzte sich auf und machte sich eine Weile an seinen Augen zu schaffen. Er konnte nichts deutlich sehen. Jevy gab keine Antwort. Alles tat ihm weh -Muskeln, Gelenke, sogar das Blut, das im Gehirn zirkulierte. Auf seinem Nacken und seiner Brust brannte Ausschlag, und er kratzte daran, bis er aufbrach. Ihm wurde von seinem eigenen Geruch übel.

Der Bauer und seine Frau folgten Jevy zum Boot. Sie hatten keinen Tropfen Benzin, und das ärgerte ihren Besucher.

»Wie geht es Ihnen, Nate?« fragte er, als er ins Boot trat. »Ich sterbe.« Seine Stimme war kaum hörbar. Jevy tastete nach seiner Stirn und legte dann sanft die Hand auf seine Brust. »Ihr Fieber ist zurückgegangen.« »Wo sind wir?«

»Am Cabixa. Welly ist nicht da. Das Boot ist in einem Unwetter gesunken.«

»Unsere Pechsträhne hält also an«, sagte Nate und verzog das Gesicht, als ihm der Schmerz durch den Kopf schoss. »Wo ist Welly?«

»Ich weiß nicht. Können Sie bis Corumba durchhalten?«

»Ich würde lieber gleich sterben.«

»Legen Sie sich hin, Nate.«

Als sie ablegten, standen der Bauer und seine Frau bis zu den Knöcheln im Schlamm und winkten, doch Jevy achtete nicht auf sie.

Nate setzte sich eine Weile auf. Der Luftzug tat seinem Gesicht gut. Doch schon bald fror er wieder. Ein Kälteschauer lief ihm über die Brust, und er legte sich wieder unter das Zelt. Er versuchte, für Welly zu beten, doch vermochte er sich nur wenige Sekunden lang auf seine Gedanken zu konzentrieren. Er konnte einfach nicht glauben, dass er Malaria hatte.

Hark plante den Brunch, der in einem Saal des Hotels Hay-Adams stattfinden sollte, in allen Einzelheiten. Es gab Austern und Eier, Kaviar und Lachs, Champagner und Mimosas. Um elf waren alle da, in legerer Kleidung, und tranken einen Champagner mit Orangensaft nach dem ändern.

Er hatte den Eingeladenen versichert, die Zusammenkunft sei von größter Bedeutung und müsse vertraulich bleiben. Er habe den einzigen Zeugen gefunden, der ihnen dazu verhelfen könne, den Prozess zu gewinnen. Eingeladen waren außchließlich die Anwälte von Phelans Kindern, denn die früheren Gattinnen hatten das Testament bisher nicht angefochten und schienen dazu auch nicht recht willens zu sein. Freilich war ihre juristische Position auch nicht besonders günstig, und Richter Wycliff hatte einem ihrer Rechtsvertreter unter der Hand zu verstehen gegeben, dass eine leichtfertige Klage der früheren Gattinnen bei ihm kein geneigtes Ohr finden werde.

Ob leichtfertig oder nicht, die Kinder jedenfalls hatten das Testament umgehend angefochten. Alle sechs hatten sich mit derselben Behauptung ins Getümmel gestürzt: dass Troy Phelan nicht bei klarem Verstand gewesen sei, als er sein letztes Testament unterschrieben hatte.

Bei der Besprechung waren pro Nachkommen höchstens zwei Anwälte zugelassen, doch hatte man den Kanzleien empfohlen, sich möglichst auf einen zu beschränken. Hark war als einziger Vertreter von Rex gekommen, und Wally Bright als einziger von Libbigail. Ramble kannte ohnehin keinen anderen Anwalt als Yancy, Grit vertrat Mary ROSS, und Ms. Langhorne, die einstige Juraprofessorin, war in Vertretung Geenas und Codys gekommen. Troy Junior hatte seit dem Tod seines Vaters viermal die Kanzlei gewechselt. Seine neuesten Rechtsvertreter arbeiteten in einer Kanzlei mit vierhundert Anwälten. Sie hießen Hemba und Hamilton und stellten sich dem losen Bündnis der anderen vor.

Hark schloss die Tür und wandte sich an die Versammelten. Er lieferte einen kurzen Abriss des Lebens von

Malcolm Snead, eines Mannes, mit dem er schon eine ganze Weile täglich zusammenkam. »Er hat dreißig Jahre lang in Mr. Phelans Diensten gestanden«, sagte er mit Nachdruck. »Vielleicht hat er ihm geholfen, das letzte Testament abzufassen. Vielleicht ist er bereit auszusagen, dass der Alte dabei von allen guten Geistern verlassen war.«

Diese Nachricht überraschte die Anwälte. Hark betrachtete eine Weile die erfreuten Gesichter in der Runde und sagte dann: »Vielleicht sagt er aber auch aus, er habe von dem handschriftlichen Testament nichts gewusst und Mr. Phelan sei am Tag seines Todes bei völlig klarem Verstand gewesen.«

»Wie viel will er?« Wally Bright kam gleich zur Sache.

»Fünf Millionen. Ein Zehntel sofort, den Rest, nachdem der Vergleich geschlossen ist.«

Der Betrag brachte die Anwälte nicht aus dem Konzept. Dazu stand zu viel auf dem Spiel. Eigentlich fanden sie Sneads Forderung eher bescheiden.

»Unsere Mandanten haben das Geld natürlich nicht«, sagte Hark. »Falls wir also seine Außage kaufen wollen, müssen wir es vorstrecken. Wir können für etwa fünfundachtzigtausend Dollar pro Erben ein Abkommen mit Mr. Snead unterschreiben. Meiner festen Überzeugung nach wird er dann in einer Weise Aussagen, die dafür sorgt, dass wir entweder den Prozess gewinnen oder eine Einigung erzwingen können.«

Die Vermögensverhältnisse der Anwesenden waren äußerst unterschiedlich. Wally Brights Kanzleikonto war überzogen, und er hatte Steuerrückstände. Am entgegengesetzten Ende des Spektrums befand sich die Kanzlei, in der Hemba und Hamilton arbeiteten; in ihr gab es Partner, die jährlich mehr als eine Million verdienten.

»Wollen Sie damit sagen, wir sollen einen Zeugen dafür bezahlen, dass er die Unwahrheit sagt?« fragte Hamilton.

»Wir wissen nicht, ob es die Unwahrheit ist«, antwortete Hark. Er hatte auf jede Frage die richtige Antwort bereit. »Das weiß niemand. Er war mit Mr. Phelan allein. Weitere Zeugen gibt es nicht. Was auch immer Mr.

Snead sagt, ist die Wahrheit.«

»Das kommt mir zweifelhaft vor«, sagte Hemba.

»Haben Sie einen besseren Vorschlag?« knurrte Grit, der seine vierte Mimosa trank.

Als Mitarbeiter einer großen Kanzlei waren Hemba und Hamilton mit dem Schmutz der Straße bisher nicht in Berührung gekommen. Das bedeutete nicht, dass sie oder ihresgleichen nicht käuflich waren, aber ihre Mandanten waren Großunternehmen, die mit Hilfe von Lobbyisten Politiker bestachen, um große Regierungsaufträge zugeschanzt zu bekommen, und die für ausländische Despoten Geld auf Schweizer Konten in Sicherheit brachten, wozu sie sich ihrer vertrauenswürdigen Anwälte bedienten. Aber weil sie Mitarbeiter einer großen Kanzlei waren, sahen sie natürlich auf die Art standeswidrigen Verhaltens herab, das Hark anregte und das von Grit, Bright und den anderen Winkeladvokaten offenbar gutgeheißen wurde.

»Ich weiß nicht recht, ob unser Mandant damit einverstanden wäre«, sagte Hamilton.

»Ihr Mandant springt sofort darauf an«, sagte Hark. Es war fast ein Witz, dass jemand TJ Phelan moralische Anwandlungen zutraute. »Wir kennen ihn besser als Sie. Die Frage ist eher, ob Sie da mitmachen wollen.« »Wollen Sie damit andeuten, dass wir, die Anwälte, die fünf-hunderttausend Dollar Anzahlung aufbringen?« fragte Hemba im Ton tiefster Verachtung.

»Genau das«, sagte Hark.

»Unsere Kanzlei würde derlei nie auch nur erwägen.«

»Dann wird er sich eine andere suchen«, meldete sich Grit zu Wort. »Vergessen Sie nicht, dass Sie die vierte in einem Monat sind.«

In der Tat hatte Troy Junior bereits gedroht, der Kanzlei das Mandat zu entziehen. Also hörten die beiden schweigend mit an, was Hark zu sagen hatte.

»Um die Peinlichkeit zu vermeiden, dass jeder von uns einen entsprechenden Betrag vorlegen muss, habe ich eine Bank ausfindig gemacht, die bereit ist, fünfhunderttausend Dollar auf ein Jahr zur Verfügung zu stellen. Wir brauchen lediglich sechs Unterschriften dafür. Ich selbst habe bereits unterschrieben.«

»Ich unterzeichne das verdammte Ding«, sagte Bright in bester Macho-Manier. Er war furchtlos, weil er nichts zu verlieren hatte.

»Ich will das noch einmal genau wissen«, sagte Yancy. »Erst zahlen wir, dann redet Snead. Ist das richtig?«

»Das ist richtig.«

»Sollten wir uns nicht zuerst mal seine Version anhören?«

»Daran muss noch gefeilt werden. Das ist ja das Schöne an der Sache. Sobald wir ihn bezahlt haben, gehört er uns. Wir können seine Außage entsprechend unseren Bedürfnissen hinbiegen. Vergessen Sie nicht, es gibt keine anderen Zeugen, eventuell mit Ausnahme einer Sekretärin.«

»Und was soll die kosten?« fragte Grit.

»Nichts. Die kriegen wir als Dreingabe.« Wie oft in seiner beruflichen Laufbahn hatte ein Anwalt schon Gelegenheit, sich seinen Anteil aus dem zehntgrößten Vermögen des Landes herauszuschneiden? Die Anwälte rechneten leise für sich. Ein kleines Risiko jetzt, und später eine Goldmine.

Ms. Langhorne überraschte die anderen mit den Worten: »Ich werde meiner Kanzlei vorschlagen, dass wir uns dem Abkommen anschließen. Aber jeder muss darüber schweigen wie ein Grab.«

»Wie ein Grab«, wiederholte Yancy. »So etwas könnte uns die Zulassung kosten; außerdem würden wir, wenn es herauskäme, wahrscheinlich unter Anklage gestellt. Anstiftung zur Falschaussage ist eine Straftat.« »Sie haben das nicht richtig verstanden«, sagte Grit. »Es kann keine Falschaussage geben. Was die Wahrheit ist, bestimmt Snead, und niemand außer ihm. Wenn er sagt, dass er bei der Abfassung des Testaments mitgewirkt hat und der Alte damals verrückt war - wer auf der Welt kann was dagegen sagen? Es ist einfach eine glänzende Gelegenheit. Ich unterschreibe.«

»Das sind dann schon vier«, sagte Hark.

»Ich unterschreibe auch«, sagte Yancy.

Hemba und Hamilton waren unschlüssig. »Wir müssen das mit unserer Kanzlei abklären«, sagte Hamilton schließlich.

»Müssen wir Sie daran erinnern, dass das hier vertraulich ist?« fragte Bright. Es war nicht ohne Komik, dass der Straßenkämpfer aus den Abendkursen die Herausgeber juristischer Fachzeitschriften an die Standesrichtlinien erinnerte.

»Nein«, sagte Hemba, »das müssen Sie nicht.«

Hark würde Rex anrufen, ihm die Sache schildern, worauf dieser seinen Bruder TJ anrufen und ihm mitteilen würde, dass seine neuen Anwälte die Abmachung torpedierten. Binnen achtundvierzig Stunden wären Hemba und Hamilton Schnee von gestern.

»Machen Sie schnell«, warnte Hark sie. »Mr. Snead behauptet, er sei pleite, und hat absolut nichts dagegen, eine Abmachung mit der Gegenseite zu treffen.«

»Wo wir gerade davon sprechen«, sagte Langhorne, »wissen wir inzwischen mehr über die Gegenseite? Wir alle fechten das Testament an. Irgend jemand muss es ja annehmen. Wo steckt diese Rachel Lane?«

»Sie hält sich offenbar verborgen«, sagte Hark. »Josh hat mir versichert, dass seine Leute wissen, wo sie sich aufhält, und Kontakt mit ihr haben, und dass sie im Begriff steht, Anwälte mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen.«

»Bei elf Milliarden will ich das schwer hoffen«, fügte Grit hinzu.

Sie dachten eine Weile über den Betrag nach, teilten ihn in Gedanken durch sechs und rechneten sich ihren eigenen Anteil aus. Fünf Millionen für Snead schienen wirklich nicht übertrieben.

Jevy und Nate erreichten am frühen Nachmittag die Handelsniederlassung. Der Außenbordmotor setzte immer wieder aus, und Jevy hatte kaum noch Benzin. Fernando, der Ladenbesitzer, lag in einer Hängematte auf der Veranda, um der glühenden Sonne zu entgehen. Er war schon alt, ein bewährter Veteran des Flusses, der noch Jevys Vater gekannt hatte.

Die beiden Männer halfen Nate aus dem Boot. Er glühte wieder vor Fieber. Seine Beine waren gefühllos und schwach. Sie schoben und zogen ihn Zentimeter für Zentimeter über den schmalen Anleger und die Stufen zur Veranda hinauf. Nachdem sie ihn in die Hängematte bugsiert hatten, berichtete Jevy rasch, was in der vergangenen Woche geschehen war. Fernando entging nichts auf dem Fluss.

»Die Santa Loura ist gesunken«, sagte er. »Es war ein schreckliches Unwetter.«

»Haben Sie Welly gesehen?« fragte Jevy.

»Ja. Ein Viehtransporter hat ihn aus dem Wasser gefischt. Sie haben hier angelegt. Er hat mir die Geschichte erzählt. Bestimmt ist er mittlerweile wieder in Corumba.«

Jevy war erleichtert, dass Welly noch lebte. Der Verlust des Bootes allerdings war schlimm. Die Santa Loura hatte zu den besseren Booten im Pantanal gehört, und er war für ihren Untergang verantwortlich.

Fernando sah Nate aufmerksam an, während sie redeten. Nate konnte kaum hören, was sie sagten, und bestimmt nichts davon verstehen. Doch selbst, wenn er etwas verstanden hätte, wäre es ihm gleichgültig gewesen.

»Das ist keine Malaria«, sagte Fernando und legte einen Finger auf den Ausschlag an Nates Nacken. Jevy trat an die Hängematte und sah seinen Gefährten an. Nates Haar war verfilzt und nass, die geschwollenen Augen waren immer noch geschlossen.

»Und was ist es dann?« fragte er.

»Denguefieber. Bei Malaria gibt es keinen solchen Hautausschlag.«

»Denguefieber?«

»Ja. Es wird ebenfalls von Moskitos übertragen und ähnelt der Malaria: Fieber, Schüttelfrost, Muskel- und Gelenkschmerzen. Aber an dem Ausschlag sieht man, dass es Dengue ist.«

»Das hatte mein Vater mal. Er war damals sehr krank.«

»Du musst ihn so schnell wie möglich nach Corumba bringen.«

»Kann ich mir Ihren Motor ausleihen?«

Fernandos Boot lag unter dem baufälligen Gebäude. Der Außenbordmotor war in besserem Zustand als der Jevys, und er hatte fünf PS mehr. Sie tauschten die Motoren und füllten Kanister. Nach einer Stunde in der Hängematte wurde der arme Nate wieder über den Anleger ins Boot geschleppt und dort unter das Zelt gebettet. Er war kaum bei Bewusstsein und merkte fast nichts von dem, was geschah.

Es war beinahe halb drei. Bis Corumba brauchte man neun oder zehn Stunden. Jevy gab Fernando die Telefonnummer von Senhor Ruiz. Manche Boote auf dem Paraguay verfügten über Funk. Jevy bat Fernando, den Anwalt von der jüngsten Entwicklung in Kenntnis zu setzen, falls eins vorbeikommen sollte.

Mit Vollgas fuhr er davon, hocherfreut, wieder ein Boot zu haben, das den Fluss rasch durchschnitt. Das Kielwasser schäumte hinter ihm auf.

Das Denguefieber konnte tödlich verlaufen. Sein Vater hatte eine ganze Woche mit dem Tod gerungen, entsetz-

liche Kopfschmerzen und starke Fieberanfälle gehabt. Seine Augen hatten so weh getan, dass die Mutter ihn tagelang in einen verdunkelten Raum gelegt hatte. Er war ein zäher Flussschiffer, der Verletzungen und Schmerzen zu ertragen verstand, und als Jevy ihn wie ein kleines Kind jammern hörte, war ihm klar, dass sein Vater im Sterben lag. Der Arzt war jeden zweiten Tag gekommen, und schließlich hatte das Fieber aufgehört.

Von Nate konnte er nur die Füße sehen, die unter dem Zelt vorstanden, sonst nichts. Bestimmt würde er nicht sterben.

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