V

Wayland klappte den Fensterladen aus Flechtwerk zurück und beobachtete die Fremden, die wieder zum Palas gingen. Seit ihrer Ankunft hatte es zwei Tage lang ununterbrochen geschneit. Nun aber strahlten die Sterne am Himmel, und die Fremden warfen tintenschwarze Schatten.

Eine Schelle schlug leise an. Auf Waylands behandschuhter Linker, mit Geschühriemchen und Langfessel gebunden, saß ein Hühnerhabicht, dem die Augenlider mit ein paar Stichen zugenäht worden waren. Wayland hatte diesen weiblichen Vogel vor vier Tagen mit einer Taube als Köder in einem Netz gefangen. Es war ein Zugvogel, noch in seinem juvenilen Federkleid, und seine muskulöse Brust wies eine erdfarbene Bänderung auf. Wayland hatte ihm die Fußfessel angelegt und die Augen zugenäht und ihn dann in Ruhe gelassen, bis er an dem spitz hervortretenden Brustbein des Habichts ablesen konnte, dass er mit sich arbeiten lassen würde. Seit Wayland ihn am Vorabend hochgenommen hatte, saß er ununterbrochen auf seiner Faust. Der Vogel würde nicht schlafen, bevor er gefressen hatte. Und bevor er gefressen hatte, würde auch Wayland keinen Schlaf bekommen.

Als die Fremden im Palas verschwunden waren, drückte Wayland den Fensterladen zu und wandte sich um. Die Arena für seinen Kampf der Willenskräfte war ein Stallgebäude aus gespaltenen Eichenstämmen, das von einer einzelnen Lampe erhellt wurde. Hinter einem Vorhang am anderen Ende dösten zwei Wanderfalken – ein Weibchen und ein Terzel, wie die männlichen Greifvögel genannt wurden – auf einer Sitzstange. Wayland begann auf dem Boden aus gestampfter Erde auf und ab zu gehen, vier Schritte vor, vier Schritte zurück. Ein gefleckter Jagdhund, der neben seiner Pritsche auf dem Boden lag, verfolgte seine Bewegungen mit schläfrigem Blick. Der Hund war immens groß und schwerer als die meisten ausgewachsenen Männer. Er war eine Mischung aus Mastiff, Windhund und Wolf, und sein Stammbaum reichte bis zu den keltischen Kampfhunden zurück, die von den römischen Invasoren in Britannien gerühmt worden waren.

Während er auf und ab ging, zog Wayland ein Stück Taubenbrust über die Fänge des Hühnerhabichts. Der Vogel reagierte nicht darauf. Er konnte nichts sehen und besaß keinen Geruchssinn. Das Fleischstück war allenfalls eine Störung. Wayland strich ihm mit einer Feder über Rücken und Schultern. Auch dieser Berührung schenkte das Tier keine Beachtung. Als Wayland es leicht in die mittlere Zehe zwickte, provozierte er ein leises Zischen – aber das war nichts im Vergleich zu dem aufgeregten Schreien, das zu Beginn der Gefangennahme jeder noch so leichten Berührung gefolgt war. Wayland wusste, dass der Habicht bereit war zu fressen. Einige fraßen noch in der ersten Nacht, die meisten verweigerten die Nahrung ein oder zwei Tage, doch erst ein einziges Mal hatte Wayland einen Habicht gefangen, der eher verhungern als sich unterwerfen wollte. Auch das war ein Hühnerhabicht gewesen – ein so betagter Altvogel, dass seine Augen zur Farbe von Taubenblut nachgedunkelt waren. Das Tier hatte einen Tag und eine Nacht lang immer wieder mit wilden Flügelschlägen versucht, von Waylands Handschuh aufzufliegen, sodass er schließlich die Fessel durchschnitten und es in die Freiheit entlassen hatte.

Wayland war weniger auf seine Aufgabe konzentriert, als er es hätte sein sollen. In der Garnison summte es wie in einem Bienenstock vor lauter Geschichten über die Fremden. Ein geheimnisvoller fränkischer Veteran ferner Kriege hatte Fulk das Handgelenk gebrochen und Roussel das Schwert an die Kehle gesetzt. Und war damit durchgekommen! Sein Diener – sein Lustknabe, behaupteten manche – war ein Astrologe, der jede vorstellbare Sprache beherrschte und Medizin mit sich führte, die vom Papst gesegnet worden war. Wayland wollte unbedingt einen genaueren Blick auf sie werfen, aber er konnte nicht aus dem Stall, solange er den Habicht nicht gezähmt hatte. Er beschloss, das Verfahren zu beschleunigen, und zog mit Daumen und Zeigefinger das rechte Bein des Habichts nach unten, bis der Vogel wütend mit dem Kopf auf seine Hand vorstieß. Doch statt in die Hand grub sich sein Schnabel in die Taubenbrust. Er zerrte ein Stückchen davon ab, glaubte, seinen Gegner erwischt zu haben, und schleuderte das Fleischbröckchen mit dem Schnabel von sich. Der Geschmack aber blieb haften. Der Vogel sonderte Speichel ab und balancierte sein Gewicht auf dem Handschuh besser aus. Wayland hielt den Atem an, als der Habicht sein Federkleid aufplusterte und seine Kontur dabei anschwoll, wie bei jemandem, der tief einatmet, bevor er niesen muss. Das Tier richtete sich mit wütendem Flattern auf, schlug mit dem Schwanz, spannte die Krallen an und senkte den Kopf.

Der Hund öffnete die Augen. Er hob seinen zerfurchten Schädel, lauschte und sprang in einer einzigen, unerwarteten Bewegung auf alle viere. Diese Bewegung brachte den Habicht so gewaltsam zum Zustoßen, dass der Luftzug, den sein Flügelschlag verursachte, die Lampe ausblies. Im Dunkeln konnte Wayland weder seine Versuche, sich aus der Fessel zu winden, noch sein Flattern kontrollieren. Er öffnete einen Fensterladen, und im Sternenlicht gelang es ihm, den Habicht zurück auf seine Faust zu holen und die verdrehten Schnüre der Geschühriemchen zu entwirren. Mit offenem Schnabel und heftigen Atemzügen hockte der Vogel auf Waylands Handschuh wie ein Huhn mit Krämpfen. Wayland war bewusst, dass ihn dieser Rückschlag eine weitere Nacht um den Schlaf bringen würde, aber er konnte den Habicht jetzt nicht absetzen. Wenn er es tat, wären alle Fortschritte zunichte, die er bisher erzielt hatte, und er müsste noch einmal ganz von vorne anfangen. Der Hund, der sein vorwurfsvolles Murren gar nicht wahrnahm, knurrte die Tür an, und hinter seinen Lefzen wurden Reißzähne sichtbar, die schon eher an die Hauer eines Ebers erinnerten.

Jemand hämmerte mit der Faust an die Tür. «Du wirst im Saal verlangt. Schnell!»

Wayland zog die Tür halb auf. Raul der Deutsche stand keuchend vor ihm. Er war gerannt, so sehr eilte es anscheinend. Wayland deutete auf den Habicht, dann auf die Sitzstange.

«Nimm ihn mit.»

Wayland griff nach dem Maulkorb, der an einem Holzzapfen hing. Der Hund sollte ihn draußen immer tragen.

Raul winkte ab. «Dafür ist keine Zeit.»

Wayland folgte ihm in die schneidend kalte Dunkelheit. Vereiste Karrenspuren machten das Gehen gefährlich. Sternbilder, die in ihrer Umlaufbahn festgefroren schienen, standen über dem Bergfried. Der Hund trabte neben ihm her, seine Schultern auf einer Höhe mit Waylands Hüften. Der Habicht, überfordert von all den Sinneseindrücken, duckte sich auf seine Faust.

Raul warf Wayland über die Schulter einen begeisterten Blick zu. «Sie reden über eine Expedition nach Norwegen. Wenn sie auf Falken aus sind, brauchen sie einen Falkner.» Er blieb stehen. «Das könnte unsere Gelegenheit sein.»

Zur Flucht, meinte er. Damit sie nach Hause zurückkehren konnten. Raul stammte von der Sachsenküste und war der Haupternährer einer verzweigten Familie, die ihren Bauernhof bei einer Nordseeflut verloren hatte. Er war ausgezogen, um sein Glück zu suchen, und hatte sich, nach mehreren glücklosen Abenteuern zu Land und zur See, bei den Normannen als Armbrustschütze verdingt. Er war ein bärtiger kleiner Mann mit einer Brust wie ein Fass und einer Schwäche für Trinkgelage, Frauen und sentimentale Lieder, und seine Disziplin abseits des Schlachtfeldes war miserabel. Obwohl er zehn Jahre älter war als Wayland, hatte er sich dem großen englischen Jüngling eng angeschlossen, doch bis auf die Tatsache, dass sie beide Außenseiter waren, verbanden sie kaum Gemeinsamkeiten.

Wayland schob ihn weiter. Als sie den Palas erreicht hatten, legte sich der Hund am Eingang nieder, ohne dass es ihm befohlen werden musste. Wayland trat ein.

«He», rief ihm Raul nach. «Wenn sie Freiwillige suchen, lege ein Wort für mich ein.»

Die meisten Männer in dem Raum mit der hohen Balkendecke schliefen. Ein paar benebelte Blicke hoben sich von Ale-Krügen und Würfeln. Drogos Stimme drang durch die Abschirmung aus Vorhängen, mit der die Gemeinschaftsbereiche vom Empfangsraum des Grafen getrennt wurden.

«Nimm dich in Acht!», sagte einer der Soldaten zu Wayland. «Sie streiten sich schon seit Stunden. Der Alte ist sauer.»

Wayland trat zwischen den Stoffbahnen hindurch. Olbec und Margaret saßen auf x-beinigen Lehnstühlen auf einem Podest. Drogo lief vor ihnen auf und ab, sein Gesicht war rot wie eine gekochte Schweinehälfte, und er schlug mit der rechten Faust in die Handfläche der anderen Hand, um seine Meinung zu unterstreichen. Die Fremden standen mit dem Rücken zu Wayland, der Franke wirkte entspannt und zugleich aufmerksam, der Grieche dagegen steif vor Konzentration. Richard saß allein in einer Ecke.

«Ich gebe zu», sagte Drogo, «dass ich mich mit Falken nicht besonders gut auskenne. Die Beizjagd ist mir eben zu verweichlicht. Wo ist da das Risiko, die Gefahr? Aber eines weiß ich trotzdem. Falken fallen allen möglichen Krankheiten zum Opfer. Sie sterben an jeder Kleinigkeit. Setzt man einen gesunden Falken abends auf die Stange, findet man am nächsten Morgen ein totes Federbündel vor. Kauft man ein Dutzend Gerfalken in Norwegen, kann man froh sein, wenn auch nur ein einziger Vogel die Reise überlebt.»

Margaret stieß Olbec an. «Hör nicht auf ihn. Er redet aus Boshaftigkeit so.»

Olbec breitete verzweifelt die Arme aus. «Milady, lasst nur ein einziges Mal Eure Voreingenommenheit beiseite und bedenkt die sachlichen Fragen. Womit sollen die Falken unterwegs ernährt werden?»

Auf Margarets Wangen bildeten sich rote Flecken. «Mit Tauben, Möwen, Schafen und Fisch!»

Wayland hatte den Hühnerhabicht vergessen. Unversehens flatterte der Vogel heftig mit den Flügeln und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich. Der Fleischgeschmack hatte ihm die Angst genommen. Er stürzte sich gierig auf die Taubenbrust, die Wayland mit in den Palas genommen hatte, riss mit dem Schnabel Fleischbrocken ab und würgte sie angestrengt hinunter.

Wayland hatte in enger Verbundenheit mit der Natur gelebt und schätzte an jeder Situation schnell ihre Gefährlichkeit ein. Der Blick des Franken, zugleich bohrend und gleichgültig, wies ihn als äußerst gefährlich aus. Der Grieche dagegen stellte keinerlei Bedrohung dar. Seine hervortretenden Augen erinnerten Wayland an einen schreckensstarren Hasen.

«Der Falkner», verkündete Olbec.

«Ich hatte einen älteren Mann erwartet», sagte Vallon.

Olbec setzte sich auf. «Er ist kräftig und kann unglaublich gut mit Tieren umgehen. Dieser Hühnerhabicht zum Beispiel. Er hat ihn erst vor ein paar Tagen gefangen, und schon lässt er sich füttern wie eine Haustaube. Ich schwöre, dass dieser Bursche Tiere verhexen kann.» Der Graf trank schlürfend von seinem Ale. «Wenn irgendjemand die Gerfalken sicher an ihren Bestimmungsort bringen kann, dann ist er es.»

«Weiß er denn, was ein Gerfalke ist?», fragte Hero.

Drogo stieß ein verächtliches Lachen aus. «Selbst wenn er es wüsste, könnte er es nicht sagen. Er ist nämlich stumm wie ein Fisch.»

«Es stimmt, dass er nicht sprechen kann», sagte Olbec. «Elfen oder dergleichen haben ihm die Zunge gestohlen, als er noch im Wald lebte. Walter hat ihn gefangen, als er flussaufwärts jagte. Die Jagdhunde haben ihn vor einer Höhle umgerannt. Er war in Felle und Federn gekleidet und sah mehr nach einem Tier als nach einem Christenmenschen aus.»

Hero riss die Augen auf. «Wie lange hat er in der Wildnis gelebt?»

«Das weiß nur Gott. Vermutlich seit seiner Geburt.»

«Von Wölfen gesäugt», stieß Hero aus. «Nennt Ihr ihn Romulus?»

«Romulus? Wir nennen ihn Wayland, weil dieser Name in ein Holzkreuz geschnitzt war, das er um den Hals trug. Ein dänischer Name, aber englisch geschrieben. Er hatte einen Hund bei sich. Ein schauriges Vieh, so groß wie ein Bullenkalb. Er hat ihn immer noch. Ein erstklassiger Jagdhund. Und dieses Biest ist genauso stumm wie er.»

Drogo wandte sich an Hero. «Weil er ihm die Stimmbänder durchgeschnitten hat, damit er ihn nicht verraten konnte, wenn er unsere Rehe gewildert hat. Wenn ich ihn erwischt hätte, wäre er noch viel mehr losgeworden als seine Zunge.»

«Und warum hat Walter Gnade vor Recht ergehen lassen?», fragte Hero an Olbec gewandt.

«Ah», sagte Olbec, der es offensichtlich genoss, diese Geschichte zu erzählen. «Walter meinte, das Ganze wäre wie ein Bild aus einem Märchen gewesen. Als er den Hunden nachritt, hatte er erwartet, dass sie einen Wolf gestellt hätten. Doch stattdessen saßen sie im Kreis um den Jungen. Er hatte sie verzaubert.»

«Und seine Bestie hatte dem Rudelführer die Kehle herausgebissen. Man hätte sie der Meute zum Fraß vorwerfen sollen.» Drogos Kopf fuhr herum. «Seht Ihr? Ganz gleich, wie lange man einen Wolf füttert, er will immer zurück in den Wald. Bei Gott, sieh mich noch einmal so an, und ich lasse dich auspeitschen.»

Wayland senkte den Blick. Sein Herz raste.

«Schau mich an», sagte Hero. «Wayland, schau mich an.»

«Tu, was er verlangt», befahl Olbec.

Langsam hob Wayland den Kopf.

Hero runzelte die Stirn. «Er versteht, was wir sagen.»

Olbec rülpste. «Es gäbe keinen Grund, ihn hier durchzufüttern, wenn er nicht nur stumm, sondern auch noch taub wäre.»

«Ja, aber wenn er einmal gesprochen hat, wird er das wohl auf Englisch oder Dänisch getan haben. Trotzdem versteht er Französisch, und das muss er in Eurem Haus gelernt haben.»

«Wo denn sonst?»

«Was ich sagen will, ist, dass er die Fähigkeit zum Erlernen einer Sprache besitzt, obwohl er nicht sprechen kann.»

«Wen kümmert das?», fuhr Margaret dazwischen. «Sagt ihm, was er zu tun hat.»

Olbec streckte seinen Becher zum Nachfüllen vor. «Hör genau zu, Wayland. Sir Walter, dein Herr, wird von Barbaren in einem fremden Land gefangengehalten. Du musst ihm seine Freundlichkeit vergelten, indem du dabei hilfst, seine Freilassung zu erreichen. Sein Kerkermeister verlangt vier Falken für seine Freiheit. Diese Falken sind größer, heller und schöner als jeder, den du im Leben gesehen hast. Sie leben weit im Norden in einem Land aus Eis und Feuer, und ihre Eigenschaften haben sich dieser Umgebung angepasst. Jedes Jahr ziehen einige dieser Prachtexemplare herunter nach Norwegen. Und in diesem Sommer wirst du an einer Expedition dorthin teilnehmen, die besten Tiere auswählen, und dich während ihrer Reise Richtung Süden um sie kümmern.»

«Du bist dafür verantwortlich, dass sie überleben», fügte Margaret hinzu. «Wenn sie sterben, ist das Leben meines Sohnes verwirkt, und du wirst dafür bezahlen.»

«Jag dem Jungen keine Angst ein», sagte Olbec und tätschelte Margarets Arm. Dann winkte er Wayland zu sich heran. «Stelle dir Falken vor, die so edel sind, dass nur Könige und Kaiser ein Anrecht auf sie haben. Weiß sind sie und so groß wie Adler. Du wirst weiter reisen als die meisten Ritter in ihrem ganzen Leben. Auf dem Rückweg könntest du sogar nach Jerusalem pilgern.» Olbecs Augen schimmerten. «Bei Gott, ich wünschte, ich könnte mitkommen.»

Der größte Teil dieser Worte zog an Wayland vorüber. Er versuchte sich einen weißen Falken von der Größe eines Adlers vorzustellen. Es entstand nur das Bild eines Schwanes mit gebogenem Schnabel und Flügeln, wie die Engel sie besaßen, die ihm seine Mutter beschrieben hatte.

Drogo klatschte höhnisch Beifall. «Was für eine exzellente Wahl: Ein törichter Falkner für ein törichtes Vorhaben. Jetzt brauchen wir nur noch die passenden Begleiter. O ja, und einen Anführer. Ich weiß, wer der Richtige ist», sagte er und deutete auf die Gestalt im Schatten, «warum schicken wir nicht Richard los?»

«Ich würde gehen. Ich würde alles tun, um von hier wegzukommen.»

«Wir beauftragen einen Mittelsmann», sagte Margaret. «Einen verwegenen Händler mit Erfahrungen im Norden.»

«Über den verlierst du die Kontrolle, sobald er die Segel setzt. Und sehr wahrscheinlich siehst du ihn und dein Geld nie wieder.»

«Drogo hat recht.»

Wayland brauchte einen Moment um festzustellen, dass der Franke gesprochen hatte.

Vallon stand auf. «Wenn der Atem, den Ihr fürs Reden verbraucht, Wind wäre, hättet ihr jetzt schon eine ganze Flotte nach Norwegen geblasen. Aber kein Schiff läuft ohne Kapitän aus. Nach was für einem Mann sucht Ihr? Es müsste einer sein, dem Ihr durch und durch vertrauen könnt. Ein Mann, der tapfer genug ist, sich durch den bekannten Fährnisse der Reise zu trotzen, und findig genug, um die unvorhergesehenen Gefahren zu umschiffen. Es müsste ein Mann sein, der sich seinen eigenen Weg bahnt, wenn die bekannten Straßen enden. Ihr könnt einen Mann finden, der eine dieser Fähigkeiten hat. Aber keinen, der sie alle besitzt.»

Wayland spürte einen Luftzug im Raum. Drogo legte erstaunt den Kopf zur Seite.

«Einen Moment lang dachte ich, du willst vorschlagen, diese Herausforderung selbst anzunehmen.»

«Gott behüte. Dazu fehlen mir sowohl die Fähigkeiten als auch der Anreiz.»

Margaret schlug auf die Armlehne ihres Stuhles. «Er ist ein Fremder. Sein Wort zählt nicht.»

Doch Vallons Einwurf hatte die Stimmung verändert. Olbec scharrte mit seinem Stock über den Boden. «Ich würde mein ganzes Vermögen einsetzen, wenn sicher wäre, dass Walter dafür freikommt, aber mir scheint, als würden wir damit nur das eine verlieren, ohne das andere zu bekommen. Nein, Mylady, ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich schicke einen Unterhändler nach Anatolien, der meine Lage unumwunden darstellt und ein Lösegeld anbietet, das unseren Möglichkeiten entspricht. Was meint Ihr, Vallon? Ihr kennt den Emir; Ihr habt gesagt, er ist Walter gewogen. Er lässt doch bestimmt mit sich reden.»

«Er ist ein vernünftiger Mann. Ich bin sicher, dass er Euer Angebot sorgfältig prüfen wird.»

Margaret sprang auf. Ihr Blick zuckte im Raum umher. «Nachdem keiner hier etwas tun will, werde ich meine eigenen Vorkehrungen treffen.» Damit raffte sie ihre Röcke und eilte hinaus.

Drogo nahm Olbecs Hand. «Gut gesprochen, Vater. Schon viel zu oft haben die Leidenschaften Eurer Mylady Euer Urteil getrübt.»

Olbec sah ihn mit eisigem Blick an. «Aber nicht so sehr, dass ich deine Absichten nicht erraten könnte.»

Da teilten sich die Vorhänge, und ein Soldat hastete herein.

«Was ist?», fragte Drogo.

«Guilbert ist zum Pissen hinausgegangen. Hat im Schnee den Hund übersehen. Schon liegt er auf dem Rücken und hat dieses Höllenvieh an der Kehle.»

Drogo wandte sich zu Wayland um. «Ich habe dich gewarnt.»

Wayland steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Klauen hämmerten über den Boden, und einen Moment später sprang der Hund zwischen den Vorhängen hindurch wie eine Erscheinung aus Mythen oder Albträumen, die Augen schwefelgelb, der eisenharte Nacken überzuckert von Frost. Als das Tier Drogos drohende Haltung wahrnahm, zogen sich seine Lefzen in schwarzen Falten zurück. Wayland zischte. Darauf trabte der Hund augenblicklich zu ihm, legte sich zu seinen Füßen auf den Boden und begann sich die Pfoten zu lecken.

Olbec hielt erneut seinen Becher zum Nachfüllen hoch. «Ich hab’s doch gesagt, oder? Der Junge kann Tiere verzaubern.»

Als Wayland aus dem Palas kam, erwartete ihn Raul. «Werden sie die Expedition losschicken?», fragte er und trabte neben Wayland her. «Bist du dabei? Kann ich mit?»

Wayland schickte ihn mit einer Handbewegung fort. Er musste über zu vieles nachdenken. Als Raul nicht von seiner Seite wich, umkreiste ihn der Hund mit drohend gefletschten Zähnen. Wayland betrat seine Hütte, Raul blieb hinter ihm an der Tür. «Ich dachte, wir wären Freunde.»

Wayland band den Hühnerhabicht an die Sitzstange und streckte sich auf seinem Lager aus. Er betrachtete den Vogel in dem trüben Licht. Den größten Teil der Taube hatte er gefressen, und sein Kropf stand vor. Er streifte sich den Schnabel an der Sitzstange ab, hob einen Fuß, streckte die mittlere Klaue aus und kratzte sich leicht an der Kehle. Die Bewegung brachte die Schelle an seinen Schwanzfedern zum Klingen. Er drehte den Kopf von rechts nach links, um das Futter in seinem Kropf hinunterzubefördern. Sein Gefieder entspannte sich, und er zog einen Klauenfuß unter die flaumige Federschürze. Er schlief. Am Morgen würde Wayland an jedem Augenlid einen der Nahtstiche öffnen können. In einer Woche würde der Habicht draußen im Tageslicht fressen. Und in drei Wochen würde er ohne Fessel fliegen. Wayland hatte gewonnen.

Seltsam, dachte er, wie schnell doch Hunger und Erschöpfung die Angst und den Hass besiegten. Er selbst war weder gefesselt, noch waren seine Augen zugenäht, er musste nicht hungern und konnte nach Belieben kommen und gehen. Weder Not noch Zuneigung hielten ihn in der Burg, doch an jedem Abend brachte ihn eine eigentümliche Schwäche dazu, seine Schritte wieder zu den Menschen zu lenken, die er verabscheute. Er betastete das Kreuz, das um seinen Hals hing. Im Frühling würde er entkommen, das schwor er sich. Er würde zur gleichen Zeit wie die beiden Fremden gehen, und er würde seinen eigenen Weg einschlagen. Er blies die Lampe aus. Dann drehte er sich auf die Seite und zwirbelte mit den Fingern die Nackenfalten des Hundes, ohne zu wissen, dass er das Gleiche gern mit dem Haar seiner Mutter getan hatte.

Der Hund war seine einzige greifbare Verbindung zur Vergangenheit, einer Sphäre, die er am liebsten aus seinen Gedanken verbannte. Doch manchmal brach sie in seine Träume ein, und er erwachte in Angstschweiß gebadet. Und manchmal, so wie in diesem Moment, stieg sie vor ihm auf wie ein Bild aus einem dunklen Teich.

Seine Mutter hatte ihn und seine Schwester zum Pilzesammeln in den Wald geschickt. Er war vierzehn Jahre alt gewesen, seine Schwester zehn, und der Hund nur ein ungelenker, tapsiger Riesenwelpe. Drei Jahre waren seit König Harolds Niederlage vergangen, doch Wayland hatte seine ersten Normannen trotzdem erst einen Monat zuvor gesehen. Aus sicherer Entfernung hatte er die Soldaten in ihren Ringpanzerhemden beobachtet, die den Bau ihrer Burg am Tyne überwachten.

Der Bauernhof, auf dem er lebte, lag zehn Meilen stromaufwärts, ein paar Morgen freies Gelände in einem Restbestand Urwald, der von einer tiefen Schlucht durchschnitten wurde. Sie waren zu siebt in seiner Familie. Seine Mutter war Engländerin, sein Vater ein dänischer Freisasse, der Sohn eines Wikingers, der als Mitglied der Leibwache des großen Knut nach England gesegelt war. Waylands Großvater lebte noch. Er war ein an sein Lager gefesselter Riese, der die nordischen Götter anrief und einen Thorshammer als Amulett um den Hals trug. Wayland hatte einen älteren Bruder und eine ältere Schwester, Thorkell und Hilda. Seine kleine Schwester hieß Edith. Weil seine Mutter darauf bestanden hatte, waren alle Kinder getauft worden, die Mädchen hatten englische Namen bekommen, die Jungen dänische.

Es war ein guter Pilzherbst. Während Wayland die Pilze einsammelte, konnte er die gleichmäßigen Axtschläge seines Vaters hören, ein Geräusch, das ihm so vertraut war wie sein eigener Herzschlag. Als der Korb voll war, wollte Edith nach einem Bären suchen. Wayland wusste, dass es in dem Wald keine Bären mehr gab. Sein eigener Großvater hatte den letzten getötet und zum Beweis einen Zahn des Tiers behalten. Wayland war nicht sicher, ob diese Geschichte stimmte, aber er hörte sie gern und bat den alten Mann oft, sie noch einmal zu erzählen. Sein Großvater erzählte noch ganz andere Geschichten, wenn die Mutter nicht in der Nähe war – es waren aufregende, heidnische Berichte über tückische Götter und Ungeheuer und die große Schlacht, die am Ende aller Zeiten stattfinden würde.

Er entdeckte frische Hirschlosung und begann den Spuren flussaufwärts zu folgen. Der Welpe sprang ihm voraus. Sie konnten hören, wie Wasser durch die Schlucht rauschte. Der Welpe setzte sich, neigte den Kopf zur Seite und lauschte so angestrengt, dass Edith lachen musste. Das Geräusch der Axthiebe war verstummt. Wayland glaubte, einen Schrei gehört zu haben. Er wartete auf einen weiteren Schrei, doch es kam keiner. Der Hund begann zu winseln.

Wayland setzte seine Schwester unter einen Baum und befahl ihr, nicht wegzugehen, da sie sonst von den Wölfen gefressen würde.

«Ich habe keine Angst vor den Wölfen. Sie kommen nur im Winter über den Fluss.»

«Dann eben Trolle. Die Trolle wohnen im Topf.»

Der Topf war der tiefste See in der Schlucht, ein Kessel mit schwarzem Wasser, der von den Sturzbächen der Felsüberhänge in Unruhe versetzt wurde und über den sich tief die Bäume neigten, deren Wurzeln sich in die Erde krallten wie verkrümmte Finger. Edith richtete ihren Blick durch das moosgrüne Dämmerlicht auf den See. Sie fuhr über das Kreuz an ihrem Hals. «Kann der Hund bei mir bleiben?»

«Du weißt doch, dass er mir nicht von der Seite weicht. Ich sage dir was. Während ich weg bin, kannst du dir einen Namen für ihn ausdenken.»

«Ich habe schon einen ausgesucht. Er heißt …»

«Sag’s mir, wenn ich zurück bin», unterbrach Wayland sie und begann zu rennen.

Der Welpe hielt es für ein Spiel, hetzte vor ihm her und duckte sich dann, um in einem Scheinangriff wieder aufzuspringen. Wayland überlegte, ob er sich töricht verhielt. Seine Mutter würde ihn ausschelten, weil er Edith kurz vorm Dunkelwerden im Wald allein gelassen hatte.

Als er näher an die Lichtung kam, hörte er Stimmen und das Klirren von Rüstungen. Er warf sich auf den Boden, packte den Hund am Nacken und robbte durchs Unterholz, bis er die Baumgrenze erreicht hatte.

Das Geschehen war zu grauenvoll, um es mit einem Blick in sich aufzunehmen. Zwei Soldaten hielten Hilda und seine Mutter vor dem Haus fest. Zwei andere hatten seinen Vater mit dem Gesicht nach unten über den Hackklotz gelegt. Thorkell lag rücklings auf der Erde, sein Gesicht eine blutige Maske. Dann sah Wayland den Reiter am anderen Ende der Lichtung. Er gab seinem Pferd die Sporen und hackte Waylands Vater im Galopp einen Arm halb ab. Mit einem Siegesschrei galoppierte er an das andere Ende der Lichtung, ließ sein Pferd umdrehen und ritt, das Schwert erhoben, wieder zurück. Dieses Mal sah Wayland den Kopf seines Vaters vom Hackklotz rollen. Blut spritzte aus dem Hals.

Seine Mutter und seine Schwester schrien. Sie schrien immer noch, als einige Männer sie ins Haus zerrten. Dann klangen ihre Schreie erstickt und verstummten schließlich ganz. Eine Weile später kam der Mann, der seinen Vater getötet hatte, mit blutbespritztem Gesicht aus dem Haus. Er nahm einen Wasserkübel und leerte ihn sich über den Kopf aus. Als er auf sein Pferd stieg, schwankte er im Sattel wie ein Betrunkener. Einer nach dem anderen kamen die Männer aus dem Haus und knöpften sich dabei die Hosen zu. Wayland betete, dass auch seine Mutter und seine Schwester herauskommen würden. Bald darauf drang Rauch aus der Haustür. Die Mörder aber zogen immer noch nicht ab. Flammen leckten am Strohdach. Das Feuer loderte auf, und die Normannen lachten und hielten ihre Hände in Richtung des Hauses, wie um sich zu wärmen. Sogar von der Stelle aus, an der Wayland lag, konnte er in sengenden Windstößen die Hitze spüren. Dann ritten die Normannen endlich weg. Einer von ihnen hatte einen toten Hirsch über sein Pferd gelegt. Ein anderer die Hühner an seinen Sattel gebunden. Die übrigen trieben zwei Kühe, ein Pferd und einen Ochsen vor sich her.

Wayland rannte auf die lodernden Flammen zu. Die Hitze ließ sein Haar knistern und sein Gesicht prickeln, bevor sie ihn zurücktrieb. Schreiend stand er da, als das Dach einbrach und ein Feuerball zum Himmel aufstieg. Dann stürzten die Außenwände ein, und Wayland sank auf den Boden, betäubt von allem, was er gesehen hatte.

Irgendwann wurde ihm bewusst, dass der Hund mit dem Kopf gegen seine Beine stieß. Waylands Gesicht und seine Hände waren verbrannt, die Haut schälte sich. Ihm wurde bewusst, dass inzwischen die Abenddämmerung hereingebrochen war, und seine Schwester fiel ihm wieder ein. Er versuchte zu rennen, aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Er taumelte und stolperte, schwankte durch den Wald.

Der Korb mit den Pilzen stand immer noch unter dem Baum, aber Edith war verschwunden. Er lauschte, doch er vernahm nur die Geräusche des nächtlichen Waldes. Er rief nach Edith, leise zuerst, dann lauter. Eine Eule schrie. Wayland fand Ediths Spur. Sie führte auf die Schlucht zu. Die Bäume standen in diesem Teil des Waldes so dicht wie nirgends sonst, sodass selbst am helllichten Tage alles in Dämmer getaucht war. Der Hund war zu jung und erschrocken, um eine Hilfe zu sein. Er drückte sich an Waylands Beine, wich keinen Fingerbreit von ihm, und Wayland suchte und rief, bis es zu dunkel war, um noch irgendetwas zu erkennen. Dann ließ er sich mit dem Rücken an einem Baum heruntergleiten und blieb unbewegt sitzen. Wind kam auf, und es begann zu regnen. Eine Zeitlang rief er noch nach Edith, immer heiserer klang seine Stimme. Dann saß er nur noch da, den Blick ins Leere gerichtet, und der Hund drückte sich zitternd an ihn, während Wayland den Albtraum erneut durchlebte und sich auf den nächsten gefasst machte.

In der tropfnassen Morgendämmerung des nächsten Tages folgte er der Spur seiner Schwester über einen Friedhof vom Wind gefällter Baumgiganten am Rande der Schlucht. Bei einem Erdloch neben einer alten Esche endete die Spur. Einen Moment lang dachte er, sie wäre vielleicht in die Höhle eines Tieres gefallen. Doch als er in das Loch hinunterspähte, sah er durch Wurzelgewirr hindurch weit unten Wasser. Ediths Körper wurde in sein Blickfeld geschwemmt, sie trudelte mit dem Gesicht nach unten in der Strömung, das lange blonde Haar wie ein Fächer auf der Wasseroberfläche ausgebreitet. Er stieg hinunter, zog sie hoch, küsste ihr bleiches Gesicht und hielt sie fest an sich gedrückt. Als er sie auf den Boden legte, spürte er, wie sich etwas in seinem Inneren bis zum Zerreißen spannte. Er nahm ihr das Kreuz ab, warf den Kopf zurück und brüllte die Götter oder Ungeheuer an, die so schreckliche Grausamkeiten über seine Familie verhängt hatten.

Von diesem Tag an sprach er nie mehr ein Wort.

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