XXIX

Nebelschwaden zogen in trägen Wirbeln über die Wasseroberfläche. Bleierne Stille hing über dem Meer. Als Vallon auf seinen Ring sah, stellte er fest, dass der Stein so schwarz geworden war wie Cosmas’ Auge. Die Wikinger ruderten langsam auf sie zu. Sie waren erschöpft von ihren Anstrengungen und wussten, dass die Shearwater nicht entkommen konnte. Vallon schaute zum drei oder vier Meilen entfernten Ufer hinüber. Helgis Schiff lag ruhig in einer breiten Fahrrinne, die zwischen kahlen, welligen Hügeln ins Inland führte.

«Du hattest recht. Ich habe eine schlechte Entscheidung getroffen.»

Raul hob seine Armbrust. «Wir sitzen ziemlich in der Klemme.»

«Sie werden eine Prisenmannschaft auf der Knarr gelassen haben. Also ist ihre Übermacht nicht mehr ganz so groß.»

«Sie haben höchstens vier oder fünf Männer dort gelassen. Das macht keinen großen Unterschied.»

Vallon beobachtete das näher kommende Langschiff. Das Meer hatte sich in einen öligen Spiegel verwandelt. Federwolken standen am Himmel, der sich zusehends bezog.

«Gibt es so hoch im Norden Gewitter?»

«Einer von den Grönländern hat mir gesagt, es hätte in seinem ganzen Leben erst eines gegeben.»

Das Langschiff war bis auf eine Meile herangekommen. Die Wikinger hatten sich nicht die Mühe gemacht, das Segel herunterzuholen, und in der stehenden Luft wurde es gegen die Fahrtrichtung an den Mast gedrückt. Das Schiff hatte kein Deck. Die Männer legten sich paarweise auf den Ruderbänken sitzend in die Riemen und hatten sich ihre runden Schilde über den Rücken gehängt. Die überlebenden Gefangenen von der Knarr waren im Heck zusammengetrieben worden.

«Wie lautet der Plan?», fragte Raul.

«Kämpfen. Was sonst?»

«Bis zum letzten Mann?»

Vallon musterte seine Leute. Wayland hatte die Bogensehne gespannt und seinem Hund das Stachelhalsband sowie eine Rüstung aus Walrosshaut angelegt. Garrick, Hero und Richard hatten sich mit Schwertern bewaffnet. Das waren seine gesamten Verteidigungskräfte. Kurz blieb Vallons Blick an Syth hängen.

«Bei dir klingt es, als hätten wir eine Wahl.»

«Sie halten uns für ein Handelsschiff. Wenn wir ihnen bei ihrem ersten Angriff ein paar Verluste beibringen können, machen sie vielleicht ein Verhandlungsangebot.»

«Zum Beispiel?»

«Ihnen unsere Waren auszuliefern.»

«Könnte das auch Syth einschließen?»

Raul spielte mit seiner Armbrust herum und grinste schief. «Na gut, irgendwann ist für uns alle der letzte Tag gekommen.»

«Aber wir nehmen so viele wie möglich von ihnen mit auf die Reise», sagte Vallon. Er winkte Wayland zu sich.

«Schieß so genau und schnell du kannst. Jeder Pfeil zählt.»

Wayland nickte angespannt. «Ganz egal, wie viele wir erwischen, irgendwann werden sie uns doch entern.»

«Wenn das passiert, tu mit Syth, was du tun musst, und stelle dich dann tapfer dem Ende. Wenn du vorher getötet wirst, sorge ich dafür, dass dein Tod euch nicht scheidet.»

Darauf widmete Vallon seine Aufmerksamkeit wieder dem Langschiff. Es hatte immer noch eine halbe Meile zurückzulegen, aber es war so windstill, dass er das Zischen hörte, mit dem sie die Riemen durchs Wasser zogen. Er blinzelte zur Sonne hinauf. Die Wolken hatten sich zu einer unheilverkündenden Nebelbank verdichtet.

«Lasst das Segel ein Stück herunter.»

Alle schauten das Tuch an, das schlaff von der Rah herunterhing. Keiner rührte sich.

«Raul, Garrick, hängt das Segel niedriger. Du auch, Wayland. Beeilung!»

Sie hasteten los. Vallon beobachtete das Langschiff. Die Wikinger hatten, nachdem sie die Prisenmannschaft auf der Knarr gelassen hatten, noch ungefähr zwei Dutzend Männer. Im Bug des Langschiffs stand ein blonder Hüne mit einem Kettenwams und schlug rhythmisch mit dem Stiel seiner Kampfaxt an den geschnitzten Drachenkopf auf dem Vordersteven.

«Den dort tötest du zuerst», sagte Vallon.

Raul spuckte aus. «Der wird nicht schwer zu treffen sein.»

Das Langschiff war nur noch eine Achtelmeile entfernt, als das Tageslicht versiegte. Die See verdunkelte sich, als hätte ein Geschöpf, das zu groß war, als dass man es sehen konnte, seinen Schatten über die Welt geworfen. Von dem Wikingerschiff drang der herausfordernden Klang eines Kriegshorns. Dann fuhr weniger als eine Meile entfernt ein Blitz senkrecht ins Meer und wurde von krachendem Donner gefolgt.

In einem oft eingeübten Manöver zog jeder zweite Wikinger seinen Riemen ins Schiff und stellte sich an der Reling auf. Einige hatten Bögen. Die anderen schwenkten Schwerter, Äxte und Speere. Zwei von ihnen ließen Enterhaken kreisen. Und alle trugen runde Holzschilde, deren Viertelsegmente rot und weiß bemalt waren.

Raul kniete sich neben Vallon und machte seine Armbrust bereit. Wayland stellte sich hinter ihm auf.

«Schießt nur, wenn ihr sicher treffen könnt.»

Mit Bewegungen, die in ihrer Bedächtigkeit beinahe rituell wirkten, setzte der riesenhafte Krieger im Bug einen kegelförmigen Helm auf, dessen Visier mit den schlitzförmigen Sichtöffnungen den Mann sofort in eine furchterregende Erscheinung verwandelte. Dann nahm er einen Schild in denselben Farben wie die der übrigen Mannschaft. Nur zwei der Wikinger trugen Kettenrüstungen.

Das Wasser zischte um den Bug des Langschiffs. Der Vordersteven mit dem Drachenkopf hob sich höher über die Wellen.

«Sie greifen auf steuerbord an», sagte Vallon.

Wayland senkte den Bogen. «Da. Draußen auf See. Da passiert irgendetwas.»

Zuerst konnte sich Vallon keinen Reim darauf machen. Der Horizont schien auszufasern, sich wie der Rand eines Büttenpapiers zu heben. Er hatte einmal gesehen, wie eine Schule jagender Wale das Meer zum Kochen gebracht hatte, und einen Moment lang dachte er, es seien solche Giganten, die dort einen Fischschwarm an die Oberfläche trieben.

«Gütiger Gott!»

Es war eine Welle – eine kochende Wasserwand, die auf das Langschiff zurollte. Einer der Wikinger stieß einen Warnruf aus, doch ihnen blieb keine Zeit zu reagieren. Die Welle traf gischtspritzend auf das Langschiff und wälzte sich weiter auf die Shearwater zu.

«Festhalten!», schrie Vallon und klammerte sich an den Vordersteven.

Der Brecher traf die Shearwater achteraus und riss sie mit solcher Gewalt herum, dass Vallon vom Steven weggeschleudert wurde. Er taumelte rückwärts, das Deck stellte sich unter seinen Füßen beinahe senkrecht, und dann trat er ins Leere, bevor er stürzte und irgendwo mit dem Kopf aufschlug. Hilflos rollte er herum, wurde gegen etwas Hartes geworfen und blieb keuchend und benommen liegen. Als er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, gelang es ihm nicht. Er lag kopfunter am Dollbord, das Wasser rauschte auf gleicher Höhe wie seine Ohren, und das Deck stieg beinahe senkrecht über ihm an. Die See hatte sie fast vollständig auf die Seite gelegt, und im nächsten Augenblick würden sie kentern. Erneut versuchte er sich aufzurichten, kämpfte wie jemand, der sich aus einem Zuber befreien will. Es gelang ihm, den Fuß auf das Dollbord zu setzen, und er stützte sich mit den Händen am Deck ab, um das Gleichgewicht zu halten. Über ihm heulte der Wind. Er bekam eine wild herumschlagende Want zu fassen und sah sich um. Wayland und Syth krümmten sich um eine Ruderbank. Hero und Richard hingen am Rahbalken. Beim Ruder erkannte er eine weitere Menschengestalt.

Der Wind legte sich so plötzlich, wie er aufgekommen war. Die kochende See beruhigte sich. Mit einem langen Seufzer und einem lauten Klatschen schwang die Shearwater zurück und fand schaukelnd in eine Schlagseite. Die Waren und der Ballast hatten sich verschoben. Vallon tastete nach der Beule an seinem Hinterkopf. Dann hielt er nach dem Langschiff Ausschau.

Es schwankte an Backbord auf den Wellen, kaum ein Fuß Freibord war noch über Wasser. Sein Mast stand gefährlich schief, und das Segel hing lose an der Rah, von oben bis unten zerrissen. Mehrere Besatzungsmitglieder waren über Bord gegangen, und zu ihrer Rettung wurde ein Beiboot ausgesetzt.

Vallon eilte zum Heck. Im Laderaum wieherte ein Pferd.

«Sind alle in Sicherheit?»

«Wir haben Vater Saxo verloren», keuchte Raul. «Keiner hat mitbekommen, wie er verschwunden ist.»

Vater Hilbert rannte von einer Reling zur anderen und rief nach seinem Gefährten.

Vallon suchte das Meer ab. Die Sturmwoge rollte auf Helgis Schiff zu.

Raul zielte mit seiner Armbrust auf das Langschiff. «Das wird wie Fische in einem Fass zu fangen.»

Vallon schlug ihm auf den Arm. «Das ist jetzt unwichtig. Wir müssen das Schiff reparieren. Du und Wayland, ihr setzt die Takelung instand. Garrick, kümmere dich um die Pferde. Alle Übrigen helfen, damit wir möglichst schnell wieder auf ebenem Kiel liegen.» Er warf einen prüfenden Blick zu dem Langschiff hinüber. Die meisten der Wikinger waren mit Kübeln oder anderen Gefäßen dabei, den Kielraum auszuschöpfen. «Ich sehe die andere Knarr nicht mehr.»

Raul stellte sich neben ihn und schaute übers Meer. «Muss untergegangen sein.»

Beide Schiffsbesatzungen machten sich daran, die Seetüchtigkeit ihrer Segler wiederherzustellen. Gelegentlich stellten die Männer mit einem Blick fest, welche Fortschritte die Gegner gemacht hatten. Garrick berichtete, dass sich eines der Pferde den Vorderlauf gebrochen hatte, und Vallon befahl ihm, das Tier zu töten. Die See hatte sich Vater Saxo geholt. Den traurigen Rufen zufolge, die von dem Beiboot des Langschiffs herüberhallten, hatten auch die Wikinger einige Männer verloren. Die Shearwater war kaum beschädigt. Als sie die Trimmung wiederhergestellt und die zerrissenen Wanten ersetzt hatten, schöpften die Wikinger immer noch ihr Schiff aus und versuchten, den Mast geradezurichten.

Dann blähte von Norden aufkommender Wind das Segel der Shearwater. Der Anführer der Wikinger sah auf. Raul klopfte auf seine Armbrust und sagte zu Vallon. «Eine bessere Gelegenheit kommt bestimmt nicht mehr.»

«Dann pass auf, dass du auch triffst.»

Der Bolzen schoss so schnell durch die Luft, dass Vallon ihn kaum erkennen konnte. Der Wikinger jedoch musste ihn gesehen haben, denn als der Bolzen einschlug, traf er nur den runden Schild. Der Anführer reckte seine Kampfaxt empor. Vallon drehte sich um. Die Riesenwoge war wieder mit dem Wasser verschmolzen. Er musterte das Ufer.

«Was ist mit Helgis Schiff passiert?»

«Es hat den Mast verloren», sagte Wayland.

Raul spuckte aus. «Stellen wir doch mal fest, was jetzt aus seinem Stolz geworden ist.»

Helgis Knarr lag tief im Wasser, das Ruder halb abgerissen, der Mast kurz über dem Deck abgeknickt und über Bord hängend. Eine Menschenkette schöpfte den Laderaum aus, und einige Männer hackten den Mast mit dem durchtränkten Segel ganz durch. Helgi stapfte an Deck herum und trieb die Leute zu größerem Einsatz an. Vallon sah Caitlin genauso schwer arbeiten wie alle anderen. Drogo stand mit gespreizten Beinen vor dem Maststumpf und hackte die Haltetaue der Rah durch.

Vallon rief ihm einen Gruß hinüber. «Wie schwer ist euer Schiff unter der Wasserlinie beschädigt?»

Drogo warf einen Seitenblick auf Helgi, bevor er antwortete. «Ein paar Planken sind gesplittert. Wir haben versucht, das Leck zu stopfen, aber es läuft immer noch Wasser ins Schiff. Sobald wir den Mast los sind, rudern wir ans Ufer.»

Vallon schätzte die Entfernung zum Land ab. Es waren ungefähr zwei Meilen. Nach einem Blick auf das Langschiff der Wikinger sagte er: «Dafür reicht euch die Zeit nicht. Wir nehmen euch ins Schlepptau.»

Drogo unterbreitete Helgi den Vorschlag. Der Isländer machte wütende Abwehrgesten. «Wir werden es ohne eure Unterstützung schaffen», rief Drogo.

«Dann lassen wir den Schwachkopf eben untergehen», sagte Raul.

Im Heck der Knarr standen die Älteren und die ganz Jungen zusammen. Auch das ältere Paar, das schon ein Schiff verloren gegeben hatte, war dabei. Eine junge Mutter mühte sich, ihren schreienden Säugling zu beruhigen. Auf dem Deck standen drei Pferde.

Vallon warf erneut einen Blick über die Schulter auf das Langschiff. «Die Wikinger hat es weniger schwer getroffen als euch. Sie haben mehr als zwanzig Ruderer, und ihr habt nur acht. Sie holen euch auf halber Strecke ein.»

Drogo sah kurz zu Helgi hinüber. «Es ist nicht meine Entscheidung.»

«Willst du einen Narren über dein Schicksal bestimmen lassen?»

«Er hat den Befehl an Bord.»

«Dann müssen sie eben mit den Folgen leben», sagte Raul.

«Nein. Wir drehen bei. Sie werden schon noch zur Vernunft kommen.» Vallon sah Rauls Gesichtsausdruck und winkte ab, bevor er seine Meinung auch noch in Worte fassen konnte.

Vallon ging mit langen Schritten an Deck auf und ab. Seine Blicke wanderten von dem Langschiff zur Knarr und wieder zurück. Die Sonne stand schon recht tief, als Wayland berichtete, dass sich das Wikingerschiff wieder in Bewegung gesetzt hatte.

«Es ist so weit», sagte Vallon. «Geh längsseits.»

Die Shearwater fuhr bis auf zwanzig Fuß an die Knarr heran. Ein mutiger Isländer war bis zu der halb unter Wasser liegenden Rah gekrochen und schnitt die übrigen Taue vom Segel.

«Das ist eure letzte Gelegenheit», rief Vallon. «Entweder ihr lasst euch ins Schlepptau nehmen, oder wir fahren ohne euch.»

Seine Worte verstanden die Isländer nicht, was er meinte, war jedoch offensichtlich. Sie ließen ihre Arbeit sinken und sahen sich erschrocken an. Helgi brüllte, sie sollten sich wieder ans Werk machen.

«Erklär du es ihnen», sagte Vallon zu Raul.

«Hauptmann, auf diesem Schiff sind mindestens fünf Männer, die Euren Tod wollen.»

Vallon packte den Deutschen am Kittel. «Ich will Drogo und Helgi genauso wenig retten wie du. Aber da sind noch zwei Dutzend unschuldige Seelen an Bord, die den Wikingern in die Hände fallen, wenn du es nicht schaffst, diese Hohlköpfe zur Vernunft zu bringen.»

Raul trat an die Reling und deutete auf das Langschiff. «Seht ihr das? Da kommt der Tod. Der Tod für alle, die zu alt oder zu schwach sind, um auf dem Sklavenmarkt Gewinn zu erzielen. Für die Übrigen von euch ist es das Ende von allem, was euch lieb und teuer ist. Die Frauen werden euch weggerissen, ihr verliert eure Kinder. Sie werden an den Meistbietenden verkauft. Dieser aufgeblasene Herr wird die Hochzeit seiner Schwester nicht erleben, aber er wird mit ansehen, wie sie ihre Jungfräulichkeit verliert und ein Dutzend Mal Gewalt erfährt.» Raul hielt inne. «Lasst euch ins Schlepptau nehmen oder fahrt zur Hölle.»

Rufe wurden laut, und die Leute scharten sich um Helgi. Es kam zum Streit. Ein Handgemenge folgte. Dann tauchte Drogo aus der Gruppe auf und breitete die Arme aus. «Wir nehmen euren Vorschlag an.»

Raul warf dem Schiffsmeister ein Tau zu. Der schlang es um den Vordersteven, und es spannte sich, als die Shearwater Fahrt aufnahm. Das Langschiff war etwas über eine Meile entfernt und hielt unter seinem zerrissenen Segel auf sie zu.

Raul schüttelte den Kopf. «Das funktioniert nicht. Wir schleppen zu viel Totlast mit.»

«Wir werden schon noch schneller», sagte Vallon.

«Aber nicht schnell genug. Hauptmann, dieses Mal müsst Ihr auf mich hören. Wir werden ihnen nicht entkommen. Ihr müsst sofort handeln.»

Vallon sah zu dem Langschiff. Auch mit einem halben Segel holte es auf. Die Knarr dagegen lief schneller mit Wasser voll, als es die Besatzung es hinausschöpfen konnte.

«Du hast es zu lange hinausgezögert!», rief Vallon. «Jetzt musst du das Schiff aufgeben.»

Helgi schüttelte die Faust. «Niemals!»

«Bleib und kämpf mit uns!», rief Drogo.

«Ihr habt eure Gelegenheit gehabt. Wenn ihr auf eurem Schiff bleibt, müsst ihr es mit den Wikingern allein aufnehmen.»

Darauf folgte Schweigen. Vallon nickte Raul zu. «Kapp das Tau.»

Raul hob sein Schwert. «Ich mache ernst, Hauptmann.»

«Hack es durch.»

Drogo schwenkte die Arme über dem Kopf. «Lasst mich mit Helgi reden.»

«Aber nur, wenn es schnell geht.»

Drogo rannte zu Helgi und riss ihn an den Schultern herum. Andere unterstützten ihn bei seinen Überredungsversuchen. Schließlich hastete er in den Bug zurück. «Ich habe ihn überzeugt.»

«Schick ein Boot mit euren kräftigsten Männern, dann ziehen wir die Schiffe dichter zusammen.» Vallon wandte sich an Raul: «Erklär den Isländern, sie sollen nur das Lebenswichtigste mitnehmen – Nahrung, Kleidung, Decken, Waffen. Keine Handelswaren. Und sag ihnen, sie sollen das Ersatzsegel nicht den Wikingern überlassen.»

Sechs Isländer ruderten zur Shearwater. Mit ihrer Hilfe wurde die Knarr an die Backbordseite gezogen. Noch bevor die Schiffe vertäut waren, regnete es schon Gepäckstücke aufs Deck. Ein junger Isländer brachte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit. Raul verpasste ihm eine Backpfeife. «Die Alten und Schwachen zuerst, du selbstsüchtiger Scheißer.»

Die Seitenplanken der Schiffe rieben aneinander, und es wurden Seile durch die Ruderpforten geführt, um die Knarr und die Shearwater miteinander zu vertäuen. Dann kletterten die Passagiere auf die Shearwater herüber. Die Wikinger hatten immer noch nicht angefangen zu rudern. Sie schonten ihre Kräfte vor dem Angriff.

«He! Bist du taub?», brüllte Raul einem Mann entgegen, der unter zwei Ballen Wolltuch aufs Dollbord schwankte. «Keine Handelswaren.»

«Lass ihn», sagte Vallon. «Wir sind beinahe so weit.»

Nur Helgi und sein Gefolge waren noch auf der Knarr. Drogo sprang an Bord der Shearwater, gefolgt von Fulk. Sie schlichen um Vallon und seine Leute herum wie rivalisierende Hunde. Caitlin schwankte auf der Reling, das Gesicht verschmiert, das Haar wild. Vallon fing ihren bittenden Blick aus weit aufgerissenen Augen auf.

«Herr im Himmel, worauf wartest du?»

Drogo half ihr an Deck. Ihre beiden Mägde folgten, und dann kamen Helgi und zwei der Männer, die auch am Kratersee dabei gewesen waren. Sie führten die drei Pferde am Zügel.

«Was wollt ihr denn mit denen?», brüllte Raul.

«Wir könnten sie vielleicht noch brauchen», sagte Vallon. «Im schlimmsten Fall essen wir sie. Gott weiß, was uns an dieser Küste erwartet.»

Helgis Männer legten Planken vom Deck aufs Dollbord. Zwei der Pferde waren gut geschult und wendig. Sie bewältigten die Rampe ohne einen einzigen Fehltritt. Helgis Tier aber setzte einen Huf daneben und schlug mit der Brust auf die Planke. Helgi versuchte, es zurück auf die Rampe zu schieben. Während er dabei war, wurden auf dem Langschiff die Ruder bereitgemacht.

«Lass das Pferd», rief Vallon. «Komm an Bord.»

Helgi packte das Pferd am Gebiss, stellte sich auf die Rampe, und begann das Tier hinter sich herzuziehen. Das Langschiff war noch dreihundert Schritt entfernt und flog geradezu übers Wasser. «Schneid uns ab», befahl Vallon. Raul und Wayland rannten in den Laderaum und hackten die Taue durch. Alle, bis auf das neben Vallon. Er zögerte. Helgi war mit dem Pferd bis zum Scheitelpunkt der Rampe gekommen, und seine Männer hielten ihn fest, während er das Tier drängte, den letzten Schritt zu machen.

Raul hastete an Vallon vorbei und schwang sein Messer. «Ich werde nicht für ein Pferd sterben.»

Helgi klammerte sich an das Pferd, und seine Männer klammerten sich an ihn. Das Pferd machte den Schritt nach vorn zu spät. Die Schiffe trieben auseinander, und das Tier stürzte in Wasser. Helgi wäre hinterhergefallen, wenn ihn seine Männer nicht so fest im Griff gehabt hätten. Sie zogen ihn an Deck. Er schüttelte sie ab, taumelte ein paar Schritte zurück und legte die Hand an sein Schwert.

Raul rannte auf ihn zu und richtete aus drei Fuß Entfernung die Armbrust auf ihn. «Zieh das Schwert, und du bist tot!»

Drogo stürzte sich auf Helgi und zerrte den um sich schlagenden Mann beiseite.

Raul und Vallon eilten zum Heck. Das dem Tode geweihte Pferd strampelte mit zurückgeworfenem Kopf und rollenden Augen in ihrem Kielwasser. Rauls Armbrust schwirrte. Das Langschiff jagte nur drei oder vier Schiffslängen hinter ihnen her. Fluchend lud Raul seine Armbrust nach. Die Schilde, die sich die Wikinger über den Rücken gehängt hatten, machten sie zu schwierigen Zielen. Ihr Anführer hatte wieder seinen Posten im Bug bezogen. Goldfarbenes Haar floss unter seinem Helm hervor. Aus der Entfernung hatte er ausgesehen wie ein Gott. Doch aus der Nähe wirkte nur sein Körper göttlich. Der Hüne hatte ein Gesicht wie ein Pferd – ein wuchtiges, vorspringendes Kinn und einen Mund mit verfleckten, vorstehenden Zähnen.

Die Shearwater konnte ihre Geschwindigkeit nun nicht mehr steigern, aber sie war nicht schnell genug. Das Langschiff war nur noch sechzig Schritt hinter ihr, und sein Vordersteven wirbelte weiße Gischtschwaden empor. Raul hatte seine Armbrust neu geladen, und Wayland spannte seinen Bogen. Der Anführer ging in die Hocke, nur sein Helm war noch über dem Rand seines Schildes zu sehen. «Zielt auf den Steuermann», befahl Vallon.

Wayland schoss zuerst. Sein Pfeil verfehlte das Ziel. Dann ließ Raul den Bolzen abschnellen, und der Steuermann sackte über dem Ruder zusammen. Das Langschiff scherte nach Backbord aus, und einige der Ruderer schlugen mit ihren Riemen gegen die der anderen. Dann zog einer der Wikinger den toten Steuermann zur Seite und versuchte angestrengt, das Langschiff wieder auf Kurs zu bringen. Selbst jetzt sah es noch so aus, als würden die Wikinger sie einholen. Die Shearwater schleppte das Beiboot von Helgis Knarr hinter sich her, und einer der Wikinger im Bug des Langschiffs schwang einen Enterhaken danach. «Das Tau kappen», rief Vallon.

Doch bevor Garrick bei dem Tau angelangt war, schoss Wayland zwei weitere Pfeile ab. Der zweite schnellte vom Bogen, während der erste noch in der Luft war. Er beschrieb eine steile, zischende Kurve und fuhr dem neuen Steuermann ins Gesicht. Brüllend bäumte er sich auf, der Pfeilschaft steckte in seinem Auge wie ein grauenvoller Zauberstab. In beinahe demselben Moment durchbohrte einer von Rauls Armbrustbolzen die Brust eines Ruderers, sodass der Mann den Riemen fahren ließ und Blut spuckte. Vallon schrie Herausforderungen, und seine Rufe wurden von Drogo und Fulk und einem halben Dutzend schwerterschwingenden Isländern aufgenommen.

Der Anführer der Wikinger ließ seinen Blick über das Gemetzel schweifen. Seine Männer mussten rudern und waren daher nicht imstande, sich zu verteidigen. Mit solch einer mörderischen Gegenwehr hatte er nicht gerechnet. Er befahl seiner Mannschaft, das Rudern einzustellen. Die Bugwelle des Langschiffs versiegte. Wie ein fleischfressender Wasserkäfer, der in kurzen Sprüngen jagt und niemals seine Energie verschwendet, kam das Langschiff zum Stillstand.

Die Isländer jubelten. Sie klopften Wayland und Raul auf den Rücken. Vallon sah zu, wie das Langschiff achtern zurückblieb, dann wendete und zu der aufgegebenen Knarr zurückruderte. Doch sie hatten zu lange gewartet. Die Knarr ging unter. Bevor die Wikinger dort waren, versanken die Dollborde in den Wellen, und Luftblasen stiegen aus dem Rumpf auf. Dann war das Schiff verschwunden.

Als sich Vallon umdrehte, nahm er zum ersten Mal war, wie dicht sich die Flüchtlinge auf dem Deck der Shearwater drängten. Ihr Lächeln erstarb, als sie seinen Gesichtsausdruck sahen.

«Wir sind die Wikinger noch nicht los», sagte er zu Raul. «Teile die Leute in Kämpfer und Passagiere ein. Wer ein Schwert in der Hand halten kann, geht nach Backbord, die anderen nach Steuerbord.»

Helgi wollte sich in diese Musterung einmischen, doch Vallon beachtete ihn nicht. Als die zwei Gruppen gebildet waren, begutachtete er seine Einsatzkräfte. Zwölf Männer, die meisten mit Schwertern bewaffnet, bildeten die isländischen Kampfkräfte. Auf der Seite der Nichtkämpfenden befanden sich fünf Personen – die alte Frau und ihr Mann und zwei jüngere Frauen, von denen eine ihren Säugling auf dem Arm trug. Helgis Gefolgschaft hatte sich zusammen mit Drogo und Fulk abseits aufgestellt.

Angespanntes Schweigen breitete sich aus, als Vallon auf sie zuging. «Weißt du nicht, auf wessen Seite du stehst?»

«Ich werde von dir keine Befehle annehmen», sagte Helgi. «Und genauso wenig die anderen Isländer. Das sind meine Leute. Sie tun, was ich anordne.»

«In diesem Fall suchst du dir am besten einen Uferstreifen aus, und dann lasse ich dich und deine Gefolgsleute dort von Bord gehen.» Vallon sah Drogo zornig an. «Von einem erfahrenen Soldaten hätte ich etwas Besseres erwartet.»

«Ich muss mich auf Helgis Seite stellen.»

«Dann musst du dein Glück eben mit ihm versuchen.»

Drogo schluckte. Er nahm die Hand vom Schwertgriff und warf einen Blick über die Schulter auf das nahende Ufer. «Wir haben jetzt keine Zeit mehr, uns darüber zu streiten. Wir sind beinahe da.»

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