IV

Als er vor der drohenden Schwertspitze über den Vorhof stolperte, erhaschte Hero einen Blick auf Männer mit vom Schlaf zerrauften Haaren, die ihn vom Eingang des großen Palas-Saales aus musterten. Dann schob ihn seine Eskorte durch ein weiteres Tor und den Burgberg hinauf bis zu einer Treppe am Fuß des Bergfrieds. Hinter den Holzmauern hörte er Tiere muhen. Hier also endet meine Entdeckungsreise, dachte er. In einem Kuhstall. Wie ruhmreich.

Ein Knie stieß ihn die Treppe hinauf. Blind im Schneetreiben, kletterte er weiter. Hände schoben ihn in eine Kammer. Dann wurde hinter ihm die Tür zugeschlagen. Keuchend rang er um Atem und wischte sich den Schnee aus den Augen. Am anderen Ende des Raumes, schwach von einigen Wachsstöcken in Wandhalterungen beleuchtet, wurde er vor einem Wandteppich von einer Gruppe erwartet. In der Mitte saß ein stämmiger Mann mit rundlichem, geschorenem Schädel, der nun sein Gewicht auf einen Stock stützte und sich von seinem Sitz hochstemmte. Hero zuckte zusammen. Eine grässliche Narbe teilte das Gesicht des Mannes von der Schläfe bis zum Kinn in zwei verzerrte Hälften – der Mund war schief, ein Auge erstarrt, das andere zu einem schläfrigen Spalt zusammengekniffen.

Lady Margaret saß neben ihm und ließ Sir Walters Siegelring von einer Hand in die andere rollen. Ihr Mund war entschlossen zusammengepresst, was ganz im Gegensatz zu ihrer zarten, mädchenhaften Figur stand. Ein Priester mit Hängebacken schlurfte vor. In der einen Hand hielt der die Dokumente, mit der anderen tastete er an einem Kruzifix herum, das er um den Hals trug. Hinter ihnen stand ein weiterer Mann im Schatten.

Dann stürmte Drogo vor. Er zog seinen Helm ab, und ein fleischiges Gesicht mit den Abdrücken des kalten Metalls kam zum Vorschein. Seine Augen, die unter hellen Wimpern glitzerten, drückten sowohl Wut als auch Verwirrung aus, so, als wäre es nicht das erste Mal, dass ihm Ereignisse entglitten. Auch als er vor seinem Vater angekommen war, konnte er nicht stillstehen, sondern klopfte unruhig mit dem Fuß auf den Boden und spielte mit den Fingern am Schwertgriff. «Mylord, ich wollte Euch diese Männer bringen, sobald ich sie befragt hätte.»

Mit einer Geste brachte Olbec ihn zum Schweigen. Dann heftete er seinen Blick auf Vallon. «Ihr sagt, Sir Walter lebt.» Die beiden Seiten seines Mundes bewegten sich merkwürdig unzusammenhängend.

«Er ist am Leben, bekommt gut zu essen, hat warme Kleidung, und ist sehr bequem untergebracht.» Vallon strich über seinen Umhang, der inzwischen mehr nach Ratte als nach Zobel aussah. «Wenn ich die Wahl hätte, würde ich im Moment nur allzu gern mit ihm tauschen.»

Margaret klatschte in die Hände. «Bringt etwas zu essen. Bereitet ihr Quartier vor.»

Hero sackte auf eine Bank, die ihm von hinten in die Kniekehlen geschoben wurde. Olbec ließ sich mit einem angestrengten Grunzen wieder auf seinem Sitz nieder und streckte ein Bein steif aus. Vallon und Drogo blieben stehen. Hero stellte fest, dass das Gesicht des Mannes im Hintergrund nicht wegen der Schatten schwer zu erkennen war, sondern von einem schwärzlichen Geburtsmal entstellt wurde. Das musste Richard sein, der Schwächling.

Diener brachten lauwarme Brühe und Brot aus grob gemahlenem Mehl. Hero stürzte sich wie ein Wolf darauf. Als er in seiner Schale schon keinen einzigen Tropfen Brühe mehr hatte, nippte Vallon immer noch an seiner. Olbec passte diese Verzögerung gar nicht, und sobald Vallon seine Schale weggestellt hatte, konnte er seine Ungeduld nicht mehr bezähmen.

«Jetzt also. Ein vollständiger Bericht.»

Vallon spülte sich die Hände in einer Fingerschale. «Erst wenn Euer Sohn uns unser Eigentum zurückgibt und sich für seine Rüpelhaftigkeit entschuldigt.»

Drogo wollte sich auf Vallon stürzen.

«Halt!»

Olbecs vorgestreckter Kopf erinnerte an eine entstellte Schildkröte. «Ihr habt Euch im Dunkeln auf mein Land geschlichen. Dieses Grenzgebiet hier ist mit schottischen Banditen und englischen Aufständischen verseucht. Ihr solltet Gott danken, dass Drogo Euch nicht auf der Stelle niedergemetzelt hat.»

«Und das solltet auch Ihr tun. Denn wenn er es getan hätte, wäre Sir Walter im Herbst tot.»

«Ihr sollt Euren Besitz wiederbekommen», rief Margaret aus und nahm ihrem Ehemann damit den Wind aus den Segeln. «Wo wird mein Sohn festgehalten?»

«Als ich ihn zuletzt gesehen habe, lebte er in einer höchst zivilisierten Niederlassung etwa einen Wochenritt östlich von Konstantinopel.»

«Zivilisiert?», höhnte Olbec. «Die Türken gehören nicht zu Adams Volk. Sie braten eher ihre eigenen Babys, als eine Mahlzeit auszulassen. Wenn sie eine Stadt erobern, bauen sie die Wälle mit den Schädeln der Getöteten wieder auf.»

«Diese Geschichten verbreiten sie selbst, um ihre Feinde zu schrecken. Es stimmt, dass die einfachen Soldaten für die Zivilisation ebenso wenig Verwendung haben wie ein Wolf für ein Schafsgehege. Aber ihre Herren haben ein Reich erobert und wissen, dass sie es nicht durch Verwüstung, sondern nur durch Führung halten können. Aus diesem Grund beschäftigen sie persische und arabische Verwalter.» Vallon nickte in Richtung des Priesters. «Einer von ihnen war es, der die Bedingungen für die Freilassung schriftlich niedergelegt hat.»

Olbec schwang herum. «Du einfältiger Hund. Wie lange brauchst du noch?»

Der Priester stöhnte. «Wenn nur der Schreiber ein gebildeterer Mann gewesen wäre.»

«Es ist, wie ich gesagt habe», fuhr Drogo dazwischen. «Die Dokumente sind Fälschungen.»

Vallon nahm dem Priester das Manuskript aus der Hand und reichte es Hero. «Keine Ausschmückungen.»

Hero stand auf. Seine Hände zitterten. Er öffnete den Mund und heraus kam ein jämmerliches Krächzen. Er räusperte sich und versuchte es erneut.

«‹Ich entbiete Euch meine Grüße, edler Herr, und Gottes Segen sei mit Euch. Wisset, dass Suleiman ibn Kutalmiş, Verteidiger des Islams, Starke Hand des Gebieters der Gläubigen, Emir von Rum, Marquis der Horizonte, Siegreicher Feldherr in der Armee des Kühnen Löwen, Rechte Hand von …›»

Olbec ließ seinen Stock auf den Boden niederfahren. Speicheltropfen versprühend schrie er: «Ich will diesen heidnischen Dreck nicht hören. Komm zur Sache!»

«Mylord, der Emir verpflichtet sich, Sir Walter im Austausch für die folgende Abfindung freizulassen: ‹Item. Eintausend Gold-Nomisma oder ihre Entsprechung in Goldgewichten.›»

«Was zur Hölle sind Nomisma?»

«Byzantinische Münzen, Herr. Zweiundsiebzig Nomisma ergeben ein römisches Pfund, was zwölf englischen Feinunzen entspricht, sodass es insgesamt neunundsechzig Pfund wären.»

Olbecs Hände krallten sich um seine Knie.

«‹Item. Zehn Pfund feinster baltischer Bernstein. Item. Sechs Ballen …›» Heros Stimme erstarb. Olbecs Gesicht war zu der Miene eines Mannes verzerrt, der sich damit plagt, eine Kackwurst von der Größe und Form eines Backsteins abzusondern.

Drogo feixte. «Wie es scheint, hat Walter seinen Hang zur Übertreibung nicht verloren.»

Die Narbe in Olbecs Gesicht verdickte sich zu einem purpurfarbenen Strick. «Neunundsechzig Pfund Gold! Mein gesamter Besitz ist kein Zwanzigstel davon wert. Gott weiß, selbst König William hätte Schwierigkeiten, solch eine Summe aufzubringen.»

«Und», fügte Drogo hinzu, «Ihre Majestät würde die Staatskasse nicht leeren, um einen Ritter auszulösen, der für die Ketzer gekämpft hat, während die treuen Lehnsmänner des Königs Williams Sache in England vorangebracht haben.»

Margaret warf ihm einen bösen Blick zu. «Du willst Walters Tod.»

«Er bringt Schande über unseren Namen. Bei Gott, wenn ich in dieser Schlacht gewesen wäre, hätte ich mir lieber die Kehle durchgeschnitten, als mich von Barbaren festsetzen zu lassen, die an den Zitzen ihrer Pferde saugen.»

«Mein Sohn ist so gut wie tot», jammerte Margaret.

«Es gibt noch eine andere Möglichkeit», sagte Hero.

Sie beugten sich wieder vor.

Langsam genoss es Hero, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. «Neben dem Kriegshandwerk findet der Emir sein größtes Vergnügen in der Falknerei und der Jagd. Er rühmt sich damit, die wertvollsten Falken in der islamischen Welt zu besitzen. Er würde auf die vorgenannten Forderungen verzichten, sollte er stattdessen zwei zueinander passende Pärchen Gerfalken bekommen, deren Gefieder so weiß sein muss wie die Brüste einer Jungfrau oder der erste Schnee des Winters.»

Lady Margaret brach die gedankenvolle Stille, die sich ausgebreitet hatte. «Was ist ein Gerfalke?»

«Der größte, seltenste und edelste der Falkenvögel. Sein Gefieder kann unterschiedlich gefärbt sein, von kohlschwarz bis zu makellosem Weiß. Die hellsten und deshalb kostbarsten Gerfalken leben in den nördlichsten Gebieten der Welt, in Hyperborea, auf den isländischen und grönländischen Inseln. Die Portugiesen nennen sie letrados, weil ihre Gefiederzeichnung an die Buchstaben eines Manuskripts erinnert. Bei den Byzantinern dagegen werden sie als …»

Vallon versetzte ihm einen Tritt. «Was mein Diener sagen will, ist, dass vier weiße Falken die Sicherheit Eures Sohnes gewährleisten.»

Olbec entgegnete mit aufkeimender Hoffnung: «Vier Falken klingt nicht zu übertrieben. Was kosten sie?»

«Die schönsten Exemplare erbringen so viel wie zwei gute Kampfrösser.»

Olbec wand sich. «Nun, diesen Preis scheint mir das Glück meiner Dame wert.»

«Der Preis wird viel höher sein», sagte Drogo. Er bedachte Hero mit einem drohenden Lächeln. «Sag uns, Grieche, wie kommen wir an vier Gerfalken, die so weiß sind wie die Brüste einer Jungfrau und die am Ende der Welt leben?»

«Herr, manche fliegen Richtung Süden, um dem Winter zu entkommen, und werden in einer norwegischen Tiefebene eingefangen. Die norwegischen Könige halten sie als Geschenk für befreundete Herrscher zurück.»

«Dann mache ich bei William eine Eingabe, damit er um ein königliches Geschenk nachsucht.» Olbec rieb sich die Hände. «Das wäre geregelt.»

Margaret, die Hero nicht aus den Augen ließ, zupfte ihren Mann am Ärmel. «Ich lese ein ‹aber› in seinen Augen.»

Auch Olbec las es nun. Sein Lächeln erstarb. «Wo liegt das Problem? Stehen wir mit Norwegen im Krieg?»

Vallon schaltete sich ein. «Die Falken werden nicht vor Oktober gefangen. Dann wird es zu spät sein. Der Emir hat mit einem Konkurrenten eine Wette darüber abgeschlossen, wer die edelsten Falken besitzt. Die Prüfung der Falken soll im nächsten Herbst stattfinden.»

«Und wenn die Tiere nicht rechtzeitig dort sind?»

«Dann wird Euer Sohn vermutlich als Sklave verkauft. Aber weil ihm der Emir gewogen ist, wird er wohl seine Hoden behalten dürfen.»

Margaret schwanden die Sinne. Olbec fing sie auf. Sie richtete sich wieder auf und sah ihm ins Gesicht. «Wir müssen unsere eigene Expedition zu diesen Inseln schicken.»

«Ich weiß doch nicht einmal, wo sie liegen.»

«Island liegt eine Wochenreise nördlich von Britannien», sagte Hero. «Und Grönland liegt eine weitere Woche entfernt im Nordwesten.»

«Sie treiben doch bestimmt Handel mit zivilisierten Ländern», drängte Margaret weiter.

«Ja, Milady. Jeden Sommer legt eine Händlerflotte von Norwegen ab, um nach Island zu segeln, und sie kehren vor den Herbststürmen zurück. Zu dem Handelsgut, das sie dann mitbringen, gehören gewöhnlich auch Gerfalken.»

«Das ist die Lösung!», rief Margaret aus.

«Und wie sollen die Falken nach Anatolien kommen?», wollte Drogo wissen.

Margaret deutete auf Vallon. «Auf demselben Weg, auf dem dieser Mann hierhergekommen ist.»

«Es hat ihn ein halbes Jahr gekostet, uns dieses Pergament zu bringen. Es wird sicher viel länger dauern, Falkenvögel über Land nach Anatolien zu schaffen.»

«Es gibt noch eine andere Route», sagte Hero. «Eure Ahnen, die Nordmänner, haben sie entdeckt. Sie wird die Straße zu den Griechen genannt.»

Mit einer Handbewegung forderte Olbec Hero zum Weitersprechen auf.

«Von Norwegen aus würden die Falken über das Baltische Meer nach Nowgorod verschifft, ein nördlich gelegenes Handelszentrum im Lande der Rus. Dann, nach mehreren Etappen, bei denen das Schiff in sogenannten Portagen über Land getragen wird, kämen sie Richtung Süden nach Kiew. In dieser Hauptstadt Russlands würden sie an eine der Händlerflotten übergeben, die den Dnjepr hinunter zum Schwarzen Meer fahren. An der Küste angekommen, würden sie auf einem weiteren Schiff nach Konstantinopel gebracht werden.» Hero stellte fest, dass ihm seine Zuhörer nicht mehr folgten. «Und von dort aus», sagte er abschließend, «würden sie ihre Reise nach Anatolien vollenden.»

Niemand sagte ein Wort. Hero ahnte, dass die anderen ihre Vorstellungskräfte wie Wellen über die Horizonte ihres Weltbildes hinausschickten. Island. Grönland. Russland. Das Schwarze Meer. Geheimnisvolle Stadtstaaten mit fremdartigen Namen irgendwo in entlegenen Weltgegenden. Sogar Drogo hatte es die Sprache verschlagen.

«Die Fahrt kann in drei Monaten durchgeführt werden», fügte Hero hinzu. «Jedenfalls habe ich das gehört.»

Lady Margaret deutete auf Vallon. «Kennt Ihr diese Route?»

«Nur aus zweiter Hand. Ich habe in Kastilien einen alten Wikinger, der die Reise vor fünfzig Jahren gemacht hat, über all die Gefahren sprechen hören, die einen auf dem Weg erwarten. Er ist in Nowgorod mit mehr als vierzig Gefährten aufgebrochen, allesamt hartgesottene Krieger. Sie haben eine Ladung Sklaven verschifft. Innerhalb von Tagen waren sie in die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden russischen Fürsten verwickelt. Sie haben ein Schiff samt Mannschaft verloren, noch bevor sie die Hauptstadt erreichten. Südlich von Kiew gibt es mehrere Stromschnellen. Der alte Wikinger hat mir einige ihrer Namen genannt. Eine wurde Die Siedende genannt, eine Die Gellende und eine Die Unersättliche. Die reißenden Ströme forderten das Leben von sechs weiteren Männern. Nachdem die Wikinger in ruhigerem Wasser angekommen waren, fanden sie sich in einer Gegend wieder, die von wilden Nomaden unsicher gemacht wurde. Tag für Tag mussten sie sich mit berittenen Bogenschützen herumschlagen. Von den vierzig Wikingern, die sich in Nowgorod auf den Weg gemacht hatten, erreichten nur elf das Schwarze Meer. Und von ihrer Sklavenfracht hatte kein Einziger überlebt.» Vallon zuckte mit den Schultern. «Das Glück war diesem Nordmann wirklich nicht hold. Ein paar Monate später wurde er von maurischen Piraten gefangen gesetzt.»

«Das war vor fünfzig Jahren», sagte Margaret mit dünner Stimme. «Vielleicht haben sich die Zustände inzwischen verbessert.»

«Es sind ja nicht nur die Gefahren», stöhnte Olbec. «Denke einmal an die Kosten.»

«Wir können zu den Geldverleihern in York gehen.»

«Wir haben York vor zwei Wintern niedergebrannt», erinnerte sie Drogo.

«Dann Lincoln, Paris, Mailand, wenn nötig. Das ist mir gleich!» Margaret massierte sich die Schläfen.

«Milady, eine Anleihe würde mit unserem Besitz abgesichert, dem beweglichen und dem unbeweglichen», sagte Olbec. «Wir könnten unsere ganze Habe verlieren.»

Margaret fuhr den Grafen an: «Und ich könnte meinen Sohn verlieren. Ich flehe dich an, rette ihn. Wenn du es nicht tust, gehe ich in die Normandie zurück und trete ins Kloster ein.» Sie griff sich an den Hals. «Nein, ich schlucke Gift. Ich könnte nicht mit dem Gedanken leben, dass meine Familie nichts zur Rettung meines Erstgeborenen unternommen hat.»

Olbec fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. «Selbst wenn wir das Geld aufbringen könnten, wer sollte auf diese Expedition gehen? Wer sollte sie anführen? Ich bin mit meinen alten Verletzungen nicht mehr imstande, solch eine Reise zu unternehmen, und Drogos Dienste sind von William für den schottischen Feldzug angefordert worden.»

Darauf hatte Margaret keine Antwort.

Vallon fing Heros Blick auf. «Ihr werdet heute Nacht sicher keine Lösung für dieses Problem mehr finden», entgegnete er Olbec. «Unsere Aufgabe ist erfüllt. Mit Eurer Erlaubnis ziehen wir uns jetzt zurück.»

Drogo verstellte ihm den Weg. «Ich bin noch nicht fertig mit dir.»

«Lass sie gehen, damit sie sich ausruhen können», befahl Olbec.

«Er ist ein Söldner. Er ist nicht aus Liebe zu Walter hierhergereist.»

«Das stimmt», sagte Vallon. «Dein Bruder hat mir geschworen, dass meine Mühen großzügig entlohnt werden würden. Er hat mit seinem reichen Erbe geprahlt.» Vallons Blick wanderte über die groben Holzwände. «Wenn ich die Wahrheit geahnt hätte, dann hätte ich ihn dort verrotten lassen.»

Olbec kämpfte sich auf die Füße. «Ihr verdient eine Belohnung, aber Ihr habt gehört, wie die Dinge stehen. Dennoch erkenne ich einen guten Kämpfer, wenn ich ihn vor mir habe. Reitet mit uns auf den schottischen Feldzug. Dort im Norden wird Beute gemacht, und ich schwöre, dass ein ansehnlicher Teil des Gewinns an Euch geht.»

Vallon neigte den Kopf. «Ihr schmeichelt mir, aber in diesem Klima wird mein Schwertarm steif und schwerfällig. Ich folge dem Wind, sobald er nach Süden dreht.»

Unwillig gab Olbec nach. «Dann kann ich Euch nicht mehr bieten als meinen Dank und freies Geleit.»

Vallon verneigte sich.

Drago knurrte. «Ich werde dich persönlich eskortieren.»

«Macht Euch keine Gedanken darüber, dass Ihr das Angebot des Alten abgelehnt habt», sagte der Waffenknecht, der sie hinausbegleitete. «Ihr findet vielleicht Northumbrien schrecklich, aber Schottland erst – das ist ein Drecksloch. Die Eingeborenen dort fressen dasselbe wie ihre Pferde und wohnen in Katen, in die ich nicht einmal ein Schwein …»

«Drogo und Walter sind Stiefbrüder», unterbrach ihn Vallon.

Der Waffenknecht lachte in sich hinein. «Klingt so, als hätte Sir Walter vergessen, Euch das zu erzählen.»

«Ja», sagte Vallon mit gespieltem Groll. «Er hat behauptet, er sei der einzige Erbe.»

«Das stimmt auch. Drogo ist der älteste Sohn der ersten Frau unseres Herrn, eines Bauernmädchens aus dem nächsten Dorf. Sie ist bei Richards Geburt gestorben. Vermutlich hat sie nur einen Blick in sein Gesicht geworfen und vor Abscheu den Lebensmut verloren. Lady Margaret war ebenfalls schon verheiratet. Mit vierzehn wurde sie Witwe, da war sie mit Walter schwanger. Sie kommt aus einem viel besseren Stall. Ihre Familie besitzt Ländereien bei Evreux. Aber jetzt kommt das Seltsame. Walter und Drogo wurden an demselben Tag geboren. Sind also auf eine Art Zwillinge.»

«Und Rivalen.»

«Haben gekämpft und gestritten, seit sie krabbeln konnten. Hätten sich inzwischen umgebracht, wenn Lady Margaret Walter nicht dazu gebracht hätte, von hier wegzugehen.» Der Waffenknecht lachte. «Also ist ihr Goldjunge am Leben. Das überrascht mich nicht. Der könnte sich noch aus der Hölle herauslavieren. Aber Euch muss ich nicht erzählen, was für eine glatte Zunge er hat. Hier wären wir», sagte er und stieß mit übertriebener Grandezza die Tür zu einem Schuppen auf. «Die Gästesuite.»

Sauberes Binsenstreu bedeckte den Boden. Ein Becken mit Wasser dampfte auf einer Kohlenpfanne. Kleidung war auf zwei Schlafpodesten ausgelegt worden.

Der Waffenknecht lehnte sich an die Tür. «Ihr habt nicht gesagt, woher Ihr kommt.»

«Aus Aquitanien», sagte Vallon und schob ihn hinaus. «Davon hast du bestimmt noch nie gehört.»

Hero ließ sich auf sein Lager fallen. Jeder seiner Knochen, jeder Muskel schrie nach Schlaf. Während ihm immer wieder die Augen zufielen, sah er Vallon beim Ausziehen und Waschen zu. Wo ihn die Kleidung vor dem Wetter geschützt hatte, war sein Körper weiß wie ein geschälter Stock. Hero kamen die Kriegerbilder in den Sinn, die in die Wände der Kathedrale von Salerno gemeißelt waren.

Vallon rüttelte ihn an der Schulter. «Hast du dich beschmutzt, als die Normannen auf uns losgegangen sind?»

Schläfrig murmelte Hero: «Nein, Herr.»

«Aber auch so bist du schmutzig. Wasch dich. Danach fühlst du dich wohler.»

Hero schleppte sich zu dem Wasserbecken hinüber.

Vallon gähnte. «Drogo wird uns noch Schwierigkeiten machen.»

Hero überlief ein Schaudern. «Er ist wie ein wildes Tier.»

Vallon lachte. «Er wurde offenbar mit einem Wespennest im Haar und einem Wolf in der Kehle geboren. Andererseits – versetze dich einmal an seine Stelle. Wir haben ihm die schlechtesten Nachrichten überbracht, die man sich nur vorstellen kann.»

Hero wandte sich um. Vallon hatte sich auf dem Rücken ausgestreckt. Das Schwert lag an seiner Seite.

«Herr, in Anbetracht der Tatsache, dass wir ihm ausgeliefert sind, scheint Ihr bemerkenswert unbesorgt.»

Vallon schwieg einen Moment und sagte dann: «Lady Margaret ist eine sehr entschlossene Dame, findest du nicht auch?»

«Ja, Herr. Woher wusstet Ihr, dass sie unter den Reitern war, die uns zu Hilfe gekommen sind?»

«Weil ich ihr unser Erscheinen schriftlich angekündigt hatte.»

Es versetzte Hero einen Stich, dass ihm Vallon davon nichts gesagt hatte. «Ihr seid ein großes Risiko eingegangen, Herr. Ihr hättet in Durham abwarten sollen, bis sie nach uns schickt.»

«Ich war nicht sicher, wie viel Einfluss Drogo hat. Was, wenn wir abgewartet hätten, um dann von Drogo abgeholt zu werden? Er wäre mit erschütternden Neuigkeiten zur Burg zurückgekehrt … von einem Hinterhalt auf einem einsamen Weg, erschlagenen Fremden …» Vallon wedelte mit der Hand.

Hero ließ sich wieder auf sein Lager fallen. Er war so müde, dass ihm die Bedeutung dessen, was Vallon gesagt hatte, nicht sofort klar wurde. Dann fuhr er wieder hoch. «Ihr wusstet auch über Drogo Bescheid?»

«Ich habe mich in London nach der Familie erkundigt. Ich bin nämlich nicht töricht genug, mich einfach ins Unbekannte zu stürzen.»

Heros Mund war zu einem vorwurfsvollen Strich zusammengepresst.

Vallon sah zu ihm herüber. «Ich wollte dich nicht mit noch mehr Ängsten belasten.»

«Danke für Eure Rücksichtnahme», sagte Hero gepresst.

Vallon lächelte. «Wenn dir das ein Trost ist, kann ich dir sagen, dass du dich besser gehalten hast, als ich erwartet hätte. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich nicht gedacht, dass du auch nur bis zum Ärmelkanal durchhältst.»

Heros Lippen bebten nach diesem zweideutigen Kompliment. «Dann seid Ihr nicht verärgert über mich.»

«Weswegen sollte ich verärgert sein?»

«Weil ich Euch zu diesem schrecklichen und unprofitablen Vorhaben überredet habe.»

«Du hast mich zu gar nichts überredet», sagte Vallon. Er streckte die Hand aus und erstickte die Flamme in der Lampe. «Wenn irgendwer daran die Schuld trägt, dann ist es dieser einäugige Magier, den wir in den Alpen begraben haben.»

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