LII

Als er wieder aufwachte, war es vollkommen still. Die Lampen um das Bett brannten ohne das geringste Flackern, und die Vorhänge hingen bewegungslos herab. Angespannt bemühte er sich darum, Caitlin nicht zu wecken, als er seinen Arm unter ihrem Nacken hervorzog. Sie murrte leise und legte sich den Unterarm übers Gesicht. Er zog sich an und betrachtete sie dann noch einmal. Seine Hand bewegte sich auf ihr Gesicht zu, doch er zog sie wieder zurück, ohne Caitlin berührt zu haben. Im Schlaf seufzend warf sie den Arm über die Stelle, an der er eben noch gelegen hatte. War das Schlaf?

Er drückte die Lampendochte zwischen Daumen und Zeigefinger aus, teilte die Vorhänge und ging hinüber zu Caitlins Ankleidetisch. Dort zog er einen der beiden Silberbeutel aus seinem Waffenrock und legte ihn neben ihre Ansammlung von Pudertiegeln und Parfumfläschchen. Er hörte, wie sie sich im Bett umdrehte, und hielt den Atem an. Was sollte er tun, wenn sie nach ihm riefe? Doch Caitlin schnarchte nur leise, und er entspannte sich. Einen letzten Blick warf er noch auf sie, dann ging er aus dem Zimmer, stahl sich den leeren Gang hinunter und hinaus in die ruhige Nacht. Dort blieb er einen Moment lang stehen, legte den Kopf zurück und schaute zum Firmament hinauf.

Die Seldschuken hatten bis auf ein letztes Areal schon das gesamte Zeltlager geräumt. Eine Reiterkolonne trabte im Osten davon. Noch immer arbeiteten Knechte am Pavillon des Emirs und zogen die Zeltbahnen der Vorzimmer von den Gestängen. Am nächsten Morgen um diese Zeit würde sich der Pavillon stolz mitten in Konya erheben.

Der Thronraum war das letzte Zimmer des komplizierten Aufbaus, der noch stand. Vallon fragte eine der Wachen, ob er Suleiman sprechen könne, und nach einer Weile tauchte Chinua auf, um ihn zum Emir zu begleiten. Nur ein halbes Dutzend Offiziere und Berater waren noch mit dem Emir im Lager. Beim Anblick Vallons winkte er sie zur Seite.

«Ihr habt Eure Meinung geändert. Sehr gut.»

«Ich komme gerade von Caitlin.»

Suleiman nahm ihn am Ellbogen und führte ihn außer Hörweite seiner Männer. «Aus ihrem Bett.» Das war keine Frage.

«Ja.»

Suleiman verzog wütend das Gesicht. «Ihr kommt direkt zu mir, nachdem Ihr sie bestiegen habt! Ich kann sie an Euch riechen. Wenn Ihr gekommen seid, um mir das unter die Nase zu reiben …»

«Ich begehre Caitlin mehr als irgendetwas sonst, aber ich weiß, dass Liebe nicht genügt. Ich kann sie nicht auf die Weise versorgen, auf die Ihr es könnt, auf die Weise, die sie immer wollte. Ich habe ihr erklärt, welche Vorteile es für sie hat, wenn sie bleibt, und im Verhältnis dazu meine eigenen bescheidenen Aussichten geschildert. Ich bin gekommen, um zu bekräftigen, dass ich meinen Teil der Abmachung einhalte, und um Euch zu bitten, auch Euren Teil einzuhalten. Ich werde fort sein, bevor sie aufwacht, damit sie in Ruhe ihre Entscheidung treffen kann. Wenn sie sich für Euch entscheidet, so sei es. Aber wenn sie mit mir kommen will, werdet Ihr sie dann gehen lassen?»

Suleiman starrte ihn an, als hätte Vallon den Verstand verloren. «Wenn Ihr sie begehrt, warum nehmt Ihr sie dann nicht einfach mit?»

«Ich muss sicher sein, dass es das ist, was sie will.»

«Wenn ich nicht wüsste, dass Ihr Euch durch die wildesten Gegenden dieser Erde geschlagen habt, würde ich Euch einen Feigling nennen. Dient in meiner Armee, und innerhalb von zwei Jahren habt Ihr genügend Reichtum erworben, um vier Frauen ein Leben im Luxus zu bieten.» Suleiman beobachtete Vallons Gesicht. «Ich kann mich einfach nicht entscheiden, ob ich Euch für einen Schwindler oder einen Narren halten soll.» Er klopfte Vallon mit dem Handrücken auf die Brust. «Ich habe zu viel zu tun, um noch mehr Zeit mit dieser Angelegenheit zu vergeuden.» Er gab seinen Wachen ein Zeichen. «Wenn die Frau gehen will, kann sie gehen. Und jetzt geht Ihr besser selbst, bevor Ihr meine Geduld überstrapaziert.»

Hände legten sich auf Vallons Schultern und steuerten ihn aus dem Pavillon. Faruqs Stimme folgte ihm in die Nacht. «Versucht nicht noch einmal, mit Seiner Exzellenz zu schachern, wenn Euch Euer Leben lieb ist.»

Vallon ging langsam durch das Lager. Eine Mischung aus Hochgefühl und düsteren Ahnungen erfüllte ihn. Suleimans Elitetruppen saßen im Licht von Lagerfeuern im Kreis, die gesattelten Pferde dicht hinter sich. Einige der Soldaten hoben die Hand, als Vallon vorbeikam. Am Osthimmel begann eine graue Dämmerung. Vallon ging in sein Zelt und tastete sich zu seinem Lager.

«Es ist nicht nötig, leise zu sein», sagte Hero. «Ich war viel zu ängstlich, um schlafen zu können.»

«Du musst keine Angst haben. Es wird gleich hell. Bald sind wir unterwegs.»

Hero stand auf, legte Anmachholz in die Kohlenpfanne und blies Leben hinein. Vallon stellte sich zu ihm an den Flammenschimmer, Helligkeit und Schatten spielten auf ihren Gesichtern.

Hero brach das Schweigen. «Ich habe nachgedacht. Wenn wir das Evangelium heute nicht in die Hände bekommen, haben wir keine zweite Gelegenheit, danach zu suchen. Wir könnten höchstens Wayland bitten, es zu holen und zu uns nach Konya zu bringen.»

«Ich werde nichts tun, was ihn gefährden könnte. Er ist jetzt Suleimans Mann.»

«Habt Ihr die Nacht mit Caitlin verbracht?»

«Ja.»

«Habt Ihr über das Evangelium gesprochen? Kommt sie mit uns?»

«Nein. Ich habe ihr erklärt, dass wir nach etwas suchen und dass ich morgen zurückkomme, wenn wir es gefunden haben.»

«Wird Suleiman das nicht merkwürdig finden – zuerst reitet Ihr zu dem Turm, und dann kehrt Ihr zurück?»

«Er wird nicht mehr hier sein. Er ist dann schon zu seinem Kriegszug aufgebrochen.»

Als das erste Tageslicht die Zeltbahnen heller schimmern ließ, kamen Wayland und Syth mit Brot, Käse und Oliven. Vallon sah zu, wie Syth sich mit der Vorbereitung des Mahls zu schaffen machte, und erinnerte sich an den Abend, an dem er Wayland befohlen hatte, sie wieder an Land zu bringen. Wenn ihm der Falkner gehorcht hätte, wie wäre die Geschichte dann wohl ausgegangen? Ihre Reise hätte in jedem Stadium eine andere Wendung nehmen können.

«Herr?»

Syth beugte sich zu ihm herunter, bot ihm etwas zu essen an und nickte dabei auf ihre unnachahmliche Art. Er streckte die Hand aus und strich ihr über die Wange. «Ach Syth, du wirst mir fehlen.» Dann lächelte er Wayland zu. «Nun teilen wir zum letzten Mal ein Mahl. Es ist schön von euch, dass ihr so früh aufgestanden seid.»

«Wir wollten Eure Abreise nicht versäumen.»

«Wir wären nicht gegangen, ohne euch Lebewohl zu sagen.»

Syth runzelte die Stirn. «Weiß Caitlin, dass Ihr geht?»

«Ja. Wir haben eine Abmachung. Ich hoffe, dass ich in einem Tag zurück bin, um sie zu holen.»

«Warum könnt Ihr sie nicht heute mitnehmen?»

Wayland sah sie an und schüttelte mahnend den Kopf.

Wenig später kam ein Seldschuke mit kantigen Gesichtzügen herein und verkündete, es sei Zeit zum Aufbruch. Sie gingen hinaus. Die Berge zeichneten sich blau gegen einen Himmel aus Stahl und Purpur ab. Ein Trupp Seldschuken galoppierte vorbei, an der Spitze ritt Suleiman. Er riss grob an den Zügeln, sodass sein Hengst mit den Vorderhufen Luft trat, und schwenkte seinen Stab. Dann ritten er und seine Getreuen in einer Staubwolke davon.

Vier schäbig gekleidete Seldschuken, die sie nicht kannten, waren als ihre Eskorte bis zur Grenze eingeteilt worden. Boke, ihr Anführer, sprach kaum ein Wort Arabisch und wirkte leicht beschränkt. Ihre armselige Erscheinung jedoch wirkte auf Vallon ermutigend, denn es deutete darauf hin, dass Suleiman das Interesse an seinen Gästen verloren hatte.

Vallon holte sein Pferd und kehrte mit ihm zu Wayland und Syth zurück. «Jetzt müssen wir uns vorläufig verabschieden.» Er drückte Syth fest an sich.

Sie sah mit ihren großen Augen zu ihm auf. «Ihr werdet doch zurückkommen und Caitlin holen, nicht wahr? Sie liebt Euch. Ich weiß es.»

«Und ich liebe sie.»

Vallon küsste Syth auf die Wangen und schob sie sanft von sich. Dann legte er Wayland die Hand auf die Schulter. «Wer hätte bei unserem Aufbruch gedacht, dass du in den Diensten eines Emirs landest?»

«Mir wäre es lieber, wenn mir die Umstände erlaubten, in Euren Diensten zu bleiben.»

«Nächsten Sommer bist du Vater. Dann hast du bei einem herumziehenden Soldaten nichts zu suchen.»

«Aber der Gedanke, dass wir uns nicht wiedersehen werden, macht mich traurig.»

«Es gibt ein Wiedersehen.»

«Ich meine nicht, wenn Ihr kommt, um Caitlin zu holen.»

«Ich auch nicht.»

«Wo dann? Und wann?»

Vallon schwang sich in den Sattel. «Hier oder in der anderen Welt.»

Erste Sonnenstrahlen krochen über die Hochebene. Vallon betrachtete seinen Wetterring, so wie er es auf der Reise jeden Tag getan hatte. Zu diesem Ritual hatte auch gehört, dass er den Ring am Finger drehte. Nun aber runzelte er die Stirn. «Das ist Hexerei», sagte er und hielt den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger hoch. «Er lässt sich abziehen, nun, wo unsere Reise zu Ende ist.»

Hero lachte. «Wir haben immer noch ein paar Tagesritte vor uns. Was sagt er über die Wetteraussichten?»

Vallon musterte den Edelstein. «Gutes Wetter, würde ich sagen.»

Hinter der Eskorte entstand Unruhe. Eine Reihe Kamele trottete auf dem Weg zur Straße nach Konya vorbei.

«Vallon!», schrie Caitlin. «Vallon!»

Er zerrte vor Überraschung hart an den Zügeln. Die Seldschuken wendeten ihre Pferde. Zwischen ihnen hindurch sah er Drogo vor den Frauenunterkünften stehen. Er hatte Caitlin gepackt, hielt ihr sein Schwert quer über die Kehle, und beide waren mit Blut bespritzt. Die Seldschuken zogen sich schon die Bögen von den Schultern und hoben die Lanzen. Boke trieb sein Pferd zum Angriff vor.

«Halt!», rief Vallon. «Sagt ihm, er soll stehen bleiben.»

Wayland brüllte etwas auf Türkisch, und Boke scherte nur zwanzig Schritt vor seinem Ziel seitlich aus.

Vallons Herz raste. Er hielt die Seldschuken mit einer Geste zurück. «Keiner rührt sich. Wayland, sorg dafür, dass sie das verstehen.»

Dann nahm er einem der Seldschuken eine Lanze aus der Hand und ritt langsam auf die beiden zu.

«Lass sie los, Drogo.»

Der Normanne verzerrte das Gesicht in der wütenden Anstrengung, Caitlin festzuhalten. Sie trat um sich, kämpfte, und es gelang ihr, ihn in den Unterarm zu beißen. Er rammte ihr den Schwertknauf ins Gesicht, und sie sackte in seinem Griff zusammen.

Vallon blieb stehen. «Du hast gesagt, du hättest bekommen, was du wolltest. Walter ist tot, das Erbe gesichert.»

«Ich habe meine Meinung geändert. Meine Ehre ist wichtiger.» Drogo sprach schleppend, seine Augen waren blutunterlaufen.

«Du findest es ehrenvoll, eine Frau zur Geisel zu nehmen?»

«Die Hure wird mein Rachewerkzeug.»

«Lass sie gehen, dann schenke ich dir dein Leben. Ich habe Suleiman Geld gegeben, damit du nach Byzantium gehen kannst. Und zwar in Würde, nicht als Bettler.»

Drogo lachte höhnisch und deutete mit der Schwertspitze auf Vallon. «Genau das macht mich rasend. Dein Mitleid. Du hast mich einmal zu oft gedemütigt.»

Vallon ritt wieder etwas näher. «Du gewinnst deinen Stolz nicht wieder, indem du Caitlin umbringst. Noch bevor sie tot zu Boden sinkt, wirst du von Pfeilen durchbohrt sein, und ich werde weiterleben, um deine Leiche durch den Dreck zu schleifen.»

«Ich lasse Caitlin nur frei, wenn du einem Kampf Mann gegen Mann zustimmst.»

«Du bist betrunken. Und sogar nüchtern hättest du keine Chance gegen mich.»

«Dann hast du ja nichts zu befürchten.»

«Wenn du Glück hättest, und mir einen tödlichen Hieb versetzen könntest, würdest du deinen Sieg keinen Augenblick genießen, weil die Seldschuken dich schon erledigt hätten.»

«Also habe ich nichts zu verlieren.» Drogo zerrte Caitlins Kopf zurück und drückte ihr wieder sein Schwert an die Kehle. «Ich schwöre bei Gott …»

«Ich kämpfe gegen dich.» Vallon drehte sich nach Wayland um. «Sag Boke und seinen Männern, sie sollen sich nicht einmischen. Erklär ihnen, dass es um eine Fehde geht, die nur im Zweikampf beendet werden kann.» Dann wandte er sich wieder an Drogo. «Und jetzt lass sie los.»

Drogo stieß Caitlin zur Seite. Sie stolperte weg, hielt sich mit der Hand das Gesicht. Syth eilte zu ihr, legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie zu den anderen.

«Setzt Euer Leben nicht aufs Spiel!», rief Hero. «Überlasst ihn den Seldschuken.»

Vallon hob die Hand. «Mein Wort gilt etwas, oder es gilt nichts.»

Stille senkte sich auf den Kampfplatz, durchschnitten nur von dem scharfen, hellen Ruf eines Milans, der über ihren Köpfen dahinzog. Die Sonne war beinahe vollständig über den Horizont gestiegen. Am Rande nahm Vallon wahr, dass die seldschukischen Arbeiter in Grüppchen stehen blieben und die Szene verfolgten. Drogo war etwa vierzig Schritt von ihm entfernt, und zwischen ihnen befand sich nur freie Fläche. Vallon balancierte die Lanze aus und trieb sein Pferd voran.

«Steig ab», sagte Drogo.

«Wir kämpfen wie in der Winternacht, in der wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Du hast auf dem Pferd gesessen und deinen Männern befohlen, mich flussabwärts zu schleppen und mir dort die Kehle durchzuschneiden. Ich habe dich trotzdem besiegt. Hast du Angst, nicht zu schaffen, was ich geschafft habe?»

Drogo zog sein Schwert. «Ich besiege dich auf jede Art, die du vorschlägst.»

Vallon trieb sein Pferd mit den Fersen zum Trab an. Zwanzig Schritt vor Drogo ließ er es in leichten Galopp fallen und hob seine Lanze. Drogo verlagerte sein Körpergewicht von einem Fuß auf den anderen. Vallon hatte ihn oft genug kämpfen sehen, um zu wissen, dass er sehr gut mit dem Schwert umgehen konnte und sein Geschick in vielen Schlachten verfeinert hatte. Er war ohne Angst und von einer selbstmörderischen Verachtung für das eigene Leben getrieben. Vallon behielt sein Tempo bei. Die Lanzenspitze zeigte auf Drogos Brust. Er war sicher, dass sich sein Ziel im letzten Augenblick vor der Lanze wegducken und sofort einen Konter einleiten würde.

Immer näher kam er. Drogo würde nach rechts wegspringen. Vallon korrigierte die Ausrichtung der Lanze, erhob sich im Sattel und stieß sie nach vorn.

In den leeren Raum.

Drogo war in die Hocke gegangen, und als die Lanze harmlos über seinen Kopf hinweggefahren war, sprang er auf und holte mit seinem Schwert zu einem gewaltigen Rückhandhieb aus. Vallon ließ die Lanze fallen und versuchte, sich gleichzeitig aus dem Sattel zu werfen und sein Schwert zu ziehen. Drogos Klinge schlug dem Pferd eine klaffende Wunde in den Oberschenkel. Es schrie auf und wirbelte herum wie eine von der Schlange gebissene Katze, sodass Vallon die Kontrolle verlor. Sein linker Fuß hing noch immer im Steigbügel. Er spürte, wie das Pferd schwankte, kam aber nicht frei. Aus dem Augenwinkel sah er Drogo um die andere Seite herumspringen, um ihm einen tödlichen Hieb zu versetzen, dann raste der Boden auf ihn zu.

Er kam mit der linken Hand zuerst auf und hörte das Knacken, mit dem sein Handgelenk brach. Mit der Rechten hielt er den Schwertgriff umklammert, und er versuchte, sich aus dem Steigbügel zu befreien, als das Pferd über seinem linken Bein zusammenbrach. Mit Ziehen und Zerren bekam er das Bein frei und sah zugleich Drogo auf sich zustürmen. Das Schwert wie eine Krücke einsetzend richtete er sich mühsam auf, linker Arm und linker Fuß waren nicht zu gebrauchen, er war ein stehendes Ziel für Drogo. Rein instinktiv gelang es ihm, den ersten Hieb abzuwehren.

Drogo lachte. «Keine Linkshänder-Tricks heute, was? Keine raffinierte Fußarbeit.»

Vallon konnte sich kaum von der Stelle bewegen, und ihm war übel vor Schmerzen. Drogo griff ihn mit aller Kraft an. Lediglich Vallons überlegene Schwertkunst hielt ihn in Schach. Beim fünften Angriffshieb entdeckte Vallon eine Öffnung in Drogos Deckung, duckte sich und schlitzte dem Normannen in einem so blitzschnellen Gegenschlag den linken Arm auf, dass Drogo kaum mitbekam, was passierte. Er sprang zurück, warf einen Blick auf die Wunde, und grinste. «Du bist gut. Der Beste, mit dem ich je die Klingen gekreuzt habe. Aber immer noch nicht so gut wie ich.» Er ging um Vallon herum, ließ verächtlich sein Schwert vorschnellen. «Mal sehen, wie gut du hüpfen kannst.»

Vallon hatte keine Wahl. Er versuchte, sein Gewicht auf den linken Fuß zu legen, und sank beinahe zu Boden.

«Hopp!»

Vallon verlor das Gleichgewicht und musste sich auf sein Schwert stützen, um nicht hinzufallen. Drogo packte seinen Schwertgriff mit beiden Händen, ging um Vallons rechte Seite herum, und holte aus, um Vallons Körpermitte zu treffen. Vallon wehrte den Hieb mit seiner Klinge ab und taumelte rückwärts. Sein rechter Fuß blieb an einem vergessenen Zeltpflock hängen, und er stürzte rücklings zu Boden. Er versuchte, sich wegzurollen, aber Drogo stand schon über ihm, das Schwert hoch erhoben.

«Ich hab dir ja gesagt, dass ich dir den Fuß in den Nacken setzen würde.»

Vallon sammelte all seine verbliebenen Kräfte, dann schnellte er mit dem Oberkörper hoch und rammte sein Schwert nach oben. Es lenkte Drogos niederfahrende Klinge ab, drang in seine Magengrube ein und trat an seinem Rücken wieder aus. Beinahe gleichzeitig trafen Drogo drei Seldschukenpfeile in den Oberkörper. Er stürzte auf Vallon, versuchte noch mit den letzten Atemzügen sein Schwert zu heben.

Hufschläge trommelten, und Drogo wurde seitwärts von Vallon geschleudert. Er war von der Keule eines Seldschuken am Kopf getroffen worden, und Hirnmasse quoll aus dem Schädel. Vallon wischte sich eine warme, glibbrige Substanz vom Gesicht und schob sich von Drogo weg. Rufende Menschen liefen auf ihn zu. Dann warf sich Hero neben ihn auf die Knie. «Ich habe Euch doch gesagt, dass Ihr Euer Leben nicht aufs Spiel setzen sollt.»

Vallon versuchte sich aufzusetzen. «Das ist mein Beruf.»

Hero drückte ihn wieder zu Boden. «Nicht bewegen.»

Caitlin hastete zu ihnen, fiel auf die Knie, die Wangen mit blut- und kholverschmierten Tränenspuren überzogen. Er streckte die Hand nach ihr aus. «Hat er dich verletzt? Du bist überall mit Blut bespritzt.»

«Das ist von meinen Dienerinnen. Er ist bei uns eingedrungen, als ich mich angezogen habe.»

«Ich brauche Platz», sagte Hero. Caitlin bettete Vallons Kopf auf ihren Schoß, während Hero ihn untersuchte. Vallon keuchte auf, als Hero sein Handgelenk abtastete.

«Ein glatter Bruch, Gott sei Dank.»

Wayland schnitt Vallons Stiefel auf, und Hero begutachtete den Fußknöchel. «Ich glaube, er ist nicht gebrochen. Ihr habt Euch eine Sehne angerissen.» Er schauderte. «Sehr schmerzhaft.»

Vallon schloss die Augen und atmete tief ein. «Die Schmerzen sind schlimmer als alles, was ich bisher erlebt habe. Du musst mich verarzten, bevor wir aufbrechen.»

«Ihr seid nicht in der Verfassung zu reisen. Euer Knöchel braucht Wochen, um zu heilen.»

«Ich gehe schließlich nicht zu Fuß nach Byzantium. Stell ihn ruhig, und dann brechen wir auf. Wenn wir nicht bald hier wegkommen, schaffen wir es heute nicht mehr bis zu dem Turm.»

Hero schiente Vallons gebrochenes Handgelenk und legte einen festen Verband um seinen Knöchel, Wayland machte ihm eine Krücke. Damit verging der größte Teil des Vormittags. «Es ist ein ganzer Tagesritt bis zu dem Turm», gab Hero zu bedenken. «Es wird lange dunkel sein, bevor wir dort sind. Bleibt heute Nacht hier und ruht Euch aus. Morgen früh reiten wir vorm Hellwerden los, damit Ihr die Strecke so leicht wie möglich bewältigen könnt.»

Vallon sah sich um. Das letzte Zelt war abgebaut, und die Hochebene erstreckte sich verlassen nach allen Seiten. Eine Kohorte berittener Seldschuken bildete einen Schutzkordon um eine Gruppe Frauen. Drogos Leiche lag dort, wo er gestorben war, zusammengerollt wie ein schlafendes Kind. Ein burgunderroter Fleck hatte sich um seinen Kopf herum auf dem Sandboden ausgebreitet. «Wir können hier nirgends bleiben. Wir haben genügend Zeit, um vorm Dunkelwerden zu der Karawanserei zu kommen.»

Hero und Wayland halfen ihm auf die Füße. Boke führte ein Ersatzpferd heran, und Hero wuchtete Vallon zusammen mit Wayland in den Sattel.

Caitlin klammerte sich an sein Bein. «Nimm mich mit.»

«Ich habe dir schon gesagt, dass ich dich holen komme, wenn ich gefunden habe, was ich suche.»

«Was ist das denn für ein Ding, das sogar wichtiger ist als ich?»

«Hast du das Silber gefunden?»

«Was für eine Beleidigung. Die Bezahlung für eine Nacht mit einer Hure.»

«Ich habe es dagelassen, damit du frei beschließen kannst, allein nach Konstantinopel zu reisen. Suleiman wird dich nicht daran hindern.»

Caitlin trat zurück und wischte sich mit der Hand über die Augen. «Warum behandelst du mich wie ein Gepäckstück? Hat dir die letzte Nacht überhaupt nichts bedeutet?»

«Sie hat mir alles bedeutet.»

Boke hatte genug. Ein Mordversuch an einem Mann, mit dessen Schutz er beauftragt war, und nun auch noch dieser unziemliche Streit mit einer halbbekleideten, dafür über und über mit Blut bespritzten Frau. Er rief einen Befehl, und seine Männer trieben die Pferde der Fremden an.

Vallon drehte sich nach Wayland und Syth um. «Passt aufeinander auf!», rief er. «Vergesst uns nicht in euren Gebeten und werdet nicht zu hochmütig.»

Caitlin rannte ihm nach. «Verlass mich nicht!» Dann blieb sie stehen und schleuderte ihm ihren Pantoffel hinterher. «Komm zurück, du Bastard!»

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