LIII

Vallons Verletzungen zwangen ihn dazu, im Schritttempo zu reiten, und es war schon lange dunkel geworden, als sie in der Karawanserei ankamen. Er verbrachte dort eine schmerzgeplagte Nacht, und schon vor dem Morgengrauen waren sie wieder unterwegs. Sie kamen zum Salzsee, als die Sonne wie eine blutgefüllte Blase am jenseitigen Ufer aufging, und ritten weiter nordwärts. Vallon hielt die Zügel mit einer Hand, sein linker Fuß steckte nicht im Steigbügel, und trotzdem fand er keine Haltung, bei der er keine Schmerzen hatte. Den Seldschuken ging alles viel zu langsam, es empörte sie, mit dem Schutz so lästiger Reisender beauftragt worden zu sein. Vallon erklärte Boke, dass sie alleine reiten konnten, doch der Mann hatte seine Befehle und würde sie erfüllen.

Der Ritt am Ufer des Sees entlang nahm viel mehr Zeit in Anspruch, als sie gedacht hatten, und die Dämmerung kündigte sich schon an, als der Festungsturm in Sicht kam. Boke wollte einen Bogen um ihn schlagen. Hero ritt neben ihn und sagte, Vallon könne nicht mehr weiterreiten, sie müssten hier kampieren. Unwillig hielten die Seldschuken an und deuteten auf einen Fluss eine halbe Meile hinter dem Turm.

«Wir schlagen unser Lager hier auf!», rief Hero. Boke sagte, sie könnten seinetwegen auch beim Teufel ihr Lager aufschlagen, und ritt mit seinen Männern weiter.

«Sie glauben vermutlich, dass es in dem Turm spukt», sagte Hero.

«Und das stimmt vermutlich auch.»

Sie musterten die Bastion. Ein Rundturm von über sechzig Fuß Höhe, der sich zu seinem zinnenbewehrten Gefechtsumgang hin konisch verjüngte und von den bröckelnden Mauern verlassener Kasernengebäude umgeben war.

«Wozu hat die Anlage gedient?», fragte Hero.

Vallon sah rechts und links die einsame Straße entlang. «Sie muss eine Relaisstation mit Meldeturm gewesen sein.»

«Es wird bald dunkel. Wir haben nicht viel Zeit.»

Die Seldschuken hatten ihren Pferden die Vorderhufe zusammengebunden und begannen, ein Zelt aufzubauen. «Sie werden misstrauisch, wenn wir in den Turm gehen, bevor wir uns für einen Lagerplatz entschieden haben», sagte Vallon. «Such Feuerholz.»

Er blieb im Sattel, während Hero nach Holz suchte. Die Sonne berührte schon den Horizont, als er zurückkam und Vallons Pferd zum Turm führte. Hero half ihm aus dem Sattel, und er sank zu Boden, das Gesicht eingefallen vor Schmerz. Hero fühlte an Vallons Stirn, ob er Fieber hatte, und streckte dann die Hand aus, um den Puls zu messen. «Ich wusste, dass Ihr Euch mit dieser Strapaze überanstrengen würdet.»

«Kümmere dich nicht um mich. Hol das Evangelium.»

Hero spähte durch den Bogendurchgang in den Turm. Mit klatschenden Flügelschlägen flatterten Tauben durch das eingestürzte Dach in den Himmel. Überall hing der modrige Geruch nach ihrem Kot. Irgendetwas wuselte über die Mauersteine, die auf dem Boden lagen. Ein guter Teil des Schutts stammte von der Treppe, die sich wie eine Spirale an den uralten Wänden emporwand.

Vallon schleppte sich hinein und stützte sich mit der rechten Hand an der Wand ab. Sein Blick wanderte forschend durch die Düsternis. «Es ist zu dunkel, um etwas zu sehen. Warte, bis es hell wird.»

bis es hell wird, ertönte ein schwaches Echo.

«Das ist unsere einzige Gelegenheit», sagte Hero. «Die Seldschuken wollen vor der Morgendämmerung aufbrechen.»

Er entzündete ein Öllämpchen und suchte sich über die Steintrümmer einen Weg zu der Treppe.

«Ich kann dir nicht helfen», sagte Vallon. «Bist du sicher, dass du das schaffst?»

Hero drehte sich mit einem schwachen Lächeln zu ihm um. «Bleibt hier und warnt mich, wenn die Seldschuken kommen.»

Vallon warf einen Blick durch den Torbogen hinaus auf das Lagerfeuer der Seldschuken. «Sie halten das hier für ein Grabmal. Keine zehn wilden Pferde könnten sie hierherbringen.»

Hero hob die Lampe und folgte seinem Schatten die Treppe hinauf. Zögernd und vor sich hin murmelnd stieg er über die Lücken in der Stufenfolge. Einige der Mauersteine wackelten unter seinem Gewicht, und er kroch auf allen vieren weiter. Dann kam er an eine Stelle, an der ein Dutzend Stufen ausgebrochen waren, sodass nur noch eine steile Schräge voller Geröll aus der Wand ragte. Bebend atmete er ein und setzte, mit dem Rücken zur Tiefe, einen Fuß auf den Ansatz der Schräge. Dann schob er sich hinauf und tastete sich dabei mit den Händen an der Wand entlang. Er hatte die nächste Stufe beinahe erreicht, als sich das Geröll unter seinem Fuß löste. Mit letzter Kraft warf er sich in Richtung der nächsten Treppenstufe und klammerte sich daran. Steine polterten auf den Boden des Turms hinunter. Seine Lampe war ausgegangen.

«Alles in Ordnung? Wo bist du?», rief Vallon.

Hero zog sich hinauf in Sicherheit. «Ich habe ungefähr die Hälfte geschafft. Ein paar von den Stufen fehlen.»

«Wenn du dir das Genick brichst, verzeihe ich es dir niemals.»

Hero lachte. «Wartet, bis ich meine Lampe wieder angezündet habe.» Er entzündete die Flamme neu und sah, dass er beinahe das gesamte Öl verschüttet hatte. Er spähte nach oben. «Das war das schlimmste Stück. Die Stufen weiter oben sehen ganz gut aus.»

Mit angstfeuchten Handflächen stieg er weiter auf. Eine kurze Bewegung ließ ihn zusammenzucken, doch es war nur eine Fledermaus, die durch das Licht seiner Lampe ihre unsteten Bahnen zog. Dann hatte er die oberste Treppenstufe erreicht und fand sich auf den Überresten eines Umgangs wieder. Die ersten hellen Abendsterne blinkten durch die Löcher im Dach. Er schob sich den Rundgang entlang und bewegte dabei seine Lampe vor der Wand auf und ab. Ein Stein, in den ein Löwe gemeißelt war, hatte Walter gesagt. Die Flamme war zu kümmerlich, um irgendwelche Einzelheiten zu beleuchten, die weiter als zwei Fuß von ihr entfernt waren. Dann kam Hero an eine Abbruchlücke in dem Rundgang und hielt die Lampe so weit darüber, wie er es nur wagte. Ein Stein kollerte in die Dunkelheit hinab.

«Hero?»

«Ich kann nichts sehen. Das Licht ist erbärmlich.»

«Morgen früh sage ich Broke, dass ich zu krank zum Weiterreiten bin. Dann hast du genügend Zeit, bei Tageslicht zu suchen.»

«Ich weiß nicht, ob ich noch einmal den Mut aufbringe, hier hochzusteigen.»

Hero arbeitete sich zum Anfang der Treppe zurück, ohne den verzierten Stein zu finden. Er setzte sich auf die oberste Stufe, stellte die Lampe neben sich und zischte ärgerlich vor sich hin. Das Evangelium musste in seiner Nähe sein, wahrscheinlich nur eine Armeslänge entfernt.

Die Lampe flackerte, und die Flamme wurde schwächer, die Schatten wurden tiefer. Vorsichtig kippte Hero die Lampe und hielt den Atem an, bis die Flamme wieder heller emporwuchs. Mit einem erleichterten Seufzer sah er auf, und in demselben Moment wurde ihm mit Verzögerung bewusst, was er gerade gesehen hatte. Stirnrunzelnd glitt er auf die nächste Stufe hinunter und fuhr mit der Hand über einen Stein in Kniehöhe. Dann holte er sich die Lampe heran und erkannte das gemeißelte Relief einer Löwengestalt, die aufgerichtet auf einer Kugel stand, um die sich Schlangen wanden – Mithras, der persische Sonnengott, den die Römer in ihren Götterkreis aufgenommen hatten.

Vallon schlug einen Flintstein an. Ein Lichtteich breitete sich in der Dunkelheit unter Hero aus.

«Ich habe den Stein gefunden.»

«Gut. Nimm die Dokumente, und dann raus hier. Dieser Turm macht mich verrückt.»

Der Stein gehörte nicht zum ursprünglichen Bau. Walter hatte ihn ohne Mörtel in die Wand eingesetzt, und die Spalten darum waren für Heros Finger breit genug. Ohne Schwierigkeiten zog er den Stein heraus und blickte in eine tiefe Höhlung. Er griff hinein und berührte etwas Glattes und Kaltes. Aufkeuchend zog er die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.

«Was ist?»

«Da ist etwas in der Nische … ich habe ein scheußliches Gefühl …»

Er hob die Lampe an die Maueröffnung und legte den Kopf schräg, sodass er hineinsehen konnte. Träge, schwarze Augen erwiderten seinen Blick.

«Hero, was ist los?»

«Da drin ist eine Schlange.»

«Gott!»

«Sie hat sich auf einem Päckchen zusammengerollt.»

«Was für eine Schlange?»

«Eine Viper. Ich glaube, sie hält Winterschlaf.»

«Töte sie und mach, dass du hier runterkommst. Sofort.»

Hero musterte die Viper. Der Kopf ruhte auf ihrem zusammengerollten Körper, und ihr Blick aus den senkrechten Pupillenschlitzen der lidlosen Augen war eiskalt. Hero zog sein Messer und bewegte es auf die Schlange zu. Sie rührte sich nicht. Hero berührte sie vorsichtig mit dem Messer, und träge bewegte sie sich ein wenig. Erschauernd schob er das Messer hinter die Schlange und zog sie damit auf sich zu. Da züngelte sie und begann sich zu entrollen. Mit einem Ruck zerrte er sie aus dem Loch, und sie zischte. Hero unterdrückte einen Schrei und trat das Tier mit dem Fuß über die Treppenstufe in die Tiefe. Es traf mit einem satten Klatschen auf dem Boden auf.

«Die habe ich erledigt.»

«Das verdammte Ding ist mir beinahe auf den Kopf gefallen.»

Als Hero in die Höhlung griff, wurde ihm bewusst, dass dort, wo eine Schlange überwinterte, womöglich auch noch andere waren. Seine Lampe machte ein paar schwache, ploppende Geräusche, und die Flamme sank um den Docht zusammen. Bevor sie ganz ausging, griff sich Hero das Päckchen und drückte es an die Brust.

«Hero?»

«Ich habe es.»

«Gott sei Dank. Sei vorsichtig, wenn du heruntersteigst.»

Hero schob das Päckchen unter sein Gewand. Weil er in der Dunkelheit zu unsicher war, schob er sich die Treppe auf dem Bauch hinunter. Stufe für Stufe – wie ein Kleinkind. Vallon hielt seine eigene Lampe hoch, sein Schatten fiel riesenhaft auf die Wände. Hero kam an die Stelle, an der die Stufen herausgebrochen waren, und scharrte mit den Füßen in dem Geröll. Steinchen und Mörtelstücke polterten über die Schräge.

«Du musst ganz schnell darüberlaufen», sagte Vallon.

Hero lief los, spürte, wie er ausrutschte und in die Leere fiel. Ein langer Augenblick der Schwerelosigkeit, dann folgte ein schwerer Aufprall, der ihm Sterne und Erinnerungsbruchstücke durch den Kopf wirbeln ließ.

«Hero, bist du verletzt?»

Er setzte sich stöhnend auf und bewegte vorsichtig seine Glieder. «Ich glaube, nicht. Aber ich kann mich auf einmal an etwas, das passiert ist, als ich drei Jahre alt war, so gut erinnern, als wäre es gestern gewesen. Da haben mich nämlich zwei von meinen Schwestern die Treppe hinunterkugeln lassen.»

«Wenn von deinem Verstand noch etwas übrig ist, dann benutz ihn, um aus diesem Turm zu verschwinden.»

Hero tastete nach dem Päckchen. Er kam schwankend auf die Füße und stolperte auf den Bogendurchgang zu. Vallon packte ihn am Handgelenk und zog ihn ins Freie. «Hast du es noch?»

Langsam wurde Heros Kopf wieder klarer. Die Ufer des Sees lagen bleich im Mondlicht. Funken stoben vom Lagerfeuer der Seldschuken auf. Er klopfte sich auf die Brust und nickte.

Sie humpelten zu ihrem Lagerplatz. Vallon schleppte sich wie ein Mann mit Holzbein auf seiner Krücke dahin. Stöhnend ließ er sich nieder, und Hero legte ihm eine Decke um die Schultern, bevor er das Lagerfeuer entfachte. Knisternd fraßen sich die Flammen durch die Gestrüppzweige. Sie rückten nahe an die Wärme, und Hero stellte einen Topf Reis auf das Feuer. Vallon stieß einen leisen Pfiff aus und zog die Schultern hoch. «Gott, ist das kalt.»

Hero tastete immer wieder nach dem Päckchen unter seinem Gewand.

«Willst du es dir nicht ansehen?», fragte Vallon.

«Glaubt Ihr nicht, wir sollten damit warten, bis wir nicht mehr auf Seldschukengebiet sind?»

Vallon sah zum Lagerfeuer ihrer Eskorte hinüber. «Boke kann weder lesen noch schreiben. Die Dokumente sagen ihm gar nichts. Sehen wir uns an, was wir haben.»

Hero zog das Päckchen hervor und wickelte es aus. Darin befanden sich zwei Dokumente, das eine ein Brief, das andere ein Kodex im Buchformat. Er nahm zuerst den Brief heraus. «Es ist aus demselben Material wie der Brief von Priester Johannes, und es ist dieselbe Schrift.»

«Was steht drin?»

Hero kniff die Augen zusammen. «Hier ist eine Beschreibung der Wüste, die Reisende durchqueren müssen, bevor sie zu seinem Reich kommen: Dort ist ein wasserloser See, und seine Wellen sind aus Sand, die sich zu niemals ruhenden Wogen auftürmen. In dieser Wüste hausen viele Kobolde und Dämonen. Drei Tage von dem Sandmeer entfernt müsst Ihr einen wasserlosen Fluss voller Steine hinaufgehen …»

«Und was ist mit dem Evangelium? Das interessiert mich viel mehr.»

Hero versteckte den Brief im Geheimfach seines Kastens und öffnete das Buch. «Es ist in Altgriechisch auf Papyrus geschrieben.»

«Lies vor.»

«Die Tinte ist verblasst. Ich brauche mehr Licht.»

Vallon warf den Rest des Gestrüpps, das Hero gesammelt hatte, ins Feuer. Die Flammen schlugen vier Fuß hoch. Hero hielt die Seiten ins Licht. «Der Anfang lautet genauso, wie Cosmas ihn transkribiert hat. Dann geht es so weiter: Dies sind die geheimen Worte, die der lebendige Jesus gesprochen hat, und Judas Thomas genannt Didymos hat sie aufgeschrieben und gesagt: ‹Wer immer diese Worte deuten kann, wird den Tod nicht kosten.›»

Er blätterte um und folgte der Zeile mit dem Finger. «Das ist interessant. Dieser Abschnitt beschreibt die Kindheit und Erziehung Jesu. Das tut keines der anderen Evangelien.»

«Dann ist es wirklich ein ganz besonderer Fang.»

Das Feuer begann wieder in sich zusammenzusinken. Hero hielt das Buch dichter daran und schlug es an einer zufälligen Stelle auf. Er starrte auf die Schrift, seine Lippen bewegten sich.

Vallon rückte näher an ihn heran. «Behalt es nicht für dich.»

Hero sprach leise, beinahe zögernd. «Jesus sagte zu seinen Jüngern: ‹Vergleicht mich mit irgendeinem, und sagt mir, wem ich gleiche.›

Simon Petrus antwortete: ‹Du bist wie ein redlicher Engel.›

Matthäus gab zurück: ‹Du bist wie ein weiser Pilosoph.›

Thomas war bekümmert und sagte: ‹Herr, mein Mund ist zu schwach um zu sagen, wem du gleichst.›

Da nahm Jesus Thomas zur Seite und sagte ihm drei Dinge. Als Thomas zu seinen Gefährten zurückkehrte, fragten sie ihn: ‹Was hat Jesus zu dir gesagt?› Thomas antwortete: ‹Wenn ich euch auch nur eines der drei Dinge wiedersage, die er mir gesagt hat, werdet ihr Steine aufheben und sie auf mich werfen. Und ein Feuer wird aus den Steinen kommen und euch verbrennen.›»

Vallon beugte sich gespannt vor. «Und was hat Jesus zu ihm gesagt?»

Hero war mit dem Buch näher und näher an das schwindende Licht gerückt. «Es nützt nichts. Ich kann nichts mehr erkennen.»

«Ich zünde eine Lampe an», sagte Vallon. Er zog einen glimmenden Ast aus dem Feuer, hielt ihn an den Docht und reichte Hero die Lampe. «Mach da weiter, wo du aufgehört hast. Welche Geheimnisse hat Jesus an Thomas weitergegeben?»

Hero hob das Buch, leuchtete die Seite an und musterte sie genau. Seine Augen weiteten sich, und sein Mund öffnete sich vor Erstaunen.

Vallon lachte. «Was? Sind diese Geheimnisse so tiefgründig, dass du sie nicht mit einem Sünder teilen kannst, der eines Tages zur Hölle fährt?»

Doch Hero sah nicht Vallon an. Seine Hand zitterte, als er sie hob. «Herr.»

Vallon fuhr herum. Schwarz hoben sich vor dem Sternenhimmel ein Dutzend Reiter ab, die auf sie zukamen. «Gütiger Gott!»

Faruq ritt in der Mitte der seldschukischen Linie. «Habt Ihr wirklich geglaubt, Ihr könntet Seine Exzellenz überlisten?» Er schnippte mit den Fingern. «Gebt es mir.»

«Es ist nur ein Buch, das mir Hero abends zum Zeitvertreib vorliest.»

«Gebt es mir.»

Hero reichte ihm das Buch. Faruq blätterte darin. «Was ist das?»

«Ich habe es Euch schon gesagt – ein Buch mit Geschichten, das einem in den Stunden der Dunkelheit die Langeweile vertreibt.»

Chinua half Faruq vom Pferd. Der Hofmeister hielt das Evangelium über die Glut des Lagerfeuers. «Dann verliert Ihr nichts weiter als müßige Unterhaltung, wenn ich es verbrenne.»

Hero und Vallon schwiegen.

Faruq ließ das Buch in die Glut fallen. Hero warf sich nach vorn, griff nach dem Buch und wischte die Funken von ihm ab. Chinua richtete sein Schwert auf Heros Kehle, riss ihm das Evangelium aus der Hand und gab es an Faruq zurück.

«Soso, Geschichten», sagte Faruq. «Seine Exzellenz weiß, dass jedenfalls Ihr ihm nicht die ganze Geschichte erzählt habt.» Er schlug mit dem Buch in seine Handfläche. «Ich frage Euch zum letzten Mal – was ist es? Warum ist es so wichtig?»

Vallon warf Hero einen Blick zu, mit dem er ihre Niederlage eingestand. «Es ist ein verlorenes Evangelium. Das Evangelium des Thomas, der einer der Jünger Jesu war. Walter ist in Armenien darangekommen und hat versprochen, es Cosmas zu geben, sollte er das Lösegeld beschaffen.»

Faruq hielt das Buch zu den Sternen hoch. «Ihr seid in das Reich Seiner Exzellenz gekommen, um ein Buch der Christen zu stehlen.» Er schüttelte den Kopf. «Das ist ein sehr schweres Vergehen. Sehr schwer.»

Hero sprang auf die Füße. «Vallon wusste nichts von dem Evangelium, als er sich mit mir auf den Weg gemacht hat. Cosmas hatte mir davon erzählt, aber ich habe Vallon das Geheimnis erst verraten, als wir schon lange unterwegs waren. Wenn irgendwer bestraft werden soll, dann lasst es mich sein.»

Faruq ließ seinen Blick auf ihnen ruhen. «Was habt Ihr noch aus dem Turm geholt?»

Vallon starrte in die Glut. «Nichts.» Faruq nickte Chinua zu. «Durchsuch sie.»

Chinua nahm Heros Kasten und reichte ihn Faruq. Dieser betrachtete seinen Inhalt, fuhr über die Deckelschnitzereien, klopfte auf die Seiten. Hero verfolgte seine Bewegungen mit angehaltenem Atem, er war sich sicher, dass ein Mann von Faruqs Erfahrung ein Geheimfach in dem Kasten vermuten würde. Doch Faruq sah ihn an. «Sonst habt Ihr nichts genommen?»

«Nur das Evangelium.»

Faruq stellte den Kasten auf den Boden. Seine Männer halfen ihm wieder in den Sattel. Er hob den Zeigefinger. «Der Emir wird enttäuscht sein, dass Ihr ihn belogen habt.»

Hero und Vallon warteten auf die Verkündung der Strafe. Der Mond stand hoch am Himmel mitten über dem See, sein marmoriertes Angesicht spiegelte sich auf dem glatten Wasser.

Vallon zuckte mit den Schultern. «Seine Exzellenz wird entzückt sein zu erfahren, dass er recht gehabt hat.»

Faruq lächelte. «Es wäre zu viel Aufwand, Euch zum Emir zu bringen, damit er persönlich über Euch urteilt.» Er klemmte sich das Evangelium unter den Arm. «Ich werde das behalten, und Ihr könnt nach Konstantinopel gehen.» Er wendete sein Pferd und zügelte es dann noch einmal. «Das hätte ich fast vergessen. Mein Rubinring. Er war ein Geschenk des Emirs. Er bedeutet mir sehr viel.»

Vallon klaubte ihn aus einem Beutel und hielt ihn wortlos in die Höhe. Faruq schob den Ring über seinen Finger und gab einen Befehl, woraufhin die Seldschuken zu Bokes Lager hinüberritten.

Vallon kauerte sich an ihr eigenes erbärmliches Feuer und versuchte, mit der rechten Hand die Decke über seine linke Schulter zu ziehen. Eine Eule schrie oben im Turm, und draußen auf der Hochebene jaulten Schakale.

Hero stand auf und deckte ihn sorgfältig zu. Vallon hob die Augen und sah seine eigenen zerstörten Hoffnungen in Heros Blick. Er vergrub das Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. «Sag nichts. Lass uns einfach still hier zusammensitzen.»

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