XXXII

Wayland ging mit Syth und dem Hund, der ihnen wie ein Schatten folgte, durch den Wald. Zu ihrer Rechten hatte die Mondsichel einen silbernen Pfad auf den Fluss gelegt. Von dem Wikingerlager auf der anderen Uferseite hallten unaufhörlich Beilhiebe und Hammerschläge herüber. Tag und Nacht arbeiteten sie an der Reparatur ihres Langschiffs. Wayland hatte sie am Morgen nach dem Kampf ausgespäht, und er hätte geschworen, dass das Schiff nicht zu retten war. Doch als er tags darauf wiederkam, stellte er fest, dass sie schon mit dem Austausch von Planken begonnen hatten, und am Vortag hatten sie die Spanten an Steuerbord ersetzt.

Er kroch in ein Weidendickicht und spähte zwischen den herabhängenden Zweigen hindurch. Er hatte auf einem Ast etwa zwanzig Fuß über dem Boden zwei gedrungene Umrisse entdeckt. Er drehte sich zu Syth um, legte den Zeigefinger auf die Lippen und schlich so leise wie möglich im Halbkreis um den Ast herum, bis sich die beiden schlafenden Birkhühner vor dem Mond abzeichneten. Dann ließ er sich auf ein Knie sinken und hob die Miniaturarmbrust, die Raul für ihn gebaut hatte. Die Sehne war gespannt, ein Pfeil ohne Spitze lag in der Bolzenrinne. Er zielte niedrig, um den Versprung des Bolzens bei einem Schuss aus solcher Nähe auszugleichen. Dann ließ er ihn abschnellen. Ein dumpfer Schlag, und eines der Birkhühner fiel in Todeszuckungen flatternd auf den Waldboden. Sein Gefährte gluckste eine Alarmruf und rückte ein Stück weiter auf dem Ast vor. Wayland lud erneut und zielte.

Fehlschuss. Der Bolzen raste klappernd durchs Gezweig. Das Birkhuhn saß nun beinahe am Ende des Astes. Wayland legte den nächsten Bolzen ein. Der Ast bog sich unter dem Gewicht des Vogels. Wayland versuchte sich auf die Schwingung einzustellen. Es funktionierte nicht. Er schloss kurz die Augen, atmete langsam ein, hob die Armbrust und schoss, sobald er das Birkhuhn wieder vor sich sah.

Pfschsch.

Wayland blinzelte. Der Ast war leer. Der Hund rannte los, um die Beute zu holen. Wayland massierte sich den Nacken. «Das reicht für heute Abend.»

«Wie viele haben wir?»

Wayland zählte die Vögel, die an seinem Gürtel hingen. «Insgesamt sieben.»

Syth klatschte in die Hände. «Sechs für die Falken. Eins für uns. Ich brate es gleich.»

Während sie das Birkhuhn briet, starrte Wayland blicklos in die Flammen. Er war von seinen endlosen Pflichten erschöpft – die Falken pflegen, Futter für sie suchen, die Wikinger ausspähen …

Schweigend aß er seinen Anteil an dem Birkhuhn. Von der anderen Seite des Feuers sah ihn Syth mit fragendem Blick an. Er wusste, dass sie sich wegen seines brütenden Schweigens Sorgen machte und auch, weil er sie nicht in die Arme genommen hatte, seit sie von Island abgefahren waren.

«Das ist noch halb roh», sagte er und warf dem Hund den Rest des Vogels hin.

«Ich weiß, dass du müde bist, also habe ich so schnell wie möglich gemacht.»

Wayland legte sich hin und zog eine Decke über sich. Syth streckte sich neben ihm aus, jedoch ohne ihn zu berühren. Er spürte ihre Traurigkeit. Wayland musste daran denken, wie sich seine Eltern manchmal gestritten hatten und wie erleichtert er jedes Mal gewesen war, wenn sie sich wieder versöhnt hatten. Er rollte sich auf die Seite und sah Syth an. «Es liegt nicht an dir, dass ich so unausstehlich bin. Es ist der Gedanke an das, was noch vor uns liegt.»

«Das ist es nicht allein», sagte sie. «Du machst dir Sorgen, dass du mich jetzt für immer am Hals hast.» Sie schmiegte sich dicht an ihn. «Aber vielleicht bekomme ich dich ja als Erste satt.»

Mit einem Ruck wachte Wayland auf. Syth und der Hund rannten ungestüm durch das Weidendickicht auf ihn zu.

«Der Satan ist am Fluss!»

Wayland packte seinen Bogen. «Der Satan?»

«Schwarz mit Hörnern und gespaltenen Hufen und so groß wie ein Haus.»

Ihre Augen waren weit aufgerissen, und der Hund schien kurz vor einem Anfall zu stehen, mit gebleckten Hauern und zitternden Flanken. Doch das war Aufregung, keine Furcht. Wayland spähte zum Fluss hinüber. In der Dämmerung begannen graue Bäume Gestalt anzunehmen. Er hörte Wasser um eine Untiefe strudeln.

«Bleib hier.»

Er legte einen Pfeil ein und tastete sich in Richtung der Sandbank. Mit einem Blick über die Schulter stellte er fest, dass ihm Syth hinterherschlich und sich ängstlich auf die Finger biss. Er winkte sie fort.

Doch sie schüttelte nur entschlossen den Kopf.

Wayland erreichte den Rand des Dickichts. Zwanzig Schritt von der Sandbank entfernt hob sich ein grässlich verunstaltetes Wesen vor dem heller werdenden Himmel ab. Noch niemals hatte Wayland solch ein Untier gesehen. Gleich mehrere Geschöpfe schienen in seiner Gestalt Form annehmen zu wollen. Sein Kopf mit den mächtigen Wammen hatte eine rumpfförmige Schnauze, Eselsohren und wurde von einem sechs Fuß breiten Geweih überragt. Die höckrigen Schultern eines Bullen fielen über eine mickrige Kruppe zu einem lächerlichen Schwanz ab. All das wurde von knotigen Beinen getragen, die für dieses Gewicht viel zu dürr wirkten. Langsam kauend sah das Tier auf. Wasser triefte aus seiner Schnauze. Es schnaubte einmal leise und senkte den Kopf wieder. Wayland kroch zu Syth zurück.

«Das ist nicht der Teufel», flüsterte er.

«Was denn sonst?»

«Eine Art Hirsch.»

«Der Satan kann jede Gestalt annehmen. Als ich einmal im Moor war, habe ich eine Fledermaus gesehen, die …»

Wayland legte ihr die Hand auf den Mund und riss warnend die Augen auf.

Sie nickte, und er zog die Hand weg. Er hob seinen Bogen. Syth packte ihn am Arm.

«Du wirst ihn nicht töten.»

«Wir haben fast kein Pferdefleisch mehr. So ein großes Tier ernährt uns eine Woche lang. Bleib hier und sei leise.»

Das Tier hatte sich nicht bewegt. Kein Lüftchen regte sich, das ihren Geruch zu ihm hätte tragen können, und die plätschernde Strömung hatte wohl ihre Stimmen übertönt. Das Tier stand Wayland beinahe genau gegenüber. Er wartete darauf, dass es sich drehte, damit er in die Flanke schießen konnte. Er sah das feuchte Schimmern der Augen. Dann bewegte sich das Tier mit einem seufzenden Geräusch. Ein melancholischer Außenseiter, der unter seiner Einsamkeit litt. Wayland zielte hinter den Widerrist. Nur ein Schuss ins Herz konnte ein Tier dieser Größe töten.

Das hohle Geräusch, mit dem der Pfeil traf, zeigte Wayland, dass er sein Ziel getroffen hatte. Das Tier galoppierte auf eine Landzunge zu, die mit Weiden und Birken überwuchert war. Es war beinahe dort, als es stolperte und auf die Vorderläufe sank. Der Hund fiepte und wurde noch aufgeregter. Stöhnend richtete sich das Tier wieder auf. Unsicher ging es ein paar Schritte, dann blieb es stehen, die Beine gespreizt, der Kopf immer tiefer sinkend. Taub für Waylands Befehle, raste der Hund los und grub seine Zähne in ein Hinterbein, um die Laufsehne durchzubeißen. Doch das Tier schlug aus, und der Hund wurde fünfzehn Fuß weit durch die Luft geschleudert.

«Ich hab’s dir ja gesagt!»

Das große Tier schwang den Kopf in Waylands Richtung. Blut tropfte aus seinem Maul. Es stieß ein klagendes Grunzen aus, dann sank es auf die Hinterbeine und kippte um.

Wayland hatte ein Klingeln in den Ohren. Der Hund schwamm, offensichtlich unverletzt, zu dem Kadaver auf der Landzunge zurück. Wayland blies die Backen auf und drehte sich um. Syth stand ein paar Schritte entfernt und starrte ihn entsetzt an. Er zog sein Messer.

«Ich stelle fest, ob es wirklich tot ist.»

Das Tier lag auf der Seite, Blut färbte das Wasser in seinem Umkreis dunkel. Wayland betrachtete das Auge und sah seine eigene Spiegelung, die mit jedem Moment matter wurde.

Der Hund beobachtete ihn mit einem kleinlauten Ausdruck im Blick. Wayland trat in seine Richtung. «Du hast Glück gehabt, dass er dir nicht das Kreuz gebrochen hat.»

Er zog das Tier ganz aus dem Wasser und band es mit einem Seil an einem Baum fest. Syth umkreiste die Beute, betrachtete sie von allen Seiten, wollte sie aber nicht berühren.

«Lauf zum Lager zurück, und sag Raul, er soll mit dem Beiboot herkommen.»

Sie drehte sich um und rannte los. Ihre Beine wirbelten auf die Art, die Wayland immer zum Lächeln brachten.

«Besser, sie kommen gleich mit allen beiden Booten!», rief Wayland.

Sie blieb kurz stehen und schoss dann, den Hund auf den Fersen, wie ein Pfeil davon.

Wayland sah ihr nach, und sein Lächeln erstarb. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

Die aufgehende Sonne lag wie eine Goldkugel in einer Senke des Horizonts. Über Wayland flirrten die Birkenblätter wie blitzende Münzen. Er fühlte sich wie ein Mörder.

Die Sonne blendete ihn, als er wieder aufwachte. Gähnend stand er auf und spähte in Richtung des Wikingerlagers. Die Arbeitsgeräusche hatten aufgehört. Die Wikinger hatten das Langschiff aus dem Wasser gezogen, um die Reparatur fortzusetzen, und es wurde von der Krümmung der Bucht verdeckt.

Er wollte sich gerade wieder abwenden, als ihm eine ruckhafte Bewegung auffiel. Über den Bäumen, von denen die Bucht gesäumt war, schwang eine helle Spiere hoch. Wayland zog ein Gesicht. Sie richteten den Mast auf.

Im Wald schrie ein Tier. Der gequälte Schrei ertönte ein zweites Mal, nun schon weiter entfernt. Wayland musterte die Bäume hinter sich. Es gab Bären und Wölfe in diesem Wald. Er hatte ihre Spuren gesehen.

Als er wieder über den Fluss sah, glitt das Drachenschiff aus der Bucht, die neuen Planken bildeten einen scharfen Kontrast zum Rest des Schiffsrumpfs. Riemen wurden herausgeschoben und dann nicht weiterbewegt. Auch wenn sie mit ihrem Schiff noch nicht aufs offene Meer konnten, so waren sie doch imstande, der Shearwater den Fluchtweg zu blockieren. Dann wurden die Ruder eingetaucht, und das Langschiff schob sich zurück in seinen Schlupfwinkel. Wenig später setzte das Hämmern und Pochen wieder ein.

Wayland spähte flussaufwärts und sah die beiden Boote auf sich zukommen. Als Raul das Tier sah, schob er seine Mütze aus der Stirn.

«Wie viele Pfeile hast du gebraucht?»

«Einen. Weißt du, was das ist?»

«Ein Elch. Ich habe an der baltischen Küste welche gesehen. Gutes Fleisch. Wenn wir es räuchern, sind wir versorgt, bis wir Norwegen erreicht haben.» Sein Blick traf auf die Birkhühner, die beim Stamm eines Baumes neben dem Tier lagen. «Und Futter für die Falken hast du auch.»

«Das reicht noch nicht.»

«Morgen Abend kannst du wieder jagen gehen.»

Wayland schüttelte den Kopf. «Die Wikinger haben ihr Langschiff repariert. Sie haben sogar schon einen neuen Mast aufgestellt.»

Raul musterte das feindliche Ufer. «Ein Mast nützt überhaupt nichts ohne Segel.»

«Darauf kommt es doch hier gar nicht an. Sie kontrollieren trotzdem den Fluss.»

Vallons Gruppe schlief auf der Shearwater, die mitten auf dem Fluss vertäut war – eine Vorsichtsmaßnahme, falls Drogos und Helgis Männer versuchen sollten, das Schiff in die Hand zu bekommen. Am nächsten Morgen brachten sie die Shearwater wieder bis dicht ans Lager der Isländer und setzten den Anker in nur fünf Fuß tiefem Wasser. Die Flüchtlinge drängten sich mit ihrer Verpflegung und den wenigen Waren, die sie hatten retten können, am Ufer. Vallon hob die Hand.

«Bevor ihr an Bord geht, ein paar Regeln. Erstens: Sämtliche Essensvorräte gehen in einen gemeinsamen Vorrat.»

Ein Murren erhob sich, und manche Isländer drückten ihr Bündel fester an die Brust.

«Es liegt bei euch. Behaltet ihr euer eigenes Essen, geht ihr auch eurer eigenen Wege. Richard hat an Bord das Sagen über die Vorräte, und er sorgt dafür, dass jeder seinen gerechten Anteil erhält. Ihr könnt einen von euren eigenen Leuten benennen, um ihn zu unterstützen.»

Die Stimmen versiegten.

«Außerdem darf kein Isländer auf dem Schiff eine Waffe tragen, es sei denn, ich habe es ihm erlaubt. Ihr müsst eure Waffen abgeben, wenn ihr an Bord kommt. Sie werden zum sofortigen Einsatz bereitgehalten, aber wenn irgendjemand ohne meine Anweisung ein Schwert in die Hand nimmt, betrachte ich das als Meuterei.» Ohne auf die neue Protestwelle zu achten, drehte sich Vallon zu Garrick um. «Hol sie an Bord. Aber als Erstes bringst du die Pferde in den Laderaum.»

Als das erledigt war, bestiegen die Isländer das Schiff. Raul und Garrick sammelten ihre Waffen ein, Hero und Richard die Vorräte. Als einer der Männer an Deck gesprungen war, packte ihn Raul am Arm, griff in die Kitteltasche des Mannes und zog ein Säckchen hervor. Er öffnete es und roch an dem Inhalt. «Gerste», sagte er und stieß den Schmuggler ärgerlich übers Deck.

Das Heck füllte sich. Caitlin stand an der Laufplanke am Ufer und stritt sich mit Helgis Männern Tostig und Olaf herum.

«Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit», sagte Vallon.

Tostig sah auf. «Wir werden unsere Schwerter nicht abgeben.»

«Dann bleibt ihr eben hier. Damit tut ihr mir sogar einen Gefallen.»

Caitlin sagte etwas, das Vallon nicht mitbekam. Darauf rannten Tostig und Olaf wutentbrannt über die Planke und schleuderten ihre Schwerter mit solchem Schwung von sich, dass Raul beide Hände brauchte, um sie aus den Decksplanken zu ziehen.

In einem einfachen Wollgewand ging Caitlin mit ihren Mägden die Planke hinauf. Vom Deck aus streckten sich ihr Hände entgegen, und die Isländer machten ihr Platz.

Nun waren nur noch die beiden Normannen am Ufer. «Fulk wird sein Schwert abgeben», sagte Drogo. «Aber du weißt, dass ich das nicht tun kann.»

«Ich verstehe», sagte Vallon. «Garrick, zieh die Planke ein, Drogo und seine unbefleckte Ehre wollen lieber zurückbleiben.»

«Als wir gegen die Wikinger gekämpft haben, warst du sehr dankbar für mein Schwert. Vermutlich brauchst du es noch, bevor diese Reise zu Ende ist. Ich gebe dir mein Wort, dass ich es nicht gegen dich erhebe, solange wir nicht an einem sicheren Ort sind.»

Vallon sah seine Leute an. Raul zuckte mit den Schultern. Er drehte sich wieder zu Drogo um. «Ich nehme dein Versprechen an. Jetzt komm an Bord. Wir verpassen noch den Sog der Ebbe.»

Die Isländer drängten sich auf dem Achterdeck. Raul stellte sich auf eine Ruderbank, um sie zu zählen. «Dreiundzwanzig. Hauptmann, selbst wenn wir die Gefangenen befreien könnten, hätten wir keinen Platz für sie.»

Vallon nickte, dann bat er um Ruhe. «Die meisten von euch waren auf dem Weg nach Nidaros, aber wir haben nicht genügend Essen und Wasser für eine so lange Überfahrt. Wir bringen euch zum nächsten Hafen. Von dort an müsst ihr euch um euch selbst kümmern. Bis dahin gelten noch ein paar weitere Regeln. Einige von euch wissen, dass ich in Spanien gegen die Mauren gekämpft habe. Dabei ist mir aufgefallen, dass die muslimischen Gegner gesünder waren als die Leute aus den christlichen Armeen. Die Mauren verhindern das Fieber, indem sie sich die Hände waschen, bevor sie etwas Essbares anfassen und nachdem sie ihrem natürlichen Bedürfnis nachgekommen sind.»

Raul übersetzte. «Bin nicht sicher, ob sie Euch richtig verstehen, Hauptmann.»

«Dann sag ihnen, sie sollen in die Kübel scheißen, die im Heck bereitstehen, und sich hinterher die Hände waschen. Und es gibt keine privaten Kochfeuer. Das Essen wird in Schichten eingenommen.» Vallon hob die Hand. «Und noch eine letzte Sache. Das Vorderdeck ist für meine Leute reserviert. Niemand betritt es ohne meine Erlaubnis. Das war’s.»

Vater Hilbert bat um Aufmerksamkeit. «Bevor wir uns den Gefahren stellen, die uns erwarten, lasset uns auf den Knien um Gottes Gnade und Barmherzigkeit flehen und um Vergebung für all die schändlichen Verfehlungen …»

«Betet während der Fahrt», sagte Vallon. Er nickte Garrick zu. «Hol den Anker ein.»

Die Shearwater war keine Meile mehr von dem Wikingerlager entfernt, als die Späher Alarm schlugen.

«Wir halten uns dicht am linken Ufer», befahl Vallon. «Raul, bereite dich darauf vor, die Waffen auszugeben.»

«Sie schaffen es nicht, ihr Schiff schnell genug aus der Bucht zu bringen», meinte Wayland. Er hatte von der Jagd am Vorabend die Nachricht mitgebracht, dass die Piraten das Langschiff für weitere Reparaturen wieder auf den Strand gezogen hatten.

Die Ebbe zog sie flussabwärts. Dann kam die Bucht in Sicht.

«Da sind sie!»

Die Wikinger rannten am Ufer auf und ab, brüllten und schwenkten ihre Waffen. Einige zerrten die unglückseligen Gefangenen hinter sich her, die aneinandergefesselt waren. Sie wurden bis ans Wasser getrieben, wo sie auf die Knie fielen, die Arme flehend emporgereckt.

«Wir müssen sie retten!», rief einer der Passagiere, und ein anderer Isländer nahm seinen Ruf auf. Viele waren Verwandte oder Nachbarn der Gefangenen.

«Fahr weiter», sagte Vallon.

«Da ist Thorfinn», sagte Raul. «Gott, ist das ein Bastard.»

Nackt bis zum Gürtel schob der Anführer der Wikinger das Beiboot ins Wasser. Er sprang hinein, als die Shearwater das untere Ende der Bucht passierte. Bald tauchte das Boot hinter ihnen auf dem Fluss auf. Es wurde von vier Männern gerudert. Thorfinn hockte im Bug und trieb die Ruderer brüllend an, schneller auszuholen und tiefer durchzuziehen.

«Was will er denn?», sagte Raul.

«Ich glaube, er will verhandeln.»

Die Ruderer holten auf, hielten sich aber außer Schussweite einer Armbrust. Vier oder fünf Wikinger rannten am Ufer hinterher. Das Boot hielt sich auf gleichem Abstand, und Thorfinn legte die Hände wie einen Trichter um den Mund.

«Raul, sag den Isländern, sie sollen still sein. Garrick, bring uns in Hörweite.»

Die Shearwater drehte etwas nach Steuerbord.

«Das ist nahe genug.»

Thorfinn stand auf. «He, Franke. Wohin willst du? Glaubst du vielleicht, du kannst noch ums Nordkap segeln? Nein, dazu bist du zu spät dran. He, Franke. Hör mir zu. Selbst wenn du um das Kap kommst, verhungerst du, bevor du die nächste Siedlung erreicht hast.»

«Versteht Ihr, was er sagt?», fragte Raul.

«So ungefähr.»

«He, Franke. Reden wir.»

«Raul, was sagst du dazu?»

«Ich sage, wir fahren weiter.»

«Und du, Hero?»

«Ich finde, wir sollten herausfinden, was er zu sagen hat. Wir wissen, dass die Fahrt an der norwegischen Küste hinunter gefährlich ist. Die Strömungen sind tückisch, und die Berge fallen senkrecht ins Meer ab. Thorfinn kennt diese Gewässer. Vielleicht bekommen wir von ihm ein paar nützliche Informationen.»

Vallon richtete seinen Blick flussabwärts, zu beiden Seiten glitt der Wald an ihnen vorbei. Mit dieser Geschwindigkeit wären sie noch vor der Mittagszeit am Meer, und dann würde ihr Schicksal von so einfachen Gegebenheiten wie dem Wind und dem Wetter abhängen.

«Dreh bei.»

«Hauptmann, wir werden nicht das Geringste aus Thorfinn herausbekommen.»

«Wirf in der Mitte der Fahrrinne Anker. Wayland, sag Thorfinn, er soll näher heranrudern.»

Die Wikinger fuhren weiter auf die Shearwater zu und ruderten dann, in etwa hundert Schritt Entfernung, wieder rückwärts.

«Komm näher», rief Vallon. «Ich kann dich nicht hören.»

Thorfinn ahmte Ruderschläge nach. «Du kommst zu mir.»

Vallon überlegte. Etwas weiter flussabwärts teilte sich der Strom um zwei niedrige Felsvorsprünge, die von einer tiefen Wasserrinne getrennt wurden. Nach vielen Missverständnissen gelang es Vallon, sich verständlich zu machen. Er und ein anderer würde mit Thorfinn und einem weiteren Vertreter der Wikinger verhandeln, und sie würden sich dabei auf den Felsvorsprüngen gegenübersitzen.

Thorfinn nahm den Vorschlag mit einer Geste an. «Du gehst zuerst, Franke.»

«Komm mit, Wayland», sagte Vallon. «Und lass deinen Bogen hier.»

Sie stiegen in das Ersatzboot, ruderten zu den Felsvorsprüngen und kletterten auf die von Wind und Wetter polierte Oberfläche des einen Felsens. Wayland hielt an einem Tau das Boot fest. Thorfinn fuhr ans Ufer, damit seine Männer aussteigen konnten, dann ruderte er zusammen mit einem seiner Getreuen zu dem Felsen gegenüber.

Der Anführer der Wikinger stand im Bug und ließ seine Axt locker neben sich schwingen. Ihr sichelförmiges Blatt wog bestimmt fünfzehn Pfund, doch er hielt sie so lässig, als wäre sie ein Esslöffel. Zusätzlich trug er an der Hüfte ein Breitschwert, und hinten in seinem Gürtel steckte eine kurze Stichwaffe, ein Skramasax. Er sprang auf den Felsen, stolperte und kam der Wasserrinne gefährlich nah. Doch dann fing er sich, sah auf und grinste breit, sodass seine gelblich verfärbten Zähne zu sehen waren.

Vallon runzelte die Stirn. «Er spielt den Narren.»

Thorfinns Grinsen erlosch. Er hob die Axt, deutete damit zuerst auf Vallon, dann auf Wayland, und schätzte sie mit Blicken ab, die so kalt waren wie die einer Möwe. Sein Körperbau war enorm – er war beinahe sieben Fuß groß, mit Oberschenkeln wie Weinfässer und einer muskelbepackten Brust. Jahre des Umgangs mit der Kampfaxt und dem Schwert hatten seine rechte Schulter zu einem sehnigen Höcker werden lassen. Über seinen nackten Oberkörper zog eine indigofarbene Phantasieparade – Adler mit ausgebreiteten Schwingen, gewundene Schlangen, berittene Krieger. Mit einem hellen Klirren ließ er den Axtkopf auf den Felsen fahren.

«Du hast große Probleme, Frankmann.»

«Keine so großen wie du. Wir haben ein unbeschädigtes Schiff und eine Menge frisches Fleisch. Du hast weder das eine noch das andere.»

Thorfinn deutete mit der Axt auf das Wikingerlager. «Wir haben eine lebendige Speisekammer.» Er knirschte mit den Zähnen. «Hungrige Wölfe reißen immer besonders große Stücke heraus.»

«Außerdem hast du kein Segel und kein Tauwerk. Also kommst du nirgendwohin.»

Thorfinn ließ sich auf den Hintern fallen und musterte Vallon über das Heft seiner Axt hinweg. «Also gut, Franke, ich tausche vier Gefangene gegen das Segel von dem isländischen Schiff.»

«Ich will deine Gefangenen nicht. Ich habe jetzt schon mehr Isländer an Bord, als ich brauchen kann.»

Thorfinn sagte etwas zu seinem Truppenführer, bevor er sich wieder an Vallon wandte. «Was ich gesagt habe, stimmt. Du kannst nicht um das Nordkap zurückfahren. Frag die isländischen Schiffsmeister.»

«Ich würde es lieber von dir hören.»

«Die Herbstwinde stehen in der Gegenrichtung. Sie werden dich an den Felsen zerschmettern. Sie werden dich in den Mahlstrom treiben.»

«Wenn das so ist, was hast du dann selbst so weit im Osten verloren?»

Thorfinn fuhr sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang. «Wir haben uns diese Küste genauso wenig ausgesucht wie du. Wir waren auf einer Ausfahrt zu den Färöern, als uns der Sturm erwischt und ums Kap herumgeblasen hat.»

«Das zeigt doch nur, wie schwankend die Winde sein können. Es sind immer noch ein paar Wochen bis zum Winter. Wir brauchen nur zwei oder drei Tage Ostwind, um zurück ins offene Meer zu kommen.»

Thorfinn stand auf. «Angenommen, du kommst um das Kap. Zwischen hier und Halogaland gibt es keine Siedlungen. Dort liegt mein Land. Die Ernte war schlecht dieses Jahr. Was glaubst du, wie dich meine Leute empfangen werden, wenn du kommst und um Essen und ein Dach über dem Kopf bettelst?» Er schnalzte mit der Zunge und zog die Klinge seiner Axt vor seiner Kehle vorbei.

«Warum sollte ich glauben, was du da sagst?»

Thorfinn sah ihn nachdenklich an. «Die Isländer sagen, du bist unterwegs zum Warägerweg.»

«Der Weg zu den Griechen», bestätigte Wayland.

«Und wenn es so wäre?», sagte Vallon.

«Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu erreichen.» Thorfinn griff nach einem Beutel an seinem Gürtel und nahm eine Prise Pigmentstaub zwischen die Finger. Er befeuchtete ihn im Fluss, kniete sich auf den Felsen, und begann eine Form auf den Stein zu zeichnen. Zuerst wirkte sie wie der Umriss eines dicken Daumens, und dann, am Ansatz des Daumens, fügte er ein schnörkeliges V hinzu.

«Was soll das denn sein?»

Thorfinn setzte seinen Zeigefinger auf den Anfang der Linie und tippte mehrfach darauf.

«Er will sagen, dass das die Stelle ist, an der wir jetzt sind», erklärte Wayland.

«Ja, ja. Genau.» Thorfinn deutete nach Osten, setzte seinen Finger auf den Anfang der Linie und verfolgte sie in drei Bögen bis zum Ende des Daumens. «Nach drei Segeltagen weicht das Land Richtung Süden in die Bucht der Gefahren zurück. Die Rus nennen es das Weiße Meer. Von dort aus kommt man auf einem Fluss Richtung Süden durch ein Waldgebiet nach Holmgard.»

«Holmgard ist der nordische Name für Nowgorod», sagte Wayland.

Vallon war fasziniert. «Du hast diese Route schon genommen», sagte er zu Thorfinn.

«Natürlich. Für Felle und Sklaven. Das letzte Mal vor zwei Sommern.»

Vallon musterte die Zeichnung. Eine unbekannte Landschaft nahm in seinem Kopf vage Gestalt an. «Bucht der Gefahren hast du das Meer genannt.»

«An seinem Ufer leben Skraelinger, Lappen, Nomadenfischer und Rentierhirten. Auf unserer letzten Fahrt haben sie sich drei von meinen Männern geschnappt. Ich habe nicht einmal mitbekommen, wie es passiert ist. Ihre Zauberer können jede beliebige Gestalt annehmen.»

«Gibt es auf dieser Route Nahrung?»

«Um diese Jahreszeit wimmelt es am Ufer von Wildvögeln, und in den Flüssen drängen sich die Fische so dicht, dass sie kaum stromauf schwimmen können.»

«Und wie lange dauert es von der Bucht der Gefahren bis nach Nowgorod?»

«Von einem Neumond bis zum nächsten.»

«Einen ganzen Monat?»

«Hör zu, Franke, durch das Baltische Meer nach Nowgorod zu segeln würde dich drei Monate kosten.»

«Er hat vermutlich recht», sagte Wayland. «Wir haben ja schon zu den Orkneys drei Wochen gebraucht.»

Vallon sah wieder Thorfinn an. «Beschreibe mir die Route durchs Land.»

Thorfinn nahm wieder Kalk zwischen die Finger. Auf einem anderen Stück des Felsens zog er eine senkrechte Linie, der er einen kleinen Kreis hinzufügte. «Man folgt einem Fluss Richtung Süden, bis man einen See erreicht.» Er zog noch einen Strich und einen großen Kreis. «Das sind noch ein Fluss und noch ein See, der Onega heißt.» Darauf zeichnete er noch eine Senkrechte und einen Kreis, der so groß war, dass der Platz nicht reichte. «Und noch ein Fluss bringt dich zum Ladogasee, der sogar noch größer ist als der letzte. Folge seinem südlichen Ufer, und du bist im Land der Rus.»

«Und was hindert uns daran, uns diesen Weg alleine zu suchen?»

«In die Bucht der Gefahren münden hundert Flüsse. Aber nur einer davon führt nach Holmgard. Alle anderen führen ins Grab.» Thorfinn reckte die Brust. «Ich kenne den richtigen Fluss.»

«Und diese Route willst du nehmen?»

«Es ist der einzige Weg, den wir noch nehmen können. Selbst wenn wir ein Segel hätten, wäre unser Kiel zu schwach, um sich damit aufs offene Meer zu wagen. He, Franke, gib mir dein Ersatzsegel, und wir fahren zusammen nach Süden.»

Vallon sah stromaufwärts. «Hat dieser Fluss hier einen Namen?»

Thorfinn zuckte mit den Schultern. «Du kannst ihn nennen, wie du willst.»

«Er fließt nach Süden. Würde er uns nicht auch an unser Ziel bringen?»

Thorfinn schüttelte den Kopf. «Eine Tagesreise flussauf teilt er sich. Ein Arm fließt nach Westen, in dem anderen gibt es Stromschnellen, über die man nur mit kleinen Booten kommt.»

«Werden wir unser Schiff nach Nowgorod bringen können?»

Erneutes Kopfschütteln. «Eure Knarr hat zu viel Tiefgang.»

«Wir müssen über deinen Vorschlag beraten.»

Thorfinn machte eine weitausholende Geste. «Lass dir ruhig Zeit, Franke.»

Vallon sagte zu Wayland: «Was hältst du davon?»

«Die Route ist vermutlich schwieriger, als er behauptet, aber er würde uns nicht anbieten, uns zu führen, wenn sie nicht schiffbar wäre. Was ich nicht verstehe, ist, warum er diesen Vorschlag macht.»

«Das ist doch ganz einfach. Erstens sind er und seine Männer tot, wenn wir ihm kein Segel geben. Zweitens will er unsere Passagiere als Sklaven verkaufen und unsere Handelswaren erbeuten. Weil er unser Schiff nicht erobern kann, hofft er, uns am nächsten Handelsplatz wie die Schafe zur Schlachtbank treiben zu können. Auf diese Art muss er uns auf der Reise nicht einmal verköstigen.»

«Ein Waffenstillstand würde nicht so lange halten. Ein falsches Wort, ein kleiner Rückschlag … Außerdem würde es bedeuten, dass wir die Shearwater aufgeben. Wenn sich die Überlandstrecke als unpassierbar erweist, gibt es keinen Weg zurück.»

«Ich weiß.» Vallon spreizte Daumen und Zeigefinger und umfasste seine Stirn. Dann schaute er stromauf zu ihrem Schiff. Alle an Bord beobachteten sie und fragten sich, welches Schicksal wohl für sie beschlossen wurde. «Es ist eine schwere Entscheidung. Was würdest du machen?»

Wayland ließ seinen Blick über den Wald und dann zum Himmel hinaufschweifen. Vallon wartete ab. Seine Lage setzte ihm zu – hier saß er auf einem Felsen inmitten eines namenlosen Flusses in der Wildnis und verhandelte mit einem Barbaren.

«Es sind die Falken», sagte Wayland schließlich. «Wenn wir den Seeweg nehmen, werden sie alle sterben. Schon ein paar Tage ohne Futter wären zu viel. Wenn es in dem Land, das Thorfinn beschrieben hat, nur halb so viel Wild gibt, wie er behauptet … Ich habe für diese Falken sehr viel auf mich genommen. Wenn es nach mir ginge, würde ich das Wagnis mit dem Überlandweg eingehen.»

«Ich auch, aus unterschiedlichen Gründen. Einer davon ist, dass Drogo nichts gegen uns unternehmen wird, solange er sich wegen der Wikinger Sorgen machen muss.»

Thorfinn saß auf seinem Felsen und bohrte sich mit dem Finger im Mund herum.

Vallon suchte seinen Blick. «Wir stellen Bedingungen.»

Der Wikinger stand auf und schüttelte den Kopf. «Zuerst gibst du mir das Segel und die Taue. Danach reden wir vielleicht weiter.»

«Ich gebe dir ein halbes Segel.»

«Nein!»

«Ein halbes Segel und genügend Tau zur Takelung. Als Gegenleistung übergibst du die weiblichen Gefangenen und vier von deinen Männern als Geiseln. Dafür bekommst du von uns sechs Männer. Die Geiseln werden jeweils die Sicherheit der Gegenseite garantieren. Wenn wir die Bucht der Gefahren erreicht haben, lassen wir sie frei.»

Thorfinn schob den Unterkiefer hin und her. Dann beugte er sich vor und kniff die Augen zusammen, als könnte er so eine mögliche List erkennen. «Warum sechs von deinen Leuten?»

«Weil die Isländer eine Belastung sind, und je weniger ich auf dem Schiff habe, desto leichter wird es für mich. Ich versorge dich sogar mit der Verpflegung für die sechs Geiseln.»

Thorfinn und sein Truppenführer steckten die Köpfe zusammen, um sich zu beraten. Schließlich drehte er sich um.

«Die Frauen kriegst du nicht. Warum willst du sie? Du bist ja nicht mal mit ihnen verwandt.»

«Solange du sie nicht freilässt, gebe ich dir das Segel nicht.»

«Dann sind wir alle dem Tod geweiht, auch sie.»

Vallon sah Wayland an. «Ich kann das Leben von zwanzig nicht für zwei aufs Spiel setzen. Es wird noch eine andere Gelegenheit geben, sie zu retten.» Er wandte sich wieder an Thorfinn. «Wir besprechen das Schicksal der Frauen ein anderes Mal. Die übrigen Bedingungen sind nicht verhandelbar.»

Thorfinn lächelte, als wäre hinter Vallons Kopf plötzlich ein besonders erfreulicher Anblick aufgetaucht. «Gib mir sechs kräftige Männer, die sich in die Riemen legen können.»

Raul rief nach ihnen.

«Gleich kommt der Gezeitenwechsel», sagte Wayland.

«Wie schnell kannst du dein Schiff bereitmachen?», fragte Vallon Thorfinn.

«Bis morgen.»

«Wir machen den Austausch an der Flussmündung. Falls du uns dort nicht antriffst, haben wir einen günstigen Ostwind erwischt.»

Ein wütender Proteststurm erhob sich, als Vallon auf die Shearwater zurückkehrte und die Änderung seiner Pläne verkündete. Die Isländer hätten sich beinahe auf ihn gestürzt, aber Raul hielt sie zurück. Drogo drängte sich nach vorn.

«Du hast kein Recht, unser Leben aufs Spiel zu setzen.»

«Ganz gleich, was wir machen, unser Leben steht in jedem Fall auf dem Spiel.» Vallon hob den Arm. «Ruhe! Hört euch an, was ich zu sagen habe.»

Der Aufruhr legte sich. «Ihr alle kennt meine Geschichte», sagte Vallon. Dann deutete er auf Drogo. «Ihr wisst, das mich dieser Mann nach Island verfolgt hat, um Rache für eine Ehrverletzung zu nehmen, die einzig und allein in seinem Kopf existiert.» Er deutete auf Caitlin. «Und ihr wisst, dass mich auch der Bruder dieser Dame für eine eingebildete Verletzung ihrer Ehre zum Kampf herausgefordert hat. Und doch habe ich sowohl Drogo als auch Helgi gerettet.»

Bleiernes Schweigen senkte sich über die Versammlung. «Und wisst ihr, weshalb? Weil ich euch alle zum Tode verurteilt hätte, wenn ich sie im Stich gelassen hätte. Gott weiß, ich bin kein Heiliger, aber als ich die Wahl hatte, nur meine eigenen Leute zu retten und dafür Unschuldige sterben zu lassen, habe ich den Weg eines Christenmenschen eingeschlagen. Und diesem Weg folge ich weiterhin. Die Alternative und auch die einfachere Lösung wäre es, die Fahrt ums Nordkap zu wagen und euch beim ersten Hafen abzusetzen. Würde ich das tun, dann würden die meisten von euch entweder verhungern oder versklavt werden. Der Weg, den ich wähle, wird gefährlich sein. Einige von uns werden das Ziel nicht erreichen, aber ich glaube, dass er uns allen die besseren Aussichten bietet.»

Damit war Vallon noch nicht am Ende: «Ihr habt mich gebeten, eure Nachbarn und Verwandten zu befreien. Jetzt könnt ihr euren Worten Taten folgen lassen. Ich brauche vier Männer, die als Geiseln auf dem Schiff der Wikinger mitfahren. Ihnen wird kein Leid geschehen.»

Doch Worte haben nur eine begrenzte Macht. Die Shearwater war schon beinahe an der Flussmündung, bis die Isländer vier Männer aus ihren Reihen stark genug unter Druck gesetzt hatten, damit diese sich als Geiseln zur Verfügung stellten.

Wayland sah Vallon stirnrunzelnd an. «Du hast Thorfinn sechs Geiseln versprochen.»

«Die anderen beiden stelle ich. Garrick.»

Der Engländer zuckte zusammen.

«Wenn du als Geisel zu Thorfinn gehst, findest du vielleicht eine Möglichkeit, die Frauen zu befreien.»

«Ja, Hauptmann.»

Die Übrigen starrten Vallon betroffen an. Er ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern. «Ich brauche jemanden, der die Wikinger ausspioniert. Der feststellt, welche Stärken und Schwächen und welche Gewohnheiten sie haben. Nach so vielen Rückschlägen wird die Stimmung unter ihnen wohl nicht gut sein. Möglicherweise können wir ein paar von ihnen auf unsere Seite bringen.» Sein Blick wanderte über Raul hinweg und blieb an Wayland hängen, doch dann glitt er weiter zu einem anderen.

«Hero. Ich schicke dich zu ihnen.»

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