XIX

Sie dümpelten mühsam weiter nordwärts. Am späten Nachmittag des zweiten Tages umfuhren sie einen gewaltigen Basaltfelsen, der hinter schwärmenden Seevögeln kaum zu sehen war, und stießen in eine breite Förde vor. Die Shearwater segelte mitten durch die Fischgründe der Vögel. Zu Tausenden zogen Tölpel über den Himmel, falteten ihre Flügel und schossen wie Pfeile ins Wasser hinunter. Als sie aus dem Vogelsturm heraus waren, fanden sie sich auf einer belebten Seestraße wieder. Edinburgh lag nur ein kleines Stück weiter am Südufer der Förde. Vallon wies Snorri an, Nordkurs zu halten.

«Legen wir denn in der Hauptstadt nicht an?», fragte Raul. «Wir werden keine bessere Gelegenheit finden, Handelsware aufzunehmen.»

«Die Normannen haben dort bestimmt eine Gesandtschaft. Wenn sie mitbekommen, dass wir im Hafen sind, werden sie unsere Verhaftung fordern. Und weil sie vom Einmarsch bedroht sind, werden die Schotten ihre Bitte nicht ablehnen.»

«Unsere Auslieferung würde die Normannenüberfälle aber nicht beenden.»

«Ich weiß. Trotzdem wollen die Schotten vermutlich jede Provokation vermeiden», sagte Vallon. «Uns zu übergeben wäre ein kostenloses Beruhigungsmittel.»

Raul war nicht sehr glücklich mit Vallons Entscheidung und tat sein Missvergnügen Wayland gegenüber kund. «Wir werden bestimmt nicht reich, wenn wir bei jedem Risiko den Kopf einziehen.»

Auch wenn sich Wayland nicht von Rauls Stimmung anstecken lassen wollte, begann seine Begeisterung für die Reise abzukühlen. Zu essen hatten sie nur noch Brot und zu trinken für jeden zwei Becher Wasser täglich. Es fand kaum noch eine Unterhaltung statt, und Syth sang nicht mehr bei der Arbeit. Waylands Haut juckte und brannte von dem scharfen Salzwasser.

Um Mitternacht hatten sie die Nordspitze der Förde passiert. Und immer weiter segelten sie unter dem Licht eines schmalen Mondes. Früh am nächsten Morgen, als pastellfarbene Wolken über den Himmel zogen, ruderten sie erschöpft in das Gebiet des Bistums von St. Andrews und ankerten hinter einem Wellenbrecher.

Wayland hatte eine größere Stadt erwartet, und Raul beschwerte sich entrüstet darüber, dass die Siedlung nicht einmal einen ordentlichen Hafen aufzuweisen hatte. Auf einer Landzunge nördlich der Stadt arbeiteten Maurer an einem Kirchturm. Davon abgesehen waren nur ein paar wenige Schindelhäuser am Wasser höher als ein Stockwerk. Die restliche Ansiedlung bestand aus einem Wirrwarr schäbiger Hütten.

Vallon und Raul ruderten mit Snorri an Land, um eine Unterkunft zu suchen und ihr Interesse an Handelswaren bekannt zu machen. Wayland lungerte an Deck herum und beobachtete das Kommen und Gehen am Kai. Der Hafen wurde von Händlern aus ganz Nordeuropa angelaufen, und die Ankunft der Shearwater erregte keine Aufmerksamkeit. Unter den Schotten mit ihren Plaids waren einige prahlerische Nordmänner in pludrigen Kniehosen.

Es wurde Nachmittag, bis die Landgänger zurückkehrten. Sie hatten mit einem Vertreter des Statthalters gesprochen, der ihnen Unterkunft in einem Haus besorgt hatte, das für Händler reserviert war. Vallon berichtete den anderen, dass der Statthalter sie für den nächsten Tag zum Essen eingeladen hatte und dass die Aussichten auf Handelsgüter recht begrenzt waren. Um diese Jahreszeit gab es kaum Getreide. Sie würden vielleicht etwas Malz finden, und etwa fünf Meilen außerhalb der Stadt gab es eine Sägemühle, wo sie Holzbalken kaufen konnten. Raul und Wayland sollten sie am übernächsten Tag, wenn sie sich ausgeruht hätten, aufsuchen.

Bis auf Snorri und Garrick gingen alle an Land. Erschöpft von der Überfahrt, sanken sie früh ins Bett. Vallon hatte ganz oben im Haus ein Zimmer für sich allein. Die anderen teilten sich nach Gewohnheit oder Freundschaft einen Raum. Syth wurde zusammen mit dem Hund möglichst weit entfernt von den Zimmern in der Küche untergebracht, in der es von Ratten wimmelte. An dem Morgen, an dem Wayland zu der Sägemühle aufbrechen wollte, fand er sie zusammengerollt schlafend im Durchgang. Von der Tür her fiel Licht auf ihr Gesicht. Er betrachtete sie ausgiebiger, als er es gewagt hätte, wenn sie wach gewesen wäre, dann zog er ihr die Decke über die Schultern und ging zu Raul in den Morgensonnenschein hinaus.

Die Sägemühle lag auf einer Waldlichtung, die zu einem flachen See hin abfiel. Raul kannte sich mit Bauholz aus, erwies sich als gewitzter Verhandler und lehnte die Stämme ab, mit denen ihn der Mühlenbesitzer prellen wollte. Der eine war zu astig. Der andere war schwer auf den Boden aufgeschlagen und kernrissig. Wieder ein anderer wies eine weiche braune Rindenmaserung auf. «Das ist die Fäule», sagte Raul und betrachtete schlechtgelaunt die Kiefern, die am Rand der Lichtung standen. «Ehrlich gesagt taugt dieses Holz hier im Vergleich mit baltischer Eiche höchstens zum Feuermachen.»

Als Raul seine Wahl getroffen hatte, half ihm Wayland, die Vierkantstämme auf einen Zugschlitten zu hebeln. Ochsen zogen die Ladung zu einem Wagen, der an der Straße wartete. Während dieser Zeit suchte sich Wayland einen Scheit feinporiges Eschenholz und spaltete ihn mit einer Handaxt, um Pfeile zu machen. Bald kam ein Junge und bot Wayland einen Korb Forellen zum Kauf an, die er am Morgen im lochan gefangen hatte. Sie wogen drei oder vier für ein Pfund ab, und Wayland wickelte sie in Moos und garte sie in heißer Asche. Raul und er aßen sie mit Fladenbrot zum Mittagessen. Anschließend hingen sie am Wasser schweigend ihren Gedanken nach. Eine Brise fuhr durch die Baumwipfel. Nach Luft schnappende Fische zeichnete Kreise auf die Seeoberfläche. Am anderen Ufer stand ein weiß gekalktes Gehöft, das sich im Wasser spiegelte. Vor der Tür hackte ein Mann Holz, das Geräusch der Hiebe kam erst bei ihnen an, als er die Axt schon zum nächsten Schlag hob. Blaue Hügel mit dunkleren Ausläufern lagen westlich in der Ferne.

Raul nickte zu dem Gehöft hinüber. «Glaubst du, dass du dort mit Syth glücklich wärst?»

«Hm?»

«Irgendwann wirst du dich doch niederlassen wollen. Eine Familie gründen.»

Wayland war entsetzt. «So etwas ist mir noch nie in den Sinn gekommen.»

Raul gab dem Hund seine Essensreste. «Als ich von zu Hause weg bin, war ich nicht viel älter als du. Seitdem bin ich immer nur herumgezogen, war nie zweimal an demselben Ort. Das hat man irgendwann satt.»

«Du kannst dich doch mit deinem Anteil am Gewinn irgendwo niederlassen.»

«Ja, früher oder später finde ich einen Platz zum Bleiben.» Raul stand auf, verschränkte die Hände über dem Kopf und streckte sich. «Ach, na ja. Man darf eben nicht schwächer werden.»

Wayland warf einen letzten Blick zu den Hügeln hinüber und folgte Raul zurück zur Arbeit.

Im warmen Abendrot kamen sie in die Stadt zurück und suchten sich ihren Weg durch Gassen, die kaum mehr als offene Abwässergräben waren. Vor ihnen tranken eine magere Sau und ihr Wurf gestreifter Ferkel schmatzend aus einem Schmutzwasserrinnsal. Die Sau hob den Kopf, und die Nasenlöcher in ihrem Rüssel weiteten sich. Wayland blieb stehen und legte Raul warnend die Hand auf die Brust.

«Das ist doch nur ein Schweinchen», sagte Raul.

Einen Augenblick später ergriffen sie die Flucht vor der grunzend angreifenden Muttersau, hasteten die ersten Schritte rückwärts, drehten sich um und liefen in die erstbeste Gasse hinein.

«Was für ein Drecksloch», sagte Raul, als sie die nächste matschige Einmündung einer Gasse erreicht hatten. Er sah sich um. «Was glaubst du, wo ein Mann in diesem Kaff was zu trinken bekommt?»

«Vergiss es. Vallon hat gesagt, wir sollen gleich zurückkommen.»

«Nur einen Becher, um uns das Sägemehl aus den Kehlen zu spülen.»

«Ohne mich.»

Ein Mann kam aus einem Haus und ging die Straße hinunter. Raul lief ihm rufend hinterher. Dann drehte er sich um und kam ein paar Schritte zurück. «Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?»

Wayland nickte und kehrte zu ihrer Unterkunft zurück.

An diesem Abend blieb Syth kurz neben ihm stehen, als sie das Essen brachte. Er sah zu ihr auf. Ihre Blicke trafen sich und versenkten sich ineinander. Dann ging sie weiter, und Wayland blickte verstohlen in die Runde. Er war sicher, dass die anderen die knisternde Erregung bemerkt haben mussten, die in seinem Blickwechsel mit Syth gelegen hatte.

Vallon kam spät von seiner Verabredung mit dem Statthalter zurück. Das Treffen war in guter Stimmung verlaufen. Der Statthalter wusste, dass sich die Normannen an der Grenze sammelten, und er war dankbar für die Informationen, die ihm Vallon über ihre Taktik geben konnte.

«Werden die Schotten kämpfen?»

«Der Statthalter bezweifelt es. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig zu bekriegen.»

Vallon brachte beruhigende Neuigkeiten über die Lage in der Grafschaft Orkney mit. Nach generationenlanger Blutfehde war der Titel an zwei Brüder namens Thorfinnson übergegangen. Sie waren bei Stamford Bridge gefangen genommen, aber gut behandelt worden und hegten keine feindseligen Gefühle gegen die Engländer oder gegen Fremde im Allgemeinen.

Als er zu Ende gesprochen hatte, sah sich Vallon in der Runde um. «Wo ist Raul?»

Wayland hielt den Blick gesenkt.

«Ich habe eine Frage gestellt.»

«Wir haben uns bei Sonnenuntergang in der Stadt getrennt.»

Vallon zog ein finsteres Gesicht, doch er sagte nichts weiter.

In den frühen Morgenstunden wurde Wayland von betrunkenem Gegröle geweckt. Er stemmte sich auf die Ellbogen hoch. Dann hörte er einen dumpfen Schlag, dem gelallte Flüche folgten. Leise schimpfend stand er auf und tastete sich auf die Straße hinaus. Raul lag rücklings vor der Tür. Seine Saufkumpane schwankten Richtung Hafen weiter, ihr misstönender Gesang hallte durch die Nacht. Wayland schleppte Raul ins Haus und lehnte ihn an eine Wand.

«Bischt du das, Wayland? Willscht du nischt wasch mit dem alten Raul trinken?»

«Vallon zieht dir bei lebendigem Leib die Haut ab.»

Raul blinzelte zu Wayland hinauf. «Der kann misch mal.»

Wayland ließ Raul sitzen, wo er war, und ging wieder schlafen. Am nächsten Morgen weckte er ihn, indem er ihm einen Kübel Wasser ins Gesicht schüttete. Raul stürzte sich hustend auf den Falkner, aber davon ließ sich Wayland nicht beeindrucken.

«Vallon erwartet dich an Bord.»

Raul trottete zum Schiff. Vallon stand mit steinerner Miene an Deck, die übrige Mannschaf erwartete hinter ihm aufgereiht seinen Urteilsspruch. Raul, immer noch benebelt, nahm Achtungsstellung an, mit herausgedrückter Brust, erhobenem Kopf und rotgeäderten Augen, die ins Ungefähre starrten. Er schwankte leicht.

Vallon trat vor ihn. «Ich würde dich auspeitschen, wenn du nicht so ein dickes Fell und so einen kümmerlichen Verstand hättest.»

«Ja, Hauptmann.»

«Mund halten. Jetzt weiß ich, warum du in den Armeen von halb Europa gedient hast. Du bist eine Schande. Halt den Mund und hör zu, weil ich dir das nur ein einziges Mal sage. Noch ein Fehlverhalten, und ich entlasse dich ohne einen Penny. Dann kannst du dir deinen Heimweg alleine suchen.» Vallon trat zurück. «Das schwör ich dir. Kapiert?»

«Ja, Hauptmann.»

«Du kannst deinen Rausch in der Sägemühle ausschwitzen. Und jetzt geh mir aus den Augen.»

Als Raul davonschwankte, nahm Vallon Wayland am Arm. «Pass auf ihn auf. Und sorg dafür, dass er bei Sonnenuntergang zurück ist.»

Auf dem Holzplatz packte Raul den oberen Griff der Zugsäge und legte sich wie ein Besessener ins Zeug, bis der Holzarbeiter in der Sägegrube um Gnade flehte und von einem anderen abgelöst wurde. Raul grinste Wayland so breit an, dass seine Zahnlücken sichtbar wurden. «Zünftig arbeiten, zünftig leben. Tot ist man noch lange genug.»

Es war schon morgens warm, und im Laufe des Tages wurde es schwül. Kein Lüftchen regte sich, und an den Bäumen rührte sich kein Blatt. Der See wirkte wie ein Zinnteller, und kein einziger Fisch stieg auf, um den Wasserspiegel zu küssen. Im Süden bezog sich der Himmel und nahm eine kupferfarbene Tönung an.

Raul kam zu Wayland und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. «Wir verziehen uns besser. Wenn der Sturm so heftig wird, wie es aussieht, ist die Straße bald der reinste Sumpf.»

Blitze zuckten über den südlichen Himmel, als sie die Ladung festzurrten. Donner grollte und erschreckte die Ochsen. Der Fuhrmann musste sie am Zügel führen, damit sie den stark abfallenden Weg hinuntergingen. Wayland und Raul saßen auf dem Karren und versuchten, ihre Geschwindigkeit mit derjenigen der dunklen Wolkenberge zu vergleichen, die sich über den Himmel heranschoben. Als die Stadt in Sicht kam, war die gesamte Umgebung in das geisterhafte Grau einer Welt getaucht, die kurz vor der Verfinsterung steht.

Sie waren am Stadtrand angekommen, als ein gewaltiger Blitz Wayland blendete und ihn der sofort darauf folgende Donner beinahe taub werden ließ. Dann öffnete der Himmel seine Schleusen, und eine Sintflut stürzte mit solcher Heftigkeit herab, dass sie den Boden unter einem Teppich aus Spritzwasser verschwinden ließ. Die Ochsen gingen durch und zerrten den Karren von der Straße auf ein Feld, das sich schon in einen See verwandelt hatte. Der Fuhrmann sprang vom Bock, um die Zugriemen zu entwirren. Wayland glitt vom Karren, um ihm zu helfen. Die Blitze folgten beinahe ohne Unterbrechung aufeinander und tauchten zwischen Momenten schwärzester Dunkelheit alles in grelles Weiß.

Die Ochsen hatten sich vollkommen in ihrem Geschirr verheddert. Raul tauchte neben Wayland auf und schnitt die Tiere mit seinem Messer aus den Riemen. Sofort stürmten sie buckelnd in den Sturm, und der verzweifelte Fuhrmann lief hinterdrein.

Raul lachte wie ein Geisteskranker. «Ich weiß, wo wir uns unterstellen können!», rief er und rannte spritzend durch die überfluteten Gassen.

Wayland holte ihn vor einem Haus ein, an dem ein Wirtshausschild hing. «Lernst du es denn nie?»

Raul hob beide Handflächen, wie zum Versprechen, dass er sich angemessen benehmen würde. Vom Rand des Strohdachs klatschte ihnen Regenwasser auf den Kopf. Sie standen bis zu den Knöcheln im Wasser. «Wir gehen, sobald es zu regnen aufhört. Ich schwöre es.»

Er duckte sich unter dem Türsturz hindurch. Ein weiterer Blitz fuhr gleichzeitig mit einem ohrenbetäubenden Donnern zur Erde herab. Wayland wischte sich das Wasser aus den Augen und trat über die Schwelle in eine dunkle und friedliche Bierschwemme. Ein älterer Aufwärter, der an der Tür gesessen hatte, stand auf und nahm ihnen bis zu dem Messer, das Raul unter seiner Mütze verborgen trug, sämtliche Waffen ab. «Wirtshausregel», sagte der Deutsche. «Manchmal kommen ziemlich streitlustige Gesellen herein.» Wayland folgte ihm dicht auf den Fersen und prüfte, ob von irgendwoher Ärger drohte. Die Kirche des Teufels, so hatte seine Mutter die Bierschwemmen genannt. Diese Lasterhöhle war groß, und von einer riesigen Feuerstelle inmitten des Raumes her roch es nach Torfrauch. Im Licht von Talgkerzen machte Wayland eine überraschend große Zahl von Trinkern aus.

Sie begrüßten Raul lautstark und grinsten, als er sich an den Tresen schob. Der Gastwirt war schon mit ergebener Miene dabei, die Becher bereitzustellen. «Eins muss man den Schotten lassen», sagte Raul. «Sie brauen ein gutes Bier.»

Sie nahmen ihre Becher mit zu einer Bank am Feuer. Wayland zog den einen und dann den anderen Schuh aus und streckte die Beine aus. Seine Hosen begannen zu dampfen. Er fühlte sich angenehm müde. Der Hund streckte sich aus, um sich die Flanken zu wärmen.

«Dieses Feuer brennt das ganze Jahr über», sagte Raul. «Ist schon seit hundert Jahren nicht mehr ausgegangen.»

«Ich vermute, du hast dich gestern Abend hier volllaufen lassen.»

Raul frischte seine Erinnerungen mit einem Blick in die Runde auf. Er hob seinen Becher in Richtung einer Gruppe Würfelspieler, die vor der gegenüberliegenden Wand saßen. «Siehst du diesen piktischen Wilden mit den roten Haaren dort drüben? Hört auf den Namen Malcolm.»

Wayland machte einen wüst aussehenden Kerl aus, der auf Rauls Gruß reagierte, in dem er eine Hand schützend über seinen Trinkbecher legte. Seine Gefährten lachten und schlugen auf den Tisch.

«Dem möchte ich nicht ins Gehege kommen», sagte Wayland.

«Genau das ist mir passiert. Er und ich hatten einen Riesenstreit. Er hat mich unglaublich beleidigt, hat mich Sohn einer Hure, Hundefurz und Schweineschwanz genannt. Immer weiter ging das so, er musste kaum Luft holen und hat sich kein einziges Mal wiederholt. Der ist ein echtes Großmaul. Nicht, dass ich jedes Wort genau verstanden hätte, aber was er meinte, war trotzdem klar. Besonders am Schluss, als er sein Hemd hochgezogen und mir seinen dreckigen, behaarten Arsch entgegengehalten hat.»

Wayland riss die Augen auf. «Und was hast du getan, dass er sich so aufregte?»

«Es war eine Wette, und ich habe gewonnen. Du wärst stolz auf mich gewesen.»

Wayland blinzelte. «Es ist ein Wunder, dass wir dich nicht mit aufgeschlitzter Kehle auf einem Misthaufen gefunden haben.»

«Ich habe nur deshalb so viel Ale getrunken, damit sich meine Zunge löst. Jede Beleidigung und Kränkung, die er vorgebracht hat, habe ich noch übertroffen. Ich könnte dir nicht wörtlich wiederholen, was ich gesagt habe, weil ich mich nämlich nicht mehr daran erinnern kann, aber den Abschluss meiner Vorstellung hättest du bestimmt großartig gefunden.»

«Und wie war der?»

«Ich bin zu ihm rübergegangen, hab meine Hosen aufgeknöpft und ihm in den Alebecher gepisst.»

«O Gott», stöhnte Wayland. Er warf einen verstohlenen Blick auf Malcolm und seine Kumpane. «Und was hat er getan? Was haben seine Freunde getan?»

«Haben mir das nächste Bier bezahlt. Haben mir auf die Schulter geklopft und gesagt, ich wäre der König der Lästerer.» Raul prustete vor Lachen. «Du solltest mal dein Gesicht sehen», sagte er und ließ seinen Kopf auf den Tisch sinken. Dann begann er zu schielen wie eine boshafte Kröte. «Verstehst du nicht? Es war ein Spiel. Leute zu beleidigen ist hier eine Art Sport. Flyting nennen sie es.» Raul leerte seinen Becher und deutete auf den von Wayland. «Noch eins?»

«Nein», sagte Wayland schwach. Dann sprang er auf und stemmte die Hände in die Hüften. «Auf gar keinen Fall.»

«Es schüttet aber immer noch.»

«Wir sind hier weg.»

Doch als sich Wayland zum Gehen wandte, öffnete sich mit einem dröhnenden Donnerschlag die Tür und drei lachende Herren kamen herein. Sie schüttelten den Regen von ihren Umhängen. Der Aufwärter verbeugte sich vor ihnen, vollführte einen Kratzfuß, und machte keinerlei Anstalten, ihnen die Schwerter abzunehmen. Von allen Seiten riefen ihnen Gäste mit erhobenen Bechern Willkommensgrüße zu. Die Neuankömmlinge waren offenkundig hochstehende Männer. Ihr Anführer, großgewachsen, dunkelhaarig und gutaussehend, trug sein langes Haar in geölten Ringellocken. Über seinen Rücken hing ein Umhang aus indigoblauer Wolle mit Brokatsäumen. Am Hals wurde er mit einer wundervoll gearbeiteten Spange geschlossen, die zwei Schlangen darstellte, die sich in die Schwänze bissen. An seinen Fingern steckten Goldringe, und an den Handgelenken trug er silberne Armreifen, die mit ihrer Dicke eher an Wurfringe erinnerten. Seine Schwertscheide war mit beschnitzten Elfenbeinplättchen besetzt, von Silberdraht eingefasst, der Schwertknauf hatte die Form eines Schnabelkopfes. Mit seiner Ankunft verbreitete sich augenblicklich Feierstimmung. Die Gespräche wurden lebhafter, und ein Fiedler nahm sein Rebec auf und begann zu spielen.

«Ein schottischer Clanführer?», flüsterte Wayland.

«Ein hohes Tier aus Irland. Gehen wir lieber noch nicht. Finden wir lieber heraus, was ihn in diese Stadt führt.»

Auf seinem Weg zum Tresen bemerkte der strahlende Anführer Waylands Hund, und er machte seine Gefährten auf das Tier aufmerksam. Als der Gastwirt sie bedient hatte, lehnten sie sich mit dem Rücken an den Tresen und ließen ihre Blicke über die Anwesenden schweifen, als wären die Wirtshausgäste eine Schaustellergruppe, die man zu ihrem Vergnügen hierherbestellt hatte. Der Anführer trank einen Schluck aus seinem silberbeschlagenen Trinkbecher und sah mit anmaßender Direktheit zu Wayland und Raul hinüber. Dann wischte er sich den Schaum von den Lippen und entblößte grinsend seine großen, weißen Zähne. «Lachlan mein Name», sagte er. «Und diese jungen Herren sind meine Gesellschafter, O’Neil und Regan. Ihr seid wohl die Händler aus England.»

«Stimmt», sagte Raul. «Wir sind an diesem Hafen fast fertig. Es gibt kaum etwas, das sich zu kaufen lohnt.»

Lachlan schlenderte zu ihnen hinüber. «Ich bin selbst Händler. Wir sind nach London unterwegs.»

«Ach ja?», sagte Raul. «Welche Waren tauscht Ihr ein?»

«Sklaven. Viele Sklaven.»

Raul ließ seinen Blick verstohlen über die Wirthausgäste schweifen. «Ihr verkauft schottische Sklaven an die Engländer?»

Lachlan setzte sich auf das Ende ihrer Bank und lächelte. «Genau umgekehrt. Ich verkaufe englische Sklaven an die Schotten und Norweger, aber die besten behalte ich für den Markt in Dublin.» Er schnippte mit den Fingern. «Herr Wirt, zwei Becher Maisbier für meine englischen Freunde.»

«Danke», sagte Wayland. «Aber wir gehen gerade.» Sein Hund kam auf die Füße und schüttelte sich.

Lachlan wies mit der Hand auf ihn. «Das ist ein schöner Hund, den du da hast.»

Wayland neigte den Kopf zum Dank für das Kompliment.

Lachlan ging auf den Hund zu. Das Tier holte sich mit einem Blick auf Wayland seinen Befehl und blieb ruhig stehen, nur seine Augen folgten Lachlan, der es umkreiste, seine Vorzüge einschätzte und beurteilte.

«Dieser Hund hat einen Anteil Wolf in sich. Und zwar irischen Wolfshund, wenn ich mich nicht irre. Wie bist du an das Tier gekommen?»

«Mein Vater hat ihn in Northumbrien gezüchtet.»

«Und wie heißt er?»

«Er hat keinen Namen.»

Lachlan verschluckte sich beinahe an seinem Ale. «Du hältst von deinem Hund anscheinend nicht viel, wenn du ihm nicht einmal einen Namen gibst.»

Raul mischte sich ein. «Wayland konnte dem Hund keinen Namen geben, weil er die Sprache verloren hatte, und als er sie wiederfand, hatte das Tier gelernt, ihm ohne jedes gesprochene Wort zu gehorchen.»

«Das ist wohl ein Scherz.»

«Hand aufs Herz. Es ist beinahe unheimlich.»

Lachlan betrachtet Wayland. «Schickst du ihn in die Grube?»

«Was?»

Lachlan sprach so deutlich, als hätte er es mit einem Schwachkopf zu tun. «Kämpft er um Wetteinsätze gegen andere Hunde?»

«Nein.»

«Und auch nicht gegen Bären oder Bullen oder andere Tiere?»

«Nein, er kämpft nicht.»

Das fand Lachlan offenkundig höchst bedauerlich. «Hier wird ein guter Hund verschwendet», erklärte er O’Neil und Regan. Dann drehte er sich wieder zu Wayland um. «Wie viel willst du für ihn haben?»

«Er ist nicht zu verkaufen.»

Lachlan schnalzte mit der Zunge. «Alles ist käuflich, mein Junge. Das wirst du noch feststellen, wenn du mehr Lebenserfahrung gesammelt hast.»

«Ich will ihn nicht verkaufen.»

«Ich würde nicht einmal handeln. Nenn mir deinen Preis.»

Wayland schluckte und schüttelte den Kopf.

«Du heißt ‹Wayland›, wenn ich es richtig gehört habe.»

«Ja, Herr.» Wayland hasste das feige ‹Herr›, aber dieser reiche, irische Sklavenhändler gab ihm aus irgendeinem Grund das Gefühl, ein zurückgebliebener Hinterwäldler zu sein.

«Nun, Wayland, du sollst wissen, dass man Lachlan nicht mehr loswird, wenn er etwas haben will.» Der Mann öffnete eine Börse aus Silbergeflecht und legte so viele Pennys auf den Tisch, dass Wayland irgendwann aufhörte zu zählen und die Augen abwandte, als habe man ihm einen unanständigen Anblick zugemutet. Lachlan ließ noch ein paar mehr Münzen als Zugabe auf den Tisch fallen. «Niemand kann mich einen Knauserer nennen. Das ist der Preis, den ich für einen Sklaven zahle.»

Schweigend stand Wayland auf. Er fühlte sich erbärmlich.

«Komm schon, Junge, nimm es.»

«Ihr hättet Euer Geld verschwendet. Der Hund würde nicht mit Euch gehen.»

Lachlan sagte beruhigend: «Ich will ihn ja auch nicht als Schoßtier. Ich werde ihn nicht schonen. Wenn er erst einmal eine Woche bei mir war, wird er genau wissen, dass ich sein Herr bin, das schwöre ich. Bei Gott, es ist noch kein Welpe geboren, der sich mir nicht untergeordnet hat.» Er hob seinen Becher. «Stimmt doch, Freunde, oder?»

Der Hund ließ mit einem Klacken seine Kiefer zusammenfahren und sprang mit einem Satz neben Wayland.

Lachlan lachte. «Ich vermute, er würde am liebsten seine Hauer in mir versenken.» Er schlug sich auf den Oberschenkel. «Verflucht, es ist ein Verbrechen, so ein starkes Tier zu haben und es nicht kämpfen zu lassen.»

«Komm», sagte Wayland zu Raul. «Vallon wird sich schon fragen, wo wir bleiben.»

«Ist Vallon euer Herr?»

Wayland ging einfach weiter und war schon halb an der Tür, als Lachlan seinen Namen noch einmal sagte. Wayland blieb stehen.

Lachlans Hand fiel auf seine Schulter, und seine Stimme flüsterte in Waylands Ohr: «Ich habe Jungfrauen ihren Müttern abgekauft, die vor mir auf die Knie gefallen sind und mir vor Dankbarkeit die Hände geküsst haben. Gegen Silber gibt es einfach keine Einwände. Wenn ich zu deinem Herrn Vallon ginge, garantiere ich dir, dass du und dein Hund bis Mitternacht in meinem Besitz wärt.»

Wayland sah die Goldringe an Lachlans Fingern glänzen. «Ich habe es Euch gesagt. Der Hund ist nicht zu verkaufen.»

Lachlan versetzte Wayland einen Klaps auf den Hinterkopf. «Dann weg mit dir, und nimm deinen namenlosen Köter mit. Ich war zu großzügig. Das schlechte Licht hat ihm geschmeichelt. Jetzt, wo ich ihn besser sehen kann, muss ich feststellen, dass er zu lange Knochen hat für einen Kampfhund.»

Sie wären ungeschoren davongekommen, wenn Raul nicht versucht hätte, das letzte Wort zu haben. «Dieser Hund ist kein Köter.»

Lachlan hatte sich schon umgedreht, für ihn war die Sache anscheinend erledigt. «Wie würdest du denn einen Hund nennen, der zu feige zum Kämpfen ist?»

«Er kämpft nicht, weil er es nicht muss.»

«Sei still», zischte Wayland.

Lachlan wandte sich an seine Freunde. «Ich gebe euch ein Rätsel auf: Ein Hund, der tut, was man ihm sagt, ohne dass man es ihm sagt, und der nicht kämpft, weil er es nicht muss.»

Raul war rot geworden. «Der Hund tötet, was ihm in den Weg kommt. Er kämpft nicht. Er tötet einfach.»

Wayland stöhnte.

Lachlan strich sich übers Kinn. «Gilt das auch für Hunde?»

Raul zuckte mit den Schultern. «Ich habe noch keinen gesehen, der sich gegen ihn behaupten konnte.»

Lachlan grinste. «Hol Dormarth», sagte er, und Regan eilte hinaus. «Kennst du diesen Namen?», fragte er Wayland. «In der alten Religion von Irland ist Dormarth der Hund, der das Höllentor bewacht.»

Lachlan nahm eine Münze auf und ließ sie auf das Häufchen zurückfallen. «Mein Angebot steht noch. Tot ist dein Hund keinen Penny mehr wert.»

Der Atem bebte in Waylands Kehle. «Eurer auch nicht.»

Lachlan zog eine Augenbraue hoch. «Wenn du ihn so hochschätzt, wirst du auf den Ausgang des Kampfes wetten wollen.»

«Ich habe kein Geld zu verspielen.»

Lachlan lachte. «Setz doch dich selbst ein. Ein ansehnlicher Kerl wie du würde in Dublin einen ganzen Topf Silber einbringen.» Er streckte die Hand aus und tätschelte Waylands Wange.

Raul schob sich zwischen sie. «Welchen Wettkurs bietet Ihr an?»

«Passt dir drei zu eins?»

«Gemacht.»

Raul kramte die wenigen Münzen zusammen, die ihm nach seiner Prasserei vom Vorabend noch geblieben waren. Lachlan beäugte sie geringschätzig. Dann wandte er sich mit einer weitausholenden Geste an die Übrigen im Raum. «Kommt her und schließt eure Wetten ab.»

Ein paar Zechbrüder, die von der Größe von Waylands Hund beeindruckt waren, setzten ein paar Pennys auf ihn, doch Lachlans Ruf als Kenner von Kampfhunden war allgemein bekannt, und er musste den Wettkurs verdoppeln, bevor die Leute zu ihren Börsen griffen.

«Warum bist du denn so schlecht gelaunt?», murmelte Raul, der dicht neben Wayland stand. «Wir wären so oder so nicht aus der Sache herausgekommen, also können wir genauso gut ein bisschen Geld dabei verdienen.»

Wayland schob ihn von sich. «Mit dir bin ich fertig.»

Die Nachricht von dem Kampf hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und immer mehr Leute kamen in das Gasthaus. Lachlan befahl dem Wirt, er solle auf seine Kosten ein Fass anstechen, und die Stimmung im Raum wurde immer hitziger. Ein paar Huren, die einander untergehakt hatten, zogen durch die Menge wie verblühte Rosen. An der Tür erhob der Gastwirt einen Viertelpenny Eintritt, und sein Gehilfe legte Pennys auf einen Hackklotz, um sie mit einem Beil zu vierteln. Lachlan führte den Vorsitz über die Veranstaltung, empfing die Neuankömmlinge und ermunterte sie zum Wetten. Wayland legte seinem Hund zur Beruhigung die Hand auf den Rücken. Sowohl er als auch das Tier hassten Gedränge. Immer mehr Menschen schoben sich herein, bis nur noch der Platz frei war, den man für den Kampf geräumt hatte. Sogar auf dem Deckengebälk saßen Zuschauer. Auf dem Wetttisch häuften sich Münzen aus jedem Land Europas und weit entfernten Fürstentümern.

Lachlan kam zu Wayland herüber. «Leg deinen Hund an die Leine. Weißt du, wie man ihn aufstachelt?»

«Der Hund hat noch nie an der Leine gelegen, und Regeln kennt er nicht.»

«Wir spielen anständig. Wir lassen sie kämpfen, bis nur noch einer von ihnen aufrecht steht.»

«Wayland!»

Der Schrei war von der Eingangstür gekommen. Der Wirt und sein Gehilfe versuchten, die Tür vor immer weiteren hereindrängenden Gästen zuzuschieben. Wayland erhaschte einen Blick auf Syth, die in dem Gedränge ein ums andere Mal hochsprang.

«Hol Vallon!»

Lachlan hatte Wayland gehört und machte einen Schritt nach vorn, aber Syth war schon verschwunden, und der Gastwirt schob die Tür zu.

Erwartungsvollen Schweigen legte sich über den Raum. Waylands Hund hechelte gequält. «Lasst ein bisschen frische Luft herein», sagte Lachlan. Seine Anordnung wurde weitergegeben, bis einige Männer die Fensterläden aufstießen und in der großen Gaststube ein träger Luftzug spürbar wurde. In der Ferne grollte letzter Donner.

Wayland hörte ersticktes Knurren und scharrende Klauen.

«Macht die Tür auf», rief Regan von draußen. «Ich kann ihn kaum noch halten.»

Lachlan lächelte Wayland zu. «Aufmachen», rief er. «Macht Platz. Nehmt euch in Acht. Der da draußen ist nämlich bissig.»

Wayland und sein Hund wechselten einen Blick. Dann sprang die Tür auf, und die Leute rechts und links schraken zurück. Durch den Gang, den die Zuschauer gebildet hatten, raste ein blasses Muskelpaket und zog Regan hinter sich her, der sich vergebens mit den Fersen in den Boden stemmte. Alle zuckten vor dieser ungezähmten Wildheit zurück. Als sich Lachlan zum Kampfplatz umdrehte, verschwand Waylands Hund zwischen den verdutzten Zuschauern.

Noch während sie enttäuscht durcheinanderredeten, riss sich Dormarth los, raste im Kreis um den Kampfplatz inmitten der Zuschauer und winselte, als er den Geruch seines verschwundenen Gegners witterte. Wayland hatte solch grauenhaft auf Brutalität getrimmte Tiere noch nie ertragen können. Dieser Hund war niedriger als ein Mastiff, doch er trug über seinen gedrungenen Beinen und dem bulligen Nacken einen Schädel, der genauso groß war wie der seines eigenen Riesenhundes. Mit seinen hoch am Kopf sitzenden, schrägen Augen, den bis zum Knochen kupierten Ohren und den enormen Hauern, die in dem halb aufstehenden Maul zu sehen waren, erinnerte dieser Hund an ein Untier, das aus Tiefen heraufgestiegen war, in die niemals ein Sonnenstrahl dringt. Verdicktes Narbengewebe breitete sich wie ein Netz um seine Schnauze aus, und der zuckende, rattenartige Schwanz wirkte an diesem sehnigen Körper, als habe ihn jemand hinzugefügt, um einen obszönen Witz zu machen. Dormarth witterte an Wayland den Geruch des Hundes und rannte mit gefletschten Zähnen gegen seine Hüfte an. Wayland konnte Hunde genauso gut einschätzen wie andere Männer ihre besten Freunde, aber in diesem Tierschädel gab es nur eins zu ergründen – den irrsinnigen Trieb Dormarths, seinesgleichen zu töten.

Lachlan versetzte Dormarth einen Tritt, der einen anderen Hund verkrüppelt hätte, und ging zu Wayland. «Hast du deinem Hund befohlen, den Schwanz einzuziehen?»

«Ich habe Euch ja gesagt, dass er nicht kämpft.»

«Ruf ihn zurück.»

«Das werde ich nicht tun.»

«Euer Hund gewinnt durch Aufgabe des Gegners», sagte Raul mit einem vorwurfsvollen Seitenblick auf Wayland.

Lachlan stand mit gespreizten Beinen vor ihnen, die Hand am Schwertknauf. «Wir haben uns auf einen Wettkampf geeinigt, und du erfüllst deinen Part nicht. Ich habe noch nie über einen Vertragsbruch hinweggesehen.»

«Ich habe überhaupt nichts zugesagt.»

Lachlan stieg das Blut in die Wangen. Er wandte sich an die Zuschauer. «Was sagt ihr? Ihr habt bezahlt, um einen Kampf zu sehen. Wollt ihr etwas für euer Geld oder nicht?»

Die Leute brüllten und trommelten auf die Tische.

«Gib ihm dein Schwert», sagte Lachlan zu Regan. Wayland nahm es. Er hatte keine Wahl. Raul war inzwischen klar, wohin das alles führen würde, und mit erstarrter Miene sah er zu, wie sich die Katastrophe anbahnte, die er selbst ausgelöst hatte. Lachlan ging zur anderen Seite des Kreises und begann so heftig mit seinem Schwert herumzuwirbeln, dass die Zuschauer glaubten, es könne ihm jeden Augenblick aus der Hand fliegen. Wayland hörte ihr entsetztes Einatmen. Eine abendliche Brise strich durch die offenen Fenster herein. Er pfiff.

Als Lachlan Kampfstellung einnahm, breitete sich an einer Seite des dichtgedrängten Zuschauerrunds Unruhe aus. Zwei Männer in der ersten Reihe fielen um wie Kegel, und der Hund sprang an ihnen vorbei in den Kreis. Bevor noch allen klar wurde, was vor sich ging, hatte er sich schon auf Dormarth gestürzt und warf ihn um. Dormarth rollte ins Feuer, und zischend brannten sich die Kohlen in sein Fell, bevor er, nach versengtem Haar stinkend, wieder aufsprang. Sofort verbiss sich Waylands Hund in einen von Dormarths Vorderläufen und schleuderte ihn gegen den Tisch mit den Wetteinsätzen. Silbermünzen flogen durch den Raum. Dormarth setzte mit gekrümmtem Rücken zum Sprung an und versenkte seine Zähne in der linken Schulter des Hundes. Dort hing er wie ein grauenvoller Parasit, während sich Waylands Hund im Kreis drehte. Dormarth ließ los, und die Hunde verbissen sich in den Mäulern, wobei ihre Hauer mit einem hellen Geräusch aneinanderprallten. Der Hund stellte sich auf die Hinterbeine und zwang so auch Dormarth hoch, worauf sie in einer Art steifbeiniger Gavotte um den Kampfkreis liefen, bis der Hund den Vorteil seiner Größe nutzen und Dormarth hinabzwingen konnte. Dormarth gab die Schnauze des Hundes frei und versuchte, ihn an der Kehle zu packen, aber der Hund war schneller und kannte keine Regeln. Er drückte Dormarths Kopf zur Seite, schob sich mit seinem ganzen Körpergewicht nach und schlug seine Kiefer tief ins Fleisch über Dormarths Rückgrat. So hob er ihn wie einen Sack an und schleuderte ihn mit einem dumpfen Knall wieder auf den Boden, bei dem die Zuschauer unwillkürlich aufstöhnten. Wieder und wieder ließ der Hund seinen Gegner auf den Boden prallen, während Lachlan um die beiden kämpfenden Tiere herumtanzte.

«Ruf deinen Hund zurück!»

Auch als Wayland den Hund zurückgezerrt hatte, wollte Dormarth nicht aufgeben. Mit gebrochenem Rückgrat, verletzten Eingeweiden und zerfleischten Hinterbeinen schleppte er sich auf den Vorderläufen weiter und zog dabei eine Spur aus Kot und Urin hinter sich her.

«Steh nicht einfach rum!», schrie Lachlan O’Neil an. «Töte ihn.»

O’Neil erhob sein Schwert mit beiden Händen, und Dormarth schluckte die Klinge, als wäre sie eine Belohnung. Durch die Menge lief ein Stöhnen ekstatischer Abscheu.

Der Hund setzte sich vor Wayland. Aus seiner zerbissenen Schnauze troff Blut, und seine Lungen pfiffen. Doch von diesem Geräusch abgesehen war die Stille mit Händen zu greifen.

«Bei Gott, so etwas habe ich noch nie gesehen.»

Jemand sprang von einem Balken herunter, um seinen Gewinn zu reklamieren. Lachlan schwang sein Schwert, wie um dieses Unglück abzuwenden, das er noch nicht vollständig begriffen hatte.

In diesem Moment wurde an die Tür gehämmert. Dann noch einmal, lauter.

Lachlans Wangenmuskeln arbeiteten. Er hob die Hand. «Sieh nach, wer das ist.»

Die Riegel wurden aufgeschoben. Die Menge an der Tür teilte sich. Vallon und Garrick kamen mit gezogenen Schwertern herein. Raul schnappte sich Regans Schwert aus Waylands Hand.

«Wir haben gehört, dass es hier Ärger gibt», sagte Vallon. Er sah Wayland an. Er sah Waylands blutenden Hund an. Er sah Raul an, der Regans Schwert in der Hand hielt. Am Ende wusste er nicht, wen er zur Rede stellen sollte.

Raul begann Münzen aus dem Stroh zu klauben. «Hauptmann, es wurde darum gewettet, wer den besten Kampfhund hat.»

Jemand schleppte Dormarths verstümmelten Körper an Vallon vorbei. «Also ein harmloses Abendvergnügen», sagte dieser. «Gut. Nun, es tut mir leid, dass ich meine Mannschaft zurückberufe, aber anscheinend ist die Veranstaltung ja beendet.»

Lachlan trat einen Schritt auf ihn zu. Vallon hob das Kinn. «Ja?»

Lachlan tat so, als berühre in der Verlust Dormarths nicht. «Ihr müsst Waylands Herr sein. Bleibt auf einen Becher, bevor Ihr geht.»

Vallon reagierte nicht auf Lachlans ausgestreckte Hand. «Wir haben einen langen Tag vor uns. Ich wünsche Euch einen guten Abend.»

Vor der Tür packte er Wayland und Raul an der Kehle und zog sie auf die Zehenspitzen hoch.

«Es war nicht unsere Schuld», keuchte Raul. «Der Ire wollte den Kampf um jeden Preis.»

Vallon funkelte Wayland an.

«Es stimmt. Der Mann hatte vor, sich zu rächen, weil ich ihm meinen Hund nicht verkaufen wollte.»

Vallon knurrte, ließ die beiden los und ging mit langen Schritten Richtung Hafen davon. Raul rieb sich die Kehle und grinste Wayland an.

«War doch sehr gut, wie ich das geregelt habe, findest du nicht?»

Wayland versetzte ihm einen so gewaltigen Faustschlag, dass Raul mehrere Schritte zurücktaumelte, bevor er in den Schlamm fiel. Dort lag er und betastete seine Nase.

«Verflucht, dafür gab es keinen Grund.»

Wayland stand drohend über ihm. «Ich könnte dich umbringen.»

Mit einem saugenden Geräusch rappelte sich Raul aus dem Morast hoch und tastete nach seiner Mütze. Er zog sie, schlammverdreckt, wie sie war, über den Kopf und blinzelte Wayland an.

«Du bist der einzige Mann, von dem ich mir das gefallen lasse», sagte er und stapfte die Straße hinunter.

Jemand lachte leise. Syth stand auf der anderen Straßenseite. Wayland rang sich ein mattes Lächeln ab, und sie trat auf ihn zu. Sie betrachteten einander wortlos und gingen dann Seite an Seite zum Hafen, ohne sich anzusehen. Sie legte ihm die Hand um die Hüfte. Wie durch Zufall rutschte ihre Hand unter seinen Kittel, sie strich ihm über den Rücken und zog dann ihre Hand zurück, als hoffte sie, er hätte es nicht bemerkt. Wayland blieb stehen, als hätte ihn das Gefühl ihrer warmen Hand auf seiner nackten Haut erstarren lassen. Dann griff er nach ihr, doch sie wich ihm aus.

«Oh», rief sie. «Der Hund ist verletzt.»

Der Hund leckte ihr kurz die Hand, aber seine Aufmerksamkeit gehörte der verlassenen Straße hinter ihnen. Weit im Norden war das letzte Grollen des Donners zu hören. Sie sah zu Wayland auf.

«Es ist nicht recht, dass er keinen Namen hat.»

«Such einen für ihn aus.»

«Wirklich?»

«Wirklich.»

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