XXVII

Hero und Richard schlossen ihre Handelsmission in Skalholt ab. Dort tauschten sie die übrigen Tontöpfe gegen ein halbes Dutzend Säcke Schwefel und Wollballen ein. An diesem Abend speisten sie mit dem Bischof. Weil es ein Fastentag war, aßen sie fermentierten Hai und gekochte Robbe, die als Fisch zählte. Der Bischof erkundigte sich nach ihren Handelsgeschäften und erklärte ihnen, dass sie viel härter hätten verhandeln können. Kochgefäße waren so knapp, dass sie sogar von wohlhabenden Haushalten nur angemietet wurden und der Bischof vor kurzem einen Kirchenbann über einen Ruchlosen verhängen musste, der es gewagt hatte, im Taufbecken einen Eintopf zu kochen.

Der Bischof hieß Isleifur und war der Sohn Gissurs des Weißen, eines der ersten isländischen Clanführer, die getauft wurden. Isleifur räumte ein, dass die heidnischen Praktiken in entlegenen Regionen nicht vollständig ausgerottet worden waren. Und bei Hungersnöten setzten immer noch Eltern ihre Säuglinge den Elementen aus und brachten Blutopfer. Bildung war der Tau, der helfen würde, die zarten Keime des Christentums zu bewässern, erklärte er Hero. Zu diesem Zweck hatte er eine Schule gegründet, deren Schüler die lateinische Schrift erlernten. Er hegte großes Interesse für Heros Medizinstudium und war von dessen Sprachkenntnissen und seinem literarischen Wissen sehr beeindruckt.

Sie unterhielten sich bis spätnachts, und am nächsten Morgen gab ihnen der Bischof zwei von seinen Männern mit, die ihre Kolonne mit Tragetieren nach Reykjavík begleiteten. Der Weg führte sie durch Heideland, in dem die Farben Rostbraun und Ocker dominierten. Sie waren noch nicht sehr weit gekommen, als sie zwei Reiter auf sich zugaloppieren sahen.

«Das sind Vallon und Garrick», sagte Richard.

«Dann muss das Schiff zurück sein. Besser hätte es nicht passen können.»

Doch Richard hatte bessere Augen als Hero. «Nein. Sie bringen schlechte Nachrichten. Das sehe ich schon von hier aus.»

Bald war Vallon bei ihnen angekommen und zügelte sein Pferd. Er grüßte nicht einmal.

«Ist etwas mit der Shearwater?», fragte Hero.

Vallon schüttelte den Kopf. «Drogo ist hier.»

Hero fiel beinahe vom Pferd. Richard erbleichte.

Vallon begann unkonzentriert zu berichten. «Er war auf diesem Schiff, das im Süden auf die Felsen gelaufen ist. Unmittelbar stellt er kein Gefahr für uns dar. Er hat sich die Rippen gebrochen, und die Überlebenden aus seiner Mannschaft sind immer noch auf den Westmann-Inseln.» Er nickte in Richtung der bewaffneten Eskorte. «Wer sind diese Männer?»

«Bedienstete des Bischofs. Er wollte uns Schutz mit auf dem Weg geben.»

«Warum? Hat euch jemand bedroht?»

Hero und Richard wechselten einen Blick. «Nein, Herr. Wir wurden von allen sehr freundlich behandelt. Stimmt etwas nicht?»

«Ich habe mit dem Sohn eines Clanführers die Klingen gekreuzt.» Vallon sah sich um. «Ich habe mir Sorgen um eure Sicherheit gemacht.»

Danach ritten Hero und Richard jeden Morgen als Erstes auf eine Klippe oberhalb des Hafens und suchten den Atlantik in westlicher Richtung nach Schiffen ab. Doch ein Tag nach dem anderen verstrich, und der Horizont blieb leer. Die Nächte wurden länger und kälter, und morgens lag Raureif. Im Hafen wurden drei Schiffe für die Überfahrt nach Norwegen klargemacht. Eines davon war der Segler, der Caitlin zu ihrer arrangierten Ehe bringen würde. Drogo hatte den Bauernhof verlassen, auf dem er aufgenommen worden war, mehr wusste von ihm niemand. Sein plötzliches Auftauchen aus heiterem Himmel hatte Richards Selbstbewusstsein wieder einbrechen lassen.

Hero versuchte ihn zu beruhigen. «Sobald Helgi von Island abgesegelt ist, kann uns Drogo nichts mehr anhaben. Es dauert nicht mehr lange. Ihre Flotte wartet nur noch auf günstigen Wind.»

«Vallon ist dumm, wenn er glaubt, dass Drogo keine Bedrohung darstellt. Ich verstehe nicht, warum er ihn nicht getötet hat, als er die Gelegenheit dazu hatte.»

«Richard, du sprichst von deinem eigenen Bruder.»

«Denkst du vielleicht, Drogo würde mich verschonen, wenn ich ihm ausgeliefert wäre? Oder dich? Irgendeinen von uns?»

«Dein Bruder war wehrlos.»

«Genau wie Vallons Frau.»

Als sie am nächsten Morgen zu ihrem Aussichtspunkt hinaufstiegen, sahen sie, dass ein viertes Schiff im Hafen ankerte. Der Verband war bereit zum Absegeln. Doch als Hero am folgenden Tag aufwachte, herrschte dichter Nebel, und ein Sturm fegte von Nordost herein. Drei Tage tobte das Unwetter. Als es abflaute, drehte der Wind auf West und hielt den Schiffsverband damit im Hafen fest. Noch einmal zwei Tage später kam ein Junge mit der Nachricht zur Ottarshall geritten, dass es ein Schiff von Grönland in den Hafen geschafft hätte. Alle fuhren in ihre Kleidung und ritten in wildem Galopp zur Küste.

Sie trafen den Schiffsführer beim Entladen seines schwer mitgenommenen Seglers an. Vallon überhäufte ihn mit Fragen und bekam kurz angebundene Antworten. Der Schiffsführer war vor mehr als zwei Wochen bei der Ostsiedlung ausgelaufen. Der Sturm hatte sie weit südwestlich vom Kurs abgebracht. Nein, die Shearwater war noch nicht wieder zurück bei der Siedlung gewesen, als sie abgesegelt waren. Ja, sie hätte seitdem ebenfalls in Richtung Island in See gestochen sein können. Und wenn, dann hätte der Sturm auch sie viele Meilen vom Kurs abgebracht.

«Sie haben einen Steuermann.»

Der Kapitän sah Vallon vollkommen erschöpft an. «Euer Lotse ist tot. Er ist krank geworden, während er in der Siedlung war. Ein Auge ist so angeschwollen, dass man glaubte, es würde jeden Augenblick platzen. Er hat sich hingelegt und innerhalb einer Woche den Geist aufgegeben. Ohne Lotsen werden Eure Männer sogar bei günstigem Wetter Schwierigkeiten haben, dem richtigen Kurs zu folgen. Und wenn sie in diesen Sturm geraten sind, haben sie keine Chance, Island zu erreichen.» Dann raunzte er einen der Hafenarbeiter an. «He. Geh damit gefälligst vorsichtig um.» Zu Vallon sagte er: «Es tut mir leid um Euer Schiff, aber ich habe zu tun.»

Höchst ernüchtert ritten sie zum Frühstücken zurück nach Ottarshall. Vallon wollte nichts essen.

«Welches Datum haben wir?»

Richard führte den Kalender. «Ich schätze, heute haben wir den zweiundzwanzigsten August.»

«Wann ist die Shearwater nach Grönland ausgelaufen?»

«In der letzten Maiwoche.»

«Beinahe drei Monate.» Vallon saugte die Wangen ein und starrte an die Wand. «Wir können nicht länger warten. Bald ist die Segelsaison vorbei. Ihr wisst ja, dass einige Schiffe seit letztem Herbst hier im Hafen festsitzen.»

«Wir können nicht ohne Wayland und Raul von Island weg», sagte Hero.

«Ich habe sie angewiesen, nicht später als in der ersten Augustwoche zurückzukommen.»

«Bestimmt hat der Sturm ihre Abfahrt verzögert.»

«Aber höchstens um eine Woche. Wenn sie Ende des Monats nicht zurück sind, müssen wir davon ausgehen, dass sie in die Irre gefahren oder tot sind.»

«Und was machen wir dann?», fragte Richard.

«Wie viel Geld ist noch übrig?»

«Ungefähr fünfzig Pfund.»

«Mehr als genug, um unsere Überfahrt zu bezahlen. Wir werden uns bald darum kümmern müssen.»

«Das war’s also», sagte Hero. «Unsere Mission ist beendet.»

«Hört zu. Ich bin oft für Könige in den Kampf gezogen, die tot oder abgesetzt worden waren, noch bevor mich in der Ferne meine Befehle erreichten. Ich habe in Schlachten gekämpft, bei denen keine Seite wusste, dass ihre Herrscher am Vormittag einen Friedensvertrag unterzeichnet hatten. Wenn wir nicht einmal imstande sind, den Überblick über die irdischen Vorgänge zu behalten, können wir schon gar nicht erwarten, über Wind und Wetter zu gebieten.»

Vallon hatte sich getäuscht, was ihre Überfahrt nach Norwegen anging. Er war mit Garrick tagelang unterwegs, um sich nach einem passenden Schiff zu erkundigen. Als die beiden zurückkamen, setzte er sich mit so grimmiger Miene an den Tisch, dass keiner ihn anzusprechen wagte.

Schließlich blies er die Wangen auf. «Wir sitzen fest. Niemand will uns mitnehmen. Die einzigen Schiffe, die Richtung Süden fahren, sind die vier Segler im Hafen. Und die müssten schon vor Tagen in See gestochen sein, als der Gegenwind nachgelassen hat.»

Hero griff sich an die Kehle. «Der Wind, der sie behindert, könnte unsere Freunde zurückbringen.»

«Sie haben eine Woche lang Westwinde gehabt. Dieser Schiffsführer hatte recht. Entweder sind sie im Sturm untergegangen, oder sie wurden so weit südlich vom Kurs abgebracht, dass sie den Weg zurück nach Island nicht mehr gefunden haben.»

Hero senkte den Kopf.

Vallon trommelte mit den Fingern auf den Tisch. «Ich habe versucht, ein paar Kojen auf dem norwegischen Schiffsverband zu mieten.»

Heros Kopf schnellte wieder hoch. «Bei Helgi?»

«Nicht bei ihm. Ich habe mit den anderen Schiffsmeistern gesprochen. Aber sie haben sich allesamt mit derselben Entschuldigung herausgeredet. Alle Plätze besetzt. Dahinter steckt Helgi. Er will, dass wir hierbleiben müssen, bis er wiederkommt. Er glaubt, seine Rache wird umso süßer, je länger er sie köcheln lässt.»

Vallon stand auf, lehnte sich an den Türpfosten und sah in das trübselige Regenwetter hinaus. Dann zog er sein Schwert und vollführte einen spielerischen Hieb.

«Eine Möglichkeit bleibt uns noch. Drogo hat mich zum Zweikampf herausgefordert.» Vallon drehte sich zu den anderen um. «Das wollte ich euch noch erzählen: Drogo ist bei Helgi untergekommen.» Er schaute wieder in den Regen hinaus. «Helgi will meinen Tod genauso wie Drogo. Also tue ich allen beiden einen Gefallen. Ich stelle mich ihnen im Kampf – und wenn es sein muss auch beiden gleichzeitig.»

«Ihr habt gesagt, Drogo wäre nicht in der Form zum Kämpfen.»

«Er wird es aber sein, bis wir in Norwegen sind. So lautet meine Herausforderung und meine Bedingung. Wir bekommen eine Überfahrt nach Norwegen, und dort stelle ich mich dem Zweikampf mit Drogo.»

Richard fuhr auf. «Das wird Drogo nicht respektieren. Ganz gleich, auf welche Bedingungen er sich angeblich einlässt, er wird sie doch nicht einhalten.»

«Nicht, wenn er tot ist. Du solltest mehr Vertrauen zu mir haben.»

«Ich vertraue auf Wayland und Raul», sagte Hero. «Ich weiß, dass sie zurückkommen.»

Vallon schien Hero nicht zu hören. Seine Lippen bewegten sich, als formten sie die Worte eines Gedankens. «Ich werde meine Herausforderung morgen aussprechen. Und zwar in aller Öffentlichkeit, sodass sich niemand eine Ablehnung erlauben kann.» Er ließ ein hässliches Lachen folgen. «Verletzter Stolz? Niemand hat darunter mehr gelitten als ich. Das werde ich den beiden schon beibringen.» Er hackte mit dem Schwert in den Türpfosten. «Und wie ich es ihnen beibringen werde!»

«Wach auf», flüsterte Hero. «Es wird hell.»

Richard drehte sich auf die andere Seite. «Wozu denn aufstehen?»

«Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.» Hero spähte durch den dämmrigen Raum zu dem schlafenden Vallon hinüber. «Ich weiß, warum er verzweifelt ist. Er war monatelang wie in einem Grab eingesperrt und sollte einen langsamen Tod erleiden. Obwohl er von dort entkommen ist, haben ihn die Schrecken dieses Ortes noch im Griff. Für Vallon ist Warten die Hölle. Aber nur, weil er die Hoffnung aufgegeben hat, bedeutet das nicht, dass wir dasselbe tun sollten.»

«Es ist zu spät. Heute wird Vallon seine Herausforderung aussprechen.»

«Dann lass uns ein letztes Mal Ausschau halten.»

Richard vergrub das Gesicht im Kissen und schüttelte den Kopf.

Hero sah auf ihn hinunter, dann ging er hinaus.

Er zog gerade den Sattelgurt fest, als Richard in den Stall kam. «Tut mir leid», murmelte er. «Ich hatte schon jede Hoffnung aufgegeben, als Drogo aufgetaucht ist.»

Die Kapuzen ihrer Umhänge gegen den Wind tief ins Gesicht gezogen, ritten sie zur Küste. Eine so frische Brise wie diese konnte die Shearwater innerhalb von fünf Tagen von Grönland zurückbringen.

Sie erreichten ihren Aussichtspunkt, blieben in den Sätteln und starrten auf die hereinkommenden Brecher, bis ihre Augen tränten. Dann zogen sie sich auf die windgeschützte Seite eines Felsens zurück. Immer wieder ging Hero auf die Klippe, um übers Meer zu schauen.

«Vallon hätte sie erst gar nicht gehen lassen dürfen», sagte Richard.

Hero kauerte sich neben ihn. «Glaubst du, dass Drogo seine Herausforderung annimmt?»

«Ich sehe nicht, wie er sie ablehnen könnte. Und das macht mir Angst. Die Aussicht, mit meinem Bruder nach Norwegen zu segeln.»

«Das müssen wir nicht. Wir können hierbleiben. Vallon würde das verstehen. Ohne die Falken hat die Reise ohnehin keinen Zweck mehr.»

«Und was sollen wir hier machen?»

«Der Bischof würde uns bestimmt aufnehmen. Du hast ja gehört, wie er über den Mangel an Latinisten gejammert hat. Wir könnten in seiner Schule unterrichten.»

Richard blies sich in die Hände. «Den Rest unseres Lebens auf Island verbringen?»

«Nur bis nächsten Sommer. Ich will nicht weg, bevor ich weiß, was aus Wayland und Raul geworden ist.»

Richard verfiel in Schweigen.

«Worüber denkst du nach?», fragte Hero.

«Darüber, hierzubleiben. Nie mehr einen Apfel zu essen oder den Duft einer Rose zu riechen. Sich nie mehr an einem heißen Tag in den Schatten eines Baumes zu legen. Trockenfisch zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendessen.»

Hero lachte. «So schlimm wird es schon nicht werden.» Er stand auf und streckte Richard die Hand hin. «Wir erzählen es besser Vallon, bevor er seine Herausforderung ausspricht.»

Richard kam auf die Füße. «Glaubst du wirklich, dass der Bischof uns aufnehmen würde?»

«Ganz bestimmt.»

Sie stiegen in die Sättel und blickten ein letztes Mal auf die See hinaus. Hero hatte sein Pferd schon gewendet, als ihn Richard am Arm festhielt.

Hero blinzelte angestrengt in den Wind.

«Da ist etwas Weißes», sagte Richard.

Hero sah ihn scharf an. Überall auf dem Ozean war etwas Weißes. Schaumkronen tanzten auf den Wogen. Silbersturmvögel tauchten in Wellentäler. Kleine Inseln waren weiß vom Guano.

«Jetzt ist es weg», sagte Richard. «Nein, da ist es wieder. Es taucht auf und verschwindet wieder.»

«Zeig mir, wo.»

Richard beugte sich über den Hals seines Pferdes. «Siehst du die Insel dort? Und jetzt schau nördlich von ihr aufs Wasser. Es ist beinahe am Horizont.»

Hero beschirmte sich die Augen und spähte an der Linie entlang, die ihm Richard anzeigte. «Ich sehe es nicht.»

«Da!»

Hero wischte sich mit dem Saum seines Umhangs über die Augen und schaute angestrengt aufs Meer hinaus. Da sah er ihn plötzlich. Einen fernen Umriss, so bleich wie ein Zahn. Der Umriss verschwand, und dann tauchte er wieder auf, er hob und senkte sich im Rhythmus des Seegangs.

«Bist du sicher, dass sich da nicht einfach nur die Wellen an einem Felsen brechen?»

«Gestern war es nicht da und auch an keinem anderen Tag, an dem wir hier Ausschau gehalten haben.»

Hero musterte den Fleck, und ein Kribbeln überlief ihn. Der Fleck bewegte sich. «Du hast recht. Es ist ein Segel.»

«Und es kommt aus der richtigen Richtung.»

Hero und Richard starrten sich an, als stünden sie kurz vor einer Offenbarung.

Hero klatschte auf den Hals von Richards Pferd. «Hol Vallon.»

«Wir warten lieber, bis das Schiff im Hafen ist. Ich will sie nicht verpassen.»

«Nein. Beeil dich. Bevor er seine Herausforderung ausgesprochen hat.»

Richard ließ sein Pferd wenden und galoppierte davon. Hero raffte den Umhang eng um sich und beobachtete, wie das Schiff auf den Wellen ritt. Es wirkte so klein und zerbrechlich. Er warf einen Blick über die Schulter. Er wollte, dass Vallon kam, nicht, damit er sich wegen seiner Zweifel schämte, sondern um ihm vorzuführen, wie die Hoffnung über ein wechselvolles Geschick triumphieren konnte.

Das Schiff war nur noch eine Meile vom Land entfernt, als Hero hinter sich einen Ruf vernahm. Alle Übrigen aus der Gruppe ritten auf ihn zu. «Wir sind uns auf dem Weg begegnet!», schrie Richard.

Vallon sprang vom Pferd und lief bis an den Rand der Klippe. Die steife Brise ließ seinen Umhang hinter ihm flattern. Als er sich wieder umdrehte, tränten seine Augen. Dafür mochte der Wind verantwortlich sein oder auch etwas anderes, Hero wusste es nicht so recht.

«Es ist die Shearwater. Unsere Freunde sind zurückgekommen.»

Garrick und Richard bekreuzigten sich. Vallon sah Hero reuig an. «Du hattest recht», sagte er. «Aber ich ebenfalls. Ich rechne eben nicht mit Wundern.»

Da tauchten unterhalb von ihnen drei Reiter auf, die zum Hafen galoppierten. Die Shearwater war nun nahe genug, dass Hero an Deck Gestalten erkennen konnte, die das Segel refften, um besser in den Hafen einlaufen zu können.

«Wir sollten zu ihrem Empfang dort sein», sagte Vallon.

Lachend und jubelnd ritten sie zum Hafen hinunter. Sie waren nicht die Einzigen auf dem Weg dorthin. Anscheinend strebte die halbe Einwohnerschaft zum Kai. Vallon und seine Gefährten ritten polternd über den Landesteg. Als die Shearwater in den Hafen einbog, erstarben ihre Stimmen. Das Segel wurde eingeholt.

Richard stieg aus dem Sattel. «Da ist Raul. Er sieht aus wie ein Wilder.»

Hero winkte. «Und Wayland. Und Syth. Sie wirkt irgendwie anders. Oh, und der Hund. Sie sind alle sicher zurück. Großer Gott, ich danke dir.»

Wayland hob die Hand in einer Art Gruß. Ein großer weißer Vogel saß auf seiner Faust.

Hero packte Vallon am Arm. «Er hat die Falken.»

Syth hatte Wayland lächelnd an der anderen Hand genommen.

Garrick kicherte. «Und das Mädchen hat er auch bekommen, so wie es aussieht.»

Hero und Richard hängten sich ein und tanzten wie Verrückte im Kreis herum. Die Isländer sahen lächelnd zu, die meisten fröhlich, einige mit Rührung. Viele von ihnen hatten an dieser Stelle schon auf die Rückkehr ihrer Lieben gewartet, und manche waren danach alleine nach Hause gegangen.

Stille senkte sich herab, als die Shearwater auf ihren Liegeplatz zuglitt. Raul stand im Bug und warf Garrick ein Tau zu. Dann sprang er an Land und taumelte einen Moment lang, als hätte er damit gerechnet, dass sich die Erde gleich in die eine oder andere Richtung heben oder senken würde. Er sah sehr struppig aus und blinzelte sie mit geschwollenen Augenlidern an.

«Will uns keiner von euch begrüßen? Ihr glaubt wohl, wir wären Gespenster.»

Vallon trat vor. «Wir sind nicht sicher, ob ihr wirklich von dieser Welt seid. Ich dachte, ihr wärt tot. Was zum Teufel hat euch so lange aufgehalten?»

«Ha! Das ist eine Geschichte! Aber bis wir Gelegenheit haben, sie zu erzählen, müsst ihr nur wissen, dass uns ein Sturm nach Grönland zurückgeblasen hat. Zweimal!»

«Und das Schiff? Ist es in Ordnung?»

«Braucht ein bisschen Pflege. Nichts Ernstes. Dasselbe gilt für die Besatzung.»

«Wir werden euch verhätscheln wie Säuglinge.»

Der Hund sprang mit einem Satz vom Schiff und kugelte sich auf dem Boden. Wayland hob Syth von Bord und stieg nach ihr an Land. Sie wirkten verändert. Hero wurde bei ihren Anblick fast verlegen.

Vallon umarmte sie. «Also gibt es tatsächlich Falken, die so groß wie Adler sind. Wie viele hast du gefangen?»

«Ich habe acht mitgebracht. Ich hätte auch noch mehr holen können.»

«Das ist aber nicht alles, was wir mitbringen», sagte Raul. «Wir haben Robben- und Walrossfelle, Elfenbein und Ambra. Und etwas, das ihr noch nie im Leben gesehen habt.»

Zuletzt stiegen die beiden Mönche vom Schiff, immer noch schwer von ihrem Martyrium gezeichnet. «Allein unsere Gebete haben uns sicher zurückgebracht», verkündete Saxo. «Wir haben seit unserer Abfahrt aus Grönland ohne Unterlass gebetet.»

«Dafür sind wir Euch unendlich dankbar», sagte Vallon. «Ihr müsst einen Dankesgottesdienst abhalten. Und dann …» Er drehte sich zu den Isländern um. «Dann feiern wir die Rückkehr der Reisenden mit einem großen Fest. Alle sind willkommen. Garrick, sorg dafür, dass die Leute es erfahren.»

Hero grinste in die Menge. Doch dann gefror sein Lächeln. Hinter den Schaulustigen saßen Drogo und Helgi mit steinernen Mienen nebeneinander in den Sätteln.

Hero nahm Vallon am Arm. «Ist das klug? Nach allem, was ich gehört habe, werden auf Island mehr Leute bei Festen getötet als im Krieg.»

Vallon bedachte seine Gegner mit einem schmalen Lächeln. «Du solltest den Bischof einladen.»

Raul fiel auf sein Lager und schnarchte, bis die Sonne einmal um die Erde gewandert war. Wayland dagegen stand alle vier Stunden auf, um die jungen Falken zu füttern. Hero schaute ihm dabei zu. Wayland hielt mit Ausnahme des ausgewachsenen weißen Vogels alle in abgedunkelten Weidenkäfigen. Der Altvogel saß auf einer Stange bei Waylands Bett und zeigte keinerlei Furcht vor Mensch und Tier. Als der Hund einmal zu nahe an ihm vorbeikam, zog er ihm die Krallen durchs Fell, dass der Hund wegflitzte wie ein Welpe, der sich verbrannt hat.

Vallon und Garrick waren zur Bewachung der Shearwater im Hafen geblieben. Sie heuerten einen Trupp Schiffsbauer an, um die beschädigten Planken für die nächste Überfahrt zu flicken. Ein Hochdruckgebiet war herangezogen und sorgte für klaren blauen Himmel. Das Fest zur Wiederkehr der Shearwater wurde auf einem Feld in der Nähe des Hafens abgehalten. Hero und Richard mussten die Proviantbestände überprüfen, denn bald wurde klar, dass in einem Umkreis von zwei Tagesritten alle zu der Feier kommen würden. Der Bischof nahm die Einladung an und bat darum, dass die beiden deutschen Mönche auf der Shearwater mit nach Norwegen fahren konnten. Die ersten Gäste kamen nachmittags, und die letzten fanden sich nach Sonnenuntergang ein. Viele waren mit Zelten ausgerüstet, und glücklicherweise steuerte so mancher etwas Essbares bei. Einige hatten sogar Holz für die Kochfeuer mitgebracht.

Ein Dutzend Schafe wurde geschlachtet, und es meldeten sich genügend Helfer, um die Spieße über einer enormen Feuerstelle zu drehen. Ein weiterer großer Holzstapel war aufgeschichtet worden, um für Licht und Behaglichkeit zu sorgen. In der blutroten Abenddämmerung bat der Bischof die Gäste um Stille und hielt eine kurze Predigt, gefolgt von Gebeten für die Reisenden, die sich bald den Unbilden des Meeres ausliefern würden. Seine Worte hallten über die gebeugten Köpfe der Versammelten. Als er das Kreuz schlug und sich setzte, zündete Raul an der Kochstelle eine Fackel an und setzte das Freudenfeuer in Brand. Jubelrufe ertönten, und das Fest begann.

Platten mit Hammelfleisch wurden vor dem Bischof und den anderen Ehrengästen aufgetragen. Dieser geordneten Verteilung folgte der Aufruf, sich selbst zu bedienen. Jeder konnte sich abschneiden, so viel er wollte. Leute, die Hero noch nie gesehen hatte, drückten ihm gefüllte Trinkbecher in die Hand. Bald waren die ersten Gäste angetrunken. Am Rand des Festes kam es zu einer Schlägerei. Hero sah besorgt zum Bischof hinüber, doch Seine Hochwürden tat, als würde er nichts bemerken, und bat um eine zweite Portion.

Funken stoben aus dem Freudenfeuer empor. Hero sah hinauf in den Himmel, wo die Funken verglühten, und ein Glücksgefühl stieg in ihm auf. Er sah sich nach jemandem um, mit dem er seine Freude teilen konnte.

Syth ließ den Stoßzahn eines Narwals herumgehen. «Das hilft gegen Gifte und Wahnanfälle und Pest und ach, gegen jede bekannte Krankheit.»

Wayland stellte eine selbsterfundene Rätselfrage:

«Ich bin durch die Lüfte geflogen und übers Meer gesegelt,

Ich habe meinen Meister warm und trocken gehalten.

Eines Tages hat er mich verlassen, ist im Mondlicht nordwärts gezogen.

Ein Mann hat mich aufgehoben, ein Messer genommen, und mich beinahe nackt geschält.

Und mich in einen schwarzen Teich getaucht,

Erst als er mich tropfend wieder herausholte, konnte ich meine Geschichte erzählen.»

«Ich hoffe, das ist nichts Unanständiges», sagte der Bischof.

Wayland schüttelte lächelnd den Kopf.

Richard starrte angestrengt nachdenkend vor sich hin. «Ich weiß die Antwort. Sag nichts.» Dann klatschte er in die Hände. «Ein Gänsekiel!»

Hero sah Raul beim Tanz mit einer vollbusigen Witwe zu, die von ihm mit der unbeholfenen Förmlichkeit eines gezähmten Bären herumgeschoben wurde. Hinter ihnen tauchte ein Reitertrupp aus der Dunkelheit auf. Es waren sechs Reiter, und ihre Gesichter wurden von den Flammen blutrot gefärbt, als sie Steigbügel an Steigbügel auf der anderen Seite des Feuers anhielten.

Vallon war schon aufgestanden. «Sie werden in Anwesenheit des Bischofs keinen Unfrieden stiften.»

Vallon hatte Hero erzählt, wie geschwächt Drogo war, doch nun, mit geschnittenen Haaren und wieder wohlgenährt, sah er genauso aus, wie Hero ihn in Erinnerung hatte. Auf dem Pferd neben ihm saß ein gutaussehender junger Mann, der nur Helgi sein konnte. Vallon hatte Heros Fragen nach dem Grund ihres Streits abgetan, doch Garrick hatte ihm erzählt, dass es etwas mit Helgis Schwester zu tun haben müsse. Auch viele andere Gäste hatten die Ankunft der Reiter bemerkt und kamen heran, um festzustellen, was es damit auf sich hatte.

«Die Einladung besagte, dass keine Waffen mitgebracht werden dürfen», sagte Vallon. «Daher werde ich euch nicht bitten, uns Gesellschaft zu leisten.»

Die Männer blieben in den Sätteln. «Wir segeln morgen bei Tagesanbruch», entgegnete Drogo. «Vor der Überfahrt nach Norwegen holen wir meine Männer ab.»

«Sieht so aus, als wäre deine Reise ein Misserfolg geworden.»

«Diese Reise ist noch lange nicht zu Ende. Ich bekomme dich schon noch zu fassen.»

Ihre Blicke bohrten sich ineinander, dann riss Drogo sein Pferd herum, und die Reiter verschwanden in der Dunkelheit. Vallon klatschte in die Hände. «Wir feiern weiter.»

Beim ersten Tageslicht wurden die Leinen des Schiffsverbands losgemacht und die Segler aus dem Hafen gerudert. Eine Meile vom Ufer entfernt begann eine Brise die Segel zu blähen, und der Verband segelte langsam südwärts.

Vallon stieß den Atem aus. «Jetzt haben wir sie endgültig zum letzten Mal gesehen.»

«Drogo wird in Norwegen auf uns warten», sagte Hero.

«Soll er ruhig. Wir halten nur, um die Mönche von Bord zu lassen.»

Hero sah den kleiner werdenden Schiffen nach.

Vallon klopfte ihm auf die Schulter. «Vergiss ihn. Wir haben zu tun.»

Die Vorbereitungen für ihre Reise nahmen drei Tage in Anspruch. Wayland beauftragte ein paar Kinder damit, Vögel für die Falken zu fangen. Weil sie die Pferde mitnehmen wollten, nahmen sie genügend Futter und Wasser an Bord, um zwei Wochen auf See zu überstehen. Sie flickten Segel und Tauwerk und statteten das Ruder mit einer neuen Verzurrung aus Walrosshaut aus.

Es war nach Mitternacht, als Raul Vallon meldete, alles sei erledigt.

Vallon sah zu den Sternenwirbeln hinauf. «Wenn das so ist, geht es sofort los. Hero, hol die Mönche. Raul, bring die Pferde an Bord.»

In der Nachtstunde, in der die meisten Menschen am tiefsten schlafen, schob sich die Shearwater aus dem Hafen. Nur der Hafenmeister war da, um sich zu versichern, dass sie über die Sandbank kamen. Er hielt eine Fackel hoch über den Kopf. «Kommt bald wieder!», rief er.

«Das werden wir», antwortete Hero.

Doch er wusste, dass er, außer in Gedanken und Erinnerungen, niemals mehr nach Island zurückkehren würde. Aber Erinnerungen graben sich tief ein, und sie überwinden jede Entfernung. Er beobachtete, wie das Fackellicht am Ufer immer kleiner wurde, dann hob er seinen Blick mit einer Mischung aus Aufregung und Furcht zur Unendlichkeit des Sternenzeltes.

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