8

Der Wind fauchte ihm ein eisiges Willkommen entgegen, als er, tief über den Hals seines Pferdes geduckt, aus der Stadt sprengte. Die Wachen beiderseits des Tores traten hastig zurück, um ihm Platz zu machen, und Hagen glaubte ihre überraschten und verwunderten Blicke im Rücken zu spüren. Das eisverkrustete Holz der Brücke dröhnte unter den Hufen seines Tieres, und schon nach wenigen Augenblicken begann er die Kälte, die hier draußen, wo die mächtigen Mauern der Burg keinen Schutz mehr vor dem böigen Wind boten, doppelt grimmig schien, schmerzhaft zu spüren. Die Stadt kam rasch näher, aber Hagen galoppierte in unvermindertem Tempo weiter, ließ die Häuser der Stadt rechter Hand liegen und ritt quer über das verschneite Feld auf den Fluß und die Uferböschung zu. Mancher, der ihn aus der Stadt oder auch von den Zinnen der Festung herab beobachten mochte, wunderte sich vielleicht über die scheinbar grundlose Hast, mit der er sein Pferd zum Rhein hinab und dann weiter nach Norden trieb, ohne freilich zu ahnen, daß er diesmal wirklich und nicht nur scheinbar der finstere Unglücksbote war, als den man ihn oft scherzhaft bezeichnete. Noch wußten außer Gunther, ihm selbst und einer Handvoll Männer, die auf das Geheiß des Königs hin unterrichtet und zur Beratung zusammengerufen worden waren, niemand, was geschehen war. Aber es würde nicht mehr lange dauern, bis die Menschen in der Stadt die Wahrheit erfuhren und das Grauen des Krieges in ihre Herzen drang.

Hagen trieb sein Pferd zu noch schnellerer Gangart an. Das Flußufer flog an ihm vorüber, und schon bald verschmolzen die Dächer von Worms und der schwarze Schatten der Burg hinter ihm mit den weißen Hügeln der Winterlandschaft. Gunther würde zornig werden, wenn er erfuhr, daß Hagen sich selbst auf den Weg gemacht hatte, Siegfried zurückzuholen. Aber ganz gleich, was Gunther sagen oder denken mochte - Siegfried von Xanten war wahrscheinlich der einzige Mensch, der ihnen beistehen konnte. Burgund war ein starkes Reich, und an seinen Festungen hatte sich schon manch übermütiger Eroberer den Kopf blutig gerannt; aber Dänen und Sachsen zusammen waren stärker. Ihre vereinigten Heere waren zahlreich und stark genug, jeden Widerstand zu brechen - auch den Burgunds. Und Hagen teilte Gunthers Zuversicht nicht. Insbesondere die sächsischen Krieger waren für ihre Grausamkeit bekannt. Niemand würde ihnen freiwillig gegen sie beistehen. Niemand, der stark genug wäre, dem Morden und Brennen Einhalt gebieten zu können. Selbst die Kommandanten der römischen Kohorten, die noch immer hier und da beiderseits des Rheines lagen, drehten die Köpfe weg und sahen in eine andere Richtung, wenn die Banner der Sachsen am Horizont erschienen.

Hagen ritt eine Stunde und länger, ohne sich und seinem Tier eine Rast zu gönnen, aber von Siegfried und seinen Begleitern war nicht die geringste Spur zu sehen. Hagen versuchte sich an sein letztes Gespräch mit Giselher zu erinnern. Jedoch vergeblich. Gunthers jüngerer Bruder hatte ihm die einzelnen Stationen ihres geplanten Rittes genau beschrieben, voll kindlicher Begeisterung über die Aussicht, mit Siegfried, dem Drachentöter, reiten zu dürfen. Doch Hagen hatte nicht wirklich hingehört - warum auch? Siegfried war unterwegs, um Kühe zu zählen und die Schäden zu prüfen, die der harte Winter den Bauern zugefügt hatte, denn Gunther beabsichtigte, die Abgaben in diesem Jahr ein wenig geringer zu bemessen. Burgund war ein reiches Land, und der König konnte sich diese Großzügigkeit leisten. Und einen Drachentöter, dachte Hagen mit grimmigem Spott, der Rüben zählte und eingedrückte Weidezäune begutachtete.

Aber aus diesem wohltätigen Vorhaben würde nichts werden. Die Speicher und Schatzkammern von Worms würden sich rasch leeren, wenn Gunthers Heere zum Krieg rüsteten, und wahrscheinlich würde er sogar die Abgaben erhöhen müssen.

Wenn er dann noch ein Land hatte, das ihm seinen Anteil am Ertrag schuldig war.

Endlich tauchten vor ihm Reiter im Schnee auf. Hagen spornte sein Pferd zu noch größerer Eile an, beugte sich tief über den Hals des Tieres und hielt den Atem an, als die eisige Luft wie ein Messer in seine Kehle schnitt. Die Zügel waren hart vor Kälte, und seine nahezu tauben Finger hatten Mühe, sie noch zu halten. Es war, als kehrte der Winter zurück, statt zu weichen. Auf dem Fluß trieben kleine, an den Rändern zersplitterte Eisschollen.

Die Reiter kamen rasch näher. Sie ritten in lockerer Formation und in gemächlicher Gangart am Flußufer entlang, und Hagen hörte schon von weitem ihre übermütigen Stimmen. Es war ein gutes halbes Dutzend von Siegfrieds Begleitern - die Hälfte jener Nibelungen, die mit dem Xantener nach Worms gekommen waren -, dazu ein paar Männer aus Worms, die sich ihnen angeschlossen hatten, um der Langeweile der Stadt zu entfliehen; an ihrer Spitze Giselher und Volker, beide barhäuptig trotz der Kälte und in die flammendroten Umhänge Burgunds gehüllt, die über ihren dicken wollenen Mänteln fast ein wenig lächerlich wirkten. Ein Stück hinter ihnen, aber noch vor den Nibelungen, ritt Hagens Bruder Dankwart, in einem einfachen schwarzen Mantel, ähnlich seinem eigenen. Als sie Hagen erkannten, zügelten sie ihre Pferde. Hagen brachte sein Pferd erst knapp vor Giselher und Volker zum Stehen. Das Tier scheute; unter seinen Hufen spritzten Schnee und hartgefrorener Schlamm auf, als es tänzelnd auszubrechen versuchte. Sein Atem ging rasselnd, und Hagen mußte seine ganze Kraft aufbieten, um es zur Ruhe zu bringen.

»Hagen!« Giselhers Gesicht war vor Kälte gerötet, und in die jungenhafte Fröhlichkeit in seinen Augen mischte sich eine Spur von Sorge. »Was ist geschehen?« Sein Blick streifte Hagens Pferd. »Warum die Eile, Ohm Hagen? Seht Euch nur Euer Pferd an. Ihr habt das arme Tier beinahe zuschanden geritten.«

»Wo ist Siegfried?« fragte Hagen, ohne auf Giselhers Frage einzugehen. Er keuchte und merkte erst jetzt, wie sein Herz jagte. Nicht nur sein Pferd war verschwitzt und am Ende seiner Kräfte. »Nicht hier«, antwortete Volker an Giselhers Stelle. »Wir...« »Das sehe ich!« schnappte Hagen. »Wo ist er?«

»Was ist geschehen?« wiederholte Giselher erschrocken seine Frage. »Hat es... ein Unglück gegeben?«

»Ein Unglück?« Hagen schüttelte den Kopf. »Nein. Noch nicht jedenfalls. Es sind Boten gekommen. Von den Sachsen und aus Dänemark.« Giselher erbleichte. »Boten? Das bedeutet...«

»Krieg«, sagte Hagen. »Ihr müßt zurück nach Worms, so rasch wie möglich. Der König erwartet Euch und Siegfried von Xanten um die Mittagsstunde zur Beratung. Wo ist er?«

Giselher wich seinem Blick aus. »Nicht... nicht weit von hier...« Hagen hatte Mühe, sich zu beherrschen. Nicht nur sein Körper, auch seine Geduld war erschöpft. »Das hilft mir nicht weiter, Giselher!« sagte er ungehalten. »Wo genau?«

»Kennt Ihr die kleine Kapelle eine halbe Wegstunde östlich von hier?« fragte Volker. Dankwart, der sein Pferd zwischen das seine und das Giselhers gedrängt hatte, gab Hagen schweigend zu verstehen, daß der Spielmann die Wahrheit sprach. Hagen nickte und hob die Zügel, als wollte er sich sofort auf den Weg machen, aber Volker hielt ihn mit einem raschen Griff zurück. »Zum Teufel, Hagen, spiel nicht den Dummen!« rief er, so laut, daß jeder von Siegfrieds Männern es hören konnte. Hagen hatte plötzlich das sichere Gefühl, daß Volker genau das bezweckte. »Warum, glaubt Ihr, reiten wir so langsam? Er ist dort, aber er ist nicht allein.«

»Nicht allein? Was soll das heißen?«

Volker seufzte und verdrehte die Augen in gespielter Verzweiflung. »Er ist jetzt seit einem Jahr in Worms. Und auch Siegfried von Xanten ist ein Mann und nicht aus Holz oder Stein gemacht Muß ich noch deutlicher werden?«

Jemand lachte. Hagen sah wütend auf, und der Mann verstummte jäh. Hagen wandte sich wieder an Volker und streifte dessen Hand ab. »Nein, das müßt Ihr nicht«, sagte er ärgerlich. »Ich werde ihn holen, während ihr zurück nach Worms reitet«

»Laßt mich ihn holen«, bat Giselher, aber Hagen hatte sein Pferd bereits auf der Stelle herumgezwungen.

»Nein«, sagte er bestimmt Und als er Giselhers besorgte Miene sah, fügte er hinzu: »Keine Angst. Ich verrate nichts. Es ist mir völlig egal, ob und mit wem Siegfried ein Stelldichein hat. Denkt Euch etwas aus, um unsere Verspätung zu entschuldigen.« Er wandte sich an seinen Bruder. »Dankwart - du sorgst mir dafür, daß ihr auf dem schnellsten Weg nach Worms kommt Alle!«

Er ritt los, warf noch einen Blick über die Schulter zurück und ließ sein Pferd in einen zügigen, kräftesparenden Trab fallen. Zwei oder drei von Siegfrieds Reitern wollten sich aus der Schar lösen und ihm folgen, aber Dankwart rief sie mit einem scharfen Befehl zurück Hagen bog scharf von seinem eingeschlagenen Weg ab. Er kannte die Kapelle, von der Volker gesprochen hatte. Jedermann kannte sie. Sie lag eine knappe halbe Stunde von Worms entfernt auf einem bewaldeten Hügel und war während des Sommers ein beliebter Treffpunkt für Liebespaare, die sich hier im Schatten der Bäume ein Stelldichein gaben. Von der Kuppe des Hügels hatte man einen weiten Blick über das Land. Hagen überlegte. Gewiß hätte er Siegfried nicht ausgerechnet an einem Ort vermutet, an dem sich für gewöhnlich Stallburschen und Mägde trafen. - Nein, niemand hätte Siegfried an einem solchen Ort vermutet Gerade deshalb war er ja da. Doch es war nicht der Umstand, daß Siegfried sich mit einer Frau traf, der Hagen erzürnte - jedermann bei Hofe tat das, auch Hagen von Zeit zu Zeit. Ärgerlich war nur, daß er durch diesen Umweg kostbare Zeit verlor.

Der Boden begann sanft, aber stetig anzusteigen, und Hagens Pferd wurde langsamer. Diesmal ließ er es gewähren und trieb es nicht an. Das Tier war vollkommen verausgabt, und sie hatten noch den Rückweg nach Worms vor sich. Zudem war es nicht mehr sehr weit bis zur Kapelle. Nach einer Weile stieß er auf eine Spur. Die Spur eines einzelnen Reiters, der schräg von Norden heraufgekommen und offenbar in großer Eile gewesen war: Siegfried. Es konnte noch nicht sehr lange her sein, daß er hier vorbeigekommen war.

Hagen umrundete einen kleinen Teich, führte sein Tier behutsam über einen halbvereisten Bach und ritt das letzte Stück des Weges unter verschneiten Bäumen dahin, ehe endlich die Kapelle vor ihm auftauchte: ein kleines, strohgedecktes Gebäude mit rohen Steinwänden, das sich am Rande einer weiten Lichtung in den Schatten des Waldes zu schmiegen schien. Eine zweite Spur kam von Süden herauf, vereinigte sich auf der Lichtung mit der ersten und zog neben dieser weiter, schmaler und weniger tief; nicht die schweren Eindrücke eines Schlachtrosses, sondern die Spur eines kleinen Pferdes, wie es von Kindern oder allenfalls jungen Frauen geritten wurde. Hagen berichtigte seine Meinung im stillen: es war keine Dirne und keine Magd, mit der sich Siegfried traf. Eine solche hätte kein Pferd gehabt Hagen gab seinem Tier noch einmal die Sporen, sprengte das letzte Stück der Anhöhe in scharfem Galopp hinauf und sprang aus dem Sattel, kaum daß er die Kapelle erreicht hatte. Der Schnee vor dem Eingang war zertrampelt, und hinter der Kapelle war das nervöse Wiehern eines Pferdes zu hören. »Siegfried!« rief Hagen. »Siegfried von Xanten! Ich bringe eine wichtige Nachricht des Königs!« Er erwartete nicht, sofort Antwort zu erhalten. Minuten verstrichen, und nichts rührte sich. Einen Moment lang sah Hagen sich unentschlossen um. Nachdem er ein zweites Mal Siegfrieds Namen gerufen hatte und noch immer ohne Antwort blieb, schlug er zweimal mit der Faust gegen die Tür, ließ einen weiteren Moment verstreichen und trat ein. Die Kapelle war leer.

Unter dem einfach Holzkreuz an der Wand brannte eine Kerze, und über einer der drei rohgezimmerten Bänke hing ein bestickter Mantel. Auf der Bank, halb von dem Mantel verdeckt, lagen Siegfrieds Waffengurt und die Scheide mit seinem Schwert.

Hagen stutzte. Er schlug den Mantel zurück und streckte die Hand nach der Waffe aus. Der Gedanke, daß Siegfried eine Waffe wie Balmung wie einen billigen Dolch achtlos ablegen konnte, erschien ihm unvorstellbar. Aber es war das Nibelungenschwert. Der schmale, mit kostbaren Juwelen verzierte Griff und die lange - eine Spur zu lang erscheinende - Klinge waren unverkennbar.

Zögernd und mit einem Anflug von schlechtem Gewissen zog Hagen die Klinge aus ihrer Metallumhüllung. Er hatte Balmung zahllose Male an Siegfrieds Hüfte gesehen, aber er hatte nie Gelegenheit gehabt, das sagenhafte Schwert der Nibelungenkönige selbst in Händen zu halten. Die Klinge schien in seinen Fingern ganz sanft zu vibrieren, und für einen Moment bildete er sich ein, eine zarte, fast lautlose Stimme in ihrem Innern zu hören, ein Locken und Wispern, als hätte die Berührung seiner Hand den Geist des Schwertes geweckt.

Hagen hielt die Scheide ins Licht, drehte sie ein wenig und sah, daß die Innenseite nicht aus Metall oder Leder, sondern aus sonderbar porösem grauem Stein gefertigt war - Stein oder einem vielleicht noch härteren Stoff; so kunstfertig bearbeitet, daß Balmung jedesmal, wenn sein Besitzer ihn zog, neu geschärft wurde.

Bewundernd drehte Hagen die Waffe in den Händen. Das Schwert war riesig; so groß, daß er es unwillkürlich mit beiden Händen griff; dabei so leicht wie die Kurzschwerter, die die Römer benützten. Sein Daumen fuhr prüfend über eine der beiden Schneiden. Ihr Rand war dünner als Pergament, dabei aber noch immer von unglaublicher Härte; eine Schärfe, die beinahe unmöglich schien. Wenn das Material, aus dem das Schwert geschmiedet war, Stahl war, dann der leichteste Stahl, von dem er je gehört hatte.

Hagen machte einen spielerischen Ausfall gegen das Kruzifix an der Wand. Die Klinge schnitt pfeifend durch die Luft, so mühelos, als wäre sie eine natürliche Verlängerung seines Armes. Er spürte ihr Gewicht nicht; es gab kein Nachziehen, kein Ausbrechen, keinen fühlbaren Ruck, als er die Bewegung im letzten Moment abfing, nichts. Er fühlte die Bewegung, aber es war, als hätte er nur seinen eigenen Arm bewegt, nicht mit der Kraft seiner Muskeln, sondern durch seinen bloßen Willen. »Zufrieden?« sagte eine Stimme hinter ihm.

Hagen fuhr erschrocken herum. Siegfried stand in der Tür, mit seiner mächtigen Gestalt die Öffnung fast zur Gänze ausfüllend. Hinter ihm war eine huschende Bewegung; schnelle, vom Schnee gedämpfte Schritte, dann das unruhige Stampfen eines Pferdes, das Klirren von metallbeschlagenem Sattelzeug.

»Gefällt Euch Balmung?« fragte Siegfried, als Hagen nicht antwortete. Seine Stimme klang scharf, voll verhaltenem Zorn - oder war es Spannung, Unsicherheit, Schrecken... Er streckte fordernd den Arm aus und sah Hagen wütend an. Aber sein Blick flackerte.

Hagen rührte sich nicht. Die Klinge in seiner Hand verlieh ihm ein nie gekanntes Gefühl der Stärke, ein Bewußtsein von Macht und Überlegenheit, wie er es nie zuvor in seinem Leben empfunden hatte und das ihn erschreckte. Er begann zu ahnen, daß die wahre Stärke des Balmung mehr war als nur seine Härte und Unzerbrechlichkeit. Hastig schob er die Klinge in ihre Umhüllung zurück und legte sie wieder auf die Bank »Was gibt es?« fragte Siegfried unwirsch, immer noch ängstlich bedacht, Hagen keinen Blick nach draußen zu gönnen. Wieder huschte ein Schatten hinter ihm; gefolgt von Hufschlägen, die sich rasch entfernten und einen geübten Reiter verrieten.

»Ich habe Euch gesucht, Siegfried«, sagte Hagen, dem Siegfrieds offensichtliche Erleichterung nicht entging. Siegfrieds Verhalten erschien ihm unsinnig und unverständlich. Es gab keinen Grund für ihn, sich so zu benehmen, nur weil Hagen ihn bei einem Liebesabenteuer überrascht hatte. »Und Ihr habt mich gefunden«, sagte Siegfried. »Jetzt redet Ich hoffe, Ihr habt einen gewichtigen Grund, mir nachzuspionieren, Hagen.« Hagen wog seine Antwort sorgfältig ab. »Sogar zwei«, sagte er betont ruhig. »Die Kriegserklärung zweier Könige. Ist das Grund genug?« Siegfried schwieg einen Moment. »Lüdeger und Lüdegast«, sagte er schließlich. »Haben sie es also endlich getan.« »Endlich?« Siegfried lachte. »Erzählt mir nicht, daß Ihr überrascht seid, Hagen. Worms und Burgund hängen seit Jahren wie ein dicker goldener Apfel am Baum. Habt Ihr wirklich geglaubt, daß keiner je auf die Idee käme, ihn zu pflücken?«»Wir werden sie daran hindern«, antwortete Hagen schroff. »Aber ich bin nicht gekommen, um diese Sache mit Euch zu erörtern. Ich habe Auftrag, Euch zurück nach Worms zu holen. Ihr hättet schon gestern zurück sein sollen.«

»Ich... wurde aufgehalten«, erwiderte Siegfried gleichmütig. Er hatte sich nun wieder vollkommen in der Gewalt »Ich sehe es«, sagte Hagen.

»Vielleicht laßt Ihr Euch von einem Eindruck täuschen, der nicht stimmt.« »Was ich gesehen habe, genügt mir«, sagte Hagen steif. »Aber ich kann Euch beruhigen. Ich werde niemandem erzählen, was ich gesehen habe.« »Wer sagt Euch, daß es mich stören würde, wenn Ihr es tätet?« fragte Siegfried lauernd.

Hagen ballte insgeheim die Fäuste. Aber er beherrschte sich. »Ich bin auch nicht gekommen, um mit Euch zu streiten«, sagte er. »Reiten wir zurück nach Worms.« Er reichte Siegfried Schwert und Mantel. »Worauf wartet Ihr?« fragte er, als Siegfried weitaus langsamer, als nötig gewesen wäre, den Waffengurt umschnallte und sich bequemte, sein Pferd aus dem Wald zu holen. Der Xantener wollte offensichtlich Zeit gewinnen. Auch Hagen ging hinaus und stieg in den Sattel. Sein Schecke schnaubte unwillig, aber Hagen tätschelte ihm beruhigend den Hals und kraulte das Fell zwischen seinen Ohren. Sein Blick glitt über die verschneite Lichtung, während er ungeduldig auf Siegfried wartete. Zu den Hufspuren, die er bei seiner Ankunft vorgefunden hatte, waren neue hinzugekommen. Eine Spur, die in gerader Linie nach Süden, nach Worms und also zu der Festung führte. Nun, wenn es ein Mädchen aus der Burg war und nicht irgendeine Dirne, die Siegfried im Gasthaus in der Stadt für ein paar Münzen gekauft hatte, dann verstand Hagen sogar die Rücksichtnahme des Xanteners, auch wenn sie ihm etwas übertrieben vorkam. Endlich erschien Siegfried im Sattel eines strahlendweißen Schlachtrosses, dessen Farbe sich kaum von der des Schnees unterschied und dessen Atem in der Kälte dampfte, als speie es Feuer. Die Muskeln unter dem seidigglänzenden Fell arbeiteten in perfektem Spiel. Es war ein frisches Pferd, nicht jenes, mit dem der Xantener vor Tagen von Worms aufgebrochen war. Hagen wollte Siegfried fragen, woher er es hatte, überlegte es sich dann aber anders und deutete mit einer knappen Kopfbewegung nach Süden. Flanke an Flanke ritten sie los, zurück nach Worms.

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