Die Halle der Prüfungen war ein Krater, rund wie ein Kessel, mit schwarzen, schräg abfallenden Wänden, in die geduldige Hände Reihen um Reihen steinerner Sitze gemeißelt hatten, überspannt von einem Dach aus Wolken, der Boden ein Schacht, selbst bodenlos und von düsterer Glut erfüllt, von einem drei Manneslängen breiten Ring sorgsam geglätteter Lava umgeben.
Es war kalt, trotz der erstickenden, nach Schwefel riechenden Hitze, die aus dem Schacht emporfauchte. Die Gesetze der Natur schienen außer Kraft gesetzt, ließen Kälte und Wärme gleichzeitig und am selben Ort existieren.
Hagen fror; zugleich schmerzte sein Gesicht vor Hitze. Wieder hatte er das Gefühl, sich an der Schwelle zu einer anderen Welt zu befinden; einer Wirklichkeit, die nicht mehr ganz die seine, aber auch noch nicht ganz die der Götter Asgårds war. Die Wahrscheinlichkeit, daß keiner von ihnen den heutigen Tag überleben würde, war groß, aber der Gedanke schreckte ihn nicht; er berührte ihn nicht einmal. Ein dumpfer, mehrfach nachhallender Gong riß ihn in die Gegenwart zurück. Hagen sah, daß sich am Fuße der Kraterhalle ein Tor öffnete, wie alles hier so geschickt ins natürlich gewachsene Gefüge des Berges eingepaßt, daß Hagen es bisher nicht einmal bemerkt hatte. »Es beginnt«, sagte Dankwart. Hagen spürte, wie die Erregung seines Bruders auf ihn übergriff.
Sein Blick glitt über die steinernen Sitzreihen, die rings um den Krater aus der Lava geschlagen worden waren und den bodenlosen Kessel in ein gewaltiges Amphitheater verwandelten. Sein Bruder und er standen am Rande des Kraters, an der Seite je zwei von Brunhilds Kriegerinnen, die mit ihren goldenen Halbmasken und den wuchtigen Rundschilden, auf die sie sich alle in der gleichen starren Haltung stützten, jedoch eher wie lebensgroße Statuen denn wie Menschen wirkten. Die verhältnismäßig geringe Zahl gerüsteter Frauen, die die Halle bevölkerten, überraschte ihn. Insgesamt zählte Hagen kaum zwei Dutzend Walkürenkriegerinnen. Dankwart hatte Hagens Blick bemerkt, deutete ihn aber falsch. »Ich habe ihn auch schon gesucht«, sagte er. »Siegfried läßt sich viel Zeit. Erstaunlich, wenn man bedenkt, daß sein Freund in einen Kampf auf Leben und Tod geht«
»Er .. • wird nicht kommen«, sagte Hagen ausweichend. Dankwart runzelte die Stirn. »Woher weißt du das?« »Von Gunther«, antwortete Hagen betont ruhig. »Siegfried wartet unten an der Küste. Beim Schiff.« »Beim Schiff?«
Hagen warf einen erschrockenen Blick zu den beiden Kriegerinnen, die hinter seinem Bruder standen. »Nicht so laut«, sagte er leise und fügte hinzu: »Er hat sich entschuldigen lassen mit der Begründung, daß er nicht zusehen will, wie eine Frau mit dem Schwert in der Faust kämpft.« Dankwart starrte ihn ungläubig an.
»Zumindest hat er sich unter diesem Vorwand bei Brunhild entschuldigen lassen«, erklärte Hagen. »Oder, um genau zu sein - das ist es, was er Gunther erzählt hat.«
»Und was ist der wahre Grund?« bohrte Dankwart weiter. Hagen senkte die Stimme noch mehr. »Er bewacht das Schiff«, flüsterte er. »Es könnte sein, daß wir einen Weg brauchen, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.«
Dankwart gab einen Laut von sich, der wie ein heiseres Zischen klang. »Du meinst, sie würden uns angreifen?« »Wenn Gunther siegt...«
»Das glaubst du doch selbst nicht«, flüsterte Dankwart und deutete vielsagend in die Runde. Hagen antwortete nicht, sondern hob nur die Schultern. Er konnte seinem Bruder sein Mißtrauen nicht verübeln.
Dankwart ließ nicht locker. »Was soll dieser Unsinn?« fragte er zornig. »Was hat Siegfrieds Fehlen wirklich zu bedeuten?« Der Gong, der nun zum zweitenmal ertönte, enthob Hagen der Antwort. Eine in ein blitzendes rotgoldenes Gewand gekleidete Gestalt trat aus dem Tor im Fels, blieb dicht vor dem rotglühenden Krater stehen und hob ein mächtigtes Schwert.
»Brunhild!« Ihre Stimme drang überraschend laut und schallend von unten herauf. »Die letzte der Walküren, Beherrscherin des Isensteines und Königin von Island!«
Hagen hatte Hochrufe erwartet oder irgendeine andere Form der Begrüßung - aber nichts dergleichen geschah. Ganz im Gegenteil senkte sich eine tiefe, atemlose Stille über den steinernen Kessel, als Brunhild jetzt aus dem Tor trat. Sie war sehr einfach gekleidet: ein schwarzes Kettenhemd, dessen Glieder so fein waren, daß es wie Seide an ihrem Körper anlag, Hosen axis dem gleichen Geflecht, Stiefel und Schild, beides in sehr einfacher Ausführung. In ihrem Gürtel blitzte der Knauf eines erstaunlich zierlichen Schwertes. Als einziges sichtbares Zeichen ihrer Königswürde trug sie einen mächtigen, seltsam geformten Helm aus goldfarbenem Metall, der in zwei gewaltigen Adlerschwingen endete. »Gunther kommt«, sagte Dankwart.
Hagen nickte. Auch er hatte die zweite Gestalt bemerkt, die nun hinter Brunhild erschien und im Schatten des Tores verharrte. Dennoch konnte Hagen bereits erkennen, daß die Verkleidung täuschend gelungen war und einer perfekten Tarnung gleichkam. Äußerlich mochte man tatsächlich meinen, Gunther vor sich zu haben. Siegfried - als Gunther getarnt - blieb im Tor stehen, bis Brunhild sich schließlich umwandte und ihn mit einer ungeduldigen Geste heranwinkte.
Im Gegensatz zu Brunhild war Gunther - Siegfried - in schimmernde Seide und schweren Brokat gekleidet, behangen mit den Zeichen seiner Königswürde und den Umhang im blutigen Rot Burgunds um die Schultern. Hagen spürte eine Woge heißen Zorns in sich aufsteigen. Siegfried hatte diesen lächerlichen - und im Kampf nur störenden - Aufzug aus gutem Grund gewählt Wahrscheinlich hätte Gunther selbst der Versuchung, sich derart herauszuputzen, nicht widerstanden. Trotzdem erschien es Hagen wie eine böse Verhöhnung Gunthers. »Gunther von Burgund«, begann Brunhild, »Ihr seid von den Ufern des fernen Rheines hierhergekommen, um meine Hand anzuhalten.« Ihre Stimme klang ebenso laut und schallend von unten herauf wie die der Kriegerin zuvor. Es war eine Eigentümlichkeit des Kraters, der ihre Stimmen wie durch einen Trichter verstärkte. »Ihr kennt die Bedingung, die die Götter jenen gestellt haben, die mich zum Weibe wollen«, fuhr Brunhild fort.
Gunther - Siegfried - nickte. Sein Gesicht war völlig hinter dem heruntergelassenen Visier seines Helmes verborgen, und Hagen wußte, daß er nicht sprechen würde. Niemand, der Gunther einmal hatte sprechen hören, würde die metallische Stimme Siegfrieds für Gunthers sanfte, dunkle Stimme halten.
»Ich frage Euch noch einmal, Gunther von Burgund«, sagte Brunhild, »ob Ihr bereit seid, Eure Kräfte im ritterlichen Kampf mit den meinen zu messen. Bedenkt Eure Antwort wohl, denn Ihr habt keine Schonung zu erwarten, nur weil ich eine Frau bin.«
Siegfried in Gunthers Maske nickte abermals, und Brunhild ließ sich mit einer herrischen Geste von einer ihrer Kriegerinnen ihren Speer reichen. Dankwart trat unwillkürlich einen Schritt vor. Sein Atem ging schnell, und Hagen sah, wie seine Rechte in einer unbewußten Bewegung dorthin glitt, wo normalerweise das vertraute Gewicht des Schwertes an seinem Gürtel zerrte. Auch Hagen spürte eine immer stärker werdende Unruhe. Brunhild hob den Speer.
Ihr Wurf kam so schnell, daß Hagen ihn kaum sah, ein plötzliches Heben und Strecken von Arm und Schulter, als schleudere sie einen dünnen Weidenzweig statt eines zentnerschweren Speeres aus Eichenholz. Wie ein finsterer Blitz flog der Speer aus ihrer Hand, erhob sich in einem unglaublich hohen Bogen weit über das glühende Herz des Isensteines und senkte sich am jenseitigen Rande des Kraters wieder hinab. So ungeheuer war die Wucht des Speerwurfes, daß Klinge und Schaft der Waffe zerbrachen, als sie auf die schwarze Lava prallten. »Bei Odin!« entfuhr es Dankwart. »Was für ein Wurf! Gunther ist verloren!«
Hagen hob ärgerlich die Hand. »Still!«
Gebannt starrte er in den Krater hinab. Siegfried hatte sich nicht gerührt, ja nicht einmal den Kopf gehoben, um den Flug der Waffe zu verfolgen, und auch jetzt zögerte er noch eine geraume Weile, ehe er sich - betont langsam und bedächtig - umwandte, Schild und Speer gegen die Wand lehnte und den Mantel von der Schulter gleiten ließ, ehe er den Wurfspeer wieder aufnahm. Für die Dauer eines Herzschlages stand er, die Waffe in Schulterhöhe erhoben, dann machte er eine leichte, federnde Bewegung, lief an Brunhild vorbei bis an den Rand des Schachtes und schleuderte seinen Speer. Diesmal war Dankwart nicht der einzige, der überrascht aufschrie. Ein vielstimmiges, ungläubiges Seufzen lief durch die Reihen der Kriegerinnen, als der Speer, ungleich kraftvoller geschleudert als der Brunhilds, hoch über den Krater hinwegflog und weit hinter dem der Walküre zersplitterte. Brunhild stand einen Moment wie versteinert, dann hob sie in einer befehlenden Geste die Hand, und augenblicklich senkte sich wieder Schweigen über die Halle. »Ein guter Wurf, Gunther von Burgund«, sagte sie. »Zeigt, ob Euer Pfeil so treffsicher ist wie Euer Speer.«
Abermals hob sie die Hand, und aus dem Schatten des Felsentores traten zwei Kriegerinnen hervor, mit je einem Pfeil und Bogen, die sie Gunther und der Walküre reichten. Gleichzeitig wurden auf der anderen Seite des Kraters zwei große, aus Schilfrohr geflochtene Zielscheiben aufgestellt Dankwart zog hörbar die Luft ein. »Das ist das Ende«, murmelte er. »Und warum?« fragte Hagen.
»Hast du vergessen, daß Gunther noch nie ein guter Bogenschütze gewesen ist? Er wird nicht einmal die Scheibe treffen.« »Vielleicht hat er dazugelernt«, sagte Hagen. »Er hatte ein Jahr Zeit zu üben.« Dankwart runzelte die Stirn, antwortete aber nicht mehr, sondern verfolgte gebannt das weitere Geschehen am Fuße des Kraters. Auch diesmal begann Brunhild. Sie hob den Bogen, suchte mit leicht gespreizten Beinen Halt und ließ den Pfeil fliegen, scheinbar ohne zu zielen. Der Pfeil flirrte und schlug mit schmetterndem Knall in die Scheibe ein. Hagen war nicht überrascht, als das Geschoß zitternd höchstens zwei Fingerbreit von der Mitte der Zielscheibe zur Ruhe kam. Nun hob Siegfried seinen Bogen. Er zielte länger und sorgfältiger als Brunhild, und Hagen sah, daß er die Sehne so weit spannte, daß sie schier zu zerreißen drohte. Dann ließ er den Pfeil fliegen. Wie der Pfeil Brunhilds schien er für einen winzigen Moment zu verschwinden und dann am gegenüberliegenden Rand des Kraters wieder aufzutauchen, ehe er die Zielscheibe traf.
Das dreibeinige Holzgestell fiel um. Siegfrieds Pfeil, mit ungeheurer Wucht abgeschossen, durchschlug die Bastscheibe bis an sein gefiedertes Ende und brach ab. Hagen konnte trotz der großen Entfernung deutlich erkennen, daß Siegfrieds Geschoß die Mitte der Scheibe nicht einmal um Fingerbreite verfehlt hatte.
»Hagen!« rief Dankwart. »Wie...?« Er beugte sich vor und spähte mit eng zusammengepreßten Augen auf die Zielscheibe und die hoch aufgerichtete Gestalt des Schützen. Ein ungläubiger, entsetzter Ausdruck trat auf seine Züge. »Das ... das ist nicht... Gunther«, stammelte er. »Das ist Siegfried!«
»Schweig«, sagte Hagen erschrocken. Er warf einen warnenden Blick in Richtung der beiden Wächterinnen und flüsterte kaum hörbar: »Natürlich ist es nicht Gunther! Es ist Siegfried. Hältst du Gunther für einen solchen Narren, sich einzubilden, den Zweikampf mit der Walküre zu gewinnen?« Dankwart rang sichtlich um Fassung. »Aber warum...?« »Es war Siegfrieds Plan, von Anfang an! Um Gunther zu ermöglichen, Brunhild zum Weibe zu nehmen«, erklärte Hagen. »Stell dich nicht dumm! Du warst dabei, als Gunther ihm diese Bedingung nannte.« Dankwart nickte. »Aber ich ... verstehe nicht...« murmelte er. »Wie kann sich Brunhild auf einen solchen Vorschlag...« »Brunhild weiß von nichts!« fiel ihm Hagen ins Wort. »Aber wenn du noch ein wenig lauter sprichst, wird sie es zweifellos bald erfahren.« Er brach ab und deutete in den Krater hinunter. Der dritte und schwerste Teil der Prüfung - der eigentliche Kampf - begann. Brunhild zog langsam ihr Schwert aus dem Gürtel, trat einen Schritt auf Siegfried zu und hob den Schild, bis er ihr Gesicht bis zu den Augen bedeckte. Schon daraus erkannte Hagen die geübte Kämpferin. Hätte sich unter dem blitzenden Visier des Burgunderhelmes wirklich Gunther verborgen, hätte sein Leben jetzt nur noch nach Augenblicken gezählt Auch Siegfried war Brunhilds Bewegung nicht entgangen. Hagen sah, wie er Schwert und Schild ein wenig fester ergriff; gerade genug, um zu zeigen, daß spätestens jetzt aus dem Spiel Ernst wurde. »Sie wird es merken«, flüsterte Dankwart »Sie muß es einfach!« »Niemand wird etwas merken«, antwortete Hagen. »Alberichs Zauber schützt ihn.« »Alberichs Zauber?«
Hagen antwortete nicht, sondern konzentrierte sich jetzt ganz auf das Geschehen unten auf dem Kampfplatz.
Siegfried und Brunhild hatten begonnen, sich in geringem Abstand zu umkreisen, wie zwei Wölfe, die eine verwundbare Stelle ihres Gegners suchten. Ab und zu zuckte eine Schwertklinge vor, prallte gegen Stahl oder den hastig hochgerissenen Rand des gegnerischen Schildes, aber keiner der Hiebe war wirklich ernst gemeint; es war nur ein Abtasten, eine erste spielerische Kraftprobe. »Und wenn sie ihn tötet?« fragte Dankwart.
»Um so besser«, knurrte Hagen. »Aber das wird sie nicht. Jeden anderen, aber nicht ihn.« Siegfried machte plötzlich einen Schritt nach vorne. Seine Klinge züngelte nach Brunhilds Gesicht, bewegte sich im letzten Moment zur Seite? und schlug gegen Brunhilds Schild. Es war ein sehr kraftvoller Hieb, aber Brunhild versuchte nicht, ihn aufzufangen, sondern wich unter den Schlag zurück, machte einen Ausfallschritt und hieb nach Siegfrieds Fußknöcheln. Gleichzeitig riß sie den Schild in die Höhe, um Siegfrieds Klinge damit zu blockieren. Siegfried wich dem doppelten Angriff geschickt aus. Brunhild setzte nach, schlug aber kein zweitesmal zu, sondern duckte sich hastig hinter ihren Schild und nahm einen weiteren wuchtigen Hieb des Nibelungen hin. »Was tut er da?« flüsterte Dankwart.
»Nur keine Sorge«, antwortete Hagen. »Er spielt nur mit ihr. Er wird siegen.«
»Das ist es ja gerade, wovor ich Angst habe«, sagte Dankwart gepreßt Er deutete in die Runde, auf die Reihen der stumm dastehenden Kriegerinnen. »Brunhild ist nicht nur ein männerhassendes Weib«, sagte er, »sondern auch eine Königin. Was glaubst du, werden sie tun, wenn Siegfrieds Klinge an ihrer Kehle sitzt?«
»Unsinn«, sagte Hagen. Aber es klang nicht überzeugt. Woher nahm er eigentlich die Überzeugung, daß Siegfried den Kampf bestehen würde? Wer sagte ihm, daß Brunhild zuletzt nicht doch siegte? Daß der Weg in den Isenstein nicht immer in den Tod führte? Er versuchte den Gedanken zu verscheuchen. Die beiden Kämpfenden unten näherten sich langsam dem Schlund des Vulkanes. Sie fochten noch immer nicht ernsthaft, auch wenn ihre Hiebe und Konterschläge jetzt schneller kamen und kräftiger geführt wurden. Trotzdem kämpften sie noch nicht wirklich, sondern umschlichen sich weiter. »Sie lockt ihn an den Schacht«, flüsterte Dankwart Aber natürlich hatte Siegfried längst gemerkt, was die Walküre vorhatte, auch mußte ihm klar sein, daß er nicht der erste wäre, dem das feurige Herz des Isensteines zum Grab würde. Eine Weile machte er das Spiel noch mit, dann blieb er so unvermittelt stehen, daß Brunhild, von der Bewegung überrascht, beinahe in eine seiner Paraden hineingelaufen wäre. Ein wütender Schrei drang über Brunhilds Lippen. Sie sprang zurück, verlor um ein Haar das Gleichgewicht und schwang ihre Klinge zu einem mit aller Kraft geführten Streich. Hagen spannte sich unwillkürlich. Er sah, wie Siegfried den Hieb mit einer spielerischen Bewegung auffing, leicht, hoch aufgerichtet, mit gestrecktem Arm und spöttisch gesenktem Schild. Funken stoben, als die beiden Klingen aufeinanderprallten. Ein berstender Schlag; Brunhild taumelte unter der Wucht ihres eigenen Hiebes und fand im letzten Augenblick ihr Gleichgewicht wieder. Siegfried wankte nicht einmal. »Dieser Narr«, sagte Hagen. »Er wird alles zunichte machen, nur weil er jetzt mit seiner Kraft protzen muß!«
»Niemand hier kennt Gunther«, sagte Dankwart. »Und er ist als ausgezeichneter Schwertkämpfer bekannt. Achtung jetzt.« Er deutete nach unten. »Brunhild macht Ernst«
Tatsächlich ließ die Walküre ihrem ersten, machtvollen Hieb weitere folgen. Ihre Klinge fuhr immer schneller auf den Gegner hin, bis Siegfried unter den auf ihn herunterhagelnden Schlägen zu wanken begann und erst einen, dann noch einen und noch einen Schritt zurückweichen mußte.
Der Kampf näherte sich seinem Höhepunkt. Brunhild hatte Siegfried bis an den Rand des Kraters gedrängt; noch ein Schritt, und er mußte auf der zerbröckelnden Lava den Halt verlieren und in die Glut hinabstürzen. Hagen fragte sich, wie lange Siegfried die Entscheidung noch hinauszögern wollte. Die Hitze dort unten mußte unerträglich sein; erst recht unter der dichtgeschlossenen Rüstung, die Siegfried trug. Der Nibelunge schien auch nicht gewillt, den Kampf noch weiter in die Länge zu ziehen. Er wartete, bis Brunhild zu einem neuerlichen Hieb ausholte, machte aber diesmal keinen Versuch mehr, den Schlag aufzufangen, sondern warf der Walküre plötzlich seinen Schild entgegen. Brunhild reagierte genauso, wie er erwartet hatte. Sie riß ihren eigenen Schild hoch, versuchte gleichzeitig einen Schritt zurückzuweichen - und stolperte über Siegfrieds vorgestreckten Fuß. Sie fiel nicht, aber ihre kurze Unsicherheit gab Siegfried Zeit, dem Kampf ein Ende zu bereiten. Mit einer ungemein schnellen Bewegung sprang er vor, schwang seine Waffe mit beiden Händen und ließ sie mit aller Macht auf Brunhilds Schild hinabsausen.
Brunhilds Schild und die Klinge des Nibelungen zersplitterten. Brunhild schrie auf, fiel zu Boden und krümmte sich vor Schmerz. Siegfried trat blitzschnell neben sie, hob ihr eigenes Schwert auf und setzte Brunhild die Spitze an die Kehle. Die Walküre erstarrte, gleichzeitig erstarb jeder Laut im weiten Rund des Kessels. Es war, als hielten nicht nur die goldgepanzerten Kriegerinnen, sondern der Isenstein selbst den Atem an. Sogar das unablässige Brodeln und Zischen der Lava schien für einen Moment zu verstummen. Es war, als hätten die Götter die Zeit angehalten. Hagen spürte, wie sein Herzschlag stockte. Siegfried stand bewegungslos, leicht nach vorne und über die gestürzte Walküre gebeugt, das Schwert mit beiden Händen ergriffen, die Klinge so fest gegen Brunhilds Kehle gedrückt, daß Blut an ihrem Hals hinablief.
Dann kam Bewegung in die Menge. Brunhilds Kriegerinnen, die bisher wie gelähmt hinter Hagen und seinem Bruder gestanden hatten, zogen ihre Waffen. Im Nu war Siegfried im Krater unten von einem Dutzend goldgepanzerter Kriegerinnen eingekreist, die die Spitzen ihrer Speere drohend auf ihn richteten. Siegfried verstärkte den Druck seiner Klinge ein wenig, und das Blut begann heftiger zu strömen. Die Walküre bog den Kopf zurück, so weit sie konnte, gleichzeitig hob sie die Hand. »Haltet ein!« rief Brunhild ihren Kriegerinnen zu. »Und Ihr auch, Gunther von Burgund!«
Tatsächlich zog Siegfried sein Schwert zurück; aber nur eine Handbreit, dicht genug, um sofort zustoßen zu können, wenn es nötig war. Brunhild stand langsam auf. Ihre Bewegungen waren kraftlos, und als sie versuchte, sich auf den rechten Arm zu stützen, knickte er unter dem Gewicht ihres Körpers ein; sie schrie auf und preßte den Arm mit schmerzverzerrtem Gesicht an sich. Zwei ihrer Kriegerinnen sprangen herbei und wollten ihr helfen, aber Brunhild schüttelte abwehrend den Kopf. Taumelnd, aber aus eigener Kraft, kam sie in die Höhe, die Hand gegen die blutende Wunde an ihrem Hals gepreßt, trat auf Siegfried zu und starrte ihn an. Einen Augenblick lang hielt der Nibelunge ihrem Blick stand, dann senkte er endlich das Schwert, wandte sich mit einem plötzlichen Ruck um und schleuderte die Waffe ins lodernde Herz des Isensteines hinab.
»Ich danke Euch, Gunther von Burgund«, sagte Brunhild. »Mein Leben lag in Eurer Hand; Ihr habt es mir geschenkt. Nehmt nun meine Hand und mein Reich an seiner Stelle.«
Sie blickte Siegfried erwartungsvoll an, aber der Xantener schwieg. Er bewegte sich auch nicht, und nach einer Weile trat Brunhild einen Schritt zurück und hob beide Arme, obwohl, wie Hagen zweifelsfrei erkannt hatte, ihr Schildarm gebrochen war und unerträglich schmerzen mußte. Ihre Stimme klang ruhig und beherrscht, als sie sich nun an die Walkürenkriegerinnen wandte. »Senkt eure Waffen«, sagte sie, »Gunther von Burgund hat mich in ehrlichem Kampf besiegt, und er soll bekommen, worum er focht.« Ein Teil der Kriegerinnen steckte tatsächlich ihre Waffen weg; aber nicht alle. Fassungsloses Entsetzen hatte sich unter ihnen breitgemacht Für die Kriegerinnen in den goldenen Rüstungen war mehr verloren als ein Zweikampf. Es war das Ende eines Mythos, das Ende ihrer Welt. Ihre Herrin, Brunhild, die Unbesiegbare, war geschlagen, ihre Göttin gestürzt. Ihre durch ihre Masken getarnten Blicke, ihre drohenden Gebärden waren unmißverständlich. Hagen schauderte. »Nehmt eure Waffen fort«, forderte Brunhild noch einmal. »Ich beschwöre euch - besudelt diesen heiligen Boden nicht mit meuchlings vergossenem Blut!«
Und endlich verschwanden auch die letzten Speere und Klingen. Hagen atmete auf, als auch die Kriegerinnen in seiner und Dankwarts Nähe die Waffen senkten und zurücktraten. Aber es war eine trügerische Erleichterung. Die Spannung war keineswegs aus dem Saal gewichen. Noch stand jedermann unter dem Schock dessen, was er gesehen hatte, noch lahmte sie alle das Entsetzen. Aber das würde nicht mehr lange andauern.
»Ich danke euch, Gefährtinnen meiner Niederlage«, sagte Brunhild. Ihre Stimme zitterte leicht. Mit einer nicht mehr ganz sicheren Bewegung wandte sie sich abermals Siegfried zu und hob die unverletzte Rechte. »Und nun, Gunther von Burgund«, sagte sie, »legt Eure Rüstung ab ...« Die Stimme versagte ihr. Ein halblauter, seufzender Ton kam über ihre Lippen. Plötzlich taumelte sie, machte einen Schritt zur Seite und gab noch einmal dieses halblaute, schmerzerfüllte Seufzen von sich. Siegfried konnte gerade nach rechtzeitig hinzuspringen und sie auffangen, als sie zusammenbrach.