10

Der Thronsaal hatte sich verändert, seit Hagen ihn am Morgen das erstemal betreten hatte. Die schmucklose Kammer erstrahlte in prunkvollem Glanz, der selbst Hagen, den Dinge wie Gold und Geschmeide niemals beeindruckt hatten, für einen Moment erschauern ließ. Es waren nicht die goldenen Schilde und Waffen, die jetzt an den Wänden hingen, nicht die edelsteinbesetzten Harnische der beiden Kriegerinnen, die rechts und links des Thrones Aufstellung genommen hatten, oder die brokatenen Stickereien, die die nackten Lavawände verhüllten. Was ihn erschauern ließ, war die Fremdheit all dieser Dinge, deren Herkunft in einer versunkenen Zeit zu liegen schien. Der Raum war erfüllt vom Hauch dunkler, längst vergessener Magie.

Dankwart berührte Hagen an der Schulter, und der Zauber des Augenblicks zerbrach. Plötzlich waren die Schilde, die Speere und Schwerter an den Wänden wieder ganz normale Waffen, wenn auch aus selten kostbarem Metall gefertigt, die Wächterinnen zu beiden Seiten des Thrones nichts anderes als zwei kriegerische Gestalten.

Aber er wußte, daß es keine Einbildung gewesen war. Für einen Moment hatte er das Herz des Isensteines so gesehen, wie es wirklich war. »Da ist Alberich!« sagte Dankwart überrascht. Hagen war nicht weniger überrascht, als er Alberich im Gespräch mit Gunther sah. Es hätte ihn nicht verwundert, Siegfried hier zu erblicken; aber Alberich?

Er ging auf Gunther zu, murmelte einen Gruß und bedachte den Zwerg mit einem langen, mißbilligenden Blick.

Alberich kicherte. »Ihr seht nicht sehr glücklich aus, Hagen von Tronje«, sagte er mit seiner dünnen, meckernden Stimme. »Was bedrückt Euch? Ihr solltet zufrieden sein. Euer Freund« - er deutete mit einer Kopfbewegung auf Gunther - »hat das Unmögliche geschafft. Vom heutigen Tage an ist er nicht nur König von Burgund, sondern auch König von Island.« »Hagen ist in Sorge«, sagte Gunther. »Ich glaube, er traut Eurem Zauber nicht so recht, Alberich. Und sein Bruder noch weniger.« Um seine Lippen zuckte es, als unterdrücke er mit Mühe ein Lachen. »Ihr zweifelt an meinen Fähigkeiten?« Alberich schürzte beleidigt die Lippen. »Traut Ihr mir etwa nicht?« »Euch schon«, antwortete Hagen unwillig. Alberich seufzte. »Aber meinem Herrn nicht, ich verstehe. Doch Ihr könnt ganz beruhigt sein - ich gebe Euch mein Wort, daß jeder von Euch den Isenstein und dieses Land lebend verlassen und unbehelligt nach Worms zurückkehren wird.« • Hagen wollte antworten, aber in diesem Moment ertönte ein Gong. Brunhild kam. Anders als am Morgen, als Hagen sie zum erstenmal gesehen hatte, war sie nun wirklich wie eine Königin gekleidet; mit Zepter und Schwert und Krone und mit einem kostbaren, juwelenbesetzten Mantel um die Schultern. Begleitet wurde sie von einem Dutzend ihrer Walkürenkriegerinnen.

Brunhild schritt hoheitsvoll zu ihrem Thron und ließ sich darauf nieder, während ihr Gefolge eine Ehrengasse bildete. Hagen glaubte die Feindseligkeit, die sich im Raum ausbreitete, wie einen üblen Geruch zu spüren. Als letzter, hinter den letzten beiden Kriegerinnen, betrat Siegfried den Saal. Seine Erscheinung überstrahlte alles. Den Prunk des Raumes und den der stolzesten, mit Gold und Edelsteinen geschmückten Walkürenkriegerinnen. Hätte Hagen über den Hergang des Kampfes nichts gewußt, es hätte des schimmernden Griffes des Balmung in Siegfrieds Gürtel nicht bedurft, um ihn erkennen zu lassen, daß es in Wahrheit Siegfried von Xanten war, der diesen Saal als Sieger betrat. Siegfried spürte wohl Hagens Blick, denn als er an ihm vorüberging, stockte einen Moment lang sein Schritt. Er sah Hagen an, und obgleich sein Gesicht vollkommen ausdruckslos blieb, blitzten seine Augen zornig. Dann, plötzlich, lächelte er. Mit diesem Lächeln auf den Lippen ging er weiter, um einen halben Schritt neben Brunhilds Thron stehenzubleiben, an der Spitze der goldschimmemden Reihe der Kriegerinnen, die die Walküre abschirmten. Hagen sah aus dem Augenwinkel, wie sich Gunthers Lippen zu einem dünnen Strich zusammenpreßten. Brunhild hob die Hand, und das Gemurmel im Saal verstummte. Hagen sah, daß Brunhild nur den rechten Arm bewegte; der andere lag schlaff auf der breiten Lehne des Thrones. »Gunther von Burgund«, begann Brunhild. »Tretet vor.« Gemessenen Schrittes trat Gunther vor Brunhilds Thron und senkte leicht - jedoch nicht demütig - das Haupt »Ihr seid an Unseren Hof gekommen«, fuhr Brunhild fort, »nach den alten Regeln um Uns zu werben. Ihr habt um Unsere Hand angehalten und Euch den Prüfungen gestellt, die die Götter dem auferlegt haben, der die letzte der Walküren nach Hause führen will, und Ihr habt diese Prüfungen bestanden. Nun nennt Euer Begehr. Unser Leben und Unser Reich gehören Euch.«

Gunther trat einen weiteren Schritt vor, blickte Brunhild fest ins Gesicht, um sich dann auf das rechte Knie herabsinken zu lassen und ihren Saum zu küssen. Dann stand er auf, trat an Brunhilds Seite - so, daß Siegfried einen Schritt zurückweichen mußte - und ergriff ihre unverletzte Hand. »Meine Königin«, sagte er. »Seit ich das erste Mal von Eurer Schönheit und Euren Ruhmestaten hörte, war mein Herz in Liebe zu Euch entflammt. Und seit ich Euch das erste Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, weiß ich, daß mein Leben leer sein würde ohne Euch.« Brunhilds Gesicht blieb ausdruckslos. Sie sah Gunther nicht an. Ihre Augen waren in die Ferne gerichtet »Nun aber ist mein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen«, fuhr Gunther nach einer Pause fort. »Brunhild, die Königin des Isensteines, ist mein.« Er hob etwas die Stimme. »Morgen, sobald die Sonne aufgegangen ist, werden wir mein Schiff besteigen und nach Worms zurücksegeln, auf daß sie mit ihrer Schönheit meine Burg erhelle.« »Morgen ... schon?« entfuhr es Brunhild. Die Maske königlicher Unnahbarkeit war erschüttert »Morgen«, wiederholte er, in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er deutete eine leichte Verbeugung an und legte die Linke auf das Herz. »Ihr habt gefragt, was mein Begehr ist, meine Königin. Nun hört, was ich beschlossen habe: Wir segeln mit dem ersten Licht des Tages, und wenn die Götter und der Wind uns wohlgesinnt sind, werden wir Worms erreichen, ehe die Sonne das zehnte Mal aufgegangen ist. Zwei Eurer Dienerinnen mögen Euch begleiten, die anderen bleiben hier, denn Ihr werdet sie nicht mehr brauchen.«

»Verzeiht, Gunther«, mischte sich Siegfried ein, »aber Brunhild ist verletzt.«

Gunther wandte sich mit einer betont langsamen Bewegung um und maß den Nibelungen mit einem langen, abfälligen Blick Dann lächelte er bedauernd. »Ich weiß, Siegfried von Xanten«, sagte er. »Doch wir haben gute Ärzte in Worms, und je eher wir diese zu Rate ziehen, desto besser.« Brunhild versuchte zu antworten, aber ihre Lippen bewegten sich stumm. Gunthers Forderung kam zu überraschend. »Ich kann Euren Schrecken verstehen, meine Königin«, fuhr Gunther in sanftem Ton fort, der zugleich demütigend war, »und Euren Widerwillen, Land und Burg Eurer Väter zu verlassen. Doch dies Land mit seiner Kälte und seinen Stürmen ist nicht für meine Freunde und mich geschaffen. Und auch Ihr seid zu schade für die Einsamkeit und die Kälte hier. Ihr gehört an die sonnigen Ufer des Rheines, wo Euch mein Volk als seiner Königin huldigen kann.« Er schwieg einen Moment und wandte sich dann den versammelten Walkürenkriegerinnen zu. »Und nun zu euch«, fuhr er in ebenso freundlichem wie bestimmtem Ton fort. »Ihr habt die Worte eurer Königin vernommen. Nach euren eigenen Gesetzen bin nun ich der Herr des Isensteines. Und euer König.« Siegfried runzelte die Stirn. Er trat ein Stück vor und betrachtete Gunther scharf von der Seite.

Ein unwilliges Murren lief durch den Saal. Gunther wartete geduldig, bis wieder Ruhe eingekehrt war, ehe er weitersprach. »So hört nun, was ich beschlossen habe«, sagte er. »Diese Burg, dieses Land und eure Schwerter gehören nun mir, Gunther von Burgund. Doch Worms ist weit und mein eigenes Reich groß genug, daß eine Hand kaum ausreicht, es zu regieren. Die Mauern meiner Burg sind fest, und ich habe Waffen genug, sie gegen jeden Feind zu verteidigen. Meine Schatzkammern sind gefüllt mit den kostbarsten Kleinoden und mehr Gold, als ich auszugeben vermag, so daß ich nichts von dem begehre, was der Schatz der Walküre bereithalten mag. Die größte Kostbarkeit des Isensteines aber« - er wandte den Blick und lächelte Brunhild zu - »nehme ich mit mir, alles andere bedeutet mir nichts. Es ist deshalb mein Wunsch und Wille, daß ihr alle, die ihr Brunhild bisher so treu gedient habt, dafür belohnt werden sollt.« Er hob den rechten Arm und machte eine weit ausholende Gebärde. »Diese Burg soll unangetastet bleiben«, sagte er. »Niemand soll Anspruch auf diesen Thron erheben, wenn Brunhild fort ist, und ihr - Brunhilds Dienerinnen - sollt hier leben, solange ihr wollt und es den Göttern gefällt. Land und Lehen sollen unter euch aufgeteilt werden, ihr edlen Frauen, nach gerechtem Maß. Nehmt alles Gold und jegliches Ding von Wert und verteilt es unter euch. Morgen, wenn das Segel unseres Schiffes am Horizont verschwunden ist, sollen die Tore des Isensteines für jeden offenstehen, der Brunhild die Treue geschworen hat, und der Inhalt seiner Schatzkammern verteilt werden.« Aller Augen richteten sich auf Brunhild. Ein Wort, dachte Hagen schaudernd, eine Bewegung Brunhilds, und Gunther, Dankwart und er würden in Stücke gerissen.

Aber der Befehl kam nicht. Brunhild schien wie aus einem tiefen, betäubenden Schlaf zu erwachen. Ihr Blick war verschleiert, ihre Lippen blutleer.

Hagen bezweifelte, daß sie wirklich schon begriffen hatte, was Gunther ihnen allen in diesem Moment angetan hatte.

Brunhild nickte wie unter großer Anstrengung. »Ihr habt die Worte Gunthers von Burgund gehört«, sagte sie. »Sein ... Wunsch ist auch der meine.« Sie schloß für einen Moment die Augen und stand auf. »Und nun ... geht«

Gunther nickte. »Es sollen Botinnen zu allen Höfen und Burgen im Land reiten und meinen Befehl verbreiten«, sagte er. »Heute abend, wenn die Sonne sinkt, reitet ihr los.«

»Heute abend!« flüsterte Dankwart. »Wenn er dann noch lebt« »Still!« zischte Hagen. Niemand im Saal hatte sich gerührt, weder auf Brunhilds noch auf Gunthers Befehl. Hagen glaubte den Haß, der Gunther entgegenschlug, körperlich zu fühlen. Eine der Kriegerinnen - eine schlanke, sehr groß gewachsene Frau, die nur wenig kleiner als Siegfried war - löste sich aus ihrer Erstarrung und trat mit drohender Gebärde auf Gunther zu, die Hand auf dem Schwert. Die Klinge fuhr aus der Scheide. Die anderen folgten ihrem Beispiel.

Aber noch ehe ein Schwertstreich fiel, trat Brunhild dazwischen. »Laßt ab«, sagte sie. »Ich bitte euch, tut nichts, was Schande auf diese Burg und uns alle bringen würde.«

Hagen sah, wie nun auch Siegfrieds Rechte zum Griff des Balmung zuckte. Es war nicht klar, welcher Seite Siegfrieds Hilfe gelten würde, wenn er die Klinge zog.

Hagen nickte seinem Bruder zu, stieß eine der vor ihm stehenden Kriegerinnen beiseite und trat schützend vor Gunther. Dankwart tat es ihm gleich.

»Steckt die Waffen fort«, befahl Brunhild streng. »Ich weiß, daß euer Zorn ehrlich ist, und ich kann ihn verstehen, aber es wäre ein Verbrechen, würdet ihr eure Waffen gegen Gunther und die Seinen erheben. Gunther von Burgund hat mich im ehrlichen Kampf besiegt. Er ist euer rechtmäßiger Herrscher. Greift ihr ihn an, so ist es, als erhöbet ihr die Hand gegen mich. Geht jetzt und laßt uns allein. Wir selbst haben die Gesetze gemacht, nach denen er sich diesen Anspruch erworben hat«, fügte sie bitter hinzu.

Einige lange, bange Augenblicke vergingen, dann ertönte ein helles Scharren, als eine nach der anderen aus der kriegerischen Schar ihr Schwert in die Scheide zurückschob. »Geht jetzt«, wiederholte Brunhild.

Die Frauen gehorchten wortlos. Hagen und Dankwart verharrten auf ihren Plätzen, bis die letzte den Saal verlassen hatte und sie mit Brunhild, ihrer Leibwache und Siegfried allein waren. Erst dann entspannten sie sich und traten hinter Gunther zurück Brunhilds Gesicht war wie aus Stein, als sie von ihrem Thron heruntertrat. »Und auch Ihr, Gunther von Burgund, müßt mich entschuldigen«, sagte sie. »Es sind viele Vorbereitungen zu treffen für die Reise.« Gunther nickte steif. »Meine Königin.«

Brunhild ging. Hagen folgte ihr mit den Blicken. Die Walküre hatte endgültig ihre Fassung wiedererlangt. In königlicher Haltung, äußerlich ungebrochen, schritt sie an ihnen vorbei zum Ausgang. Siegfried, der die ganze Zeit über kein Wort gesagt hatte, folgte ihr. »Warum habt Ihr das getan, Gunther?« fragte Hagen heiser. Gunther lächelte dünn. »Ich hatte das Recht dazu, oder?«

»Erwartet Ihr, daß sie Euch dafür liebt?«

»Nein«, antwortete Gunther, »aber wenn sie erst einmal mein Weib ist und eine Weile in Worms gelebt hat...« Er zuckte mit den Achseln. »Wer weiß - vielleicht werden wir Freunde, wenn sie mich schon nicht lieben lernt.«

»Und wenn nicht?« fragte Hagen. »Wenn sie geht?« »Geht?« fragte Gunther leise. »Aber wohin denn, Hagen?« Am nächsten Morgen war das Schiff bereit, wie Gunther es befohlen hatte. Brunhild und ihre beiden Begleiterinnen waren schon an Bord, als Hagen und Dankwart den kleinen Hafen erreichten. Das Schiff lag tief im Wasser, schwer von den Kisten und Truhen, die Brunhilds Dienerinnen an Bord geschafft hatten, und das Segel blähte sich bereits in dem scharfen Wind, der mit dem ersten Grau der Dämmerung aufgekommen war. Das Schiff zerrte an den Ketten und Tauen wie ein Raubtier, das es nicht mehr erwarten kann, endlich ins Meer hinauszuspringen. Hagen fröstelte, er war übernächtigt, denn er hatte die ganze Nacht gegrübelt und kaum Schlaf gefunden.

»Ihr wollt uns wirklich nicht begleiten?« fragte Gunther. Hagen sah zum Bug des Schiffes hinüber, wo Siegfried stand, eine hoch aufgerichtete Gestalt, in einen Mantel aus weißem Bärenfell gehüllt und das Gesicht in den Wind gedreht.

»Nein, Gunther. Dankwart und ich müssen zurück nach Tronje. Wir haben die Burg Hals über Kopf verlassen, und man wird dort in Sorge um uns sein.«

»Ihr könntet eine Nachricht senden«, schlug Gunther vor. »Überlegt es Euch, Hagen. Auf dem Schiff ist noch Platz, und Worms würde sich freuen, Euch wiederzusehen.«

Wieder blickte Hagen zu Siegfried hinüber, und Gunther begriff. »Ich verstehe«, sagte er. »Kein Schiff ist groß genug für Siegfried und Euch.« »Dankwart und ich kommen nach, sobald es geht«, sagte Hagen, einer direkten Antwort ausweichend. »Ihr ... müßt das verstehen. Wir werden in Tronje erwartet.«

»Versprecht Ihr, pünktlich zu meiner und Kriemhilds Hochzeit in Worms zu sein?«

»Wir versprechen es«, sagte Hagen.

»Vergeßt es nicht«, sagte Gunther. »Am Pfingstsonntag dieses Jahres. Ich erwarte Euch mindestens eine Woche davor.« »Wir werden es nicht vergessen.«

Gunther lächelte und streckte Hagen und Dankwart zum Abschied die Hand entgegen. Dann ging er ohne ein weiteres Wort. Hagen blickte ihm nach, bis er die zitternde Flutlinie erreicht hatte und an Bord des Schiffes gegangen war, dann wandte er sich ebenfalls um. Hinter ihm, nur ein paar Schritte entfernt, stand Alberich. Er stand nicht erst jetzt da. Hagen hatte Alberichs Anwesenheit die ganze Zeit über gespürt. Aber er war sicher, daß Gunther den Zwerg nicht bemerkt hatte. Wie so oft. »Du hast mich gerufen«, sagte Alberich.

Hagen war überrascht - er hatte den Zwerg keineswegs gerufen, sondern nur den Wunsch gehabt, mit ihm zu reden. Aber das mochte für Alberich auf dasselbe hinauslaufen.

Hagen hielt sich nicht länger bei dem Gedanken auf. Es war keine Zeit für Grübeleien. Das Schiff würde bald ablegen. »Zwei Fragen«, sagte er knapp. »Beantwortest du sie mir?« Alberich kicherte. »Möglich. Wenn Ihr mir auch eine Frage beantwortet. Also?«»Zum einen«, begann Hagen. »Warum wollte mich Siegfried töten lassen?«

»Wollte er das?«

»Stell dich nicht dumm«, fauchte Hagen. »Du warst dabei, oder? Ohne deine Hilfe wären Dankwart und ich jetzt tot.«

Alberich seufzte. »Und auch so hat nicht viel gefehlt«, sagte er. »Aber Ihr habt Euch tapfer geschlagen. Wißt Ihr, daß das noch keinem gelungen ist? Siegfried glaubt es jetzt noch nicht so richtig. Seine Nibelungen gelten als unbesiegbar.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, sagte Hagen ungeduldig. »Warum, Alberich? Warum dieses Gemetzel an unseren Begleitern und der Mordversuch an Dankwart und mir?«

»Eure Begleiter...« Alberich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das war Pech«, sagte er, und es klang nicht einmal spöttisch. »Der Anschlag galt nur Euch. Die Männer starben, weil Ihr nicht da wart. Aber sie wären auch gestorben, wenn Ihr bei ihnen gewesen wäret. Ihr bringt Unglück, Hagen von Tronje, wißt Ihr das?« »Aber warum das Ganze?«

»Warum, warum?« Alberich seufzte. »Wißt Ihr es wirklich nicht? Es ist ganz einfach. Siegfried wähnte sich am Ziel all seiner Pläne.« Er machte eine weitausholende Geste, die nicht durch Zufall den gewaltigen schwarzen Schatten des Isensteines einschloß. »Er war hier, in Gunthers Begleitung, er wußte, daß er Brunhild besiegen würde, und er wußte, daß nichts und niemand ihn nun noch daran hindern konnte, Kriemhild zu heiraten. Niemand außer Euch.« »Wie meinst du das?« murmelte Hagen.

»Wie ich es sage«, sagte Alberich. »Er war am Ziel. Und dann kamt Ihr. Der einzige Mensch, der seine Pläne durchkreuzen könnte. Sein einziger wirklicher Gegner. Und als er hörte, daß Ihr und Euer Bruder auf dem Wege zum Isenstein wart, sandte er seine Nibelungen aus, Euch zu töten. Es war ein Fehler, und ich glaube, er weiß es. Was mich zu meiner Frage bringt, Hagen. Warum...«

»Erst meine zweite Frage«, fiel ihm Hagen ungeduldig ins Wort. »Ich habe Siegfried beobachtet, zusammen mit Brunhild. Sage mir eines, Zwerg: Brunhild liebt ihn doch. Und selbst ein Blinder hätte gesehen, daß es nicht Gunther von Burgund war, gegen den die Walküre antrat« »Möglich«, antwortete Alberich. »Aber Brunhild nicht. Habt Ihr Gunthers Worte vergessen?« fragte er zornig, und Hagen erkannte, daß Alberich in seinem Stolz verletzt war. Es kränkte den Zwerg, daß Hagen an seinen Fähigkeiten zweifelte. Irgendwie tröstete Hagen dieser Gedanke. Es machte Alberich menschlicher. »Mein Zauber hat sie geblendet«, fuhr der Zwerg mit überschnappender Stimme fort. »Auch wenn Ihr Mühe habt, es zu glauben, Hagen, so war es. Möglich, daß sie irgendwann anfängt nachzudenken und erkennt, was wirklich geschehen ist. Als sie Siegfried gegenüberstand, wußte sie es nicht« »Nun gut, ich glaube dir.«

»Sehr gütig von Euch«, sagte Alberich gereizt »Und jetzt zu meiner Frage: Warum seid Ihr hier, Hagen?«

Hagen antwortete nicht, und als Alberich erkannte, daß er es auch nicht tun würde, blitzte es in seinen Augen zornig auf. »So haltet Ihr Euer Wort?« sagte er. »Zwei Fragen gegen eine, das war die Abmachung.«

Aber Hagen schwieg weiter. Er war hier, weil Gunther ihn hatte rufen lassen, um ihn zu bitten, Siegfried zu ermorden; aus den gleichen Gründen, aus denen der Nibelunge seine schwarzen Schattenkrieger ausgesandt hatte, ihn und seinen Bruder zu töten. Aber das sagte er nicht.

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