22

Erst am dreizehnten Tag nach seiner Rückkehr ließ Radolt zum ersten Mal wieder einen Besucher zu ihm. Während der ganzen Zeit hatte er keinen vertrauten Menschen gesehen; keinen außer Radolt selbst und zwei oder drei Knechten, die ihm geholfen hatten, Hagen, solange er selber zu schwach dazu war, mehrmals am Tage zu säubern und frische Laken auf sein Bett zu legen. Der greise Heilkundige hatte nicht einmal Kriemhild zu ihm gelassen, obgleich sie zahllose Male an die Tür der Kemenate geklopft und Einlaß verlangt hatte. Hagen war Radolt dankbar dafür gewesen; er hatte diese Zeit gebraucht, um zu gesunden und um mit sich selbst ins reine zu kommen.

Gunther wirkte besorgt, als Radolt ihn an Hagens Bett führte und sich mit der geflüsterten Ermahnung, nur einige Augenblicke zu bleiben, zurückzog. Hagen sah das Erschrecken in seinen Augen, als Gunthers Blick auf sein Gesicht fiel. Radolt hatte - zufällig oder mit Absicht - alle spiegelnden Gegenstände aus dem Zimmer geschafft, und Hagen hatte sein eigenes Antlitz seit zwei Wochen nicht gesehen. Aber was ihm seine Fingerspitzen sagten, war genug. Seine Wangen waren eingefallen, und seine Haut war trocken und rissig wie die eines alten Mannes. Er war nicht nur innerlich um zehn Jahre gealtert in diesen vierzehn Tagen. »Geht es dir besser?« fragte Gunther, als sie allein waren. Hagen nickte, ohne den Kopf aus den Kissen zu heben. »Ja«, sagte er leise. »Ginge es mir nicht besser, dann würdest du wohl an meinem Grab stehen, Gunther.«

»Eine Zeitlang sah es so aus, als müsse ich das wirklich«, sagte Gunther scharf. »Radolt hatte in den ersten Tagen die Hoffnung beinahe schon aufgegeben, weißt du das?« »Er ist ein guter Arzt«, sagte Hagen.

»Der beste, den es gibt«, fiel ihm Gunther erregt ins Wort. »Hagen, wolltest du dich umbringen? Begreifst du nicht, in welcher Sorge wir alle um dich waren, nachdem du einfach fortgeritten warst? Ich habe an die hundert Reiter ausgeschickt, um dich zurückzuholen, aber sie haben dich nicht gefunden.« Er schüttelte den Kopf. »Kriemhild hat sich fast die Augen ausgeweint, und Giselher wollte Radolt und den Stallknechten die Kehlen durchschneiden, weil sie dich gehen ließen. Wo bist du gewesen?«»Giselher?« sagte Hagen, rasch die Gelegenheit nutzend, um das Thema zu wechseln. »Er war in Sorge um mich? Nach unserer letzten Begegnung hatte ich eher den Eindruck, daß er mich haßt.« Gunther schwieg einen Moment verwirrt, dann wischte er Hagens Bemerkung mit einer unwilligen Handbewegung fort »Unsinn, Hagen«, sagte er. »Du weißt so gut wie ich, wie sehr Giselher dich verehrt.« »Trotz allem, was ich ihm nach der Schlacht gesagt habe?« »Wofür hältst du meinen Bruder, Hagen?« fragte Gunther vorwurfsvoll. »Er ist noch ein halbes Kind, aber er ist nicht dumm. Er weiß sehr gut, warum du das getan hast. Er ist dir dankbar dafür, auch wenn er es niemals zugeben würde.«

Hagen nickte erleichtert. Er hatte Giselher nicht gesehen, seit sie nach Worms zurückgekehrt waren, aber er hatte oft an ihn gedacht, und die Frage, ob er wirklich richtig gehandelt hatte, hatte ihn gequält. »Was ist in Worms geschehen, während ich hier gelegen habe?« fragte er leise. Er hatte Durst. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über seine trockenen, vom Fieber rissigen Lippen. Gunther stand auf und holte ihm einen Becher Wasser und ließ ihn trinken, ehe er sich wieder setzte und antwortete. »Nichts von Bedeutung.« Er lächelte gequält »Worms ist keine Burg mehr, sondern ein Lager voll Verletzter und Kranker. Aber es wird besser von Tag zu Tag.« Er seufzte, legte den Kopf gegen die geschnitzte Lehne des Stuhles und fuhr sich mit der Hand über Kinn und Lippen, eine Geste der Erschöpfung und Müdigkeit, die seine Worte Lügen strafte. Hagen fiel auf, daß er wieder die Ringe trug. Und es war sogar ein neuer hinzugekommen. »Es sind viele gestorben«, fuhr er fort, »aber die, die jetzt noch am Leben sind, werden gesunden oder sind es schon. Wir haben jeden herbeigerufen, der sich auf das Heilen von Wunden versteht« Er lachte. »Selbst ein paar heidnische Priester, zu Pater Bernardus' Entsetzen.«

Hagen sah ihn überrascht an, und Gunther fuhr sichtlich erheitert fort: »Ich dachte mir, daß dir der Gedanke Vergnügen bereitet. Bernardus und seine Priester haben vor Entsetzen hundert Ave Marias extra gebetet, und ihr Groll wird mich wohl noch auf Jahre hinaus verfolgen. Aber ich ertrage ihn gerne, wenn auch nur einer von meinen Kriegern durch deren Hand gerettet würde.« »Es sind auch Sachsen hier«, sagte Hagen.

Gunther nickte. »Und Dänen. Ich schickte meine besten Krieger aus, um sie zu erschlagen, und jetzt rufe ich nach den besten Männern und Frauen, sie zu heilen. Manchmal glaube ich, die ganze Welt steht kopf.« Er setzte sich etwas bequemer auf dem harten Holzstuhl zurecht und fuhr mit veränderter Stimme fort »Wenn das Pfingstfest kommt, wird alles vergessen sein.« Gunthers Blick ruhte eindringlich auf ihm. »Du mußt gesund werden, Hagen. Ich brauche dich.«

»Mich?« antwortete Hagen spöttisch. »Wer braucht schon einen Krüppel wie mich? Ein König wie du am allerwenigsten.« »Ein König wie ich am allermeisten«, erwiderte Gunther ernst. »Das stimmt nicht, Gunther«, widersprach Hagen ruhig. Er hob lächelnd die Hand und deutete auf das verbundene Auge. »Das war kein Zufall, Gunther«, fuhr er fort. »Ich werde keine Schlachten mehr für dich schlagen können. Du wirst dir einen neuen Waffenmeister suchen müssen.« »Wer spricht von Schlachten?« fragte Gunther leise. »Überlaß das Kämpfen Männern wie Siegfried oder meinem hitzköpfigen Bruder. Ich habe deinen Waffenarm gerne genommen, solange du ihn mir angeboten hast und er stark genug war, Worms zu verteidigen.« »Das ist er nicht mehr.«

»Aber was ich wirklich brauche«, fuhr Gunther unbeirrt fort, »ist dein Verstand, Hagen. Worms braucht ihn, und ich brauche ihn, weit mehr, als ich jemals dein Schwert gebraucht habe.« Er beugte sich vor und drückte sanft Hagens Hand unter der Decke. »Im Augenblick herrscht Ruhe im Land, und unsere erste Sorge gilt dem Fest in drei Wochen und der Bewirtung und Unterbringung all der Gäste, die wir geladen haben. Aber du weißt so gut wie ich, daß es nicht so bleiben wird. Es werden neue Feinde auftauchen und neue Probleme, zu deren Lösung ich Rat und Hilfe brauchen werde. Deinen Rat und deine Hilfe, Hagen. Wenn die Zeit gekommen ist, will ich dich an meiner Seite haben.« Hagen antwortete nicht gleich. Siegfrieds Worte fielen ihm ein: In Wahrheit seid Ihr es, der Worms beherrscht ... Begriff Gunther denn nicht, was er da sagte? dachte Hagen erschrocken. Hatte er denn nie begriffen, daß er mehr tat, als sich an einen Freund um Hilfe zu wenden: daß er sich auslieferte? Daß er Hagen die Verantwortung für ein Reich aufbürdete, das nicht das seine war, und ihn zwang, eine Last zu tragen, die das Schicksal auf Gunthers Schultern gelegt hatte? »Ich werde es ... versuchen«, sagte er stockend. »Nicht versuchen«, widersprach Gunther. »Du wirst es tun, Hagen. Vergiß dein Selbstmitleid und werde wieder zu dem Hagen, den ich kenne und brauche.« Es klang wie ein Befehl. »Du bist verwundet worden, und du hast ein Auge verloren, aber wenn dein Blick nicht mehr scharf genug ist, dann muß dein Geist um so schärfer sein. Du wirst gesund werden und wieder an meiner Seite sitzen, und wenn ich dich dazu zwingen müßte.« Er stand auf, goß sich einen Becher Wein ein und trat ans Fenster. Lange Zeit blickte er schweigend auf den Hof hinab. Seine Finger spielten unbewußt mit dem Becher, aber er trank nicht »Ich werde Lüdegast und Lüdeger nach Hause schicken, wenn das Fest vorüber ist«, sagte er schließlich. »Mit all ihren Männern.« Hagen sah überrascht auf. »Einfach so?« fragte er. Gunther nickte. Er drehte sich zu ihm um und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Brüstung. Die Sonne schien hell durch das Fenster, und seine Gestalt wurde zu einem dunklen flachen Umriß vor dem Blau des Himmels. Hagen blinzelte.

»Sie haben mir Geld geboten«, fuhr Gunther mit einem bitteren Unterton fort. »Ein Goldstück für jeden unserer Krieger, der in der Schlacht gefallen ist, und eine Wagenladung Silber und Edelsteine für ihrer beider Leben.«

»Nimmst du es an?« fragte Hagen.

Gunther nippte an seinem Wein, setzte den Becher vorsichtig auf der Fensterbrüstung ab und ließ sich wieder in den Stuhl sinken. »Natürlich nicht«, sagte er. »Bin ich ein Krämer, den man nach Belieben kaufen kann? Sie bleiben als unsere Gäste, bis die Siegesfeier vorüber ist und Lüdegast sich soweit erholt hat, daß er die Heimreise antreten kann.« »Wie schwer ist er verwundet?« erkundigte sich Hagen. »Sehr schwer«, sagte Gunther nach einer kurzen Pause. »Er wird nie wieder richtig gesund werden. Auf dem Thron des Dänenreiches wird in Zukunft ein Schwachsinniger sitzen. Auf jeden Fall wird er nie wieder die Hand nach anderen Ländern ausstrecken. Und sein Bruder wohl auch nicht. Siegfried hat mehr getan, als sie in der Schlacht zu schlagen.« Er sprach nicht weiter, aber Hagen spürte, daß er jetzt zu dem Punkt gekommen zwar, auf den von Anfang an alles hingezielt hatte. Siegfried. »Du weißt, daß er auf dem Pfingstfest um Kriemhilds Hand anhalten wird?« fragte Gunther. Hagen spürte, wie ihm das Blut in die Schläfen schoß, seine Wunde schmerzhaft zu pochen begann. »Er hat es dir ... gesagt?« fragte er stockend.

Gunther lächelte spöttisch. »Natürlich nicht. Wie könnte er, wo sie sich doch noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen haben.« Sein Blick wurde lauernd, und er wartete darauf, daß Hagen auf seinen Spott einging. Aber Hagen schwieg. »Manchmal glaube ich, daß dieser blonde Hüne nichts anderes ist als ein Kind, das sich zufällig in den Körper eines Giganten verirrt hat«, fuhr Gunther seufzend fort. »Natürlich hat er nichts gesagt, so wenig wie Kriemhild. Aber sie scheinen zu vergessen, daß ich noch immer König dieser Stadt bin. Es geht nichts vor in Worms, von dem ich nicht auf die eine oder andere Weise erfahre.« Er stand auf, um seinen Becher zu holen, setzte sich wieder und trank in langsamen Zügen. Plötzlich lachte er auf. »Was soll ich tun, Hagen?« sagte er. »Soll ich mich freuen, weil sie mich unterschätzen, oder soll ich zornig sein, weil Siegfried und meine eigene Schwester offensichtlich meinen, sie könnten mich zum Narren halten?« »Was wirst du tun?« fragte Hagen statt einer Antwort. »Tun?« Gunther zuckte hilflos mit den Schultern. »Was bleibt mir schon übrig, Hagen? Ich kann nichts tun. Ich kann Siegfried die Hand meiner Schwester nicht abschlagen, ohne ihn tödlich zu beleidigen. So, wie die Dinge liegen, hat er den Krieg für uns gewonnen. Ich weiß natürlich«, fügte er hastig hinzu, als Hagen auffahren wollte, »daß das nicht stimmt. Aber leider zählt der Schein oft mehr als die Wahrheit.« Er gab einen sonderbaren Laut von sich, ein verunglücktes Lachen. »Wen interessiert schon die Wahrheit, Hagen? Siegfried war es, der unser Heer gegen die Sachsen und Dänen geführt hat. Und er war es, der als Sieger heimkehrte und die feindlichen Könige als seine persönliche Kriegsbeute mitbrachte. Wie kann ich nein sagen, wenn er den Preis dafür verlangt? Was soll ich tun? Einen Krieg heraufbeschwören, kaum daß wir den einen überstanden haben? Worms ist ausgeblutet, Hagen, nach dieser Schlacht. Wir haben kein Heer mehr, das ich gegen den Nibelungen führen könnte. Und ich glaube nicht einmal, daß sie mir folgen würden«, fügte er düster hinzu. »Wie meinst du das?« fragte Hagen leise.

»Du weißt nicht, was seit eurer siegreichen Rückkehr in der Stadt und im Land vorgegangen ist«, sagte Gunther tonlos. »Siegfried hat mehr getan, als die Sachsen zu schlagen. Er hat sich in die Herzen der Menschen geschlichen, in alle - außer vielleicht in deines und meines. Die verwundeten Krieger beten ihn an, wenn er sie am Krankenlager besucht, und die Menschen unten in der Stadt jubeln ihm zu, nicht mir. Er kann Kriemhild haben, wenn er sie will.« »Und Worms.«

»In gewissem Sinne hat er es schon«, murmelte Gunther. »Wie kann ich um etwas kämpfen, was mir gar nicht mehr gehört? Von tausend Kriegern würden mir keine hundert gehorchen, wenn ich ihnen befehlen würde, das Schwert gegen Siegfried zu ziehen. Und nicht nur, weil sie Angst vor ihm hätten.« »Dann gibst du auf?« fragte Hagen.

Wieder bekam er ein bitteres Lachen zur Antwort. »Aufgeben? Nein. Ich werde gegen ihn kämpfen, mit aller Macht Aber ich werde es nicht mit dem Schwert tun, denn das wäre ein Kampf, den ich nicht gewinnen könnte.«

Er hielt inne und fuhr dann fort, mehr zu sich selbst. »Ich habe darüber nachgedacht, die ganze Zeit, seit ihr an der Spitze des Heeres fortgeritten seid. Ich habe zu Gott gebetet, und ich habe auch die alten Götter angefleht, ihn in der Schlacht fallen zu lassen, aber ich wußte, daß es nicht geschehen würde. Ich wußte, daß er als Sieger wiederkehren würde, und ich wußte auch, daß er nicht nur die Sachsen, sondern auch mich damit schlagen würde. Vielleicht wirst du mich verachten für das, was ich tun muß, aber mir bleibt keine Wahl. Soll er Kriemhild haben. Soll er sie nehmen und mit ihr in sein Nibelungenreich ziehen.« »Dann verkaufst du deine Schwester?«

Gunther nickte. »Ja. Das entsetzt dich, nicht? Aber wem wird damit geschadet? Kriemhild, die ihn liebt? Siegfried, der sich vielleicht mit ihrer Hand zufrieden gibt und nicht mehr nach Worms greift? Den Kriegern, die nicht in einem weiteren sinnlosen Kampf sterben müssen?« »Dir«, antwortete Hagen ernst. »Dir und der Krone, die du trägst, Gunther. Dein Vater hat dir das Reich nicht als Erbe hinterlassen, damit du...«

»Schweig«, unterbrach ihn Gunther, nicht sehr laut, aber sehr entschieden. »Ich weiß, was du sagen willst, und ich will es nicht hören. Es gibt keine Beweisgründe, die ich nicht selbst schon erwogen und verworfen hätte.« »Und deine Selbstachtung?«

»Selbstachtung!« Gunther lachte schrill. »Wie ich sie hasse, diese Worte. Ehre und Ruhm und Selbstachtung. Geh hinunter und sieh dir die Verwundeten an, Hagen. Geh in die Stadt und in die Dörfer und besuche die Frauen, die um ihre Männer und Väter weinen, und dann erzähle ihnen etwas von Ruhm und Ehre. Sie werden dich anspucken, und sie haben recht damit. Es ist noch nicht lange her, daß ich Lüdegasts Angebot, mich freizukaufen, abschlug, aus Gründen der Ehre und Selbstachtung, Hagen. Fünfhundert unserer Männer sind tot, damit meine Ehre nicht be schmutzt wird. Das ganze Land liegt blutend darnieder, während wir hier in der Stadt die Vorbereitungen für eine große Siegesfeier treffen. Ich hätte damals schon nachgeben und den Schandpreis zahlen sollen, den der Sachse forderte. Vielleicht hätten sie mich einen Feigling genannt, aber das tun sie doch sowieso, hinter vorgehaltener Hand und wenn sie glauben, ich würde es nicht hören. Was hat es mir gebracht, Hagen? Ruhm?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Ruhm hat es Siegfried gebracht, nicht mir, und nicht einmal dem Reich. Unsere Männer sind gestorben, um Siegfrieds Götterglanz noch ein wenig heller erstrahlen zu lassen, und mich halten sie immer noch für einen Schwächling. Vielleicht bin ich es auch.«

»Das stimmt nicht, Gunther«, sagte Hagen sanft, aber Gunther fiel ihm ins Wort.

»Es stimmt«, beharrte er zornig. »Du weißt es, und ich weiß es. Ich habe diese Krone nicht gewollt, aber man hat sie mir aufgezwungen, und ich muß damit leben.«

Er brach ab, sichtlich erschöpft, und strich sich mit der Hand über die Augen. »Nein, Hagen«, fuhr er fort. »Mein Entschluß steht fest Ich habe zu oft nach den Regeln der Ehre gehandelt, und es ist zuviel Schaden dabei herausgekommen. Ich werde Siegfried geben, was er verlangt, und meinem Reich Frieden und Ruhe damit erkaufen. Sollen mich spätere Generationen verachten. Besser, sie halten mich für einen Feigling als für den Mann, der Burgund in den Untergang geführt hat« »Er wird sich nicht damit zufrieden geben, Gunther«, sagte Hagen. »Er wird gehen und Kriemhild mit sich nehmen, aber er wird wiederkommen, und er wird weitere Forderungen stellen. Du wirst weiter auf dem Thron von Worms sitzen, aber der wahre Herrscher wird Siegfried heißen.« »letzt heißt er Hagen«, sagte Gunther leise. Hagen erstarrte. »Du...« - - - »Es ist doch so«, murmelte Gunther. »Wir wissen es beide seit Jahren, Hagen. Wir haben nur so getan, als wüßten wir es nicht. Aber ich will nicht mehr lügen.« Einen Moment lang saß er noch in dumpfem Brüten da, dann stand er auf. Seine Züge strafften sich. »Ich muß gehen, Hagen«, sagte er. »Ein König hat niemals Zeit, das weißt du ja. Und dein grauhaariger Wachhund frißt mich bei lebendigem Leibe, wenn ich zu lange bleibe oder dich aufrege.« Hagen wollte sich hochstemmen, aber Gunther drückte ihn in die Kissen zurück »Du wirst liegenbleiben und tun, was der Arzt dir sagt«, sagte er streng. »Ich lasse es nicht noch einmal zu, daß du dich selbst in Gefahr bringst Schlimmstenfalls lege ich dich in Ketten.« Er lächelte noch einmal zum Abschied, wandte sich um und ging.

Hagen starrte ihm noch lange hinterher. Das Gefühl der Hilflosigkeit und Verwirrung in seinem Inneren steigerte sich zur Qual. Er hätte erleichtert sein müssen, daß ihm die Last der Entscheidung abgenommen war, aber er war es nicht Im Gegenteil.

Erst als Radolt ihn sanft an der Schulter berührte und ihm einen Becher mit bitter schmeckender Medizin an die Lippen setzte, merkte er, daß er nicht mehr allein war.

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