26





Die Schornsteine der wuchtigen Dampfer ließen graue Rauchwolken in den Sommerhimmel aufsteigen. An vierschrötige und stiernackige Fabrikanten erinnerten sie, die qualmende Zigarre im Mundwinkel festgeklemmt, während hinter ihnen Segelschiffe durch die Elbe glitten wie hochnäsige alte Tanten.

Unter dem Dröhnen der Hörner und dem Scheppern von Schiffsglocken herrschte auf dem Kai heilloses Durcheinander. Männer und Frauen scharrten förmlich mit den Füßen oder übten sich in unerschütterlicher Geduld. Ganze Familien drängten sich zusammen, ihre wenigen Habseligkeiten in Körben, Taschen, Tornistern und Säcken zusammengepackt, manchmal in der Hochzeitstruhe, weitaus häufiger lediglich zum Bündel geschnürt. Nur wenige konnten sich einen Koffer leisten.

Eine Handvoll Männer hatte sich auf herumstehenden Kisten niedergelassen, um sich mit einem Kartenspiel die Zeit zu vertreiben. Zwei Jungen, die Mützen schief auf dem Kopf, spielten um die Röcke ihrer Mütter herum Fangen. Ein kleines Mädchen auf dem Arm des Vaters sah ihnen mit glasigen Augen zu und bohrte dabei selbstvergessen in der Nase.

Herkunftsgeschichten und Ratschläge für die künftige Heimat wurden ausgetauscht, in norddeutschem Zungenschlag und Friesisch, Schwäbisch und Westfälisch, Fränkisch und Bayerisch, Schwyzerdütsch, Dänisch und sogar Italienisch. Kleine Sprachinseln inmitten der Wogen aus Polnisch, Ungarisch, Tschechisch und Russisch, dem in allen Nuancen Osteuropas schillernden Jiddisch.

Ein Zeitungsjunge schlängelte sich durch das Gedränge und pries aus voller Kehle die jüngsten Nachrichten aus Hamburg und dem Deutschen Reich an. Wenig erfolgreich; wer auf dem Kai wartete, stammte entweder nicht von hier oder hatte der alten Welt bereits den Rücken gekehrt.

Nach Brasilien wollten sie, nach Argentinien oder Chile, ein paar auch nach Mexiko. Viele zog es gleich ganz ans Ende der Welt, nach Australien. Die meisten jedoch hatten dasselbe Ziel: New York. Ein Schmelztiegel, der pures Gold hervorbrachte. Das Tor zu den unermesslichen Weiten der Vereinigten Staaten, wo jeder es zu etwas bringen konnte, wenn er sich nur genug anstrengte.

Jakob war einer von ihnen.

»Hättest du nicht wenigstens bis zu Hennys Beerdigung bleiben wollen?«, fragte Grischa.

Jakob schüttelte den Kopf. Wenn er schon alle Brücken hinter sich abbrach, dann richtig. Nur von Katya hatte er sich verabschiedet, was schwer genug gewesen war; sie würde er am meisten vermissen.

Eine plötzliche Unruhe wogte durch die Menge, auf dem Deck des Dampfers schien sich etwas zu tun.

»Danke für alles«, sagte Jakob hastig. »Das Geld zahle ich euch zurück, sobald ich kann.«

Den Beleg für die Bankanweisung trug er mit allen anderen wichtigen Papieren bis hin zu einem Gesundheitszeugnis in der Innentasche seines Jacketts. Beim Blick auf die Summe, die Katya und Grischa nach New York gekabelt hatten, waren ihm die Augen übergegangen, jede Widerrede war jedoch zwecklos gewesen.

»Darüber reden wir noch«, bekräftigte Grischa auch jetzt. »Betrachte es ruhig als Investition in deine Zukunft. Oder als dein Erbe.«

Natürlich würde Jakob alles auf Heller und Pfennig zurückzahlen, er dachte gar nicht daran, jemandem etwas schuldig zu bleiben. Aber hier auf dem Kai, kurz vor dem Ablegen des Dampfers, war nicht der Ort und nicht die Zeit, um einen Streit vom Zaun zu brechen.

Eine dichte Menschentraube hatte sich vor der Gangway gebildet, offenbar bereitete sich die Mannschaft darauf vor, die Leute an Bord zu lassen.

»Also«, sagte Jakob entschlossen und schulterte den Seesack, mit dem er vier Jahre zuvor in Hamburg angekommen war.

Der wehmütig weiche Ausdruck auf Grischas Gesicht war Jakob unangenehm.

»Du brauchst wirklich nicht zu warten, bis wir ablegen«, beeilte er sich zu versichern. »Ich werde ohnehin gleich meine Kabine beziehen.«

Katya hatte respektiert, dass er diesen letzten Schritt allein machen wollte. Genauso Réka, wenn auch schweren Herzens, sie hatte schon ihr schönstes Taschentuch herausgelegt, um dem Dampfer damit nachzuwinken. Stattdessen hatte sie ihm ein Fresspaket aufgenötigt, das wahrscheinlich von hier bis New York reichen würde, obwohl Mahlzeiten an Bord inbegriffen waren.

Nur Grischa hatte stur darauf beharrt, ihn zum Schiff zu bringen wie einen Schuljungen auf Exkursion. Ehe Jakob sich’s versah, drückte Grischa ihn herzhaft an sich.

»Ich bin froh, dass ich dich kennengelernt habe«, murmelte er. »Komm heil und gesund an. Und schreib mir.«

Grischas Umarmung und das dunkle Vibrieren in seiner Stimme ließen etwas in Jakob erzittern, unerwartet und unwillkommen. Irgendwo hinter ihm begann ein Kleinkind zu plärren, und wie nach einem Naturgesetz ließen sich zwei, drei weitere davon anstecken. Unwillig riss Jakob sich los.

»Mach’s gut«, würgte er hervor.

Jäh wandte er sich von dem feuchten Glanz in Grischas Augen ab und eilte in langen Schritten auf den Dampfer zu. Innerhalb weniger Herzschläge hatte ihn die Menschenmenge verschluckt.

Nur zäh ging es vorwärts, wie der Weg einer Schnecke durch das Salatbeet. Endlose Zeitspannen traten sie gleich ganz auf der Stelle, während von allen Seiten weiter Menschen herandrängten.

Jakobs Herzschlag galoppierte an, peitschte seinen Atem auf und ließ ihm den Schweiß aus allen Poren brechen. Jeden Moment rechnete er damit, dass ihm die Kugeln um die Ohren pfiffen, hinter ihm eine Granate einschlug. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang er sich, ruhig zu bleiben, eingezwängt zwischen fremden Menschenleibern, die nach Schweiß und feuchter Wolle und Zwiebeln rochen, nach Harzer Käse und Rauch, einen vorwärtsschlurfenden Schritt nach dem anderen.

Endlich hatte er die rettende Gangway erreicht, schwindelerregend steil ging es hinauf. Jakob warf keinen Blick zurück auf den Kai oder auf Hamburg, er konzentrierte sich allein auf die beiden Stewards am oberen Ende und hielt einem davon dann seine Fahrkarte hin.

»Erste Klasse da entlang«, wies der Steward ihn kurz an.

Erleichtert steckte Jakob das Stück Papier wieder ein und trat auf das Deck. Der Duft grüner Äpfel stieg ihm in die Nase, aus dem Korb eines jungen Mädchens. Die Haarsträhne, die sich unter seiner Haube hervorkringelte, war weizenhell. Fast so hell, so seidig wie Cathrins Haar.

So musste es sein, wenn einem Gliedmaßen amputiert worden waren. Das Körperteil war abgetrennt, die Wunde vernäht und kauterisiert. Aber man spürte es noch genauso wie vorher, das hatten einige der Soldaten im Lazarett bei einer Zigarette erzählt. Es zuckte und juckte, entwickelte sogar ein Eigenleben, und manchmal schoss ein quälend heißer Schmerz durch den fehlenden Arm, das fehlende Bein.

Dieser eine Augenblick der Unachtsamkeit genügte, und Jakob fand sich von einer Horde schwäbischer Bauernlümmel eingekesselt, einer so stämmig und rotgesichtig und ungeduldig wie der andere.

»No ned driele!«

»Mach nore, du Schlofkapp!«

Von hinten schoben sich energisch weitere Männer und Frauen heran, rüpelnd wie die Hamburger Bierkutscher, zeternd wie die Aalweiber. Für Jakob gab es kein Entkommen. Eingekeilt in dieser drückenden und schiebenden Menge, wurde er mitgespült wie ein Kiesel auf dem Grund der Elbe, in den Schiffsleib hinein.

Erst als sich der gesamte Pulk von einem engen Gang aus über eine Schwelle ergoss, die Leute unter Remplern und Ellbogenstößen an Jakob vorbeihasteten, war er frei.

Ungläubig ließ er seine Blicke durch den großen Raum schweifen, der doch viel zu klein war für all die Menschen. Hunderte mussten es sein. Dutzende und Aberdutzende von Burschen und jungen Männern, einige wenige junge, jüngere oder mittelalte Frauen. Dazwischen viele Familien, die kleinen Kinder greinend oder erschöpft in den Armen der Mutter, der Großmutter eingeschlafen, die größeren an den schmalen Bettgestellen herumkletternd, quengelnd, miteinander raufend oder bereits die ersten Freundschaften schließend. Die Erwachsenen machten sich untereinander mal förmlich, mal aufgeschlossener miteinander bekannt; schließlich war man für die Dauer der Überfahrt einander nun ein Nachbar. Andere hingegen zankten sich bereits jetzt um jeden Zoll an Raum.

Die Luft war stickig, stank nach Abort und brackigem Wasser, dabei hatten sie die Reise doch noch vor sich. Ein hagerer und graugesichtiger Mann unweit von Jakob begann rasselnd zu husten. Der gleiche Husten, den Jakob in den finsteren Gängevierteln so oft gehört hatte. Der gleiche, der im Schlamm und der klirrenden Kälte der Schlachtfelder umgegangen war, und Jakob floh.

Blindlings bahnte er sich seinen Weg zwischen den Passagieren hindurch, die ihm unentwegt entgegenströmten, als wäre das Zwischendeck hinter ihm nicht schon übervoll, und stolperte schließlich zurück an Deck. Tief sog er die frische Luft ein, um die Übelkeit loszuwerden und einen klaren Kopf zu bekommen, bevor er sich achtern auf die Suche nach seiner Kabine machte.

Die Tür stand offen. Neben einem der beiden Betten war ein junger Mann damit beschäftigt, seinen Koffer auszupacken. Sein Anzug war genauso brav wie das gescheitelte semmelblonde Haar, das Gesicht rosig wie ein neugeborenes Ferkel. Als Armin Busch aus der Nähe von Wiesbaden stellte er sich vor. Seine blassen Augen folgten Jakobs Blick durch die Kabine, und er grinste.

»Hier lässt sich’s aushalten, oder?«

Jakob nickte. Die Kabine war nicht übermäßig groß, aber ebenso sauber und gut gelüftet wie das angrenzende Badezimmer mit fließendem Wasser. Genau wie bei den Vierbettkabinen der zweiten Klasse gehörte ein Speisesalon dazu, in dem sie bedient würden, und eine Lounge, um sich die Zeit auf See aufs Angenehmste zu vertreiben, so hatte man ihn im Büro der Reederei informiert.

»Meine Großonkel haben mir die Passage bezahlt«, erzählte Armin Busch in seiner vernuschelten und singenden hessischen Mundart. »Beide haben in Missouri in eine Brauerei eingeheiratet, in der ich jetzt auch anfangen soll. Wo willst du hin?«

Jakob brummte etwas Nichtssagendes. Sein einziges Ziel galt den Docks von New York. Was danach kam, würde sich weisen.

Er überlegte, ob er ebenfalls seine Habseligkeiten auspacken und im Schrank verstauen sollte, verschob dann jedoch die Entscheidung auf später; auf eine merkwürdige Art waren seine Knie weich, seine Finger unsicher. Er stellte den Seesack einfach ab und streckte sich auf dem Bett aus, die Füße über die Kante hängend, damit er das frische Bettzeug nicht mit den Schuhen beschmutzte.

Bei der nächsten Regung drückte etwas gegen seinen Hüftknochen. Mit gerunzelter Stirn fasste Jakob in die Tasche seines Jacketts, dann erhellte sich seine Miene. Es war das Schnappmesser, das Katya ihm zum Abschied geschenkt hatte. Ein schönes Messer war es, der Griff aus poliertem Holz. Sichtlich alt, aber gepflegt, die Feder irgendwann in den letzten Jahren ersetzt, die Klinge nach wie vor scharf und glänzend.

Sein Ururgroßvater hatte es sich vom Lohn des Zarenhofs gekauft. Jakov, der im Eis zu lesen verstand, ob es spröde oder brüchig war, hart wie Stein oder geschmeidig wie Butter. Der aus Eisklumpen Gnome und Elfen herausschälte, einen Bären, eine Ziege oder eine Krähe. Auf dem Sterbebett hatte er seinem ältesten Sohn, der ebenfalls Jakov hieß, dieses Messer vermacht. Jakov, der Regenmacher und Sonnenbeschwörer. Der Geschichtenerzähler. Und der hatte es an seinen Enkel Grigori weitergegeben, genannt Grischa.

Dieses Messer war der wertvollste Besitz Grischas gewesen, und das Einzige, was er mitnahm, als er eines Nachts das Gehöft der Familie verließ.

Dasselbe Messer, mit dem Grischa in Sankt Petersburg seiner kleinen Schwester Katya die Haare abschnitt, damit sie als Junge mit auf ein Schiff konnte. Und das Messer, mit dem sie in ihrem allerersten norwegischen Winter das Eis der zugefrorenen Seen auf die Probe gestellt hatten.

Jakob hatte es zuerst nicht annehmen wollen, aber einer Frau wie Katya schlug man nicht so leicht etwas ab.

Nimm es, hatte sie darauf beharrt. Es soll dir Glück bringen und dich beschützen, wie es uns Glück gebracht und beschützt hat.

Jakobs Finger streichelten über den glatten Holzkörper in der Jackentasche. Ein Messer. Was für ein treffendes Sinnbild dafür, dass er dabei war, das Band zwischen sich und allen, die er in Hamburg zurückließ, zu zerschneiden. Und doch war es ein Stück seiner Wurzeln, das er von nun an mit sich trug.

Armin Busch erging sich indessen in ausschweifenden Anekdoten über holprige und verpatzte Auswanderungen. Ganze Schauerromane wusste er über die sogenannten Litzer zu erzählen. Gerissene und weit verbreitete Gauner, die mit überteuerten Gästezimmern, Proviant und Ausrüstung zu Wucherpreisen und gefälschten Fahrkarten und Einreisedokumenten die Neuamerikaner in spe übers Ohr hauten.

Jakob wünschte sich, er würde schon im Registrierungsbüro von Castle Clinton stehen. Wie er sich überhaupt wünschte, diesen Schritt bereits vor vier Jahren getan zu haben, wie ursprünglich geplant. So vieles wäre ihm erspart geblieben.

Mit der ersehnten Unterschrift Grischas in der Hand wäre er vor vier Jahren jedoch nicht auf Kosten seines Vaters in der ersten Klasse gereist und auch nicht in der zweiten. Er hätte sich genauso mit dem Zwischendeck begnügen müssen wie all die Menschen unten im Schiffsbauch. Eingepfercht wie Vieh, ein Platz im sicher genauso überfüllten Speisesaal das höchste der Gefühle.

Dabei war dies ein modernes Dampfschiff, das unter der Flagge einer ehrbaren Reederei fuhr und nur vierzehn Tage bis New York brauchte, unter günstigen Bedingungen sogar deutlich weniger. Keiner der altmodischen Segler, wie sie immer noch Auswanderer über die Meere beförderten, manchmal sogar zwischen Frachtgut eingeklemmt. Auf einer Fahrt, die je nach Wind und Wellengang fast doppelt so lange dauerte, während einem das Schiff geradezu unter dem Hintern wegmoderte.

Lohnen musste es sich in jedem Fall für die Reedereien, aus reiner Nächstenliebe würden sie solche Fahrten wohl kaum anbieten.

Lange sann Jakob über das Geschäft mit dem Traum von einem besseren Leben nach, während der Dampfer abwartend auf dem Wasser schaukelte und seine eigene Zeit schuf, die schneller oder langsamer verstreichen mochte als an Land.

Über die Menschen unten im Schiff dachte Jakob nach, die so viele waren und doch nicht mehr als ein Tropfen in den Wellen, die beständig an die Küste Amerikas brandeten. Die alles hinter sich gelassen hatten, um von vorn anzufangen. In der Zuversicht, dass an fernen neuen Ufern das Glück auf sie wartete.

Nicht allen würde es gelingen, vielleicht sogar den wenigsten, das war schlicht eine rechnerische Wahrscheinlichkeit, auch darüber dachte Jakob nach.

Ein dröhnendes Wummern hob hinter ihm an und ließ den schweren Leib des Dampfers erzittern. Jakob atmete tief durch, halb vor Erleichterung und halb, um seinen nervösen Magen zu beruhigen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Die nächsten vierzehn Tage würde er hier verbringen, zusammen mit Hunderten von anderen Menschen und doch durch das Privileg der ersten Klasse von ihnen getrennt. Eine künstliche Abgrenzung wie die Frontlinie im Krieg und genauso brüchig. Am Ende saßen sie alle im selben Boot, das einen Eisberg rammen oder im Sturm zum Spielball der Wellen werden konnte. Ein kleiner Funke irgendwo, eine umgestoßene Lampe mochte eine Feuerhölle heraufbeschwören, aus der es kein Entrinnen gab. Und Cholera und Typhus, Ruhr und Schwindsucht machten keine Unterschiede, das hatte er im Krieg mit angesehen.

Wie ein Fieberschub lief es heiß durch Jakob hindurch. Sein Herz schien verrutscht; übergroß und knollig hämmerte es in seiner Kehle und machte das Schlucken unmöglich. Jetzt roch er es wieder, die ekelerregend faulige Süße verwesender Leichen, neben denen sie manchmal im Feld biwakiert hatten, der Gestank ein Gespenst, das in seinen unruhigen Schlaf hineinkroch.

Hier holte es Jakob wieder ein. Gefangen in diesem Sarg aus Eisen.

Keuchend fuhr er hoch.

»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Armin Busch verwundert.

Jakobs Mund war ausgedörrt, die Zunge wie totes Holz. So musste es sich anfühlen, wenn man erstickte.

Er schnappte sich seinen Seesack und rannte, rannte um sein Leben. Durch Gänge und über Treppen und das Deck entlang. Den Steward, der gerade damit beschäftigt war, die Halterung der Gangway zu lösen, stieß Jakob kurzerhand zur Seite. Taub für dessen gebrüllte Flüche, fegte Jakob die rüttelnden Stufen hinunter, das letzte Stück sprang er einfach.

Taumelnd stolperte Jakob vorwärts und rannte dann weiter, im Zickzack über den nur noch dünn bevölkerten Kai, um die Lastenträger mit ihren Karren herum. Jemand rief seinen Namen, aber Jakob blieb nicht stehen, er konnte nicht stehen bleiben, er musste rennen, rennen, rennen, so schnell und kräftig es ging, nur noch fort, fort.

Sein Bein, sein verwünschtes Bein, aus dem der Arzt im Lazarett die Kugel herausgeholt und es dann wieder zusammengeflickt hatte, knickte in vollem Lauf unter ihm weg. Jakob schlug der Länge nach hin, der heftige Aufprall nur unzureichend von seinem prallen Seesack abgefedert. Benommen blieb er liegen.


Jakob.

Eine allzu vertraute Stimme, noch durch das Rauschen in seinen Ohren hindurch.

Jakob!

Atemlos beugte sich Grischa über ihn, und Jakob lachte gequält. Natürlich hatte Grischa auf dem Kai ausgeharrt. Als hätte er damit gerechnet, dass Jakob im letzten Augenblick kalte Füße bekommen würde. Der Taugenichts, der Feigling, der es nie schaffen würde, dem übermächtigen Schatten seines Vaters zu entfliehen.

Blindwütig schlug Jakob um sich, umso wilder, je härter Grischa zupackte, um ihn ruhigzustellen. Wie ein Wahnsinniger gebärdete er sich, und vielleicht gehörte er wirklich zu denen, die irgendwann zwischen ihrem ersten und dem letzten Gefecht den Verstand verloren hatten.

Ein zweiter Mann legte mit Hand an, schlanker und sehniger als Grischa, und doch kaum weniger stark, die Augen im scharfgeschnittenen Gesicht von durchdringendem Blau.

Christian Petersen. Cathrins Vater. Die Scham, die glühend durch Jakob zog, befeuerte noch seine Wut.

»Ist gut, Jakob«, schnaufte Christian Petersen über ihm. »Ist doch schon gut.«

Nichts war gut, und nichts würde jemals mehr gut werden. Dennoch besänftigte ihn die besorgte Freundlichkeit Christians, und sein Widerstand erlahmte.

»Ist gut«, wiederholte Christian. »Wir bringen dich nach Hause, ja?«

Jakob nickte erschöpft und gab auf.

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