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Der Sommerabend hatte den gesamten Kehrwieder nach draußen gelockt, an das glucksende und plätschernde Wasser des Binnenhafens, so kam es Jakob vor. Durch das geöffnete Fenster drangen Gelächter und zahllose Stimmen beim Klönschnack herauf. Kinder, die noch lange nicht ans Schlafengehen dachten, johlten und kreischten, und die Rufe ihrer Mütter gingen in denen der Möwen unter.

Neben Jakob lagen Kissen und Leintuch schon bereit. Die Nacht würde er wieder hier auf Cathrins Sofa verbringen, damit sie am Morgen gleich zusammen ins Kontor gehen konnten.

Eine Vorstandssitzung stand ihnen bevor. Die Feuerprobe für ihr erdachtes und durchgeplantes Schiff.

Er nippte am Wein, den sie zur Feier des Tages geöffnet hatten, vielleicht auch, um ihre Nerven zu beruhigen.

Cathrin hatte ihr Glas noch nicht angerührt. Glühende Flecke auf den Wangen, kniete sie auf dem Boden und sortierte die überall verteilten Unterlagen. Das Abendlicht aus Messing und Kupfer ließ die Konturen ihres Körpers unter dem dünnen Sommerkleid durchscheinen, lang und schlank und von einer sirenenhaften Weiblichkeit.

Jakob wollte nicht hinstarren und konnte doch den Blick nicht von ihr losreißen. Ihr Haarknoten hatte sich halb aufgelöst, und Strähnen ihres blassen Haares flossen bei jeder ihrer Bewegungen über Schultern und Rücken. Wie eine Meeresnymphe sah sie aus, das Mal an ihrem Hals eine leuchtende Koralle.

Eine merkwürdige Scheu hatte sich zwischen ihnen eingeschlichen, seit jenem Kuss vor drei Wochen auf der Alster. Eine, die sie unangetastet gelassen hatten, dafür war keine Zeit gewesen. Neue Planungen waren nötig geworden, neue Skizzen und Listen, Kostenvoranschläge und Kalkulationen. Bei Katya hatten sie sich Rat eingeholt, welche Stoffe sich am besten für Vorhänge, Bettwäsche und Tischtücher eigneten, und erst im Kontor, dann im Tuchhandel Beckmann danach gestöbert und in Fietes Werkstatt verschiedene Hölzer ausgewählt.

Nichts wollten sie dem Zufall überlassen. Weder Katya noch Grischa würden ihre Zustimmung geben, wären sie nicht von der Wirtschaftlichkeit überzeugt; Geschäft war schließlich Geschäft.

Cathrin schloss den Deckel über der Kiste mit den Holzstücken und Stoffmustern und klopfte die Papierstapel an den Kanten zurecht, bevor sie sie in den Mappen verstaute und vom Boden aufstand. Ihr Weinglas in der Hand, kam sie auf bloßen Füßen herüber und ließ sich aufseufzend auf das Sofa fallen.

Eine Weile betrachteten sie beide die Unterlagen, die sich neben dem Schiffsmodell stapelten, das Fiete anhand der Blaupausen für sie gebaut hatte; Hauke und Nils hatten begeistert dabei geholfen.

Die Arbeit mehrerer Monate. Sofern alles gut ging, eine Arbeit für viele weitere Monate; für ein solches Vorhaben brauchte man einen langen Atem.

»Wenn wir doch etwas übersehen haben?«, wandte Cathrin schließlich ein.

»Dann werden sie uns schonungslos darauf hinweisen«, entgegnete Jakob. »Wichtig ist nur, dass wir sie überhaupt mit ins Boot holen können.«

Erschöpfung machte sich spürbar zwischen ihnen breit, doch ein Gefühl der Ruhe wollte sich nicht einstellen, dafür waren sie zu aufgeregt.

Jakob rieb sich über das Gesicht. »Ich weiß nicht, wie ich heute Nacht ein Auge zubekommen soll.«

Mit einem verschmitzten Lächeln stellte Cathrin ihr Glas auf den Tisch und zog die Beine unter sich.

»Du redest manchmal im Schlaf. Ich bin schon ein paarmal nachts herübergeschlichen, um nach dir zu sehen.«

Jakob zögerte. So vieles zwischen ihnen war noch immer ungesagt, schien ihm auch ganz und gar unsagbar, sosehr er es auch wollte.

»Cathrin, ich …«, begann er dennoch, in der Hoffnung, dass sich die richtigen Worte von selbst fänden.

Vergeblich, nicht unter Cathrins Augen, die silbern schimmerten.

Behutsam entwand sie ihm das Glas und legte die Fingerspitzen auf seinen Mund.

»Nicht, Jakob«, wisperte sie. »Wenn du mir etwas zu sagen hast, sag es mir damit.«

Sie neigte sich vor und küsste ihn. Ein Kuss, der nach Wein und Äpfeln schmeckte; salzig wie das Meer war er und genauso endlos.

Er verzehrte sich nach ihrer Haut, die sich glatt wie Wasser anfühlte und warm wie Sonnenlicht. Bei den Knöpfen ihres Kleides musste sie ihm helfen, einer davon hüpfte klackernd über den Boden und verstummte dann zwischen den Dielenfugen. Mit ihrem Unterzeug tat er sich leichter; ein plötzliches Ungleichgewicht, das Cathrin zurechtrückte, indem sie ihm das Hemd über den Kopf zerrte und nach seinem Hosenbund tastete.

»Jetzt weiß ich«, murmelte sie eine glühende Spur in sein Brusthaar hinein, »woraus du gemacht bist, Jakob Levgrün. Du bist aus dunkler Erde und Feuer gemacht.«

Wie zum Beweis grub sie sich zur Wurzel seiner Männlichkeit vor, und die Hitze, die ihm entgegenschlug, war fast nicht auszuhalten. Die letzten Nadeln rieselten heraus, als er die Finger in ihrem seidigen Haar vergrub und ihren Kopf zurückbog; ihre Augen glänzten wie im Fieber.

»Du bist doch die Feuergeborene«, raunte er heiser.

Er küsste das Mal an ihrem Hals, unter dem es heftig pulsierte, bevor er Hände und Mund über flache Hügel und Täler weiterwandern ließ, hin zu dem feuchten Moos zwischen ihren Beinen.

Neuland für ihn, und nichts hatte ihn auf den Sturm vorbereitet, den sie mit ihren Atemzügen heraufbeschworen.


Cathrins Lider öffneten sich in den neuen Tag. Das kühle Licht der allerersten Stunden begann sich bereits zu färben, noch war es unten auf dem Kehrwieder still. Nach Wasser und Holz und Mauerwerk roch die Morgenluft und mischte sich mit dem Sommerschweiß auf ihrer Haut, dem tangigen Dunst erschöpfter Lust.

Sie wandte den Kopf. Die Wange an ihrer Schulter, schlief Jakob, sein Arm auf ihrem Bauch eine heiße Last, die sie nicht missen mochte. Ihre Muskeln fühlten sich überdehnt an, einige Stellen wie wund gescheuert. In ihrem Schoß pochte es, ein süßes Brennen, von dem sie nicht wusste, ob es noch Sattheit war oder ein neuer Hunger.

Sanft strich sie über den Stoppelschatten, den die Nacht auf Jakobs Gesicht gelegt hatte. Bestimmt konnte man in zu viel Gefühl ertrinken; es war gut, wenn man dabei nicht allein war, sondern sich zu zweit den Fluten stellte.

Jakobs bärtiger Mund verzog sich zu einem Lächeln.

»So möchte ich jeden Morgen aufwachen«, murmelte er.

»Du willst mich doch nicht etwa fragen, ob ich dich heiraten will?«, neckte Cathrin ihn.

Als er verneinte, setzte ihr Herz einen Schlag aus.

Mit einem tiefen Atemzug reckte er sich und hob die Lider. Den Kopf aufgestützt, wanderten seine Augen unaufhörlich über ihr Gesicht, während sein Finger die Konturen nachzeichnete.

»Ich will dich lieber fragen«, sagte er, »ob du nicht nur diesen Tag mit mir verbringen willst, sondern auch den nächsten und den übernächsten. Den Rest dieses Jahres und jedes weitere Jahr, das noch kommt. Wenn du irgendwann willst, dass wir beide heiraten, dann tun wir das. Wenn nicht, bin ich trotzdem der glücklichste Mann auf Erden. Solange du bei mir bist.«

Cathrin fuhr durch sein Haar und raufte spielerisch daran.

»Das ist ein höchst unmoralisches Angebot, Jakob Levgrün.«

Jakob brummte zustimmend an ihrem Hals.

»Aber ein verdammt gutes, das musst du zugeben.«

Er schob sich auf sie, und dem sanften Druck seines Knies zwischen ihren Schenkeln wusste sie keinen Widerstand entgegenzusetzen.

»Wir werden zu spät kommen«, wisperte sie, atemlos von seinen Küssen.

»Dann müssen sie eben auf uns warten«, flüsterte Jakob.

Mehr als nur die Blicke ineinander verhakt, holten sie sich den Zauber der Nacht zurück, während über Hamburg die Sonne aufging.

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