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Die Arbeit ging weiter, trotz des Kummers, mit dem Adelia Valiant zu kämpfen hatte. Die Pferde mußten gefüttert, abgespritzt, trainiert, gestriegelt, nach draußen gebracht werden und über eine Boxentür hinweg Zuspruch erhalten. Diese seltsam tröstende Routine betäubte Addies Gedanken. Mim sagte, sie solle sich frei nehmen, wenn sie es nötig hätte, doch Addie ritt weiter. Schließlich hatten sie und ihr Bruder noch andere Kunden, und wer zahlt, erwartet Resultate.

Das Vermögen der Valiants, gut achtzehn Millionen schwer, das noch zunahm durch kluge Investitionen, die von Arthur Tetrick getä­tigt wurden, hätte gewährleisten können, daß Adelia und Charles für ihr täglich Brot nicht zu arbeiten brauchten.

Doch Marylou hatte gesehen, welch unheilvolle Wirkung es haben konnte, wenn Kinder mit Massen von Geld gepolstert wurden, um die harten Schläge des Lebens abzufangen. Sie wollte nicht, daß ihre Kinder solch schwache, engstirnige Tyrannen wurden, wie sie sie oft beobachtet hatte. Sie wollte ihnen Mumm mitgeben.

Dem Treuhandvermögen wurde jährlich genug entnommen, um davon Unterkunft, Autos, Kleider, Dinge des täglichen Bedarfs zu bestreiten. Damit waren ihre Kinder gezwungen zu arbeiten, wenn sie mehr wollten. Wenn sie sich nach Adelias Volljährigkeit in vor­nehme Müßiggänger verwandelten, sei's drum.

Aber die Geschwister mochten ihre Arbeit. Bei keinem von ihnen bestand ein Zweifel, daß sie weiterarbeiten würden, nachdem sie ihr Erbe angetreten hatten. Sie würden sich vielleicht einen eigenen soli­den Stall aufbauen, doch sie wollten weiterhin trainieren und reiten.

Addies vergangene Drogenprobleme hatten mehr mit ihrer Persön­lichkeit, als mit ihrer Herkunft zu tun. Auch viele arme Jugendliche richteten sich mit Drogen zugrunde. Und viele arme Jugendliche gaben ihr Geld aus, sobald sie ihren Lohn erhielten. Addies Impulsi­vität und ihr Hang zu Ausschweifungen hatten nichts mit gesell­schaftlichem Rang zu tun.

Addie rieb gerade das letzte Pferd für den Tag ab, einen langbeini­gen Grauen, als der weiße Lieferwagen der Firma Southern States durch die Zufahrt gefahren kam.

»Der Futtermann.«

Chark rief vom anderen Ende des Stalles: »Ich kümmere mich dar­um. Mach du deine Sachen fertig.«

Als Addie die Beine des Grauen mit Blue Lotion abrieb, hörte sie die Metalltür des Lieferwagens aufklappen und den Rollwagen auf den Boden aufplumpsen, dann hörte sie das Stöhnen ihres Bruders und des Lieferanten, als sie Halbzentnersäcke Frischfotter mit 14 Prozent Proteingehalt auf den Rollwagen luden.

Nachdem sie die verzinkten Futtereimer gefüllt hatten - Mim dach­te in ihrem Stall an alles, trotzdem fielen die Mäuse ein -, murmelte der Lieferant etwas zu Chark, dann fuhr er davon.

Als ihr Bruder, ein mittelgroßer, wohlproportionierter Mann, zu ihr schlenderte, fragte Addie: »Sind wir mit der Rechnung im Rück­stand?«

»Alles bezahlt«, er lächelte, »ausnahmsweise.«

»Was wollte er dann?«

»Nichts. Er sagte, es tut ihm leid, was er von deinem Freund gehört hat.«

Die Linien um ihren Mund entspannten sich. »Das war lieb von ihm. Die Leute überraschen mich.«

»Ja.« Chark schob die Hände in seine Jeans. »Schwesterherz, tut mir leid, daß du leidest, falls du verstehst, was ich meine, aber ich konnte Nigel nicht ausstehen, und das weißt du, deshalb kann ich jetzt nicht heucheln. Nicht, daß ich ihm den Tod gewünscht habe.«

»Du hast ihm keine Chance gegeben.«

»Öl und Wasser vertragen sich nicht.« Er bohrte seinen Absatz in den geteerten Gang.

Sie führte den Grauen in seine Box »Du kannst keinen Mann be­sonders gut leiden, mit dem ich zusammen bin.«

»Du hast keinen besonders guten Geschmack.« Chark hörte sich barscher an, als er beabsichtigt hatte. »Ach, entschuldige. Du mußt sie küssen, ich nicht.« Er hörte auf, mit seinem Absatz zu kreisen. »Nigel war ein Schwindler.«

»Du kannst Leute mit englischem Akzent nicht ausstehen.«

»Das stimmt Sie sind überheblich, sprechen durch die Nase und er­zählen uns, wie sie in den Downs von Exmoor galoppieren. Wir sind hier in Amerika, und ich trainiere auf meine Art.«

Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ich dachte, das hätten wir 1776 geklärt. Du erträgst es nicht, wenn dir jemand sagt, was du zu tun hast, oder einen Vorschlag macht, den du als verschleierte Kritik begreifst.«

»Ich höre auf dich.« Seine Augen, mandelförmig wie die seiner Schwester, trübten sich.

»Manchmal« - sie schob nervös die Hände in die Taschen - »hast du Nigel wie Dreck behandelt. Und ich - ich - « Sie konnte nicht weitersprechen. Tränen traten ihr in die Augen.

Er stand da, wollte sie trösten, war aber gleichzeitig nicht bereit, im Hinblick auf den verachteten Nigel nachzugeben. Die Bruderliebe gewann die Oberhand, und er umarmte sie. »Wie gesagt, ich habe ihm den Tod nicht gewünscht. Vielleicht war es Linda Forloines.«

Addie versteifte sich. »Linda. sie hat um sich geschlagen wie eine Süchtige.« Addie meinte den Hieb mit der Peitsche.

»Eben.« Chark ließ seine Schwester los. »Ich gehe jede Wette ein, daß die beiden wieder dealen. Woher sollten die Forloines sonst das Geld für einen neuen Transporter haben?«

»Hab ich nicht gesehen.«

»Ein nagelneuer Nissan. Netter Wagen.« Er rieb sich die Hände. Er hatte Arthritis in den Fingern, die er sich vor Jahren gebrochen hatte, und die Kühle der einbrechenden Nacht ließ seine Gelenke schmer­zen.

Sie zuckte die Achseln. »Wer weiß.« Aber sie wußte es.

»Vermutlich dopt sie Pferde genauso wie Menschen.«

»Weiß ich nicht.«

»Es würde mich nicht überraschen, wenn sie und Will - hm, da mit drinstecken. Ich hab so ein Gefühl.«

»Weiß ich nicht«, wiederholte sie. »Aber ich hatte heute meine ei­gene Begegnung der dritten Art.«

»Hm?«

»Ich hab die Post abgeholt, und Harry und Mrs. H. waren wirklich großartig, außer daß Harry schlimmer ist als der Sheriff - sie stellt zu viele Fragen. Jedenfalls hab ich die Beherrschung verloren und ge­sagt, wenn ich früher als der Sheriff rauskriege, wer Nigel getötet hat, würde ich ihn umbringen. Da sind sie mir beide fast an die Gur­gel gesprungen und haben gesagt:>So was sagt man nicht<.«

»Da haben sie recht. Es passieren die verrücktesten Sachen.« »'ne Gänsehaut hab ich gekriegt, als sie gesagt haben, wenn ich dem Mörder zu nahe käme, würde er vielleicht auf mich losgehen.« »Verdammt«, flüsterte Chark.

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