7

Da Harry das Tierpförtchen versperrt hatte, blieb Mrs. Murphy im Haus. Sie wäre lieber in den Stall gegangen, nur für den Fall, daß Harry mit Wut im Bauch aufwachte. So aber wartete sie wohlweis­lich, bis sie hörte, wie die Katzenfotterdose geöffnet wurde, bevor sie in die Küche schlich.

»Du bist unmöglich.« Harry, deren gute Laune nach einem tiefen Schlaf wiederhergestellt war, kraulte die Katze am Schwanzansatz.

»Ich hasse es, wenn du mich allein läßt.«

Als Harry Krabben und Kabeljau in eine Schüssel löffelte, auf der prophetisch POLSTERVERNICHTER geschrieben stand, strich Tucker ihrer Mutter um die Beine.

»Warum fütterst du sie zuerst? Nachdem, was sie getan hat?«

»Du kriegst gleich was.«

»Sie füttert mich zuerst, weil ich so faszinierend bin.«

»Du kotzt mich an.« Tucker fiel ein, daß die Katze nichts von den bizarren Ereignissen des gestrigen Tages wußte. Sie vergaß ihren Ärger, als sie sich dem Vergnügen hingab, Mrs. Murphy zu quälen.

»War ein schöner Tag beim Rennen.«

»Halt's Maul.«

»Aber Boom Boom ist über Mom hergefallen.«

Mrs. Murphy, die auf der Anrichte saß, wandte den Kopf»Oh, hat Mom sie zur Schnecke gemacht?«

»Nee.« Tucker steckte ihre lange Nase in das Dosenrindfleisch, das mit Trockenfutter vermischt war.

Harry brühte Tee auf und kramte nach diversen Zutaten, um sie zu einem Omelett zu verarbeiten, während die Tiere plauderten. Tucker vertilgte ihr Fressen so schnell, daß es ihr Sprechvermögen kaum beeinträchtigte.

Die Tigerkatze, deren Eßgewohnheiten gesittet waren hielt zwi­schen den Bissen inne und putzte sich vorsichtig die Schnurrhaare, falls etwas daran haftengeblieben war. Sie betrachtete die Verwü­stungen im Wohnzimmer ohne Gewissensbisse.»Wie hat Mim abge­schnitten?«

»Zweite im zweiten Rennen, das vierte Rennen gewonnen, und das große hat sie auch gewonnen.«

»Donnerwetter.« Sie schlug auf ihre Futterschüssel, von neuem erbost, weil sie ausgeschlossen - vielmehr eingeschlossen - gewesen war.»Ich bin mit Pferden aufgewachsen. Ich weiß nicht, warum Mut­ter denkt, ich wurde mich in Montpelier nicht anständig benehmen. Als hätte ich noch nie eine Menschenmenge gesehen.«

»Hast du auch nicht. Keine so große.« Tucker leckte sich die Lip­pen, sie genoß ihr Frühstück ebenso wie den Verdruß der Katze.

»Ich kann damit umgehen!« Sie funkelte böse auf den Hund herun­ter.»Ich bin beim Autofahren besser als du. Ich belle nicht. Ich bettel nicht alle fünfzehn Minuten um Futter, und ich winsel nicht, wenn ich mal raus muß.«

»Nein, du machst einfach unter den Sitz.«

Mrs. Murphy fauchte, ihre weißen Reißzähne waren sehr imponie­rend.»Das ist unfair. Ich war krank, und wir waren unterwegs zur Tierärztin.«

»Ja, ja. Bandwürmer. Diese Ausrede kann ich nicht mehr hören.«

Die hübsche Katze schauderte.»Ich hasse die Bandwurmspritzen, aber sie wirken. Hatte seitdem keine Beschwerden mehr. Allerdings ist die Flohsaison ja auch vorbei.«

Sie hatte gehört, wie die Tierärztin erklärte, daß manche Flöhe die Bandwurmlarven in sich tragen. Wenn Tiere sich an der Stelle bei­ßen, wo ein Floh sie gebissen hat, nehmen sie zuweilen einen infi­zierten Floh in sich auf und lösen so den Kreislauf aus, bei dem sich der Parasit in ihren Innereien festsetzt. Katze und Hund waren sich des Problems bewußt, doch wenn ein Floh beißt, fällt es schwer, nicht zurückzubeißen.

Harry setzte sich mit ihrem warmen Omelett an den Tisch. Mrs. Murphy nahm neben ihrem Teller Platz, um ihr Gesellschaft zu lei­sten.

»Ich geb' dir nichts ab, Murphy. Und daß du's weißt, die nächsten Tage rücke ich keinen Krümel Futter extra raus - bis ich die Verwü­stungen in diesem Haus beseitigt habe. Am liebsten würde ich dich morgen nicht mit zur Arbeit nehmen, aber dann würdest du einen neuen Feldzug starten.«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

Tucker, die sich ärgerte, weil sie nicht auf dem Tisch Platz nehmen konnte, ließ sich unter Harrys Stuhl plumpsen, stand dann wieder auf, um sich ans Knie ihrer Mutter zu setzen.»O Murph, noch eine Kleinigkeit... gestern abend wurde im Stall von Montpelier, in dem großen alten, ein Jockey ermordet.«

Die grünen Augen wurden größer, und das Tier beugte sich über den Tisch.»Was?«

»Mrs. Murphy, beherrsch dich!« Harry streichelte die Katze, die ihr Fell aufplusterte.

»Ein Jockey, Nigel Soundso - wir kennen ihn eigentlich nicht, bloß Addie Valiant - er wurde erstochen. Direkt ins Herz.« Tucker ließ sich das letzte Detail auf der Zunge zergehen.

»Das hast du mir die ganze Zeit verheimlicht?« Murphy fuhr ihre Krallen aus, dann zog sie sie wieder ein.

Tucker lächelte.»Wenn du mir das nächste Mal vorhältst, daß Kat­zen schlauer sind als Hunde, dann denk dran, daß ich einiges weiß, was du nicht weißt.«

Murphy sprang vom Tisch, hielt ihre Nase direkt an Tuckers und grummelte:»Leg dich nicht mit mir an, Freundchen. Du gehst mit Mom zum Rennen. Du kommst nach Hause und erzählst mir nichts bis eben. Ich hätte es dir auf der Stelle erzählt.«

Der kleine Hund ließ sich nicht beirren.»Vielleicht hättest du 's ge­tan, vielleicht auch nicht.«

»Wann habe ich dir schon mal eine wichtige Neuigkeit vorenthal­ten?«

»Als du und Pewter im Laden Roastbeef geklaut habt.«

»Das war was anderes. Außerdem weißt du doch, daß Pewter von Essen besessen ist. Wenn ich ihr nicht geholfen hätte, das Roastbeef zu klauen, hätte ich kein Fitzelchen davon abgekriegt. Sie hätte es ja allein geklaut, aber sie ist zu fett, um sich in die Truhe zu quetschen. Das ist was anderes.«

»Nein, ist es nicht.«

Harry beobachtete das Geplänkel. »Was ist denn heute morgen in euch gefahren?«

»Nichts.« Mrs. Murphy stolzierte aus der Küche, und als der Hund den Kopf abwandte, versetzte sie Tucker einen Hieb aufs Hinterteil.

Harry bückte sich vorsorglich und packte Tucker am Halsband. »Ignorier sie.«

»Mit Vergnügen.«

Das Telefon klingelte. Harry ging ran.

»Tut mir leid, daß ich am Sonntag morgen so früh anrufe«, ent­schuldigte sich Deputy Cynthia Cooper. »Der Chef möchte, daß ich dir zu dem Rennen gestern ein paar Fragen stelle.«

»Klar. Willst du herkommen?«

»Ich wünschte, ich könnte. Kann ich loslegen?«

»Ja.«

»Was weißt du über Nigel Danforth?«

»Nicht viel, Coop. Er ist ein neuer Jockey, reitet für keinen be­stimmten Stall. Wir nennen so was Free Lancer. Ich bin ihm gestern kurz begegnet.«

Als Mrs. Murphy dies hörte, kehrte sie mürrisch in die Küche zu­rück. Sie würdigte Tucker keines Blickes, als sie an dem Hund vor­beiging, der ebenfalls lauschte.

»Meckerziege.«

»Egoistin«, schoß die Katze zurück.

»Hast du mit Nigel gesprochen?«

»Bloßfreut mich, Sie kennenzulernen

»Weißt du was über seine Beziehung zu Addie?«

»Sie hat mir gestern morgen erzählt, daß sie ihn mag.« Harry über­legte einen Moment. »Sie hat angedeutet, daß sie sich in ihn verlie­ben könnte, und wollte, daß wir uns nach den Rennen auf der Party treffen.«

»Und, habt ihr euch getroffen?«

»Nun, ich war auf Mims Party. Addie war auch da.«

Sie fügte hinzu: »Aber ich habe mich nach dem letzten Rennen zu­nächst mal am Turm in Bereitschaft gehalten, falls Arthur Tetrick oder Mr. Mason wollten, daß ich eine Meldung mache. Es hat an meiner Hürde, dem östlichen Hindernis, einen häßlichen Vorfall zwischen Nigel Danforth und Linda Forloines gegeben.«

»Ich bin ganz Ohr.«

Harry konnte Cooper kritzeln hören, als sie den Vorfall schilderte.

»Das ist ziemlich ernst, oder? Ich meine, könnten sie nicht gesperrt werden?«

»Ja. Ich habe es Arthur gemeldet und Colbert Mason, er ist der Verbandspräsident, aber das weißt du bestimmt inzwischen. Doch keiner der Jockeys hat Protest eingelegt. Ohne Protest können die Funktionäre nichts machen.«

»Wer hat in so einer Situation Entscheidungsbefugnis?« »Der Rennleiter. Arthur in diesem Fall.«

»Warum hat Arthur Tetrick die beiden nicht hochkant rausge­schmissen?«

»Das ist eine gute Frage, Coop.« Harry nahm einen Schluck Tee. »Aber ich kann dir eine Meinung sagen. Keine Antwort - bloß eine Meinung.«

»Wir wollen sie hören«, riefen Katze und Hund.

»Schieß los.«

»Also, bei jedem Sport gibt es Schiedsrichter, Unparteiische, die dafür sorgen, daß Streitigkeiten auf ein Minimum beschränkt blei­ben. Aber manchmal muß man das den Gegnern selbst überlassen. Hart, aber gerecht.«

»Das mußt du mir genauer erklären.«

»Wenn ein Funktionär eingreift, kann ein Punkt erreicht werden, wo Jockey A zuviel Protektion erhält. Verstehst du, Coop, wer da mitmacht, muß sich allerhand gefallen lassen, unter anderem, weil manche Reiter nicht ganz astrein sind. Wenn sie meinen, daß keiner hinsieht, dann behindern sie.«

»Aber du hast hingesehen.«

»Das ist es ja, was ich nicht verstehe.« Harry erinnerte sich an die Unverfrorenheit der Situation.

»Ist Linda dumm?«

»Beileibe nicht. Sie ist ein mieses, verlogenes, berechnendes Mist­stück.«

»He, tu deinen Gefühlen nur keinen Zwang an«, zog Cynthia sie auf.

Harry lachte: »Es gibt auf dieser Erde nur wenige Menschen, die ich verachte, aber sie gehört dazu.«

»Warum?«

»Ich habe beobachtet, wie sie absichtlich bei einem Pferd Lahmheit vorgetäuscht und dann Mim deswegen belogen hat. Sie hat das Pferd von Mim übernommen und mit Gewinn an einen Trainer in einem anderen Stall verkauft. Sie wußte nicht, daß ich sie gesehen habe. Ich - ach, das spielt keine Rolle. Du verstehst, was ich meine.«

»Aber sie ist nicht blöd, warum begeht sie dann so ein krasses Foul und riskiert, daß sie gesperrt wird? Und direkt vor deinen Augen?«

»Ich werd daraus nicht schlau.« Harry war ratlos.

Coop blätterte in ihren Notizen. »Sie schafft es nicht, einen Job, egal welchen, länger als ein Jahr zu halten. Das kann eine Menge bedeuten, aber eins bedeutet es mit Sicherheit, nämlich daß sie nicht über längere Zeit mit Leuten auskommt.«

»Mit Nigel Danforth scheint sie jedenfalls nicht ausgekommen zu sein.« Harry trank wieder einen Schluck Tee.

»Hast du eine Ahnung, und es ist mir egal, wieverrückt es sich an­hört, warum Linda Forloines Nigel Danforth ins Gesicht geschlagen hat?«

Harry spielte mit der langen Telefonschnur. »Ich habe keine Ah­nung, es sei denn, sie waren Feinde, abgesehen davon, daß sie Geg­ner im Wettkampf waren. Das einzige, was ich dir noch sagen kann - es ist mir eben eingefallen - ist, daß Linda angeblich mit Drogen dealt. Aber es hat ihr noch keiner was anhängen können.«

»Hab ich auch gehört«, erwiderte Cooper. »Ich melde mich später noch mal bei dir. Entschuldige, daß ich dich so früh gestört habe, aber ich weiß, daß du meistens vor Sonnenaufgang auf bist. Ziemlich frisch heute morgen.«

»Ich zieh meine Wollsachen an. Ich möchte dir eine Frage stellen.«

»Okay.«

»Haben alle ein Alibi für den Zeitpunkt des Mordes?«

»Nein«, antwortete Cooper offen. »Wir können ziemlich genau sa­gen, wann er starb, innerhalb eines Zeitraums von zwanzig Minuten, aber eigentlich könnte jeder die Zeit gehabt haben, sich hineinzu­schleichen und ihn zu töten. Der Trubel erschöpft die Leute, trübt ihre Sinne, vom Trinken gar nicht zu reden.«

»Das ist wahr. Also, wenn mir noch was einfällt, ruf ich dich an. Ich bin gern behilflich.«

Harry legte auf, nachdem sie sich verabschiedet hatten. Sie hatte Cynthia gern, und mit den Jahren waren sie Freundinnen geworden.

»Ich konnte nicht hören, was Cynthia gesagt hat. Erzähl's mir«, verlangte Murphy.

Harry, die Tasse an den Lippen, stellte sie zurück auf die Untertas­se. »Wißt ihr, es ergibt keinen Sinn. Es ergibt einfach keinen Sinn, daß Linda Forloines direkt vor meiner Nase auf Nigel Danforth ein­schlägt.«

»Was?« Mrs. Murphy, außer sich vor Neugierde, rieb sich an Har­rys Arm, nachdem sie auf die Anrichte gesprungen war.

»Ich werde dir alles berichten«, versprach Tucker wichtigtuerisch, während Harry einen ausgeleierten Kaschmirpullover überzog, sich den alten Cowboyhut auf den Kopf packte und die Arme durch ihre Daunenweste schob.

»Kommt, Kinder, die Pflicht ruft.« Harry öffnete die Tür. Sie traten hinaus in den frostigen Novembermorgen, um sich an die Arbeit zu machen.

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