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Der Dolch, mit dem Nigel Danforth getötet wurde, lag mit Etikett und Nummer versehen auf Frank Yanceys Schreibtisch. Rick Shaw und Cynthia Cooper saßen auf der anderen Seite des Tisches.

Rick bewunderte die Waffe. »Das ist nicht bloß ein billiges Stück Metall.«

Frank berührte den Dolch mit dem Radiergummi seines Bleistifts. »Die Klinge ist neunzehn Zentimeter lang, und die Gesamtlänge beträgt dreißig Zentimeter. Die Klinge ist zweischneidig und aus rostfreiem Stahl, frisch geschliffen, wie Sie sehen können, und der Griff ist mit Draht umwickelt, fast wie ein Fecht. hm - dingsda - «

»Florett.« Cooper fand das Wort für ihn.

»Richtig.« Frank runzelte die Stirn. »Ich glaube, dies war ein Mord im Affekt. Warum sollte jemand einen teuren Dolch in Nigels Brust­kasten steckenlassen?«

»Wenn es Affekt war, warum dann die Kreuzdame?« entgegnete Rick.

Frank strich über die Bartstoppeln auf seiner Wange. »Hm.«

»Und noch etwas, Sheriff Yancey«, wandte sich Cynthia respekt­voll an den älteren Mann, »ich habe die ganze Zeit am Computer recherchiert, seit das passiert ist. Ich habe mit Scotland Yard gespro­chen. Es gibt keinen Nigel Danforth.«

»Das hatte ich befürchtet.« Frank verzog das Gesicht. »Genau, wie ich befürchtet hatte, daß wir keine Fingerabdrücke finden. Nicht einen.«

»Und es gibt auch keine Unterlagen über inländische Steuern und Abgaben, keine Pässe, keine Krankenversicherung, kein gar nichts«, sagte Cynthia.

»Verdammt, wer ist der Mann im Leichenschauhaus?« Frank stellte diese rhetorische Frage.

»Das einzige, was wir tun können, ist, uns Zahnabdrücke zu ver­schaffen und rüberzuschicken. Das wird uns weiterhelfen, sofern von dem Typ, ich meine, dem Verblichenen«, korrigierte sich Cooper, »eine Polizeiakte vorliegt. Andernfalls sind wir auf bloße Vermutun­gen angewiesen.«

»Die Sache gefällt mir nicht.« Frank schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Die Leute wollen Resultate.« »Keine Angst, dies ist kein Wahljahr für Sie, Frank, und es ist ja nicht so, als würde ein Serienmörder die Straßen von Orange unsi­cher machen. Der Mord ist auf eine kleine Welt beschränkt.«

»Hoffentlich«, sagte Cynthia.

»Die Sache gefällt mir nicht«, wiederholte Frank. »Ich knöpfe mir Mickey Townsend vor. Warum hat er einen Mann ohne Arbeitser­laubnis eingestellt?«

»Aus demselben Grund, weshalb viele Obstplantagenbesitzer Me­xikaner einstellen und nicht nach ihrem Einwandererstatus fragen. Sie denken, sie können die Ernte einbringen, bevor die Einwande­rungsbehörde die Leute festnimmt. Jeder amerikanische Arbeitgeber, dessen IQ höher ist als seine Körpertemperatur, weiß, daß er nach der Arbeitserlaubnis fragen oder den ganzen Schwachsinn durchma­chen muß, um seinem Angestellten eine zu besorgen.« Rick schlug das rechte Bein über das linke Knie.

»Das ist die moderne Version der Leibeigenschaft. Arbeitserlaubnis gegen lebenslange Schuld«, fügte Cynthia hinzu.

»Nun, ein paar Dinge wissen wir.« Rick faltete die Hände über der Brust, fühlte die Packung Lucky Strike in seiner Tasche und spürte ein starkes Verlangen nach einer Zigarette.

»Aber ja«, sagte Frank. »Wir wissen, daß ich bis zum Hals in der Scheiße stecke und einer Horde Reporter erzählen muß, daß wir auf einer eiskalten Spur sind.«

»Nein, wir wissen auch, daß der Mörder auf teure Waffen steht. Vielleicht hat der Dolch eine symbolische Bedeutung, wie die Kreuzdame. Wir wissen auch, daß Nigel seinen Mörder kannte.«

»Nein, das wissen wir nicht«, sagte Frank stur.

»Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber es gibt keine Anzeichen von einem Kampf. Er hat seinen Mörder gesehen, von Angesicht zu Angesicht. Er wurde nicht fortgeschleppt, sonst hätten wir Spuren auf dem Fußboden im Stall gefunden.«

»Der Mörder hätte ihn erdolchen und dann zu der Kiste tragen kön­nen«, überlegte Cynthia laut.

»Das wäre möglich, und es bedeutet, der Mörder muß stark genug sein, um sich einen - schätze mal - hundertzehn Pfund schweren Jockey auf die Schulter zu laden.«

»Oder die Mörderin. Eine starke Frau könnte das.« Cynthia kritzel­te ein paar Notizen auf ihren Spiralblock.

»Ich wünschte, Larry und Hank würden sich melden.« Frank wurde nervös.

»Wir könnten rübergehen und nachsehen, was sie herausgefunden haben.« Rick stand auf.

Genau in diesem Moment klingelte das Telefon. »Yancey«, sagte Frank.

Hank Cushings helle Stimme fing an, Organgewichte und Magen­inhalt hervorzusprudeln. »Normales Herz und.«

»Das ist mir schnuppe! Wurde einmal auf ihn eingestochen oder zweimal?« bellte Frank ins Telefon.

»Zweimal«, erwiderte Hank. »Der Zustand der Leber zeigte Anzei­chen von beginnender Alkoholschädigung und.«

»Das interessiert mich nicht. Schicken Sie nur den Bericht.«

»Hm, aber das hier dürfte Sie vielleicht interessieren.« Verschnupft hob Hank die Stimme. »Er hat sein Alter für seine Bewerbung als Jockey beim Nationalen Hindernisrennverband mit sechsundzwanzig angegeben, aber ich schätze ihn eher auf circa fünfonddreißig. Könn­te sich lohnen, daß Sie sich diese Kleinigkeit merken, ebenso wie die Tatsache, daß er eine hohe Dosis Kokain im Blut hatte. Ich schicke die Akte rüber, sobald ich meinen Bericht geschrieben habe.« Belei­digt legte Hank auf.

Frank knallte den Hörer hin. »Arschloch.«

»Und?« fragten Rick und Cynthia gleichzeitig.

»Zweimal gestochen. Vollgekokst.«

»Klingt plausibel. Er wäre kaum da sitzen geblieben, während ihm jemand eine Karte aufs Herz legt.«

»Doch, Rick, wenn man ihm eine Pistole an den Kopf gehalten hat.«

»Eins zu null für Sie, Partnerin.« Rick lächelte Cynthia an.

»Noch etwas. Hank sagt, sein Alter sei eher fünfonddreißig gewe­sen als sechsundzwanzig, wie er beim Rennverband angegeben hat.«

»Hmm«, murmelte Rick. »Wer immer er war, er war ein erstklassi­ger Lügner.«

»So erstklassig nun auch wieder nicht«, erwiderte Coop. »Er ist tot. Jemand hat ihn ertappt.«

»Also, ich weiß Ihre Hilfe wirklich zu schätzen.« Frank stand auf. »Ich nehme an, die braven Bürger von Orange können nachts ruhig in ihren Betten schlafen.« »Genau das tu ich jetzt. Nach Hause gehen, ins Bett.« Cynthia hatte ein Gefühl, als hätte sie Sand in den Augen, nachdem sie die letzten zweieinhalb Tage auf den Computerbildschirm gestarrt hatte.

Auf dem Weg nach Charlottesville in einem nicht gekennzeichne­ten Wagen rauchte Rick eine Zigarette, nachdem er zuvor das Fen­ster einen Spalt geöffnet hatte. »Frank ist überfordert.«

»Ja.«

»Wenn wir Glück haben, war dieser Mord ein Racheakt, und damit hat die Sache ein Ende. Wenn nicht, wird sich das auf andere Hin­dernisrennen oder andere Rennställe ausweiten, was bedeutet, daß die braven Bürger von Orange und Albemarle County vielleicht nicht so ruhig schlafen können - sofern sie Pferde im Stall haben.«

Cynthia streckte die langen Beine aus. »Pferdeliebhaber sind beses­sen.«

»Ich mag sie nicht besonders«, sagte Rick nüchtern.

»Das kann ich nicht sagen, ich weiß nur, daß sie sich in zwei Kate­gorien aufteilen.«

»Nämlich?«

»Sie sind entweder sehr, sehr intelligent oder total bekloppt. Nichts dazwischen.«

Rick lachte und überschritt die Geschwindigkeitsbegrenzung.

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