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Die vor einem Rennen ohnehin strapazierten Nerven waren heute zum Zerreißen gespannt. Fair Haristeen fiel das gedrückte Schwei­gen zwischen den Valiants auf, als er am frühen Morgen Mims Pfer­de untersuchte.

Bruder und Schwester arbeiteten wortlos Seite an Seite.

Arthur Tetrick schaute auf dem Weg herein. Auch er bemerkte die eisige Atmosphäre zwischen den Geschwistern.

Beim Anblick ihres Vormunds spuckte Addie ihn förmlich an. »Geh mir aus den Augen, Arthur.«

Er hob die Augenbrauen zu einem V; er neigte den Kopf zu einem Nicken, das einen Gruß oder Resignation ausdrückte, und ging.

»Herrgott, Addie, bist du heute zickig.« Charles drehte sich zu ihr um, als Arthur seine Autotür schloß und auf dem Sandweg davon­fuhr.

Sie sah ihrem Bruder ins Gesicht, dessen Knochenbau ihrem eige­nen sehr ähnlich war. »Und du bist natürlich ein Edelmann!«

»Was soll das heißen?«

»Daß du und Arthur euch wieder gegen mich verbündet. Ich weiß, daß er Richter Parker an dem Tag angerufen hat, als ich über Nigels Vorrat ausgepackt habe. Gott, war ich blöd. Ihr werdet es vor Gericht gegen mich verwenden.«

»Heute ist nicht der richtige Tag, um sich wegen so was aufzure­gen.«

»Du hastgewußt, daß er zu Parker gegangen ist, stimmt's?«

»Äh...« Chark sah nach draußen, Sonnenlicht sickerte durch die hohen Kiefern »Er hat es erwähnt.«

»Warum hast du mir nichts gesagt?«

»Du hattest genug Streß für einen Tag.«

»Lügner.«

»Ich lüge nicht.«

»Du unterschlägst. Das läuft auf dasselbe hinaus.«

»Das sagst ausgerechnet du. Du hast mich belogen, was Drogen angeht. Du hast die Wahrheit über Nigel zurückgehalten. Ein Kilo ist ein Haufen Koks, Addie!«

»Das war nicht für mich!« schrie sie.

»Was hast du denn sonst mit Nigel gemacht?« »Ich bin mit ihm gegangen. Bloß weil er süchtig war, heißt das noch lange nicht, daß ich es auch war.«

»Komm schon, ich bin nicht blöd.«

Sie zeigte mit dem Finger auf ihn. »Was ist schon dabei, wenn ich mal ab und zu 'ne Line hochgezogen hab. Ich hab aufgehört. Hier geht es nicht um Koks. Es geht um mein Geld. Du willst meinen Anteil.«

»Nein, das ist nicht wahr.« Er schob ihren Finger fort. »Aber ich möchte nicht mit ansehen, wie du alles ruinierst, wofür Dad gearbei­tet hat. Du hast keinen Sinn für.« Er suchte nach dem richtigen Wort.

Sie ergänzte es für ihn: »Verantwortung?«

»Genau.« Seine Augen funkelten. »Wir müssen das Geld zusam­menhalten. Es sieht nach einer Menge aus, aber es kann schneller weg sein, als du denkst. Du kannst nicht überlegt handeln, das wissen wir beide.«

»Ohne Risiko kein Gewinn.«

»Addie.« Er bemühte sich, geduldig zu bleiben. »Das einzige, was du weißt, ist, wie man Geld ausgibt. Du weißt nicht, wie man es ver­dient.«

»Mit Pferden.«

»Auf keinen Fall.«

»Was tust du dann als Trainer?« Sie war so verzweifelt, daß ihr die Tränen in die Augen traten.

»Ich werde fürs Trainieren bezahlt. Ich habe keine eigenen Pferde laufen. Herrgott, Addie, die Unterhalts- und Tierarztkosten allein fressen dich bei lebendigem Leibe auf. Hindernisrennen ist was für reiche Leute.«

»Wirsind reich.«

»Nicht, wenn du von heute auf morgen alles auf eine Karte setzen willst. Wir müssen das Geld in risikoarmen Aktien und Obligationen anlegen. Wenn ich das Geld in zehn Jahren verdoppeln kann, dann können wir daran denken, uns einen eigenen großen Rennstall zu halten.«

»Wozu ist das Leben da, Charles?« Sie nannte ihn bei seinem rich­tigen Namen. »Um Geld zu horten? Um Bilanzen zu lesen und täg­lich mit unserem Börsenmakler zu telefonieren? Kaufen wir eine erschwingliche kleine Farm oder pachten wir auf zehn Jahre? Vielleicht meine ich, das Leben ist ein Abenteuer - man geht Risiken ein, man macht Fehler. He, Chark, vielleicht verliert man sogar Geld, aber manlebt.«

»Leben, von wegen. Du wirst bei einem Blutsauger landen, der dich wegen deines Vermögens heiratet. Dann seid ihr zwei, die unser Erbe verjubeln.«

»Nicht unser Erbe. Mein Erbe. Du nimmst deins, und ich nehme meins. So einfach ist das.«

»Ich werde nicht zulassen, daß du dich ruinierst.«

»Nun, Bruderherz, dagegen kannst du absolut nichts machen.« Sie hielt inne, blinzelte heftig, dann sagte sie leise: »Du könntest Nigel getötet haben. Das würde ich dir zutrauen.« Sie trat nahe an sein Gesicht heran. »Aber eins will ich für dich tun. Du machst dir solche Sorgen um mich? Dann gebe ich dir einen Rat. Laß den guten alten Onkel Arthur sausen. Er ist ein Dinosaurier. Und zwar ein sehr be­tuchter Dinosaurier, dank Moms Testament. Er hat seine zehn Pro­zent als Testamentsvollstrecker gekriegt. Und wenn du den alten Knacker los bist, stell was Verrücktes an, Chark. Was Unnützes. Kauf dir einen Porsche 911 oder geh nach New York und hau dir einen Monat lang die Nächte um die Ohren. Leb ein einziges Mal dein Leben. Laß dich einfach gehen.« Sie drehte sich um und ging hinaus.

Er rief ihr nach: »Ich habe Nigel Danforth nicht umgebracht!«

Sie hob herausfordernd den Kopf und drehte sich wieder zu ihm um. »Chark, wer weiß, vielleicht bringst du mich um, und dann kannst du den ganzen Krempel haben.«

»Ich kann nicht glauben, daß du das gesagt hast.« Sein Gesicht war kreidebleich.

»Hab ich aber. Ich muß zu meinen Rennen.« Damit ließ sie ihn ste­hen.

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