16

Die Glut seiner Zigarette schien in der sternenlosen Nacht durch Ricks Hand. Er hielt sie gewölbt, um den Wind abzuhalten, während er sich auf der Geländestrecke von Montpelier über die Barriere lehnte.

Barry McMullen, der den Stall am Renngeläuf gemietet hatte, zog die Schultern zusammen, um sich vor dem beißenden Wind zu schützen, und schlug seinen Kragen hoch.

»An diesem Tausend-Dollar-Gerücht ist nichts dran.« Barry schob entschlossen das Kinn vor. »Ich habe Coty Lamont gekannt, seit er als Stallbursche bei Mickey Townsend angefangen hat. Dann bekam er seinen ersten Ritt auf einem von Arthur Tetricks Pferden, damals, als Arthur zwanzig Pferde im Training hatte. Ich glaube einfach nicht, daß Coty sich an einem Zockerkreis beteiligt hat, und ich weiß, er hätte nie absichtlich ein Rennen verloren.«

»Auch nicht für ein paar hunderttausend Dollar?«

Barry dachte darüber nach. »Kein Jockey, der absichtlich ein Ren­nen verliert - und das ist beim Hindernisrennen verdammt leicht hinzukriegen -, würde so viel Geld bekommen. Die Einsätze sind erheblich niedriger als beim Flachrennen, erheblich niedriger.«

»Wieviel?«

»Vielleicht fünftausend. Maximal.«

»Dann reden wir also über Summen, nicht über Charakter.«

Barry brummte: »Legen Sie mir keine Worte in den Mund. Coty Lamonts Ego war dreimal so groß wie er selbst. Er war der Beste, mußte der Beste sein, mußte der Beste bleiben. Er hätte kein Rennen absichtlich verloren. Ich glaube, dieser Wettverdacht ist unbegründet - bei ihm. Ich hab nicht den leisesten Schimmer, was mit dem ande­ren Typ war, der ermordet wurde. Diesem Nigel.«

»Wir auch nicht.« Rick fühlte heiße Asche in seiner Hand. Er kipp­te sie halb, ließ die Glut auf die kalte Erde fallen und trat sie mit dem Fuß aus.

»Angenehmer Bursche. Wollte gern hier reiten. Hatte ein gutes Händchen für Pferde, aber ich hatte keinen Platz für ihn.« Er wickel­te seinen Schal enger um den Hals. »Gibt es einen Grund, weshalb wir hier draußen in der Kälte stehen, Rick?«

»Ja. Im Moment traue ich niemandem in irgendeinem Stall.«

Barrys hellbraune Augen weiteten sich. »Meinem Stall?«

»Jedem Stall. Wenn Sie meine Fragen weitererzählen, kann ich nicht viel machen. Schließlich stehe ich im öffentlichen Dienst, und meine Ermittlungen sind nicht verdeckt, aber sie müssen auch nicht überall verbreitet werden. Ich möchte nicht, daß jemand lauscht, während er eine Box ausmistet oder Heu herunterwirft.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ein mieses Gefühl bei dieser Sache.«

Barry straffte das Kinn. »Herrgott, was glauben Sie, was hier vor­geht?«

»Wie wäre es mit einem Syndikat, das Käufer mit hochwertigen Pferden ködert und diese zu hohen Preisen verkauft, sie dann mit billigen, ähnlich aussehenden vertauscht und die teuren Pferde für sich behält, um Rennen zu gewinnen oder sie abermals zu verkau­fen? Möglich?«

»Früher, ja. Heute, nein. Jeder Vollblüter ist an der Lippe täto­wiert.«

Rick unterbrach ihn. »Man könnte die Tätowierung kopieren.«

Barry erwiderte langsam: »Schwierig, aber möglich. Bloß, warum sich die Mühe machen? Heutzutage haben wir DNA-Tests. Der Jockey Club verlangt eine Blutprobe, bevor er ein Fohlen registriert, und er verlangt auch eine Probe von der Stute. Das System ist neunund­neunzig Komma neunundneunzig Prozent idiotensicher.«

»Nicht wenn ein Eingeweihter die Blutproben austauscht.«

Das haute Barry um. »Wie kommen Sie bloß auf solche Ideen?«

»Ich habe tagein, tagaus mit Schuften, Verkehrssündern, Hausdra­chen, Dieben und Schwerverbrechern zu tun. Wenn ich nicht denke wie sie, kann ich sie nicht schnappen.« Die tiefen Falten um Ricks Mund verliehen seiner schroffen Erscheinung Autorität. »Das Ding müßte von Insidern gedreht werden. Das heißt, der Verkäufer, der Tierarzt, möglicherweise ein Jockey oder ein Stallbursche und viel­leicht sogar jemand vom Jockey Club müßten beteiligt sein.«

»Nicht der Jockey Club.« Barry schüttelte heftig den Kopf. »Nie­mals. Wir reden vonMecca. Sheriff, ich leg meine Hand dafür ins Feuer, daß niemand im Jockey Club diese Institution entweihen wür­de, nicht mal für einen großen Geldbetrag, und ich meine, ich bin gar nicht immer mit denen einverstanden. Ich finde sie manchmal rück­ständig, aber ich vertraue ihnen, das heißt, ich vertraue ihrem Enga­gement für Rassepferde.«

»Hoffentlich haben Sie recht. Wenn mein Verdacht vom Ködern und Vertauschen nicht stimmt, weiß ich auch nicht weiter. Zwei Jockeys sind innerhalb von sieben Tagen ermordet worden. Sofern wir hier nicht von einem bizarren Sexclub oder von aufgebrachten Ehe­männern sprechen, tippe ich stark auf Wetten oder Pferdehandel.«

»Sie sollten den Glimmstengel wohl besser ausdrücken, Sheriff Rick.« Barry deutete lächelnd auf Ricks Hand.

In dem Moment verbrannte die Zigarette ihm die Handfläche; Rick wedelte mit den Händen und ließ den Stummel fallen. Die heiße Glut brannte im absterbenden Gras. Rick trat sie rasch aus. »Danke. War so vertieft, daß ich das verdammte Ding in meiner Hand ganz ver­gessen habe.«

»Die Dinger bringen Sie noch um.«

Rick grinste boshaft. »Besser die als ein Stilett. An irgendwas muß ich ja schließlich sterben.« Er verschwieg, daß er schon dreimal ver­sucht hatte, aufzuhören, und der Arbeitsstreß ihn jedesmal wieder auf das beruhigende Nikotin zurückgreifen ließ. »Wissen Sie, was Nigel in diesem Stall gemacht hat?« Er nickte zu dem imposanten Stall hinüber, der parallel zur Geländebahn lag.

»Sattelzeug holen. Ich glaube, das hat er gemacht. Manche Jockeys haben ihr Zeug hier verstaut, fernab der Menge.«

»Wo waren Sie unmittelbar nach dem Rennen?«

»Hab mich auf Cindy Chandlers Parkplatz-Party amüsiert.«

»Und danach?«

Er schob die Hände in die Taschen. »Arthur Tetrick getroffen und ihn auf seinem Weg zum großen Haus begleitet. Wir haben überlegt, ob Arthur ein vierjähriges Pferd kaufen soll, das ich in Upperville gesehen hab. Arthur will wieder ins Geschäft einsteigen. Wir sind bis zum Tor gegangen. Dort hab ich ihn verlassen und bin einen letzten Wohnwagen überprüfen gegangen, der von den hinteren Ställen weg­fuhr, nicht von meinem.« Er wies nordöstlich seines Stalles, wo sich die kleineren Ställe befanden, weit außer Sicht. »Und da hat einer von Frank Yanceys Leuten mich gerufen. War schon ziemlich dun­kel.«

»Wundern Sie sich nicht, wenn Frank Ihnen genau dieselben Fra­gen stellt wie ich. Ich habe natürlich mit ihm gesprochen.«

Barry, kein gebürtiger Virginier, lebte schon seit Anfang der sieb­ziger Jahre in Orange County. Er kannte Sheriff Yancey gut. »Frank ist ein prima Kerl. Nicht furchtbar schlau, aber ein prima Kerl. Ich bin froh, daß Sie jetzt an der Sache dran sind.«

Rick konnte einen anderen Gesetzeshüter nicht verunglimpfen. »Frank ist vielleicht schlauer, als Sie denken. Verstehen Sie, Barry, es kommt nicht darauf an, was er weiß, sondern wen er kennt. Ich nehme Mickey Townsend morgen in die Mangel.« Er sprach das Wort genüßlich aus. »Vielleicht kann er mir etwas erzählen. Kom­men Sie mit ihm aus?«

»Ja.«

Rick sah zum Streifenwagen hinüber. »Oh, noch etwas. Spielt je­mand in diesem Klüngel Karten, bei den Rennleuten? Ich meine nicht ein freundschaftliches Spiel hier und da, sondern passionierte Kartenspieler?«

»Himmel, Mickey Townsend würde morden für einen Straight.«

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