Unser Lager

Wir marschieren zur nahe gelegenen Mission. Auf dem Weg muss ich ständig Hände drücken und höre immer wieder: „Mama Napirai! Supa! Serian a ge?“ Es ist wirklich beeindruckend, wie ich empfangen werde nach all den Jahren. In der Mission erkenne ich den Wachmann und eine Angestellte wieder. Wie wir bereits wussten, ist Pater Giuliani nicht mehr hier. Stattdessen begrüßt uns ein junger kolumbianischer Pater und heißt uns auf seinem Gelände herzlich willkommen. Natürlich hat er nichts dagegen, wenn wir unsere Zelte hier oben für ein paar Tage aufstellen. Er verwaltet die Mission seit ein paar Jahren und hat schon von der weißen Massai gehört.

Unsere Wagen werden auf das Missionsgelände gefahren und auf einer ebenen Fläche geparkt, da auf jedem Autodach ein Zelt errichtet wird. Die Fahrer beginnen sofort mit dem Aufbau und eine halbe Stunde später sind die Übernachtungsmöglichkeiten für meine Reisebegleiter geschaffen.


Als die Fahrer gerade dabei sind, ein Bodenzelt für mich aufzustellen, kommt Lketinga dazu. Mit großen Augen schaut er auf die Dachzelte und fragt irritiert: „What is this?“ Ich lache und erkläre ihm, dass dies die „Häuser“

für Albert und Klaus sind. Wie immer, wenn ihm etwas neu und ungewohnt vorkommt, schüttelt er den Kopf und brummt: „Crazy, really crazy! Wie kann man da oben nur schlafen?“ Vorsichtig steigt er an einer der beiden Leitern ein paar Stufen hoch und steckt den Kopf ins Zelt. Schon hören wir ein glucksendes Lachen und seinen belustigten Kommentar: „Yes, oh yes, das sieht wirklich gut aus!“

Sicher hat er noch nie ein Zelt gesehen und erst recht keines auf einem Autodach. Mir ist bewusst, dass ihm die ganze Situation höchst ungewöhnlich erscheinen muss. Bei den Samburu ist es schließlich nicht üblich, dass Gäste ihr eigenes Haus mitbringen. Wenn sie unterwegs sind, können sie überall um Unterschlupf bitten. Es gilt nur, bestimmte Regeln einzuhalten. So kann ich mich erinnern, dass mein Ex-Mann nur bei Frauen übernachten durfte, die einen Sohn in seiner Altersstufe hatten. Wahrscheinlich ist dies eine Sitte, um dem Fremdgehen vorzubeugen.

Nachdem Lketinga die Dachzelte inspiziert hat, fragt er besorgt, wo ich denn schlafen werde, ob hier oder in der Manyatta von Mama. Ich deute auf die Fahrer, die gerade dabei sind, mein Zelt aufzustellen, und antworte: „Die erste Nacht schlafe ich in diesem Zelt, bis ich mich etwas eingewöhnt habe. Dann würde ich gerne eine Nacht bei der Mama verbringen.“ „Okay, no problem“, meint er gelassen, dann geht er zu den Fahrern und hilft beim Aufbau des Zeltes.

Staunend beobachte ich ihn dabei, denn für die Samburu ist der Hausbau ausschließlich Sache der Frauen. Sie fällen und schleppen die dicken und dünnen Äste für das Grundgerippe einer Manyatta. Anschließend wird Kuhdung und Lehm gesammelt und zum Verputzen der Wände und dem Dach eingesetzt. Dafür gehört das Haus — einschließlich allem Hausrat — immer den Frauen. Männer besitzen keine Häuser.

Als junge Männer lernen sie in den Jahren als Krieger das Überleben im Busch ohne eine eigene Manyatta. Nach der Beschneidung verlassen sie das Haus ihrer Mutter und leben in einer Männergemeinschaft irgendwo im Busch. In dieser Zeit übernachten sie größtenteils im Freien draußen bei den Kühen. Wenn es regnet, spannen sie sich ein Kuhfell über die Häupter und warten, bis die Sonne wieder scheint und sie ihre Kangas trocknen können. Allenfalls ein paar persönliche Gegenstände können sie in der Hütte ihrer Mutter aufbewahren und nach einer längeren Zeit auch ab und zu dort übernachten. Doch dürfen sie nicht einmal vor der eigenen Mutter etwas essen. Beschnittene, das heißt verheiratete Frauen dürfen niemals das Essen eines Kriegers vorher gesehen haben.

Gestern Abend erzählte uns James in der Maralal Lodge, wie schwer für ihn diese Kriegerzeit war. Da er kaum in einer Manyatta aufgewachsen ist, sondern in der Schule lebte, schlief er mit seinen Schulkameraden in normalen Zimmern. Als er dann mit siebzehn Jahren kurz nach der Beschneidung ebenfalls für einige Monate in den Busch ziehen musste, um Kühe zu hüten und traditionelle Rituale durchzuführen, war dies ziemlich ungewohnt für ihn. Vor allem die Nächte waren hart. Mit einem Mal lag er draußen auf einem Kuhfell und fand wegen der ihm unbekannten Geräusche kaum Schlaf. Jedes Mal, wenn er wach wurde, versuchte er vergeblich, nach Wänden zu tasten.

Mittlerweile steht auch mein Igluzelt und Lketinga steckt gerade den letzten Hering in die Erde. Ich bin bewegt und gerührr, wie hilfsbereit er mit angepackt hat. Früher sagte er bei ihm ungewohnten Arbeiten oft: „Ach, ich weiß nicht, wie das geht, mach es doch selber!“ Wir beginnen, unser Gepäck zu sortieren und ich schleppe meine zwei großen Reisetaschen in meine Behausung. Es dauert nicht lange und Lketinga steckt seinen Kopf herein, zeigt auf eine der Taschen und fragt: „Hast du für mich Geschenke dabei? Hat dir James geschrieben, was ich möchte?“ Dabei macht er ein Gesicht wie ein [unee vor dem Weihnachtsbaum. Ich muss lachen und teile ihm stolz mit, dass eine der beiden Taschen ausschließlich Geschenke für die Familie enthält. Er müsse sich jedoch etwas gedulden, da ich die Geschenke erst morgen in Ruhe verteilen möchte, wenn uns nicht mehr so viele Zuschauer beobachten. Diesem Argument kann er sich nicht verschließen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit brechen wir auf und tragen gemeinsam die schwere Tasche zum Kral, wo uns James bereits erwartet.

Загрузка...