Früh am Morgen erwache ich und weiß nicht, welches Geräusch mich geweckt hat. Ich lausche nach draußen und vernehme das lang gezogene Schreien eines Esels, das sich mit dem Bellen eines Hundes vermischt, und wie jeden Morgen höre ich Dutzende von Vogelstimmen in allen Tonlagen. So verbunden mit der Natur zu sein und nicht durch Motoren-und Straßenlärm geweckt zu werden, wirkt sehr beruhigend auf mich. Neugierig auf den heutigen Tag krieche ich aus dem Zelt. Die Fahrer sind bereits auf den Beinen und können es anscheinend kaum erwarten, wieder einmal ihre Autos bewegen zu können. Es dauert nicht lange und alle stehen in der Morgenfrische um den Gaskocher herum und warten auf heißen Tee oder Kaffee. Der drollige Hund der Schwestern, den wir inzwischen Willi getauft haben, hängt auch schon am Hosenbein von Klaus, was für allgemeine Heiterkeit sorgt. Zu essen gibt es die letzten Krümel Chips und Nüsse, doch schmecken will das niemandem so recht.
Francis und John packen gekonnt die Dachzelte zusammen und wir verstauen unsere persönlichen Dinge, bevor wir zum Kral hinübergehen. Lketinga kommt uns entgegen und James steht bereits abfahrbereit bei seinem Motorrad. Wir besprechen letzte Einzelheiten für das Fest und geben James das nötige Geld für die Einkäufe.
Mama kommt aus der Hütte, um uns zu verabschieden. Da wir alle wissen, dass wir bald wieder hier sein werden, fällt der Abschied nicht allzu schwer. Ich umarme Mama und lasse ihr sagen, dass ich mich freue, sie schon bald wiederzusehen, was sie mit einem Lächeln zur Kenntnis nimmt. James startet sein Motorrad und hinterlässt wie immer eine Staubwolke. Kurz darauf werden auch wir von unseren Fahrern abgeholt. Lketinga schaut mich nicht an, sondern berührt mich nur leicht am Arm und sagt: „Lesere — auf Wiedersehen!“ Er geht langsam weg, dreht sich noch einmal um und fragt: „Kommst du nach zwei Mal oder nach drei Mal schlafen wieder?“ Ich antworte: „Zwei Mal, aber dann halten wir nur kurz hier in Barsaloi, um uns mit Giuliani zu treffen, und fahren dann weiter nach Sererit. Dort bleiben wir eine Nacht und nach drei Mal schlafen sind wir wieder hier zum Fest.“ Mit ernstem Gesicht sagt er: „Okay, no problem, geht jetzt.“
Wir fahren wieder durch den ausgetrockneten Barsaloi-River und an der Schule vorbei. Kurz darauf biegen wir in Richtung Wamba ab. Abzweigungen sind hier nie mit Wegweisern versehen. So kann man nur erahnen, wohin man fährt, zumal die Naturstraßen alle gleich aussehen: rote Erde mit einigen Löchern und ab und zu Fahrspuren, immer wieder unterbrochen von kleineren ausgetrockneten Flussläufen. Wir bewegen uns in einer einzigartigen Landschaft, die geprägt ist von zahlreichen Schirmakazien. Ab und an leuchtet ein kleiner Busch mit wunderschönen großen roten Blüten mitten in dieser Halbwüste und zeigt an, dass die Natur auch ohne viel Wasser lebt. Ein unglaublich schöner Anblick! Am Horizont erkenne ich die Bergketten mit ihrem dichten Urwald, in den sich in der Trockenzeit die wilden Tiere zurückgezogen haben.
Der Himmel ist heute zum ersten Mal nicht durchgehend blau, sondern mit weißen Wolken durchzogen. In etwa drei Wochen wird die Regenzeit beginnen. Dann verwandelt sich dieses Gebiet mit unglaublicher Geschwindigkeit. Die Flüsse schwellen so schnell an, dass sie alles mit ihrer braunroten Wasserwucht mitreißen.
Sie sind dann für einige Tage nicht mehr passierbar. Die Erde, die jetzt staubig und trocken aufwirbelt, wird zu einem wahren Schlammfeld. Dies wollen wir möglichst während unserer kurzen Safari nicht erleben und hoffen, dass auch das Filmteam verschont bleibt. Mein Blick schweift immer wieder durch diese grandiose Gegend. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich hin und wieder einzelne Krals in der Steppe. Sie sind der Umgebung sehr gut angepasst und farblich kaum davon zu unterscheiden. Nur die kreisförmige Dornenumzäunung deutet sie an.
Obwohl wir mit geringem Tempo unterwegs sind, müssen die Fahrer sehr konzentriert sein. Immer wieder tauchen mitten auf der Piste Tiere auf, die durch den Motorenlärm aufgeschreckt werden. Die Kamele können nur langsam ausweichen, da die meisten ein Vorderbein am Kniegelenk hochgebunden haben, damit sie auf drei Beinen nicht so schnell weglaufen können. Für uns ist das kein schöner Anblick, doch scheint es ein brauchbares Mittel zu sein, die Herde beisammen zu halten.
Am Straßenrand stehen hin und wieder Kinder jeden Alters, winken fröhlich unseren Wagen hinterher oder halten uns ihre leeren Hände entgegen. Ich kann nicht anders und verteile die letzten Süßigkeiten, die wir dabei haben. Die meisten freuen sich, als hätten sie soeben das größte Weihnachtsgeschenk bekommen. Die Frauen, denen wir begegnen, tragen fast alle ein Kleinkind am Rücken und auf dem Kopf ein Bündel Holz oder einen Wasserkanister. Ab und zu sind die Lasten auch auf Esel geladen. Die farbenfrohen Menschen erblickt man schon von weitem. Für unser Auge sieht es majestätisch aus, wie sie sich elegant durch die dürre heiße Steppe bewegen, und ihre roten, blauen und gelben Kangas vom ständigen Wind bewegt um ihre Körper flattern. Der farbige Schmuck trägt ein Übriges zu dem beeindruckenden Aussehen der Menschen bei.
Manchmal hüpfen Tic Tics, kleine rehähnliche Tiere, vorbei. In Hungerzeiten eine Delikatesse! Hier und da erblicken wir kleinere Zebraherden. Von größeren Tieren wie Giraffen oder Elefanten fehlt heute allerdings jede Spur. Lediglich große Kothaufen lassen erkennen, dass hier vor nicht allzu langer Zeit Elefantenherden durchgezogen sind. Zwischen den Schirmakazien stehen nicht selten bis zu zwei Meter hohe, verlassene, kunstvolle Termitenbauten. Der neue Priester aus Barsaloi erzählte uns, dass er die entstehende Kirche in Opiroi aus diesem steinharten Material bauen lasse. Es eigne sich hervorragend, sei strapazierfähig und koste nichts.
Wir sind nun schon etwa zwei Stunden unterwegs und sollten allmählich darauf achten, wann wir von der Piste in den Busch abzweigen müssen. Klaus war zwar schon einmal vor unserer gemeinsamen Reise am Filmset, kam aber aus einer anderen Richtung. Er hat gehört, dass ein neuer Zubringerweg zum Set angelegt worden ist.
Fahrspuren sind zwar immer wieder zu erkennen, aber keine sehen wie die von schweren Lastern aus. Das Filmset befindet sich irgendwo in der Nähe von Wamba, das ich in der Ferne bereits erkenne. Nun kann es wirklich nicht mehr weit sein!
Je geringer die Entfernung zum Filmset wird, desto unruhiger und nervöser werde ich. War ich bis vor kurzem in Gedanken noch ausschließlich mit meiner afrikanischen Familie beschäftigt, wird dieses Gefühl nun mehr und mehr von einer neuen inneren Erregung überlagert. Vor allem bin ich gespannt auf die Begegnung mit Nina Hoss, der Schauspielerin, die mich darstellen soll. Ich hoffe inständig, dass sie und ich einander sympathisch sind. Für sie ist es wahrscheinlich auch nicht einfach, der Frau zu begegnen, deren Leben sie nun nachspielt. Und der Hauptdarsteller? Wird er Lketinga würdig vertreten, obwohl er kein Samburu und kein Massai ist? Natürlich habe ich meine Zweifel.
Auf der anderen Seite war mir immer klar, dass ein traditionell lebender Samburu diese Rolle nicht spielen kann.
Wie sollte er ein Leben spielen, wenn er gar nicht weiß, was ein Film ist. Wenn er vielleicht noch nie mit einer weißen Frau gesprochen, geschweige denn körperlichen Kontakt hatte? Die traditionellen Samburu tauschen kaum Zärtlichkeiten aus und Küsse sind absolut tabu. Und nun sollte ein Krieger diese Rolle drei Monate lang spielen und einige Szenen bis zu zwanzig Mal wiederholen? Nein, das wäre wirklich nicht möglich gewesen!
Nachdem die Filmemacher auch unter den „touristenerfahrenen“ Samburu oder Massai von der Küste nicht fündig geworden sind, haben sie sich für einen weltoffenen, sympathischen Afrikaner entschieden, der nicht aus Ostafrika stammt. Und nun bin ich sehr neugierig, ob ich die Lobeshymnen der Filmverantwortlichen über ihn teilen kann. Ich hoffe es sehr.
Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, auf dem Weg zu einem Filmset zu sein, an dem gerade ein Teil des eigenen Lebens verfilmt wird. Meist gelingt es mir zwar gut, die Dinge auseinander zu halten und mir klar zu machen, dass dies nur ein Film und nicht meine reale Vergangenheit ist. Immer wieder aber gibt es Momente, in denen ich erwarte, dass alles exakt so sein sollte, wie ich es erlebt habe. Ich glaube, es wird nicht immer einfach sein und ich hoffe sehr, dass dieser Besuch bei den Dreharbeiten meine Ängste etwas mildern wird.
So sehr bin ich in meinen Gedanken versunken, dass ich die vergebliche Suche nach dem Zubringerweg gar nicht so recht mitbekomme. Ein paar Mal endet die vermeintlich richtige Piste im Nichts und wir müssen umkehren. Wir befinden uns mittlerweile kurz vor Wamba, als uns ein Jeep begegnet, der mit einem großen gelben Aufkleber
„The White Massai“ versehen ist. Klaus kennt die Insassen, denn sie gehören zum Filmteam, und lässt sich von ihnen den Weg beschreiben. Einige Kilometer weiter entdecken wir mitten in der Steppe ein Schild mit einem Pfeil und der Aufschrift „White Massai Location“. In meine bangen Erwartungen schleicht sich beim Lesen dieser Worte nun doch ein gewisses Gefühl des Stolzes ein. Nach zweimaligem Durchqueren des mächtigen Wamba-Rivers, der glücklicherweise noch kein Wasser führt, befinden wir uns kurze Zeit später vor der Einfahrt des Camps. Das Areal ist umzäunt und wird von Wachmännern geschützt. Hinein kommt nur, wer eine Erlaubnis hat. Vor der Barriere stehen viele Frauen und Männer. Die meisten von ihnen tragen die traditionelle Samburu-Kleidung. Einige haben kleine Stände aufgebaut und bieten für die zahlreichen Mitarbeiter des Filmprojekts Souvenirartikel an. Nachdem die Autos ordentlich geparkt wurden, betrete ich nun — zum ersten Mal überhaupt — ein Filmset, und dabei geht es noch dazu um meine eigene Lebensgeschichte! Fast kann ich es nicht glauben!
Als Erstes erblicke ich eine richtige Zeltstadt. Links und rechts eines lang gestreckten Areals stehen Hauszelte in Reih und Glied mit jeweils exakt gleichen Abständen dazwischen. Man erkennt sofort, dass hier deutsche Genauigkeit am Werk war. Jedes Zelt sieht wie ein Häuschen mit Vordach aus. Dahinter stehen in etwas größerem Abstand mit Plastikbahnen verkleidete, ungefähr mannshohe Gestelle, die sich als Duschen und Toiletten erweisen. Der erste Eindruck verschlägt mir die Sprache und ich kann nur staunen, welch ein enormer Aufwand notwendig ist, um mein damaliges Leben nachzuspielen, ein Leben, in dem ich nahezu nichts besaß außer einem „Kuh-Badenhäuschen“.
Das Zeltdorfliegt wunderschön zwischen zwei Hügeln eingebettet. In der Ferne schimmern die Berge. Wir werden zum Informationszelt geleitet, das mit modernem Hightech ausgestattet ist. Auf Schreibtischen stehen Laptops und Computer, an denen gearbeitet wird. Überall sind Handys an Aufladegeräten angeschlossen und ich freue mich darauf, endlich wieder einmal mit meiner Tochter in Kontakt treten zu können. Sicherlich wartet sie schon ungeduldig und mit gemischten Gefühlen auf ein Lebenszeichen ihrer Mutter.
Den wenigen im Augenblick Anwesenden stellen wir uns vor. Da es Mittagszeit ist, sind die meisten beim Essen oder schon wieder am Dreh. Weil hier offensichtlich alles general-stabsmäßig organisiert ist, bekommt jeder von uns eines der hübschen Zelte zugeteilt, während die für uns zuständigen Personen über unsere Ankunft informiert werden. Bis zu deren Eintreffen wollen wir uns den Pistenstaub abduschen. Ich betrete das mir zugewiesene Zelt und bin begeistert. Da steht tatsächlich ein richtiges Bett, mit frischer Bettwäsche und weißen Frotteetüchern — unglaublich luxuriös nach den letzten Tagen. Ein Tischchen mit Stuhl und ein kleiner Schrank machen die Einrichtung komplett.
Vor dem Zelt taucht ein Afrikaner auf und fragt, ob ich warmes Wasser zum Duschen möchte. Bei etwa vierzig Grad Außentemperatur verzichte ich auf vorgewärmtes Wasser, lasse mir aber dennoch die Dusche erklären. Sie ist sehr originell: Man schlüpft in die schmale und hohe Plastikverkleidung hinter dem Zelt und steht unter einem Brausekopf, an dem eine Schnur befestigt ist. Wenn man daran zieht, funktioniert es wie bei einer Toilettenspülung. Das Wasser, warm oder kalt, je nachdem wie man es bestellt hat, wird vorher in einen Tank oberhalb der Konstruktion eingefüllt. In der anderen Hälfte der Plastikverkleidung befindet sich die Toilette. Sie funktioniert zwar nach dem Plumpsklo-System, da es keine Wasserspülung gibt, ist aber sehr hygienisch ausgestattet. Alles ist sehr einfach und praktisch.
Nach dem erfrischenden Wasserkontakt bin ich froh, wieder einmal Hosen anziehen zu können. Kaum bin ich fertig, ertönt erneut eine Stimme vor dem Zelt: „Madame, your lunch please.“ Ich öffne den Reißverschluss und glaube zu träumen. Ein lächelnder Boy hält mir ein Tablett mit Silberhaube entgegen. Ich setze mich an mein Tischchen und staune über das, was ich unter der Haube vorfinde: eine Vorspeise, ein Hauptgericht, ein Dessert und verschiedene Früchte — alles wunderschön dekoriert. Natürlich genieße ich jeden einzelnen Bissen. Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Einstellung zum Essen verändert, sobald man sich eine Zeit lang einschränken und auf einiges verzichten muss. Ich kenne dieses Phänomen allzu gut aus meinen Hungerzeiten in Barsaloi. Da hatte ich zwar Geld, aber keine Möglichkeit, auch nur die einfachsten Lebensmittel zu kaufen, weil die Flüsse für Wochen nicht mehr passierbar waren und es deshalb einfach nichts gab. Doch jetzt, in dieser Minute, komme ich mir vor wie auf einer Luxussafari.
Nach der köstlichen Mahlzeit treffe ich auf Albert, der bereits mit dem Produzenten Günter Rohrbach zusammensitzt. Wir begrüßen uns sehr herzlich und er befragt mich nach meinen ersten Eindrücken. Zunächst könne ich mich ja nur über den Mzungu-Teil äußern, da ich vom Drehort noch nicht viel mitbekommen habe, erkläre ich ihm lachend. Er ist sofort bereit, uns noch heute den Kral zu zeigen, und morgen werden wir das nachgebaute Barsaloi besichtigen. Nach wenigen Minuten Autofahrt erreichen wir den bereits vor einigen Monaten eigens für den Film erstellten Kral. In ihm leben seitdem traditionelle Samburu-Familien, die in dem Film mitwirken. Was ich hier sehe, beeindruckt mich stark. Alles ist haargenau nachgestellt. Die Manyattas sehen aus wie die von Mama in Barsaloi.
Da die Samburu hier tatsächlich leben, ist auch das Alltagsleben authentisch. Überall sitzen Mütter mit ihren Kleinkindern vor den Hütten. Die einen säubern die Kinder, andere waschen ihre Kangas. An der Dornenumzäunung hängen verschiedene Kleidungsstücke zum Trocknen. Das ist für mich im ersten Moment der einzige erkennbare Unterschied: Kinder und Erwachsene tragen sehr saubere Kleidung. Wahrscheinlich liegt der Grund darin, dass sie das Wasser, das täglich in großen Lastwagen für das Filmteam angefahren wird, mitbenutzen können.
Ansonsten sieht das Manyattadorf aus, als lebten diese Menschen schon seit Jahren hier. Jedes Detail stimmt. Ich bin unglaublich froh, dass nichts verfälscht wurde. Immer wieder kommen uns schön geschmückte Mädchen entgegen. Dabei fällt mir sofort auf, dass sie sich neuerdings zum Schmücken bunte Plastikblumen anstelle von Vogelfedern auf den Kopf stecken. Für mich sieht es komisch aus, für sie jedoch ist Plastik in dieser Form ein neues Material, das für die Mädchen und Krieger etwas Besonderes und Luxuriöses bedeutet.
Wir schlendern durch den Kral und werden von den Bewohnern interessiert oder leicht amüsiert beobachtet. Sie wissen nicht, dass ich diejenige bin, die einmal so mit ihrem Stamm lebte, und deshalb diese Geschichte hier nachinszeniert wird. Nach einer Weile stehen wir vor einer etwas größeren unbewohnten Hütte. Wie ich höre, wird sie für die Innenaufnahmen benutzt. Sie stellt meine ehemalige Manyatta dar. Natürlich muss ich sofort hineinschlüpfen und stelle fest, dass auch hier alles mit Sorgfalt und detailgetreu eingerichtet wurde. Nach diesen Eindrücken bin ich überzeugt und ein wenig auch mit Stolz erfüllt, dass mit diesem Film die einzigartige Kultur der Samburu, die es in dieser Form vielleicht nicht mehr allzu lange geben wird, gezeigt und festgehalten wird.
Zur Teezeit stehen wir schon wieder vor einem üppigen Angebot von Säften, Tee, Kaffee und verschiedenen Häppchen.
Wir sind es gar nicht mehr gewöhnt, alle Naselang etwas vorgesetzt zu bekommen, genießen es jedoch in vollen Zügen. Allmählich spricht es sich im Camp herum, dass die „echte“ weiße Massai angekommen ist. Jemand begrüßt mich freudig mit den Worten: „Schön, dass ich Sie persönlich kennen lernen kann. Sie haben ein außergewöhnliches Leben geführt, ich bewundere Sie. Ohne ihren damaligen Mut wären wir heute alle nicht hier und wahrscheinlich nie in diese herrliche Gegend mit den wunderbaren Samburu gekommen. Vielen Dank dafür.“ Ich bin gerührt und weiß natürlich nicht, was ich darauf antworten soll.
Jetzt wünsche ich mir, dass Lketinga diese Seite einmal erleben würde und sehen könnte, wie viele Menschen weltweit an unserer Geschichte Anteil nehmen und dabei auch für ihn und seine Familie positive Worte übermitteln. Zu Hause erlebe ich das täglich durch die vielen Zuschriften und E-Mails oder persönlich bei Lesungen und sogar im Alltag auf der Straße. Ihn hingegen erreichen in Barsaloi offensichtlich nur schlechte Nachrichten. Irgendwie bereue ich es ein wenig, dass er all das hier nicht sehen und hören kann. Ich werde ihm beim Fest alles erzählen und später Fotos schicken, beruhige ich mich.
Mit ein paar Filmleuten kann ich mich kurz unterhalten, sei es mit der Kostümbildnerin aus Südafrika, die trotz des aufregenden Abenteuers langsam Heimweh verspürt, oder mit dem freundlichen Maskenbildner aus Deutschland. Jemand zeigt mir die in einiger Entfernung stehende, nur für die Zeit der Dreharbeiten errichtete Handy-Antenne. Große Generatoren erzeugen den benötigten Strom. Unglaublich, welche Mengen an Arbeitsmaterial sie hierher in den Busch transportieren mussten! Es ist nur zu hoffen, dass der Regen die Crew nicht überrascht.
Während am Nachmittag das Leben im Camp unter der schwirrenden und flimmernden Gluthitze wie ausgestorben scheint, wird es nach Einbruch der Dunkelheit lebendig. Aus allen Richtungen strömen Menschen nach getaner Arbeit in die umstehenden Zelte. Der Weg dorthin ist mit Petroleumlampen ausgeleuchtet. Auf offenen Feuerstellen wird das Duschwasser in großen Fässern erwärmt und im Inneren der Hauszelte wird geschäftig hantiert. Die meisten waren heute zum Drehen im nachgebauten Barsaloi. Ich kann es kaum erwarten, morgen den Drehort zu besichtigen.
Albert, Klaus und ich sitzen mit dem Produzenten bereits im Dinnerzelt und beobachten, wie das Essen für weit über hundert Personen angerichtet wird. Mehrere kenianische Hilfskräfte arbeiten unter der Regie von Rolf Schmid, einem Deutschen, der seit vielen Jahren in Kenia lebt und Gastronomie betreibt. Was den Catering-Service für in Kenia arbeitende Filmteams betrifft, ist er ein erfahrener Profi. Er hat bereits bei vielen Filmen für das leibliche Wohl der Mitarbeiter gesorgt, unter anderem bei „Jenseits von Afrika“ mit Robert Redford und Meryl Streep sowie bei Caroline Links Film „Nirgendwo in Afrika“. Nach Aussage vieler Fachleute ist er der wohl beste „Caterer“ in ganz Kenia. Wenn ich mir vorstelle, dass alles, was hier aufgetischt wird, in großen Lastwagen aus Nairobi angefahren werden muss, erfüllt mich die logistische Leistung eines solchen Unternehmens mit Bewunderung und großem Respekt.
Allmählich füllt sich das Zelt. Als Hermine, die Regisseurin, erscheint, freue ich mich sehr, sie begrüßen zu können. Schon bei unserer ersten Begegnung war sie mir sehr sympathisch und ich fühlte meine Geschichte bei ihr gut aufgehoben. Auch freue ich mich, dass eine Frau die Regie führt. Endlich taucht auch Nina auf. Sofort sehe ich, dass sie meiner Rolle zumindest äußerlich voll entspricht. Groß, schlank, blond — so ähnlich sah ich vor achtzehn Jahren tatsächlich aus. Auch mit ihrer Ausstrahlung kann ich mich identifizieren, was mich sehr erleichtert. Neugierig begrüßen wir uns und sitzen während des Essens nebeneinander. Aufgrund der doch recht außergewöhnlichen Situation fühle ich mich leicht gehemmt und denke, dass es ihr nicht viel anders ergeht. Schräg gegenüber gesellt sich der italienische Schauspieler, der im Film Pater Giuliani spielt, an unseren Tisch. Er gefällt mir, auch wenn er dem „Original“ nur wenig ähnlich sieht. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass er wie Giuliani sehr energisch reagieren kann.
Dann erscheint Jacky Ido, mit Filmnamen Lemalian, der Lketinga spielt. Hier beim Abendessen ist er normal gekleidet und sein Äußeres erscheint mir weit entfernt vom Aussehen eines Samburu. Ich bemühe mich, meine erste Irritation nicht zu zeigen. Als ich ihn begrüße, erkenne ich zumindest um die Augenpartie eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem Ex-Mann und seinem damaligen Aussehen. Schon beim ersten Wortwechsel spüre ich seine angenehme, sympathische und herzliche Ausstrahlung. Auch die Körpergröße stimmt annähernd. Ich bin gespannt, wie er morgen nach der Maske aussieht. Er erzählt mir, dass er für die Verwandlung in einen traditionellen Samburu jeden Tag zwei Stunden benötigt. Da er nichts dagegen hat, möchte ich mir morgen dieses Kunststück nicht entgehen lassen und dabei zuschauen.
Ich lausche den verschiedenen Gesprächen und merke, dass alle sehr müde und erschöpft sind. Die Drehtage sind lang und die Hitze tut ihr Übriges. Doch das Essen entschädigt für vieles. Das Dessertbuffet kann locker mit einem Vier-Sterne-Hotel konkurrieren, obwohl es draußen im Busch unter dem Sternenhimmel steht.
So sehr ich diesen Luxus heute auch genieße — damals, als ich hier im Busch lebte, brauchte ich nichts davon.
Dafür machte mich die Liebe zu Lketinga enorm stark und überlebensfähig. Denn ich lebte und spürte sie und konnte dadurch sprichwörtlich Berge versetzen. Hier dagegen sitzen Menschen um mich herum, die lediglich für drei Monate unter erschwerten Bedingungen arbeiten. Wahrscheinlich verblasst für sie die Schönheit und Romantik dieser Gegend allmählich, da sie weit weg von ihren Lieben und ihrem Zuhause sind. Ich kann es gut nachvollziehen, würde gerne noch vieles fragen, spüre aber, dass der Zeitpunkt für derartige Gespräche nicht geeignet ist.
Der Produzent hält eine kleine Rede, stellt mich dabei vor und so weiß nun jeder hier, wer ich bin. Schon bald nach dem Essen ziehen sich die Hauptdarsteller zurück. Nina möchte noch ihren morgigen Text einstudieren und Jacky muss wegen der zweistündigen Vorbereitung in der Maske sehr früh aufstehen. Auch wir trinken das letzte Glas Wein und verlassen das Essenszelt.
Etwas abseits brennt ein Lagerfeuer und einige Stühle stehen im Halbkreis herum. Ich setze mich und genieße den Blick ins knisternde Feuer. Nach einer Weile gesellen sich eine Samburu-Mutter und ein etwa achtjähriges, quirliges Mädchen dazu. Die Frau begrüßt mich und beginnt sofort, in Maa etwas zu erzählen. Ich strenge mich an, aus den wenigen Brocken, die ich verstehe, den Inhalt zu erahnen. Plötzlich bin ich hellwach, denn sie versucht mir gerade klar zu machen, dass sie mich von früher kennt. Sie sei zur selben Zeit im Wamba-Spital gewesen, als ich meine Tochter zur Welt brachte. Sie habe damals ihr letztes, das heißt ihr vierzehntes Kind geboren. Ich kann es kaum glauben, was ich mir aus dem Wortschwall zusammenreime. Als sie mir weiterberichtet, dass sie hier die Film-Mama sei, bin ich völlig aus dem Häuschen. Jetzt muss ein Übersetzer her! Ich möchte genau wissen, was sie sagt.
Schnell ist jemand gefunden, der ihre Sprache sowie Englisch spricht. Offensichtlich habe ich alles richtig interpretiert. Es ist unglaublich: Nach vielen Probeaufnahmen mit verschiedenen Samburu-Frauen spielt schließlich eine Frau meine Schwiegermama, die mich bereits aus früheren Zeiten kennt und darüber hinaus zum selben Zeitpunkt in Wamba einem Kind das Leben schenkte wie ich. Diese Neuigkeit kann mich nur glücklich machen und ich habe das Gefühl, dass das kein Zufall sein kann.
Das lustige Mädchen spielt Saguna und heißt im Film Christine. Sie ist lebendig wie ein Gummiball und sucht nach Geborgenheit, das spürt man sofort. Später erzählt man mir, dass sie von ihrer Tante aufgezogen wird, weil ihre Eltern sie entweder weggegeben haben oder gestorben sind. Da die Samburu über Verstorbene äußerst ungern reden, ist es schwer, etwas Genaueres zu erfahren.
Ich beobachte die Film-Mama noch eine ganze Weile und finde sie sehr sympathisch. Allerdings erscheint sie mir im Vergleich zu meiner Schwiegermama etwas jung und dadurch fehlt ihr Mamas mystische Ausstrahlung.
Aber hier am Lagerfeuer, mit der eben gehörten Geschichte, fühle ich mich ihr eng verbunden. Sie erwähnt, dass sie einige meiner Familienmitglieder aus Barsaloi kenne. Ich freue mich und bin wirklich gespannt, wie sie die Rolle der Schwiegermama meistert. Für mich spielte Mama natürlich eine Hauptrolle. Sie bewahrte mich vor viel Leid und gab mir innerlich enorm viel Kraft. Wenn das im Spielfilm gezeigt werden könnte, wäre ich mehr als glücklich.
In der Zwischenzeit sind alle Stühle am Feuer belegt und es wird, wie unter Afrikanern üblich, palavert und palavert. Sie haben sich immer irgendwelche Geschichten zu erzählen und dabei geht es meistens fröhlich zu.
Die Film-Mama steht auf, weil sie sich zurückziehen möchte. Morgen ist wieder ein langer Drehtag. Auch ich verlasse den Lagerplatz und nach einigen Verabschiedungen da und dort begebe ich mich in mein Zelt.