Die Likoni-Fähre

Nach dem Frühstück holt uns der Fahrer ab. Leider regnet es immer wieder kurz und der Himmel ist verhangen.

Wir fahren von der Nordküste in Richtung Mombasa und direkt zur Fähre. Autos und Laster stehen in einer langen Schlange und Hunderte von Menschen warten auf das Anlegen des Schiffes. Obwohl die Überfahrt nur ein paar Minuten dauert, herrscht Hier immer reger Betrieb. Während ich das Anlegemanöver beobachte, stelle ich fest, dass diese Fähre um einiges größer ist als meine „Schicksalsfähre“. Dann lasse ich mich mit der Menschenmasse treiben.

Klaus und ich sind die einzigen Weißen unter den sicher 500 Personen, die sich auf der Fähre befinden. Wie vor achtzehn Jahren — auch damals waren mein Freund Marco und ich die einzigen Touristen an Deck. Ich steige auf das Oberdeck und mein Blick schweift über die Köpfe der unruhigen Menge hinweg auf das offene Meer.

Versonnen muss ich daran denken, was die Überfahrt auf dieser Fähre alles ausgelöst hat. Wer hätte damals gedacht, dass dieses schicksalhafte Ereignis nicht nur mein eigenes Leben in völlig neue Bahnen lenken, sondern auch viele Menschen auf der ganzen Welt bewegen würde? Ich stehe an der Reling und staune über meine eigene Geschichte und den Weg, den sie genommen hat. Ich drehe mich um und blicke — welch eine Ironie — in die Augen eines sehr jungen Massai-Kriegers, der keine fünf Meter von uns entfernt steht. Er ist nicht so groß und schön, wie Lketinga es damals war. Dennoch ruft dieser überraschende Moment all meine Erinnerungen und Gefühle wach. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Ich schließe die Augen und sehe mich, wie ich als 26-jährige, hübsche Frau auf Geheiß meines damaligen Freundes den Kopf drehte und direkt in die stolzen Augen meines späteren Ehemannes Lketinga sah. Groß, graziös, exotisch und unglaublich schön stand er da, sein Gesicht mit Ornamenten bemalt und mit Schmuck verziert, sein langes, rotes Haar zu feinen Zöpfen geflochten, sein nackter Oberkörper mit Perlenschnuren verziert. Sein Anblick verschlug mir den Atem und berauschte mich völlig.

Klaus reißt mich aus meinen Gedanken, als er mich fragt, ob ich den Massai hinter mir gesehen hätte.

„Natürlich“, antworte ich lachend, „gut, dass du nicht Marco bist und unser junger Krieger hier nicht Lketinga ist!“

Kurz darauf legt die Fähre an und wir marschieren zu unserem Taxi, das uns zur Diani Küste bringt. Auf dem Weg zur Küstenstraße versuche ich, unseren ehemaligen Souvenirshop ausfindig zu machen, was sich allerdings etwas schwierig gestaltet, da sich alles verändert hat. Überall wurde gebaut. Wo früher Buschland war, sind heute Golfplätze, neue Hotelanlagen und Wohnsiedlungen.

Wir müssen die Straße drei Mal abfahren, bis ich endlich das weiße Gebäude erkenne. Doch zu meiner Enttäuschung befinden sich keine Läden mehr darin. Offensichtlich wurden die Räume zu Wohnungen umfunktioniert. Der ganze Komplex ist mit einem hohen Zaun abgesichert. Also gibt es hier nichts zu besichtigen. Ich weiß zwar nicht, was ich eigentlich erwartet habe, finde es aber schade, dass sich hier alles nahezu bis zur Unkenntlichkeit verändert hat.

Wir fahren weiter zum Africa-Sea-Lodge, dem Hotel, in dem ich wohnte, als ich das erste Mal — damals noch als Touristin — in Mombasa war. Eigenrlich hatte ich die Hoffnung, vielleicht Priscilla am Strand zu finden. Mit ihr lebte ich in meiner ersten Mombasazeit ein paar Monate zusammen und sie hat mir viel geholfen. Von einigen Touristen hatte ich gehört, dass sie immer noch Kangas verkauft. Doch der erneut einsetzende Regen verspricht wenig Erfolg. Am Hotel angekommen, sehe ich sofort, dass sich die gegenüberliegende Seite ebenfalls völlig verändert hat. Mehrere Straßen führen in den Busch und im Hintergrund erblicke ich eine Schule.

Wahrscheinlich gibt es das Kamau-Village, wo ich das letzte halbe Jahr in Kenia gelebt habe, auch nicht mehr.

Diese Vermutung können wir jedoch nicht überprüfen, da die Wege in den Busch vom Regen zu sehr aufgeweicht sind. Wir betreten die Hotelanlage. Wenigstens diese hat sich kaum verändert, außer dass sie mit wesentlich weniger Touristen belegt ist.

Nach einer Kaffeepause scheint endlich die Sonne. Ich ziehe meine Sandalen aus und laufe barfuß am weißen Sandstrand entlang. Vereinzelte Strand Verkäufer sprechen mich an, andere stellen ihre Bilder und Masken zum Verkauf auf. Ich entdecke meinen Lieblingsplatz am Strand. Dort saß ich nach dem ersten „missratenen“ Kuss von Lketinga und drei Jahre spärer fast jeden Sonntag, während unsere kleine Tochter im Sand spielte. Hier saßen wir auch zusammen mit Papa Saguna, als er das erste Mal das Meer sah und ihm dabei vor Angst fast schlecht wurde. Ich lasse meinen Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken freien Lauf, während meine Füße sich bei jedem Schritt in den Sand graben. Mir wird bewusst, wie stark meine Faszination für Kenia geblieben ist, am stärksten jedoch für den Teil des Landes, der am härtesten zu bewältigen ist — das Samburuland. Ich spüre aber auch, dass ich nicht mehr in Kenia leben wollte und könnte, weder im Samburuland noch hier an der Küste.

Es hält mich nichts mehr in Mombasa und ich bin froh, als wir zum Flughafen fahren. Noch einmal benutze ich die Likoni-Fähre. Hier werde ich wohl immer weiche Knie bekommen, mit oder ohne Massai im Hintergrund!

Hier überfielen mich Gefühle, die sich kaum erklären lassen, auch heute noch nicht. Dennoch kann ich aus tiefster Überzeugung sagen, dass ich nichts von dem, was ich gefühlt, gewagt und erlebt habe, bereue.

Ich bin glücklich, dass ich eine wunderbare afrikanische Familie habe, und ich habe es als großes Geschenk empfunden, nach vierzehn Jahren wieder so herzlich in ihrer Mitte aufgenommen worden zu sein.

Jetzt aber möchte ich nur noch nach Hause zu meiner Tochter. Eine große Sehnsucht überfällt mich, sie endlich wieder in die Arme zu schließen und ihr von ihrer afrikanischen Familie zu berichten.

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