Die Nacht wollen wir wieder im Maralal Lodging verbringen, unsere letzte Übernachtung im Samburugebiet. Ich beziehe dasselbe hübsche Zimmer mit Kamin. Draußen ziehen trotz des Regens Zebras und Wildschweine zum Wasserloch. Wir haben noch genügend Zeit bis zum Abendessen und so gönne ich mir ein heißes Bad, um meine Beklommenheit aus der Brust zu lösen. Das Wasser läuft mit einem rotbraunen Schimmer ein, was dem Regen zuzuschreiben ist. Ich genieße es trotzdem, denn heikel darf man in Afrika nicht sein.
Gerade als ich fertig bin, klopft jemand an die Türe und ruft: „Madame, ich habe eine Nachricht für Sie. Sie werden im Restaurant erwartet.“ Neugierig mache ich mich auf den Weg. Zwei afrikanische Männer sitzen in den Sesseln. Erst beim Nähertreten erkenne ich einen der beiden. Es ist der Buscharzt aus Barsaloi, der mir ein paar Mal mit Gesprächen und Diagnosen geholfen hatte. Sofort ist ersichtlich, dass er dem Alkohol zugeneigt ist.
Sein Begleiter wird mir als Beamter aus Maralal vorgestellt. Überrascht begrüße ich den Buscharzt. Mein Gott, hat er sich verändert! Sein Gesicht ist aufgedunsen und ihm fehlen ein paar Zähne. Ich bin richtig schockiert. Er gibt offen zu, dass er lange Zeit Alkoholprobleme hatte. Ich erkundige mich nach seiner Frau und den Kindern, die ich gut kannte. Nach einer eher knappen Antwort erklärt er, dass er Lketinga in Maralal getroffen und von ihm erfahren hat, dass wir die Nacht hier verbringen.
In der Zwischenzeit ist auch Albert dazugekommen. Sofort beginnt er, Albert von meinen zahlreichen Krankheiten zu berichten. Wie viele Male er glaubte, dass ich dem Tode nahe war, vor allem, als er mich mit dem Flugzeug der „Flying Doctors“ nach Wamba begleitet habe. Ich wusste gar nicht, dass er mit in dem kleinen Rettungsflugzeug saß, da ich zu schwach war, irgendetwas wahrzunehmen und nur Angst um mein ungeborenes Kind hatte. Ausführlich schildert er die dramatische Rettungsaktion und erwähnt dabei, dass der damalige Pilot leider nicht mehr am Leben sei. Er vermute, dass dieser an Malaria gestorben ist. Diese Information erschüttert mich, da jener Pilot mit einer spektakulären Landung im Busch mir und meinem ungeborenen Kind just bei dieser Krankheit das Leben gerettet hat.
Wir tauschen noch einige Erlebnisse von früher aus, unter anderem erinnert er mich daran, dass er mir zur Hochzeit eine Ziege geschenkt hat. Bevor er sich mit seinem Begleiter von mir verabschiedet, kommt die unvermeidliche Bitte um Geld. Er hätte offene Rechnungen im Krankenhaus und wisse nicht, wie er sie finanzieren solle. Sicher ist das der Grund seines Besuches. Ich gebe ihm, was ich für angemessen erachte. Als er mit seinem Begleiter geht, hinterlässt er ein ungutes Gefühl in mir. Schade, denke ich, was der Alkohol aus diesem Menschen gemacht hat.
Beim Abendessen sind wir wieder die einzigen Gäste. Wie kann diese Lodge nur existieren? Die gesamte Dekoration und Einrichtung ist noch dieselbe wie vor achtzehn Jahren — einfach, aber gemütlich. Heute ziehen wir uns alle früh in die Zimmer zurück. Ich genieße das knisternde Kaminfeuer und versuche mir vorzustellen, wo sich Lketinga wohl gerade aufhält. Ich hoffe sehr, dass er mit dem bescheidenen Reichtum umgehen kann und nicht wieder dem Alkohol verfällt.
Bevor ich einschlafe, spüre ich ein srarkes Bedürfnis, für meine Familie zu beten: „Lieber Gott, lass Mama noch lange leben. Schütze Lketinga und seine kleine Familie und lass ihn wieder Vater werden. Gib James die nötige Kraft, damit er noch lange für uns alle zwischen den beiden Welten der Mittler sein kann. Beschütze auch meine Tochter Napirai und hilf ihr dabei, ihre Wurzeln mir Stolz anzunehmen.“