Lemalian alias Lketinga

Frühmorgens werde ich von lautem Vogelgezwitscher geweckt. Ich trete vor das Zelt und erlebe gerade noch den Sonnenaufgang. Einige Meter vor mir steht eine Schirmakazie, an deren äußersten Ästen Vogelnester hängen.

Sie sind als runde Kugeln am Ast befestigt und ein kleiner enger Röhrengang führt von unten hinauf. Es sieht lustig aus, wie die Vögel von unten in ihre Nester schlüpfen. An dem Baum hängen sicher drei Dutzend solcher Behausungen und ihre Bewohner fliegen zwitschernd hin und her.

Nach der Morgentoilette schlendere ich zu dem Wagen, in dem sich der Maskenbildner eingerichtet hat, da ich Jacky bei seiner Verwandlung in Lketinga, beziehungsweise Lemalian, auf keinen Fall verpassen möchte. Er sitzt bereits auf seinem Stuhl und begrüßt mich mit einem strahlenden Lachen.

Jacky sei immer guter Laune, obwohl er morgens der Erste und abends der Letzte sei, erzählt mir der Maskenbildner. An der Wand hängt die Perücke mit den langen roten Massai-Zöpfen. Sie sieht erstaunlich echt aus. Ich schaue zu, wie die Verwandlung beginnt.

Zuerst werden Jacky in mühseliger Kleinarbeit die großen Ohrlöcher an seine natürlichen Ohren modelliert, damit die Elfenbeinringe eingesetzt werden können. Irgendwie sieht das braune weiche Teil für meine ungeübten Augen etwas makaber aus, täuschend echt wie ein Stück Menschenohr. Ich bin so fasziniert, dass mir der Maskenbildner das Ohrteil vom Vortag zur Erinnerung schenkt. Mein erster Gedanke ist: Das werde ich Lketinga zeigen. Doch ich verabschiede mich gleich von diesem Vorhaben, da es womöglich wieder viele Diskussionen hervorruft. Wenn es für mich schon täuschend echt aussieht, wie soll ich dann ihm erklären, dass es Materialien gibt, mit denen man alles nachmodellieren kann, und dass es dafür sogar einen eigenen Beruf gibt?

Mit feiner Genauigkeit werden diese Teile mit den echten Ohren verbunden und anschließend nach hinten geklebt. Tag für Tag dieselbe Prozedur! Danach wird die schwere Perücke am Kopf befestigt. Je mehr Jackys Aussehen sich dem eines Samburu nähert, desto besser gefällt er mir. Da jedoch das Ganze schon über eine Stunde dauert, eile ich kurz zum Frühstücksplatz, damit ich noch etwas abbekomme. Als ich eine halbe Stunde später zur Maske zurückkehre, ist Jacky fast fertig hergerichtet. Ein traditioneller Samburu hilft ihm, den Schmuck überzustreifen, und achtet darauf, dass alles genau der Tradition entspricht.

Ja, jetzt gleicht Lemalian Lketinga weit mehr als dem Jacky von gestern Abend. Mit seinem nackten glänzenden Oberkörper, verziert mit Samburu-Schmuck, sieht er wunderschön und faszinierend aus. Seine sanften Augen und das herzliche Lachen verstärken die positive Ausstrahlung. Nun bin ich überzeugt, dass er beim Publikum ankommen wird und meine anfängliche Skepsis ist endgültig verschwunden. Vielleicht ist es für mich sogar besser, wenn er nicht genau wie Lketinga aussieht. So wird es mir leichter fallen, den Film von der Realität zu trennen.

Die Zeit drängt und wir machen noch ein paar gemeinsame Fotos, bevor Jacky zum heutigen Drehort im Shop gefahren wird. Dort wird eine Szene gedreht, in der Carola — so mein Filmname — bereits im sechsten Monat schwanger ist. Ich bin gespannt, wie Nina mit „Babybauch“ aussehen wird, aber auch, wie die Filmleute unseren ehemaligen Shop, das Dorf Barsaloi und die Mission nachgebaut haben. Direkt beim Drehen wollen sie allerdings ungestört bleiben. Auch wenn ich noch so neugierig bin, kann ich das natürlich gut verstehen.

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