Pater Giuliani

Nach dem Frühstück verlassen wir den Drehort und fahren den dreistündigen Weg zurück nach Barsaloi, wo wir mit Pater Giuliani um zwölf Uhr verabredet sind. Pünktlich fahren wir bei der Mission vor, wo Pater Giuliani bereits auf uns wartet. Er hat sich kaum verändert. Nur seine weißen Haare und etwas mehr Falten im braun gebrannten Gesicht lassen die vergangenen Jahre erkennen. Wie früher besteht seine Kleidung aus kurzen Hosen, Poloshirt und Strandsandalen. Mit einem breiten Lächeln kommt er auf uns zu, um uns zu begrüßen.

Belustigt betrachtet er mich von oben bis unten an und meint: „Was, das soll die Corinne sein, die damals an die Missionstür klopfte?“ Ich muss lachen. Er erlebte mich natürlich in meinen magersten Jahren. Heute lebe ich gesund und fühle mich zwar nicht dick, bin aber auch nicht mehr dünn wie eine Bohnenstange. Auch Albert und Klaus werden herzlich begrüßt, wobei man Pater Giuliani die Freude über einen abwechslungsreichen Besuch anmerkt.

Dann mustert er unsere großen Geländewagen und meint, wir sollten doch nur mit einem fahren. Da die Fahrer aber ihre Wagen nicht aus den Augen lassen, würde das bedeuten, dass einer allein hier bleiben müsste, was wir natürlich nicht wollen. Wir ahnen ja noch nicht, wie beengt es bei Giuliani zugeht. Er erwähnt lediglich, dass seine neue Mission nicht so groß sei wie diese hier. Als ich ihm mitteile, dass ich vor allem seinen schönen Garten mit den Bananenstauden vermisse, erklärt er lakonisch: „Diese neuen Priester haben kein Interesse mehr an Garten und Gemüse. Außerdem können sie selbst keine Autos reparieren, was in dieser Gegend dringend nötig wäre. Na ja, dafür gibt es jetzt ein Schwesternhaus!“

Ich fahre bei Giuliani mit, damit wir uns unterhalten können, muss allerdings feststellen, dass es bei dem Lärm und Gerumpel nicht einfach ist, sich zu verständigen. Im trockenen Bett des Barsaloi-River fahren wir Kilometer um Kilometer den Bergen entgegen. Schon nach einer halben Stunde Autofahrt ist mir die Gegend fremd und neu. Mit Lketinga war ich nie so weit in dieser Richtung unterwegs gewesen. Das Flussbett wird an manchen Stellen bis zu 300 Meter breit und man kann erahnen, wie gefährlich es hier wird, wenn es in den Bergen regnet.

Wir durchfahren verschiedenen Vegetationszonen. Einmal ist die Landschaft eher grün und mit so genannten Daumpalmen und Büschen bewachsen, die ich noch nie gesehen habe. Ein anderes Mal sind an den Ufern steinige dunkle Felshügel zu sehen. Pater Giuliani erzählt, dass man hier Gold vermutet und schon von Bohrungen gesprochen wurde, was eine Katastrophe für diese Gegend wäre.

Er fährt wie früher — zackig und schnell. Ständig schaut er, der 64-Jährige, in den Rückspiegel und lästert: „Wo bleiben denn die jungen Fahrer mit ihren Superwagen?“ Am linken Flussufer sitzt im Schatten eine Gruppe Samburu-Frauen mit vielen Kindern. Sie kochen in einem großen Topf Maisbrei, um ihre Kleinen satt zu kriegen. Giuliani erklärt, dass hier die wenigsten Frauen noch Ehemänner haben, die sie unterstützen. Die meisten seien in die größer werdenden Dörfer oder Städte gezogen und nicht wenige seien dem Alkohol verfallen. Der Pater steigt aus, spricht mit ihnen und drückt das eine oder andere Kind. In unseren europäischen Augen sieht das Bild, wie sie da malerisch im Schatten eines Baumes lagern, bunt und friedlich aus. Aber diese Mütter kämpfen täglich hart ums Überleben, um ihr eigenes und das ihrer zahlreichen Kinder.

Als wir weiterfahren, verändert sich der Untergrund im Flussbett von lockerem, gelbem Sand in ausgetrocknete, aufgeplatzte rote Schlammerde. Es erinnert mich an Tonscherben, die sich durch Hitze nach oben biegen. Diese eindrucksvollen Formen möchte ich gerne fotografieren. Als ich aussteige, stehe ich buchstäblich in einem Glutofen. Ohne Schuhe könnten wir es keine Sekunde auf diesem Boden aushalten. Dennoch sehen wir immer wieder Menschen und Tiere, die in dieser lebensfeindlichen Gegend ihr Dasein führen. Pater Giuliani winkt jedem Kind, jedem Mann und jeder Frau zu und ruft ab und an etwas gegen den Fahrtwind. Man spürt, wie vertraut ihm diese Gegend ist und wie er sie liebt.

Nach gut zwei Stunden verlassen wir das Flussbett und biegen in einen für Unkundige kaum zu erkennenden Naturweg ein. Dieser führt auf eine Anhöhe, die einen grandiosen Blick über die weite Ebene eröffnet. Giuliani hält an, steigt aus dem Wagen und zeigt uns einen Busch, von dem er kleine Weihrauchkugeln abzupft. Dann deutet er auf einen weißen Strich in der Ferne, der senkrecht wie ein Wasserfall über den Berg fällt. „Dort steht meine Mission. Vor ein paar Monaten ist nachts mit mächtigem Donner hinter meinem Haus ein Teil dieses Berges abgebrochen. Seitdem sieht man Sererit schon von weitem. Bei deinem nächsten Besuch musst du nur in diese Richtung fahren“, scherzt er lachend.

Auf holprigen Wegen nähern wir uns langsam diesen Bergen. Auf dem Kamm ist deutlich dichter Dschungel erkennbar. Giuliani erzählt, dass dort noch riesige Büffel- und Elefantenherden leben und für Menschen kaum ein Durchkommen möglich sei. Die Samburu führten ihre Herden bis an den Rand des Dickichts, weil dort das Gras besonders fett sei.

Völlig unerwartet taucht am Wegesrand ein längliches Gebäude auf. Das sei die neue Schule, erklärt Giuliani stolz. Leider sei es schwierig, sie ausreichend mit Lehrern zu besetzen, da die meisten nach ein paar Monaten einfach nicht mehr zur Arbeit kämen. Bis aber jemand, der hier aufgewachsen ist, als Lehrkraft eingesetzt werden könne, werde es noch eine Weile dauern. Wir rumpeln über die Piste und umfahren größere Steine und Buschwerk. Nebenbei erwähnt Giuliani, dass er diesen Fahrweg selbst ausgebaut habe, früher sei hier nichts außer Geröll und Busch gewesen. Es ist mir ein Rätsel, wie Giuliani es schafft, hier zu leben.

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