Kurz bevor wir unser Tagesziel erreichen, übergebe ich das Steuer wieder unserem Fahrer, damit ich bei der Einfahrt in Maralal alles mit den Augen erfassen kann. Schnell bemerke ich, wie sehr dieser Ort inzwischen gewachsen ist. Es gibt neue Straßen, wenn auch Naturstraßen, sogar einen Kreisverkehr und direkt daneben, ich kann es nicht fassen, eine moderne BP-Tankstelle mit Laden, wie bei uns in der Schweiz. Wie ich bald feststelle, hat Maralal mittlerweile drei Tankstellen, Benzin ist immer erhältlich. Das war zu meiner Zeit noch ganz anders.
Ich wusste nie, wann die einzige Tankstelle wieder Benzin bekommen würde. Manchmal mussten wir mehr als eine Woche ausharren, um anschließend mit einem vollen 200-Liter-Benzinfass über die gefährliche Buschstraße zu fahren. Zu Hause stellte sich dann die Frage, wo und wie wir das volle und gefährliche Fass verstauen konnten, da bei den Manyattas immer mit Feuer hantiert wird. Gott sei Dank half auch bei diesem Problem Pater Giuliani. Heute sind diese Tankstellen für alle Autobesitzer natürlich eine unglaubliche Erleichterung. Früher gab es allerdings nicht mehr als zehn Autos in dieser Gegend!
Mit unseren beiden Land Cruisern fahren wir langsam am Markt vorbei, der sich nicht wesentlich verändert hat.
Mehrere Holzstände stehen nebeneinander und überall hängen die schönen bunten Massai-Decken und — Tücher im Wind. Dahinter befindet sich wie eh und je das Postamt. Später stelle ich erstaunt fest, dass dort vier Computer stehen, mit deren Hilfe sich die Missionare oder ehemalige Schüler über das Internet mit der Welt verbinden lassen können.
Wir fahren sehr langsam, um James nicht zu verpassen. Aufgeregt schlage ich vor, zuerst eine Runde durch Maralal zu fahren, da wir Weißen auffallen und James auf diese Weise sicher von unserer Ankunft hören wird.
Maralals Zentrum sieht aus wie früher, doch an den Rändern ist der Ort in alle Himmelsrichtungen gewachsen.
Wir kommen an Sophias ehemaligem Häuschen vorbei und sofort tauchen die Erinnerungen an sie auf. Sie war mir in jener Zeit eine sehr gute Freundin. Wir hatten das Glück, zur gleichen Zeit schwanger zu sein und in derselben Woche unsere Töchter zur Welt zu bringen. Wir waren die ersten weißen Frauen, die in dieser Gegend Kinder geboren haben und konnten uns deshalb ein Zimmer im Spital von Wamba teilen. Sophia und ihren italienischen Kochkünsten verdanke ich, dass ich im letzten Schwangerschaftsmonat die nötigen zehn Kilo zulegen konnte, um für die Geburt wenigstens ein Minimalgewicht von siebzig Kilo zu erreichen. Heute wiege ich bei einer Körpergröße von 1,80 m weit mehr und bin nicht im neunten Monat schwanger. Wie gerne würde ich sie und ihre Tochter wiedersehen!
Nachdem wir unsere Maralal-Rundfahrt beendet haben, parken wir die Wagen vor dem Lodging, in dem ich früher immer mit Lketinga übernachtet habe. Kaum ausgestiegen, sind wir von mindestens acht jungen Männern umringt, die uns etwas verkaufen möchten. Einer von ihnen erwähnt, dass hier vor ein paar Wochen, genau in diesem Lodging, der Film über „Die weiße Massai“ gedreht wurde. Ob wir diese Geschichte auch kennen? Ein anderer nickt bestätigend mit dem Kopf und fragt dazwischen, ob wir vielleicht auch zu diesen Filmleuten gehören. Dabei schaut er mich prüfend an. Wir verneinen, während wir das Restaurant betreten.
Es ist anders eingerichtet, als ich es in Erinnerung habe. In der Mitte dominiert eine barähnliche Theke, die mit einem Maschendraht vergittert ist. Durch eine kleine Öffnung bekommen wir unsere Cola gereicht. Wir werden weiterhin von den Männern belagert, von denen einige nach Bier riechen. Ich werde nach meinem Namen gefragt und sage irgendeinen. Ich möchte mich nicht als die echte weiße Massai zu erkennen geben, zumal ich noch nicht weiß, wie das Filmteam hier in Maralal aufgenommen worden ist. Aber was ist, wenn James jeden Moment eintrifft?
Zur Ablenkung frage ich nach Samosas, den kleinen, mit Fleisch gefüllten Teigtaschen. Sofort läuft einer der Männer los, um nach nur wenigen Minuten zehn in altes Zeitungspapier gewickelte Samosas auf den Tisch zu legen. Erfreut esse ich drei davon. Meine Begleiter Albert und Klaus hingegen verspüren beim Anblick der fettigen Druckerschwärze keinerlei Appetit.
Wo bleibt nur James? Wir warten noch etwa eine halbe Stunde, doch er taucht nicht auf. Was ist, wenn er meinen letzten Brief nicht erhalten hat? Allerdings habe ich keinen genauen Treffpunkt ausgemacht, weil ich Maralal als sehr übersichtlich in Erinnerung hatte.
Inzwischen türmen sich die Touristensouvenirs, handgefertigter Massai-Schmuck, kleine Kopfstützen aus Holz sowie Rungus, die Schlagstöcke der Krieger, zwischen den Samosas auf dem Tisch und langsam wird es ungemütlich. Wir bezahlen einen für hiesige Verhältnisse enormen Betrag für die Teigtaschen und verteilen die restlichen an die übrigen Gäste. Draußen ist James immer noch nicht in Sicht und so beschließen wir, vorerst in die Safari Lodge hochzufahren, um in Ruhe unsere Zimmer zu beziehen.
Mit dieser Lodge verbinden mich ganz besondere Erinnerungen. Auf ihrer Terrasse saß ich, als ich zum ersten Mal nach Maralal kam, um meinen späteren Mann zu suchen. Ich beobachtete stundenlang die Zebras, Affen und Wildschweine um das Wasserloch und fragte mich, hinter welchem Hügel wohl dieser geheimnisvolle Krieger lebt und ob er ahnt, dass ich in seiner Nähe bin. Mit einer Handvoll Fotos bewaffnet lief ich täglich durch Maralal und fragte immer wieder die ankommenden traditionell gekleideten Männer nach Lketinga. Nach zehn Tagen wurden meine Bemühungen und Gebete belohnt. Ich konnte die größte Liebe meines Lebens in die Arme schließen und unser Schicksal nahm seinen Lauf.
Später brachte mich einmal mein Mann in diese Lodge, als ich wegen einer Malariaerkrankung so geschwächt war, dass ich kaum noch stehen konnte. Da ich wochenlang kein Essen heruntergebracht hatte, wollte mich Lketinga schließlich vor Verzweiflung an einen Ort bringen, wo es Salate und Sandwiches, also Essen für Weiße, gab. Tatsächlich konnte damals ein einfaches Sandwich mit Schinken und Käse nach monatelangem Maismehl und Ziegenfleisch meine Lebensgeister wieder wecken. Übernachtet habe ich hier allerdings bis heute noch nie.