Am nächsten Morgen erwache ich kurz nach sechs Uhr. Aus dem Dorf höre ich vereinzelte Stimmen und so glaube ich, zu Mama hinübergehen zu können. Um diese Zeit ist es noch recht kühl und ich kann einen Pullover gut vertragen. Als ich kurz darauf den Kral erreiche, ist von außen noch kein Zutritt möglich, weil Dornengestrüpp den Eingang blockiert. Ich spähe über den Zaun, bis mich Lketinga entdeckt. Er hat seine neue Decke über den Kopf gezogen und schlendert langsam durch die Herde auf das „Tor“ zu. Lachend öffnet er und fragt mich, warum ich schon so früh auf den Beinen sei. Ich berichte, dass bei uns im Camp noch alles ruhig sei und ich lieber hier unten bei den Tieren warte. Auch möchte ich James um ein paar Eier bitten, da wir nichts mehr zum Frühstücken haben. James hat uns wohl sprechen gehört und kommt verschlafen aus seinem Haus.
Nach der Begrüßung übergibt er mir die letzten vier Eier, mehr haben sie zur Zeit nicht.
Ich möchte mich wieder auf den Rückweg begeben, doch Lketinga schickt mich zu Mamas Manyatta, um einen Chai zu trinken. Ich bitte um Einlass und auch Mama staunt lächelnd, dass ich schon so früh unterwegs bin.
Zwei ältere Männer haben bei ihr offenbar schon Chai getrunken, denn sie verlassen gerade die Manyatta. Sie reicht mir eine Tasse herüber und stellt gleichzeitig den Topf mit dem gerösteten Fleisch aufs Feuer. Ich bin erstaunt, dass immer noch etwas davon da ist.
Offensichtlich hat sie es wirklich speziell für mich gekocht und verschenkt deswegen kein einziges Stückchen.
Sie drückt mir einen Suppenlöffel in die Hand, ermuntert mich wieder mit ihrem „Tamada, tamada“ und verlässt anschließend die Hütte. Erfreut und gleichzeitig verlegen esse ich einige Löffel Fleisch zum Frühstück. Ich bin sicher die Einzige, die ein so luxuriöses Essen am frühen Morgen bekommt.
Gedankenverloren kaue ich das Fleisch, als plötzlich Lketingas junge Frau in gebückter Haltung die Manyatta betritt. Sie war wohl der Meinung, dass sich niemand darin aufhält, da Mama und Lketinga draußen bei den Tieren sind.
Erschrocken bleibt sie geduckt im Eingang stehen und scheint sich nicht sicher zu sein, ob sie rückwärts wieder hinausgehen oder eintreten soll. Ich lächle sie an und sage: „Karibu!“ Vorsichtig geht sie um Mamas Platz herum und betritt neben der Feuerstelle das Kuhfell. Ich rücke zur Seite, um ihr Platz zu machen, und bin gespannt, was sie tun wird. Sie öffnet Lketingas Metallkiste und nimmt den Rock heraus, den ich für seine Frau — welche auch immer — mitgebracht habe. Neugierig befühlt sie den Stoff und beäugt die Größe, um ihn dann sofort wieder sorgsam zurückzulegen. Ich frage sie mit meinen dürftigen Maa-Kenntnissen, ob er ihr gefällt. Schüchtern und leise antwortet sie mit ja. Dann dreht sie sich um und will gerade die Hütte verlassen, als Lketinga hereinkommt.
Jetzt ist er es, der erstaunt schaut, dabei aber keinen Ton von sich gibt, weder zu mir noch zu seiner jungen Frau.
Diese macht sich so schmal wie möglich, um schnell die Manyatta verlassen zu können.
Ich muss ein Lächeln unterdrücken, als ich Lketingas ernstes Gesicht sehe. Er setzt sich neben dem Eingang auf einen kleinen Hocker vor das Feuer, greift nach einem Suppenlöffel und lädt ihn mit Fleisch voll. Spielerisch stoße ich mit meinem Löffel die Fleischstücke zurück in den Topf und protestiere: „No, das ist mein Essen, Mama hat es extra für mich gekocht!“ Lachend bettelt er: „Only a little bit — nur ein bisschen.“
Natürlich gönne ich ihm das Fleisch, kann es mir aber nicht verkneifen, ihn auf seine Frau anzusprechen, und frage etwas scheinheilig wie nebenbei: „Das war doch gerade deine neue Frau, oder?“ Er wird ernst und sagt:
„Yes, hast du damit ein Problem?“ Ich verneine und frage stattdessen: „Wieso sprichst du nicht mit ihr oder schaust sie nicht wenigstens an?“ „Warum soll ich als Mann meiner Frau zuerst Jambo sagen? Sie hat mich noch nie gegrüßt und deshalb grüße ich sie auch nicht! Sie soll zuerst reden, dann spreche ich vielleicht auch mit ihr!“
Er sagt dies so überzeugt, dass ich trotz aller Tragik, die sich dahinter verbirgt, loslachen muss. Etwas verunsichert beginnt auch mein Ex-Mann zu lachen und erklärt, dass das normal sei. Ich versuche ihm klar zu machen, dass diese Form der Sprachlosigkeit noch Monate dauern könnte und es doch besser für beide wäre, wenn sie allmählich miteinander reden würden. Sicher kenne er sie noch gar nicht richtig. Doch, entgegnet er, er habe mit den Eltern gesprochen und sich im Dorf über sie erkundigt. Er wisse viel über seine Frau. Ich erfahre, dass sie aus dem Dörfchen vor Maralal stammt, in dem mir die vielen Plastiktüten an den Büschen aufgefallen sind. Das bedeutet, dass sie ihr ehemaliges Zuhause selten oder vielleicht sogar nie mehr sehen wird, geht es mir durch den Kopf. Ich frage ihn, wie denn diese Ehe gelebt werden könne, wenn sie nicht miteinander sprechen oder lachen? Er erwidert: „Yes, that's crazy! Aber ich spreche sie nicht zuerst an, ich bin doch keine Frau!“
Lachend fügt er hinzu: „Vielleicht heirate ich dich ja noch einmal?“ Etwas irritiert und verlegen lache ich mit, weil das hier in komischen Situationen das Beste ist.
In diesem Moment fallen mir die Eier ein, die ich draußen auf James' Motorrad gelegt hatte, und etwas schuldbewusst denke ich an meine hungrigen Mitreisenden. Wir verlassen die Hütte und schlendern zur Mission.
Im Camp wird gerade Tee und Kaffee gekocht und Albert, Klaus und unsere beiden Fahrer freuen sich über die mitgebrachten Eier, die heute neben ein paar Nüssen und aufgeweichten Chips ihr ganzes Frühstück sind. Als sie sich über meine Enthaltsamkeit wundern, erzähle ich, wie gut es mir in Mamas Manyatta ergangen ist.
Nach dem spärlichen Frühstück gehen wir mit Lketinga zum Kral zurück. Wir treffen auf James, der gerade dabei ist, die kleine Manyatta für die Zicklein mit einer Spraydose gegen Ungeziefer zu desinfizieren. Wieder etwas, das es zu meinen Zeiten noch nicht gab! Während wir uns unterhalten, kommt Lketingas Schwester aus Mamas Manyatta und begrüßt mich wieder überschwänglich. Als Lketinga barsch und energisch auf sie einredet, läuft sie weg. Ich erkundige mich, worum es gerade ging. Lketinga erklärt mit ärgerlicher Gestik: „Gestern Abend war meine Schwester betrunken. Ich will das nicht und ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte.“
Sofort erinnere ich mich an das Geld, das ich ihr und Mama gegeben habe, und fühle mich mitschuldig.