Das Zimmer, aus welchem Peter Stepanowitsch in den Saal hineingesehen hatte, war ein großes, ovales Vorzimmer. Dort hatte bis dahin Alexei Jegorowitsch gesessen; aber er hatte ihn fortgeschickt. Nikolai Wsewolodowitsch machte die Tür nach dem Saale hinter sich zu und blieb erwartungsvoll stehen. Peter Stepanowitsch sah ihn mit einem schnellen, prüfenden Blicke an.
»Nun?«
»Das heißt, wenn Sie es schon wissen,« begann Peter Stepanowitsch eilig, und als wollte er mit seinen Augen dem andern in die Seele dringen, »so trägt selbstverständlich niemand von uns irgendwelche Schuld an etwas und am allerwenigsten Sie, weil das ein solches Zusammentreffen ... ein so merkwürdiges Zusammentreffen von Zufällen ist ... mit einem Worte, gerichtlich kann es Sie nicht berühren, und ich bin hergeeilt, um Sie zu benachrichtigen.«
»Sind sie verbrannt? Ermordet?«
»Ermordet, aber nicht verbrannt; das ist unangenehm; aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nicht daran schuld bin, wie sehr Sie mich auch im Verdacht haben mögen; denn im Verdacht haben Sie mich vielleicht, wie? Wenn Sie die ganze Wahrheit wissen wollen: sehen Sie, es war mir wirklich der Gedanke durch den Kopf gegangen, – Sie selbst hatten ihn mir eingegeben, nicht im Ernst, sondern um mich zu necken (denn im Ernst würden Sie einem so etwas nicht eingeben), – aber ich konnte mich nicht dazu entschließen und hätte mich um keinen Preis dazu entschlossen, nicht für hundert Rubel, – und es ist auch keinerlei Vorteil dabei, das heißt für mich, für mich ...« (Er hastete gewaltig und redete wie eine Windklapper.) »Aber nun sehen Sie dieses Zusammentreffen der Umstände: ich habe aus meinen Mitteln (hören Sie wohl, aus meinen Mitteln; von Ihrem Gelde war auch nicht ein Rubel dabei, und vor allen Dingen, Sie wissen das ja selbst), ich habe diesem verdrehten Trunkenbolde, dem Lebjadkin, schon vorgestern abend zweihundertdreißig Rubel gegeben, – hören Sie wohl, vorgestern, nicht erst gestern nach der Vorlesung; beachten Sie das wohl: das ist ein sehr wichtiges Zusammentreffen; denn ich wußte ja damals noch nicht bestimmt, ob Lisaweta Nikolajewna zu Ihnen kommen würde oder nicht; ich gab aber mein eigenes Geld einzig und allein deshalb hin, weil Sie sich vorgestern so vorzüglich benommen und den Einfall gehabt hatten, allen Leuten Ihr Geheimnis zu enthüllen. Nun, da menge ich mich nicht hinein ... das ist Ihre Sache ... Sie haben nun einmal so etwas Ritterliches ... aber ich muß gestehen, ich war erstaunt, wie betäubt. Aber da mir diese Tragödien gar sonderlich mißbehagten (notabene, ich rede im Ernst, wenn ich auch einen altväterischen Ausdruck gebrauche), da das alles schließlich meinen Plänen schadet, so nahm ich mir vor, die Lebjadkins um jeden Preis und ohne Ihr Vorwissen nach Petersburg abzuschieben, um so mehr, da er auch selbst dorthin strebte. Nur einen Fehler habe ich dabei begangen: ich habe ihm das Geld gegeben, als ob es von Ihnen käme; war das ein Fehler oder nicht? Vielleicht war es gar kein Fehler, wie? Nun, hören Sie jetzt, hören Sie, wie sich das alles gestaltet hat...«
Im Eifer der Rede war er ganz dicht an Stawrogin herangekommen und griff, ohne es selbst zu merken, nach dem Brustaufschlag seines Rockes (vielleicht tat er es auch absichtlich). Stawrogin schlug ihn mit einer kräftigen Bewegung auf die Hand.
»Aber was haben Sie denn ... lassen Sie das doch... Sie können einem ja die Hand zerschlagen... Die Hauptsache ist, wie sich das alles gestaltete,« plapperte er von neuem los, ohne sich über den Schlag im geringsten zu wundern. »Ich übergebe ihm also am Abend das Geld, damit er und seine Schwester am andern Tage frühmorgens abfahren; ich gebe dem Schurken Liputin den Auftrag, ihn selbst in den Wagen zu setzen und fortzuspedieren. Aber der Lump, der Liputin, wollte dem Publikum seine albernen Streiche vormachen – vielleicht haben Sie davon gehört? Bei der Vorlesung? Hören Sie nur, hören Sie nur: die beiden trinken zusammen und machen ein Gedicht, das zur Hälfte von Liputin herrührt; dieser zieht dem Hauptmann einen Frack an und redet mir vor, er habe ihn schon am Morgen fortgeschafft, hält ihn aber in einem Hinterzimmer versteckt, um ihn dann auf die Estrade zu stoßen. Aber der hatte sich in der Geschwindigkeit unerwarteterweise betrunken. Dann folgte der bekannte Skandal; dann brachte man ihn halbtot nach Hause; dabei aber nahm ihm Liputin im stillen zweihundert Rubel weg und ließ ihm nur das kleinere Geld. Aber unglücklicherweise hatte Lebjadkin, wie sich herausstellt, schon am Morgen die zweihundertdreißig Rubel aus der Tasche hervorgeholt, damit geprahlt und sie an einer Stelle gezeigt, wo er das besser unterlassen hätte. Und da Fedka nur darauf lauerte und bei Kirillow so etwas gehört hatte (Sie erinnern sich wohl, daß Sie darauf hindeuteten), so entschloß er sich, die Gelegenheit zu benutzen. Da haben Sie die ganze Wahrheit. Ich freue mich wenigstens darüber, daß Fedka kein Geld gefunden hat; der Schuft hatte ja auf tausend Rubel gerechnet! Er hat es eilig gehabt und, wie es scheint, über die Feuersbrunst selbst einen Schreck bekommen ... Glauben Sie mir: als ich diese Feuersbrunst sah, war es mir, als ob mich jemand mit einem Knittel über den Kopf schlüge. Nein, weiß der Teufel, was das vorstellen sollte! Das ist eine Eigenmächtigkeit ... Sehen Sie, ich will Ihnen, von dem ich so viel erwarte, nichts verheimlichen: nun ja, in meinem Kopfe war schon längst so ein Gedanke an Feuer herangereift, da das eine sehr volkstümliche, populäre Sache ist; aber ich habe diesen Gedanken bis zu der kritischen Stunde zurückgelegt, bis zu dem erhabenen Momente, wo wir alle uns erheben werden und ... Aber da haben sie sich jetzt auf einmal eigenmächtigerweise und ohne Befehl so etwas beikommen lassen, gerade in einem Augenblicke, wo man sich verborgen halten muß und nur hinter der vorgehaltenen Hand atmen darf! Nein, das ist eine arge Eigenmächtigkeit! ... Kurz, ich weiß noch nichts Genaueres; man redet hier von zwei Schpigulinschen Arbeitern ... aber wenn auch die ›Unsrigen‹ dabei beteiligt sind, wenn auch nur ein einziger von ihnen dabei sein Schäfchen hat scheren wollen, dann wehe ihm! Da sehen Sie, wohin es führt, wenn man ihnen auch nur ein bißchen den Zügel locker läßt! Nein, dieses demokratische Gesindel mit seinen Fünferkomitees ist eine schlechte Stütze; was nötig ist, das ist ein einziger, majestätischer Wille, der Wille eines Götzen und Despoten, ein Wille, der sich auf nichts Zufälliges und außerhalb Stehendes stützt ... Dann werden auch die Fünferkomitees gehorsam den Schwanz einklemmen und gelegentlich sich als Sklaven brauchbar erweisen. Aber jedenfalls wird jetzt hier die Behauptung austrompetet, Stawrogin habe seine Frau verbrennen wollen und zu diesem Zwecke die Stadt angezündet; indessen ...«
»Das wird schon austrompetet?«
»Daß heißt, eigentlich noch nicht, und ich muß bekennen, ich habe noch gar nichts gehört; aber mit dem Volke ist ja nichts anzufangen, namentlich nicht mit den Abgebrannten. Vox populi vox Dei. Ein solches dummes Gerücht verbreitet sich ja im Handumdrehen ... Aber in Wirklichkeit haben Sie gar nichts zu befürchten. Dem Gerichte gegenüber stehen Sie völlig unschuldig da, und ebenso Ihrem eigenen Gewissen gegenüber; Sie haben es ja doch nicht gewollt? Nicht wahr? Indizien sind keine vorhanden, nur das eigentümliche Zusammentreffen ... Es müßte denn sein, daß Fedka sich an Ihre damalige unvorsichtige Äußerung bei Kirillow erinnerte (warum haben Sie das damals auch gesagt?); aber das beweist überhaupt nichts, und diesen Fedka werden wir unschädlich machen. Ich werde ihn gleich heute unschädlich machen ...«
»Und die Leichen sind gar nicht verbrannt?«
»Nicht im geringsten; diese Kanaille hat nichts so zu machen verstanden, wie es sich gehört. Aber ich freue mich wenigstens, daß Sie so ruhig sind ... denn Sie tragen ja zwar keinerlei Schuld daran, nicht einmal durch einen Gedanken; aber trotz alledem. Und dabei werden Sie selbst zugeben müssen, daß Ihnen dies alles vorzüglich zustatten kommt: Sie sind auf einmal ein freier Witwer und können jeden Augenblick ein schönes Mädchen mit gewaltigem Vermögen heiraten, ein Mädchen, das sich obendrein bereits in Ihren Händen befindet. Da sieht man, was ein einfaches, natürliches Zusammentreffen der Umstände für Wirkungen haben kann, nicht wahr?«
»Sie drohen mir, Sie Dummkopf?«
»Nun, lassen Sie es gut sein, lassen Sie es gut sein; warum sagen Sie gleich ›Dummkopf‹, und in was für einem Tone reden Sie? Sie sollten sich freuen; aber statt dessen ... Ich bin expreß hergeeilt, um Sie so schnell wie möglich zu benachrichtigen ... Und warum sollte ich Ihnen drohen? Was hätte ich davon? Ich brauche Ihren guten Willen und nicht Ihre Furcht. Sie sind mein Licht und meine Sonne! ... Ich bin es, der vor Ihnen gewaltige Furcht hat, nicht Sie vor mir! Ich bin ja kein Mawriki Nikolajewitsch ... Stellen Sie sich vor, ich fahre in einer extraschnellen Droschke her, und da sehe ich Mawriki Nikolajewitsch hier an Ihrem Gartengitter, an der hinteren Ecke des Gartens ... im Mantel, ganz durchnäßt; er hat gewiß die ganze Nacht da gesessen! Es ist erstaunlich, bis zu welchem Grade Menschen den Verstand verlieren können!«
»Mawriki Nikolajewitsch! Ist das wahr?«
»Gewiß ist es wahr. Er sitzt am Gartengitter. Von hier, – von hier mögen es ungefähr dreihundert Schritte sein, denke ich. Ich suchte so schnell wie möglich an ihm vorbeizukommen; aber er hat mich doch gesehen. Sie haben es nicht gewußt? Dann freue ich mich sehr, daß ich nicht vergessen habe, es Ihnen mitzuteilen. Gerade so einer ist am gefährlichsten, wenn er einen Revolver bei sich hat; und dazu noch die Nacht, das Schlackerwetter, die natürliche Gereiztheit; denn seine Situation ist ja allerdings eine sehr eigentümliche, ha-ha! Was meinen Sie, warum er da sitzt?«
»Er wartet selbstverständlich auf Lisaweta Nikolajewna.«
»So so! Aber weshalb sollte sie zu ihm herauskommen? Und noch dazu bei solchem Regen ... Ist das ein Dummkopf!«
»Sie wird sogleich zu ihm hinausgehen.«
»Ach! Das ist ja eine merkwürdige Nachricht! Also... Aber hören Sie, jetzt hat sich doch die Lage der jungen Dame vollständig geändert: was soll ihr jetzt Mawriki Nikolajewitsch? Sie sind ja jetzt ein freier Witwer und können sie gleich morgen heiraten. Sie weiß es noch nicht, – überlassen Sie es mir, und ich werde Ihnen sofort alles in Ordnung bringen. Wo ist sie denn? Man muß doch auch sie erfreuen.«
»Erfreuen?«
»Und ob! Lassen Sie uns zu ihr gehen!«
»Und Sie glauben, sie wird nicht erraten, wie es sich mit diesen drei Leichen verhält?« fragte Stawrogin und kniff in besonderer Weise die Augen zusammen.
»Natürlich wird sie es nicht erraten,« erwiderte Peter Stepanowitsch, wie wenn er der größte Dummkopf wäre; »denn was die Gerichte anlangt... Ach, Sie! Und wenn sie es auch erriete! Von den Weibern läuft all so etwas leicht ab; Sie kennen die Weiber noch nicht! Abgesehen davon, daß es jetzt sehr in ihrem Interesse liegt, Sie zu heiraten, weil sie sich doch arg in der Leute Mäuler gebracht hat, abgesehen davon habe ich ihr etwas von dem ›Nachen‹ gesagt und mich überzeugt, daß man mit dem ›Nachen‹ auf sie einwirken kann; da sieht man also, von welchem Kaliber dieses Mädchen ist. Seien Sie unbesorgt: sie wird über diese Leichen mit Leichtigkeit hinwegschreiten, – um so mehr, da Sie vollständig, vollständig schuldlos sind, nicht wahr? Sie wird sich diese Leichen nur aufheben, um Sie nachher, so etwa im zweiten Jahre der Ehe, damit zu peinigen. Jede Frau, die zum Altare geht, legt sich in dieser Weise etwas aus der Vergangenheit ihres Mannes als Reservewaffe hin. Aber dann wird ja ... was wird nach einem Jahre sein? Ha-ha-ha!«
»Wenn Sie in einem Wagen hergekommen sind, so bringen Sie sie sogleich zu Mawriki Nikolajewitsch. Sie hat soeben gesagt, daß sie mich nicht leiden kann und von mir weggehen will, und wird natürlich von mir keinen Wagen annehmen.«
»Nun sehe mal einer an! Will sie wirklich fort? Wie hat denn das kommen können?« fragte Peter Stepanowitsch mit etwas dummem Gesichte.
»Sie hat in dieser Nacht auf irgendeine Weise erraten, daß ich sie gar nicht liebe ... was sie natürlich immer schon gewußt hat.«
»Aber lieben Sie sie denn etwa nicht?« fiel Peter Stepanowitsch mit einer Miene grenzenlosen Erstaunens ein. »Aber wenn es so ist, warum haben Sie sie denn gestern, als sie hereinkam, bei sich behalten und ihr nicht als anständiger Mensch offen gesagt, daß Sie sie nicht lieben? Das ist ja furchtbar gemein von Ihnen; und in welchem gemeinen Lichte haben Sie mich da vor ihr erscheinen lassen?«
Stawrogin lachte auf einmal auf.
»Ich lache über meinen Affen,« fügte er sogleich zur Erklärung hinzu.
»Ach, Sie haben es erraten, daß ich den Clown gespielt habe!« rief Peter Stepanowitsch, ebenfalls höchst vergnügt lachend. »Ich wollte Sie erheitern! Denken Sie sich, ich habe gleich, als Sie zu mir herauskamen, Ihnen am Gesichte angesehen, daß es bei Ihnen ein Malheur gegeben hat. Vielleicht ist es sogar ein völliger Mißerfolg, wie? Na, ich wette darauf,« rief er, sich vor Entzücken fast beim Reden verschluckend, »daß Sie die ganze Nacht über im Saale nebeneinander auf Stühlen gesessen und die ganze kostbare Zeit damit zugebracht haben, über irgendeinen hohen, edlen Gegenstand zu disputieren ... Na, verzeihen Sie, verzeihen Sie; was geht es mich an? Ich habe ja schon gestern bestimmt gewußt, daß es bei Ihnen mit einer Dummheit enden würde. Ich habe sie Ihnen einzig und allein hergebracht, um Sie zu amüsieren, und um Ihnen zu beweisen, daß Sie sich in der Verbindung mit mir nicht langweilen werden; ich werde Sie noch dreihundertmal in dieser Weise regalieren; ich bin überhaupt andern Leuten gern gefällig. Wenn Sie sie aber jetzt nicht gebrauchen können, worauf ich gerechnet hatte, und in welcher Voraussetzung ich hierher gefahren bin, dann ...«
»Also haben Sie sie nur zu meinem Amüsement hergebracht?«
»Wozu denn sonst?«
»Nicht, um mich dazu zu veranlassen, meine Frau zu töten?«
»Na so etwas! Haben Sie sie denn etwa getötet? Wie tragisch Sie die Sache auffassen!«
»Ganz gleich; Sie haben sie getötet.«
»Ich sollte sie getötet haben? Ich sage Ihnen, ich habe nicht das geringste damit zu tun. Aber Sie fangen an, mich zu beunruhigen ...«
»Fahren Sie fort; Sie sagten: ›Wenn Sie sie jetzt nicht gebrauchen können, dann ...‹«
»Dann überlassen Sie mir das Weitere, selbstverständlich! Ich werde sie glänzend mit Mawriki Nikolajewitsch verheiraten, den ich übrigens durchaus nicht beim Garten postiert habe; setzen Sie sich nur nicht eine solche Vorstellung in den Kopf! Ich fürchte mich ja jetzt vor ihm. Da sagen Sie, ich soll sie in meiner Droschke fortschaffen; aber ich bin vorhin nur so so an ihm vorbeigekommen ... wirklich, wenn er nun einen Revolver bei sich hat? ... Nur gut, daß ich meinen mitgenommen habe. Da ist er« (er zog einen Revolver aus der Tasche, zeigte ihn und steckte ihn sogleich wieder ein); »ich habe ihn mitgenommen, weil es ein so weiter Weg ist ... Übrigens will ich Ihnen gleich in der Geschwindigkeit sagen: ihr tut jetzt das Herzchen nach Mawriki weh ... wenigstens müßte das nach allgemeiner Regel der Fall sein ... und wissen Sie, sie tut mir sogar wahrhaftig ein bißchen leid! Ich werde sie mit Mawriki zusammenbringen, und sie wird sich sogleich wieder Ihrer erinnern, wird ihm gegenüber Ihr Lob singen und ihm Schmähworte ins Gesicht werfen, – so ist das Weiberherz! Na, sehen Sie, Sie lachen ja wieder? Ich freue mich sehr, daß Sie so heiter geworden sind. Na also, dann wollen wir zu ihr gehen. Ich werde geradezu von Mawriki zu reden anfangen; von jenen aber ... von den Getöteten ... wissen Sie, wollen wir von denen nicht lieber jetzt schweigen? Es schadet ja nichts, wenn sie es erst später erfährt.«
»Was soll ich erfahren? Wer ist getötet? Was haben Sie von Mawriki Nikolajewitsch gesagt?« fragte Lisa, welche die Tür öffnete.
»Ah, Sie haben gehorcht?«
»Was haben Sie eben von Mawriki Nikolajewitsch gesagt? Ist er getötet?«
»Ah, also haben Sie nicht ordentlich verstanden! Beruhigen Sie sich, Mawriki Nikolajewitsch lebt und ist gesund, wovon Sie sich sofort überzeugen können, da er hier am Wege sitzt, neben dem Gartengitter ... und wie es scheint, hat er die ganze Nacht über da gesessen; er ist ganz naß geworden, er hat einen Mantel an ... Als ich herfuhr, hat er mich gesehen.«
»Das ist nicht wahr. Sie haben gesagt: ›Getötet‹ ... Wer ist getötet?« fragte sie in qualvollem Mißtrauen hartnäckig weiter.
»Getötet ist nur meine Frau, ihr Bruder Lebjadkin und die Magd der beiden,« antwortete Stawrogin in festem Tone.
Lisa fuhr zusammen und wurde furchtbar blaß.
»Ein brutales, seltsames Ereignis, Lisaweta Nikolajewna, ein ganz dummer Fall von Raub,« plapperte Peter Stepanowitsch sofort los; »nur ein Fall von Raub mit Benutzung der Feuersbrunst; es ist das Werk des Räubers Fedka, eines entsprungenen Sträflings, und schuld daran trägt der Dummkopf Lebjadkin, der allen Leuten sein Geld gezeigt hat ... Ich bin mit der Nachricht hierher geeilt ... es war mir, als ob mich jemand mit einem Stein gegen die Stirn geworfen hätte. Stawrogin konnte sich kaum auf den Beinen halten, als ich es ihm mitteilte. Wir haben uns hier beraten, ob wir es Ihnen jetzt gleich mitteilen sollten oder nicht.«
»Nikolai Wsewolodowitsch, sagt er die Wahrheit?« brachte Lisa nur mit Anstrengung heraus.
»Nein, die Unwahrheit.«
»Wieso die Unwahrheit?« rief Peter Stepanowitsch zusammenfahrend. »Was soll das nun wieder?«
»O Gott, ich verliere den Verstand!« rief Lisa.
»Aber begreifen Sie doch wenigstens, daß er jetzt ein Irrsinniger ist!« schrie Peter Stepanowitsch überlaut. »Seine Frau ist ermordet worden! Sehen Sie nur, wie blaß er ist! ... Er ist ja doch mit Ihnen die ganze Nacht über zusammengewesen und keinen Augenblick weggegangen; wie kann ihn da jemand verdächtigen?«
»Nikolai Wsewolodowitsch, sagen Sie mir, wie wenn Sie vor Gott ständen: sind Sie schuldig oder nicht? Und ich schwöre Ihnen, ich werde Ihrem Worte glauben wie dem Worte Gottes und Ihnen bis ans Ende der Welt folgen, ja, das werde ich tun. Wie ein Hündchen werde ich Ihnen folgen ...«
»Warum quälen Sie sie denn so, Sie phantastischer Kopf?« schrie Peter Stepanowitsch in rasender Wut. »Lisaweta Nikolajewna, zerstampfen Sie mich in einem Mörser, er ist unschuldig; vielmehr befindet er sich selbst in einem Zustande, als hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen, und redet irre, wie Sie sehen. Er ist unbeteiligt, ganz unbeteiligt; nicht einmal mit einem Gedanken hat er sich schuldig gemacht! Das Ganze ist nur die Tat von Räubern, die man bestimmt in Zeit von acht Tagen ergreifen und mit der Knute bestrafen wird ... Die Schuldigen sind der Sträfling Fedka und die Schpigulinschen Arbeiter; das sagt die ganze Stadt, und daher sage ich es ebenfalls.«
»Ist es so? Ist es so?« fragte Lisa am ganzen Leibe zitternd, wie wenn sie ihr Todesurteil erwartete.
»Ich habe sie nicht getötet und bin dagegen gewesen; aber ich habe gewußt, daß sie getötet werden würden, und habe die Mörder nicht zurückgehalten. Gehen Sie von mir fort, Lisa!« sagte Stawrogin und ging in den Saal hinein.
Lisa verbarg das Gesicht in den Händen und verließ das Haus. Peter Stepanowitsch wollte ihr zunächst nacheilen, kehrte aber sofort wieder um und ging in den Saal.
»Also so sind Sie? Also so sind Sie? Also Sie fürchten nichts?« stürzte er auf Stawrogin los. Er befand sich in völliger Raserei, murmelte unzusammenhängend, vermochte kaum Worte zu finden, und der Schaum stand ihm vor dem Munde.
Stawrogin stand mitten im Saale und antwortete ihm keine Silbe. Er hatte mit der linken Hand einen Büschel seines Haares lose gefaßt und lächelte wie geistesabwesend. Peter Stepanowitsch faßte ihn kräftig am Ärmel.
»Ist es denn mit Ihnen ganz zu Ende, wie? Was haben Sie denn da angerichtet? Sie werden noch alle denunzieren und selbst in ein Kloster oder zum Teufel gehen ... Aber ich werde Ihnen doch das Lebenslicht ausblasen, wenn Sie mich auch nicht fürchten!«
»Ah, Sie sind es, der da so plappert?« sagte Stawrogin endlich, ihn ansehend und erkennend. »Laufen Sie,« fuhr er, zur Besinnung kommend, fort, »laufen Sie ihr nach; lassen Sie meinen Wagen anspannen; verlassen Sie sie nicht ... Laufen Sie; so laufen Sie doch! Bringen Sie sie nach Hause, damit es niemand erfährt, und damit sie nicht dorthin geht... zu den Leichen ... zu den Leichen ... Setzen Sie sie mit Gewalt in den Wagen ... Alexei Jegorowitsch! Alexei Jegorowitsch!«
»Warten Sie, schreien Sie nicht! Die liegt gewiß schon in Mawrikis Armen ... Mawriki wird sie nicht in Ihren Wagen einsteigen lassen ... Warten Sie! Hier ist etwas, was jetzt mehr Wert hat als der Wagen!«
Er zog wieder den Revolver heraus; Stawrogin sah ihm ernst ins Gesicht.
»Nun gut, schießen Sie mich tot!« sagte er leise, fast in versöhnlichem Tone.
»Pfui Teufel, in was für eine unwahre Situation sich ein Mensch verirren kann!« rief Peter Stepanowitsch, der nur so zitterte. »Wahrhaftig, man sollte Sie totschießen! Sie hätte Ihnen wirklich verächtlich den Rücken drehen sollen! ... Ein schöner ›Nachen‹ sind Sie, Sie alter, löchriger, ausrangierter Kahn! ... Na, wenigstens aus Ingrimm, wenigstens aus Ingrimm sollten Sie jetzt zur Besinnung kommen! Ach, ach! Ist Ihnen denn wirklich alles egal, daß Sie selbst um eine Kugel vor die Stirn bitten?«
Stawrogin lächelte seltsam.
»Wenn Sie nicht ein solcher Clown wären, so würde ich jetzt vielleicht ja sagen ... Wenn Sie nur eine Spur verständiger wären...«
»Ich bin ein Clown; aber ich will nicht, daß Sie, die bessere Hälfte meines Ich, ein Clown seien! Verstehen Sie mich?«
Stawrogin verstand ihn und war vielleicht der einzige, der ihn verstand. Schatow war erstaunt gewesen, als Stawrogin zu ihm gesagt hatte, Peter Stepanowitsch sei ein Enthusiast.
»Verlassen Sie mich jetzt, und gehen Sie zum Teufel; bis morgen aber werde ich irgendeinen Entschluß aus mir herauspressen. Kommen Sie morgen wieder her!«
»Ja? Ja?«
»Wissen kann ich es nicht! ... Scheren Sie sich weg!«
Er ging aus dem Saal hinaus.
»Na, vielleicht ist es gerade so am besten,« murmelte Peter Stepanowitsch vor sich hin und steckte den Revolver weg.