Marja Timofejewnas Zimmer war noch einmal so groß wie dasjenige, welches der Hauptmann benutzte, und mit ebenso plumpen Möbeln ausgestattet; aber der Tisch vor dem Sofa war mit einer hübschen, bunten Decke bedeckt; auf ihm brannte eine Lampe; über den ganzen Fußboden war ein schöner Teppich gebreitet; das Bett war durch einen langen grünen Vorhang abgesondert, der durch das ganze Zimmer ging, und außerdem stand beim Tische ein großer, weicher Lehnstuhl, auf den sich jedoch Marja Timofejewna nicht gesetzt hatte. In einer Ecke hatte, ebenso wie in der früheren Wohnung, ein Heiligenbild mit einem davor brennenden Lämpchen seinen Platz gefunden, und auf dem Tische lagen nebeneinander ganz dieselben unentbehrlichen Requisiten, nämlich: das Spiel Karten, das Spiegelchen, das Liederbuch, sogar die Semmel. Außerdem fanden sich dort zwei Büchelchen mit farbigen Illustrationen; das eine war ein für das Jugendalter hergestellter Auszug aus einer populären Reisebeschreibung, das andere eine Sammlung einfacher, moralischer Erzählungen, meist aus der Ritterzeit, zu Weihnachtsgeschenken und zum Gebrauch in Instituten bestimmt. Auch ein Album mit verschiedenen Photographien war da. Marja Timofejewna hatte allerdings auf den Gast gewartet, wie der Hauptmann gesagt hatte; aber als Nikolai Wsewolodowitsch zu ihr hereintrat, schlief sie in halb liegender Haltung auf dem Sofa, gegen ein Kissen von Wollenstoff gelehnt. Der Gast schloß geräuschlos hinter sich die Tür und betrachtete, ohne sich vom Fleck zu rühren, die Schlafende.
Der Hauptmann hatte gelogen, als er gesagt hatte, sie habe Toilette gemacht. Sie trug dasselbe dunkle Kleid wie am Sonntag bei Warwara Petrowna. Ihr Haar war ganz ebenso im Nacken in einen winzigen Kauz zusammengebunden, der lange, magere Hals ganz ebenso entblößt. Das schwarze Schaltuch, das ihr Warwara Petrowna geschenkt hatte, lag, sorgsam zusammengelegt, auf dem Sofa. Wie früher war sie stark weiß und rot geschminkt. Nikolai Wsewolodowitsch hatte noch nicht eine Minute lang dagestanden, als sie plötzlich erwachte, wie wenn sie gefühlt hätte, daß sein Blick auf sie gerichtet war; sie schlug die Augen auf und richtete sich schnell in die Höhe. Aber es mußte wohl auch in der Seele des Gastes etwas Sonderbares vorgehen: er blieb auf demselben Fleck an der Tür stehen und sah ihr ohne sich zu rühren mit einem durchdringenden Blicke schweigend und unverwandt ins Gesicht. Vielleicht war dieser Blick ungewöhnlich finster, vielleicht prägte sich in ihm ein Widerwille aus oder sogar Schadenfreude über ihren Schreck, wenn das der eben erwachenden Marja Timofejewna nicht alles nur so schien; aber jedenfalls malte sich nach einem fast eine Minute dauernden Warten auf dem Gesichte des armen Weibes eine grenzenlose Angst: krampfhafte Zuckungen liefen darüber hin; sie hob die Arme in die Höhe, schüttelte sie abwehrend und brach plötzlich ganz wie ein erschrockenes kleines Kind in Tränen aus; noch ein Augenblick, und sie hätte aufgeschrieen. Aber der Besucher sammelte sich; in einem Nu veränderte sich sein Gesicht, und er trat mit dem angenehmsten, freundlichsten Lächeln an den Tisch heran.
»Verzeihen Sie, Marja Timofejewna, daß ich Sie durch mein unerwartetes Kommen aus dem Schlafe aufgestört habe,« sagte er und streckte ihr die Hand hin.
Der Klang der freundlichen Worte tat seine Wirkung; der Ausdruck des Schreckens verschwand, obgleich sie immer noch ängstlich aussah und sich augenscheinlich anstrengen mußte, um etwas zu begreifen. Furchtsam streckte sie ihm die Hand hin. Endlich begann ein schüchternes Lächeln um ihre Lippen zu spielen.
»Willkommen, Fürst,« flüsterte sie und blickte ihn seltsam an.
»Sie haben gewiß einen bösen Traum gehabt?« fragte er, noch angenehmer und freundlicher lächelnd als vorher.
»Aber woher wissen Sie, daß ich gerade davon geträumt habe?«
Und plötzlich fuhr sie wieder zusammen, lehnte sich zurück, hob den Arm wie zu ihrem Schutze vor sich in die Höhe und schickte sich an, wieder loszuweinen.
»Fassen Sie sich! Lassen Sie es doch gut sein! Warum ängstigen Sie sich? Erkennen Sie mich denn nicht?« redete Nikolai Wsewolodowitsch auf sie ein, vermochte aber diesmal lange Zeit nichts auszurichten.
Sie sah ihn schweigend an, immer mit derselben qualvollen Ungewißheit, mit einem peinigenden Gedanken in ihrem armen Kopfe, und strengte sich immer noch an, über etwas ins klare zu kommen. Bald schlug sie die Augen nieder, bald wieder streifte sie ihn mit einem schnellen, seine ganze Gestalt umfassenden Blicke. Endlich schien sie sich zwar nicht eigentlich beruhigt zu haben, aber doch zu einem Entschlusse gekommen zu sein.
»Bitte, setzen Sie sich neben mich, damit ich Sie nachher ansehen kann,« sagte sie in ziemlich festem Tone, mit irgendwelcher bestimmten, neuen Absicht. »Und jetzt seien Sie ganz unbesorgt; ich meinerseits werde Sie nicht ansehen, sondern zu Boden schauen, und blicken auch Sie mich nicht eher an, als bis ich selbst Sie darum bitte! Setzen Sie sich doch!« fügte sie ordentlich ungeduldig hinzu.
Ein neues Gefühl hatte sich ihrer augenscheinlich immer mehr und mehr bemächtigt.
Nikolai Wsewolodowitsch setzte sich und wartete; es trat ein ziemlich langes Stillschweigen ein.
»Hm! Das kommt mir alles so sonderbar vor,« murmelte sie auf einmal beinah unwillig. »Allerdings haben mich böse Träume bedrückt; aber warum hat mir gerade von Ihnen so etwas geträumt?«
»Nun, lassen wir die Träume beiseite!« sagte er ungeduldig und wendete sich trotz des Verbotes zu ihr; und vielleicht zeigte sich der Ausdruck von vorhin wieder für einen Moment in seinen Augen. Er sah, daß sie einigemal Lust hatte, große Lust hatte, ihn anzusehen, sich aber mit Energie beherrschte und nach unten schaute.
»Hören Sie, Fürst,« begann sie plötzlich mit erhobener Stimme. »Hören Sie, Fürst ...«
»Warum haben Sie sich abgewandt? Warum sehen Sie mich nicht an? Wozu diese Komödie?« konnte er sich nicht enthalten zu rufen.
Aber sie schien ihn gar nicht zu hören.
»Hören Sie, Fürst,« sagte sie zum dritten Male mit fester Stimme; ihr Gesicht hatte dabei einen unangenehmen, geschäftigen Ausdruck. »Als Sie mir damals im Wagen sagten, die Ehe solle öffentlich bekanntgegeben werden, da bekam ich gleich einen Schreck darüber, daß das Geheimnis ein Ende nehmen solle. Jetzt aber weiß ich gar nicht, wie es dann werden soll; ich habe immer darüber nachgedacht und sehe klar, daß ich ganz und gar nicht dazu tauge. Ich verstehe zwar, mich zu putzen, und Gäste kann ich vielleicht auch empfangen: Leute zu einer Tasse Tee einzuladen, das ist kein Kunststück, namentlich wenn man Bediente hat. Aber doch wird man mich nicht für voll ansehen. Ich habe mir damals am Sonntagvormittag, vieles in jenem Hause angesehen. Dieses hübsche Fräulein blickte mich die ganze Zeit über an, besonders nachdem Sie hereingekommen waren. Sie waren es doch, der damals hereinkam, nicht wahr? Die Mutter dieses Fräuleins ist einfach eine komische alte Dame. Mein Lebjadkin war ebenfalls kostbar; um nicht laut loszulachen, sah ich immer nach der Decke hinauf; es ist da eine sehr schön gemalte Decke. ›Seine‹ Mutter könnte eine Äbtissin sein; ich fürchte mich vor ihr, obgleich sie mir ein schwarzes Schaltuch geschenkt hat. Gewiß sind alle Frauen damals über mich befremdet gewesen; ich nahm es ihnen nicht übel; aber ich saß immer da und dachte: wie kann ich deren Verwandte werden? Allerdings verlangt man von einer Gräfin nur geistige Eigenschaften, da sie für die wirtschaftlichen Dinge eine Menge Diener hat, und ferner noch eine gewisse gesellschaftliche Gewandtheit, so daß sie es versteht, ausländische Reisende zu empfangen. Aber trotzdem sahen mich die Damen am Sonntag mit hoffnungslosen Mienen an. Nur Dascha ist ein Engel. Ich fürchte sehr, daß die Damen ›ihn‹ durch eine unvorsichtige Bemerkung über mich betrübt haben.«
»Fürchten Sie nichts, und beunruhigen Sie sich nicht!« sagte Nikolai Wsewolodowitsch, den Mund verziehend.
»Übrigens macht mir das nichts aus, wenn er sich auch über mich ein bißchen schämt; denn das Mitleid wird bei ihm immer größer sein als die Scham, sollte ich vom menschlichen Standpunkte aus meinen. Er weiß ja, daß ich eher Anlaß habe, sie zu bemitleiden, als sie mich.«
»Es scheint, daß Sie sich sehr über sie geärgert haben, Marja Timofejewna?«
»Wer? Ich? Nein,« antwortete sie mit einem einfältigen Lächeln. »Durchaus nicht. Ich habe sie damals sämtlich betrachtet: ›Alle ärgert ihr euch, alle zankt ihr euch,‹ dachte ich; ›recht von Herzen zu lachen, wenn sie einmal zusammenkommen, das verstehen sie nicht; so viel Reichtum und so wenig Heiterkeit!‹ Das alles war mir so widerwärtig. Jetzt bedaure ich übrigens niemanden als mich selbst.«
»Ich habe gehört, daß Sie in meiner Abwesenheit mit Ihrem Bruder ein schlechtes Leben gehabt haben?«
»Wer hat Ihnen das gesagt? Unsinn! Jetzt habe ich es weit schlechter; jetzt habe ich böse Träume, und die bösen Träume kommen davon her, daß Sie angekommen sind. Ich möchte nur wissen, warum Sie erschienen sind; sagen Sie das doch einmal!«
»Möchten Sie nicht wieder ins Kloster?«
»Na, das habe ich mir doch gedacht, daß man mir wieder das Kloster vorschlagen würde! Ein reizender Ort, euer Kloster! Und warum soll ich denn dahin gehen, wozu soll ich jetzt da eintreten? Jetzt bin ich mutterseelenallein! Es ist zu spät für mich, ein drittes Leben anzufangen.«
»Sie sind über irgend etwas sehr böse; fürchten Sie etwa, daß ich Sie nicht mehr liebe?«
»Um Sie kümmere ich mich überhaupt nicht. Ich fürchte, daß ich selbst jemanden nicht mehr liebe.«
Sie lächelte geringschätzig.
»Ich habe mir gewiß ›ihm‹ gegenüber etwas Großes zuschulden kommen lassen,« fügte sie auf einmal wie im Selbstgespräche hinzu. »Ich weiß nur nicht, was ich mir habe zuschulden kommen lassen; das ist nun lebenslänglich mein ganzes Unglück. Immer und immer, diese ganzen fünf Jahre lang, habe ich Tag und Nacht gefürchtet, daß ich mir ›ihm‹ gegenüber etwas habe zuschulden kommen lassen. Ich bete, ich bete oft und denke immer an mein großes Verschulden ›ihm‹ gegenüber. Und es hat sich auch herausgestellt, daß es damit seine Richtigkeit hat.«
»Was hat seine Richtigkeit?«
»Ich fürchte nur, daß von ›seiner‹ Seite etwas vorliegt,« fuhr sie fort, ohne auf die Frage zu antworten, die sie überhaupt nicht gehört hatte. »Andererseits ist es eigentlich doch unmöglich, daß ›er‹ mit so geringwertigen Menschen gemeinsame Sache gemacht haben sollte. Die Gräfin möchte mich am liebsten auffressen, obgleich sie mich zu sich in ihren Wagen genommen hat. Alle sind sie miteinander verschworen; ob auch ›er‹ dabei ist? Hat auch ›er‹ mich verraten?« (Ihr Kinn und ihre Lippen begannen zu zucken.) »Hören Sie, haben Sie von Grischka Otrepjew1 gelesen, daß er in sieben Kathedralen verflucht worden ist?«
Nikolai Wsewolodowitsch schwieg.
»Übrigens werde ich mich jetzt zu Ihnen wenden und Sie ansehen,« sagte sie, wie wenn sie sich plötzlich dazu entschlossen hätte. »Wenden auch Sie sich zu mir, und sehen Sie mich an, aber recht aufmerksam! Ich will mich zum letztenmal vergewissern.«
»Ich sehe Sie schon lange an.«
»Hm!« sagte Marja Timofejewna, ihn unverwandt anblickend. »Sie sind sehr dick geworden ...«
Sie wollte noch etwas hinzufügen; aber auf einmal entstellte wieder, zum drittenmal, die frühere Angst momentan ihr Gesicht; sie sank wieder zurück und hob den Arm vor sich in die Höhe.
»Aber was ist Ihnen denn?« schrie Nikolai Wsewolodowitsch beinah wütend.
Aber die Angst dauerte nur einen Augenblick; ihr Gesicht verzog sich zu einem seltsamen, argwöhnischen, unangenehmen Lächeln.
»Ich bitte Sie, Fürst, stehen Sie auf, und treten Sie ein!« sagte sie auf einmal mit fester, energischer Stimme.
»Was meinen Sie damit: ›Treten Sie ein‹? Wo soll ich eintreten?«
»Ich habe die ganzen fünf Jahre lang immer nur die eine Vorstellung gehabt, wie ›er‹ eintreten wird. Stehen Sie sofort auf, und gehen Sie durch die Tür in jenes Zimmer! Ich werde hier sitzen, als ob ich jemand erwartete, und ein Buch in die Hand nehmen, und plötzlich werden Sie, nachdem Sie fünf Jahre auf Reisen abwesend gewesen sind, eintreten. Ich will sehen, wie das sein wird.«
Nikolai Wsewolodowitsch knirschte im stillen mit den Zähnen und murmelte etwas Unverständliches.
»Genug!« sagte er, indem er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. »Ich bitte Sie, Marja Timofejewna, mich anzuhören. Tun Sie mir den Gefallen und nehmen Sie, wenn Sie es vermögen, Ihre ganze Aufmerksamkeit zusammen! Sie sind ja doch nicht ganz verrückt!« fuhr er ungeduldig heraus. »Morgen werde ich unsere Ehe bekanntgeben. Sie werden niemals in Palästen wohnen; davon mögen Sie überzeugt sein! Wollen Sie mit mir Ihr ganzes Leben verbringen, aber allerdings sehr weit von hier? Da im Gebirge, in der Schweiz, ist ein Ort ... Seien Sie unbesorgt; ich werde Sie nie im Stich lassen und Sie nicht in ein Irrenhaus geben. Ich habe genug Geld, um leben zu können, ohne andere Menschen bitten zu müssen. Sie werden eine Magd haben; Sie werden keine Arbeit zu tun brauchen. Alles, was Sie im Bereiche der Möglichkeit wünschen werden, wird Ihnen beschafft werden. Sie werden beten, werden gehen, wohin es Ihnen beliebt, und tun, was Ihnen beliebt. Ich werde Sie nicht berühren. Ich werde diesen Ort ebenfalls mein ganzes Leben lang nicht verlassen. Wenn Sie wollen, werde ich lebenslänglich nicht mit Ihnen reden, und wenn Sie wollen, mögen Sie mir jeden Abend, wie damals in Petersburg in den elenden Wohnungen, Ihre Geschichten erzählen. Ich werde Ihnen aus Büchern vorlesen, wenn Sie es wünschen. Aber dafür werden Sie lebenslänglich an einem Orte wohnen, und der Ort ist unschön. Wollen Sie das? Können Sie sich dazu entschließen? Werden Sie es nicht bereuen und mich nicht mit Ihren Tränen und Verwünschungen quälen?«
Sie hatte mit größtem Interesse zugehört; nun schwieg sie lange und dachte nach.
»Das alles kommt mir unwahrscheinlich vor,« sagte sie endlich spöttisch und geringschätzig. »Da soll ich am Ende vierzig Jahre dort im Gebirge wohnen?«
Sie lachte auf.
»Nun gut; leben wir da vierzig Jahre!« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch mit sehr finsterem Gesichte.
»Hm! ... Um keinen Preis werde ich dahin fahren.«
»Auch nicht mit mir?«
»Was sind Sie denn für einer, daß ich mit Ihnen mitfahren sollte? Vierzig Jahre hintereinander soll ich mit ihm im Gebirge sitzen, – ist das eine Zumutung! Und was für geduldige Menschen es heutzutage gibt! Nein, das ist nicht möglich, daß ein Falke zum Uhu wird. Mein Fürst ist von anderer Art!« rief sie stolz und triumphierend mit erhobenem Haupte.
Es ging ihm ein Licht auf.
»Warum nennen Sie mich Fürst, und ... für wen halten Sie mich?« fragte er schnell.
»Wie? Sind Sie kein Fürst?«
»Das bin ich nie gewesen.«
»Also gestehen Sie das selbst, mir gerade ins Gesicht, ein, daß Sie kein Fürst sind?«
»Ich sage es ja, das bin ich nie gewesen.«
»O Gott!« rief sie und schlug die Hände zusammen. »Alles hatte ich von ›seinen‹ Feinden erwartet, aber eine solche Dreistigkeit niemals! Ist er am Leben?« schrie sie rasend und bog sich nahe an Nikolai Wsewolodowitsch heran. »Hast du ihn getötet? Bekenne!«
»Für wen hältst du mich?« rief er und sprang mit entsetztem Gesichte auf.
Aber es war jetzt schwer, sie zu erschrecken; sie triumphierte.
»Wer kennt dich, was du für einer bist, und von wo du auf einmal herkommst? Aber mein Herz, mein Herz hat diese ganzen fünf Jahre her die ganze Intrige geahnt! Und ich sitze hier und wundere mich: was für eine blinde Eule ist denn da gekommen? Nein, mein Lieber, du bist ein schlechter Schauspieler, sogar ein schlechterer als Lebjadkin. Bestelle meine ergebenste Empfehlung an die Gräfin und sage ihr, sie möchte einen gewandteren Menschen schicken, als du bist! Sie hat dich wohl in Dienst genommen, sag mal? Da bist du nun bei ihr aus Gnade und Barmherzigkeit in der Küche angestellt! Ich durchschaue euren ganzen Betrug vollständig; ich verstehe euch alle, ohne Ausnahme!«
Er faßte sie kräftig oberhalb des Ellbogens an den Arm; sie lachte ihm ins Gesicht.
»Du bist ihm ähnlich, sehr ähnlich; vielleicht bist du auch ein Verwandter von ihm; ein schlaues Volk seid ihr! Aber mein Mann ist ein echter Falke und ein Fürst, und du ein Waldkauz und ein ganz gewöhnlicher Kaufmann! Mein Mann verbeugt sich vor Gott, wenn er will, und, wenn er will, auch nicht; aber dich hat der liebe Schatow, den ich so gut leiden kann, auf die Backen gehauen; mein Lebjadkin hat es erzählt. Und warum bist du damals so feige gewesen, als du hereinkamst? Wer hat dich damals erschreckt? Als ich hingefallen war und du mich auffingst, da sah ich dein gemeines Gesicht, und es war mir, als kröche mir ein Wurm ins Herz hinein: ›er‹ ist es nicht, dachte ich bei mir, ›er‹ ist es nicht! Mein Falke hätte sich niemals meiner vor einem vornehmen Fräulein geschämt! O Gott! Was mich die ganzen fünf Jahre lang glücklich gemacht hat, das war nur der Gedanke, daß mein Falke dort irgendwo jenseits der Berge lebt und umherfliegt und zur Sonne aufschaut ... Sage, du Betrüger, hast du viel dafür bekommen, daß du eine falsche Rolle spielst? Du hast dich wohl nur für eine tüchtige Geldsumme bereit erklärt? Ich hätte dir nicht einen Groschen gegeben. Ha-ha-ha! Ha-ha-ha! ...«
»Ach, du Idiotin!« rief Nikolai Wsewolodowitsch zähneknirschend; er hielt sie noch immer fest am Arm gepackt.
»Weg, du Betrüger!« schrie sie befehlend. »Ich bin das Weib meines Fürsten; ich fürchte mich nicht vor deinem Messer!«
»Vor dem Messer!«
»Ja, vor dem Messer! Du hast ein Messer in der Tasche. Du dachtest, ich schliefe; aber ich habe es gesehen: als du vorhin hereinkamst, nahmst du ein Messer heraus!«
»Was hast du gesagt, Unglückliche? Was hast du geträumt?« schrie er und stieß sie aus voller Kraft von sich, so daß sie mit den Schultern und dem Kopfe schmerzhaft gegen das Sofa schlug.
Er stürzte hinaus; sie aber sprang sogleich auf und eilte hinkend und hüpfend hinter ihm her; vor der Haustür hielt der erschrockene Lebjadkin sie mit Gewalt fest; aber sie schrie dem Davoneilenden noch kreischend und lachend in der Dunkelheit nach:
»Grischka Ot-rep-jew, sei ver-flucht!«
Fußnoten
1 Der wahre Name des falschen Demetrius.
Anmerkung des Übersetzers.