Hier war alles unverschlossen und nicht einmal die Türen angelehnt. Der Flur und die ersten beiden Zimmer waren dunkel; aber aus dem letzten, in welchem Kirillow wohnte und seinen Tee zu trinken pflegte, schimmerte Licht, und es war Gelächter, sowie ein sonderbares Kreischen vernehmbar. Nikolai Wsewolodowitsch ging auf das Licht zu, blieb aber ohne einzutreten auf der Schwelle stehen. Auf dem Tische stand Tee. Mitten im Zimmer stand die alte Frau, die Verwandte des Hauswirtes, mit bloßem Kopf, nur im Unterrock, mit Schuhen auf den bloßen Füßen und mit einer Jacke von Hasenfell. Auf dem Arm hielt sie ein Kind von anderthalb Jahren, im bloßen Hemdchen, mit nackten Beinchen, heißen Bäckchen und weißen, wirren Härchen; es war soeben aus der Wiege genommen. Es hatte offenbar unlängst geweint; denn es standen ihm noch Tränchen in den Augen; aber in diesem Augenblick streckte es die Ärmchen aus, klatschte in die Hände und lachte, wie eben kleine Kinder lachen, so daß es fast wie ein Schluchzen klang. Vor ihm stand Kirillow und warf einen großen roten Gummiball auf den Fußboden; der Ball sprang bis an die Decke hinauf, fiel wieder nieder, und das Kindchen schrie: »Ba, Ba!« Kirillow fing den Ball und gab ihn ihm; das Kindchen warf ihn dann selbst mit seinen ungeschickten Händchen, und Kirillow lief hin und hob ihn wieder auf. Endlich rollte der »Ba« unter einen Schrank. »Ba, Ba!« schrie das Kindchen. Kirillow warf sich auf den Fußboden, streckte sich lang aus und versuchte den »Ba« mit dem Arme unter dem Schranke hervorzuholen. Nikolai Wsewolodowitsch trat ins Zimmer; als das Kind ihn erblickte, drückte es sich an die alte Frau und brach in ein langgezogenes, kindliches Weinen aus; diese trug es sofort hinaus.
»Stawrogin?« sagte Kirillow, indem er sich mit dem Balle in der Hand vom Fußboden erhob; er zeigte sich über den unerwarteten Besuch nicht im geringsten verwundert. »Wollen Sie Tee?«
Er richtete sich vollständig auf.
»Ich nehme ihn sehr gern an, wenn er warm ist,« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch. »Ich bin ganz durchnäßt.«
»Warm ist er, sogar heiß,« versicherte Kirillow mit Vergnügen. »Setzen Sie sich; Sie sind naß und schmutzig; das tut nichts; ich wische nachher den Fußboden mit einem nassen Lappen auf.«
Nikolai Wsewolodowitsch setzte sich und trank die eingegossene Tasse beinah mit einem Male aus.
»Noch mehr?« fragte Kirillow.
»Danke.«
Kirillow, der sich bis dahin nicht gesetzt hatte, setzte sich ihm nun sogleich gegenüber und fragte:
»Was führt Sie her?«
»Ein Anliegen. Lesen Sie diesen Brief, er ist von Gaganow. Sie erinnern sich, ich habe Ihnen von ihm schon in Petersburg erzählt.«
Kirillow nahm den Brief, las ihn durch, legte ihn auf den Tisch und sah seinen Gast erwartungsvoll an.
»Diesen Gaganow«, begann Nikolai Wsewolodowitsch seine Auseinandersetzung, »habe ich, wie Sie wissen, vor einem Monate in Petersburg zum erstenmal in meinem Leben getroffen. Wir waren etwa dreimal zusammen in Gesellschaft bei anderen Leuten. Obwohl er sich mir nicht vorstellen ließ und nicht mit mir redete, fand er doch die Möglichkeit, sich gegen mich sehr dreist zu benehmen. Ich habe Ihnen das damals gesagt; aber eines wissen Sie noch nicht: als er damals aus Petersburg noch vor mir abreiste, schickte er mir einen Brief, der, wenn auch nicht von der Art wie dieser, so doch ebenfalls im höchsten Grade unanständig und um so sonderbarer war, als sich darin überhaupt kein Grund für seine Abfassung und Zusendung angegeben fand. Ich antwortete ihm sofort, ebenfalls brieflich, und schrieb ihm ganz offenherzig, er grolle wahrscheinlich wegen des Vorfalls mit seinem Vater vor vier Jahren hier im Klub; ich sei meinerseits bereit, ihn in jeder Weise um Entschuldigung zu bitten, mit der Begründung, daß meine Handlung unbeabsichtigt gewesen und durch Krankheit veranlaßt worden sei. Ich bat ihn, meine Entschuldigungen in Erwägung zu ziehen. Er reiste ab, ohne mir geantwortet zu haben. Aber jetzt finde ich ihn hier bereits in einer wahren Raserei. Es sind mir mehrere Äußerungen hinterbracht worden, die er in aller Öffentlichkeit über mich getan hat: es sind grobe Beschimpfungen und erstaunliche Beschuldigungen. Und endlich geht mir heute dieser Brief zu, ein Brief, wie ihn gewiß noch nie jemand erhalten hat, mit den ärgsten Schimpfworten und mit Ausdrücken wie ›Ihre geohrfeigte Fratze‹. Ich bin zu Ihnen gekommen in der Hoffnung, daß Sie sich nicht weigern werden, mein Sekundant zu sein.«
»Sie sagten, einen solchen Brief habe noch niemand erhalten,« bemerkte Kirillow. »In der Raserei ist alles möglich; so etwas ist schon oft geschrieben. Puschkin hat so an Heckeren1 geschrieben. Nun gut; ich werde hingehen. Sagen Sie, wie es sein soll!«
Nikolai Wsewolodowitsch erklärte, er wünsche, daß das Duell gleich am nächsten Tage stattfinde; sein Sekundant solle aber jedenfalls mit einer Erneuerung der Entschuldigungen beginnen und sogar einen zweiten Entschuldigungsbrief versprechen, jedoch nur unter der Bedingung, daß auch Gaganow seinerseits verspreche, keine Briefe mehr zu schreiben. Der bereits empfangene Brief solle als nicht existierend betrachtet werden.
»Zu viel Konzessionen; er wird nicht darauf eingehen,« meinte Kirillow.
»Ich bin vor allen Dingen hergekommen, um zu hören, ob Sie bereit sind, ihm diese Bedingungen zu überbringen.«
»Ich bin bereit. Der Inhalt ist Ihre Sache. Aber er wird nicht darauf eingehen.«
»Das weiß ich, daß er nicht darauf eingehen wird.«
»Er will sich schlagen. Sagen Sie, wie das Duell vor sich gehen soll!«
»Die Sache ist eben die: ich möchte, daß die ganze Sache morgen beendet würde. Um neun Uhr morgens können Sie bei ihm sein. Er wird Sie anhören und nicht darauf eingehen, sondern Sie zu seinem Sekundanten führen; nehmen wir an, etwa um elf Uhr. Sie werden mit diesem die nötigen Festsetzungen treffen, und dann könnten wir alle um ein oder zwei Uhr an Ort und Stelle sein. Bitte, suchen Sie es so einzurichten! Waffen natürlich Pistolen, und besonders bitte ich Sie, es folgendermaßen zu arrangieren: setzen Sie fest, daß die Barrieren zehn Schritt voneinander entfernt sein sollen; stellen Sie uns dann einen jeden zehn Schritt von seiner Barriere auf, und auf ein gegebenes Zeichen gehen wir aufeinander los. Jeder muß unfehlbar bis an seine Barriere herangehen; er kann aber auch schon vorher im Gehen schießen. Ich meine, das wird alles sein.«
»Zehn Schritte zwischen den Barrieren, das ist zu nah,« bemerkte Kirillow.
»Nun, dann zwölf, aber nicht mehr; Sie sehen ja, daß er ein ernsthaftes Duell haben will. Verstehen Sie, eine Pistole zu laden?«
»Ja. Ich habe Pistolen; ich werde mein Wort geben, daß Sie aus ihnen nicht geschossen haben. Sein Sekundant mag ebenfalls sein Wort mit Bezug auf die seinigen geben; dann haben wir zwei Paare und losen mit paar und unpaar, ob seines oder unseres genommen werden soll.«
»Sehr schön.«
»Wollen Sie die Pistolen sehen?«
»Meinetwegen.«
Kirillow kauerte sich in der Ecke vor seinem Koffer nieder, der immer noch nicht ausgepackt war, aus dem aber einzelne Stücke je nach Bedürfnis herausgezogen waren. Er hob einen unten auf dem Boden stehenden Kasten von Palmenholz heraus, der innen mit rotem Samt ausgeschlagen war, und entnahm ihm ein Paar eleganter, höchst wertvoller Pistolen.
»Es ist alles da: Pulver, Kugeln, Patronen. Ich habe auch einen Revolver; warten Sie!«
Er griff wieder in den Koffer und holte ein anderes Kästchen mit einem sechsläufigen amerikanischen Revolver heraus.
»Sie haben ja viele Waffen, und sehr kostbare.«
»Sehr. Außerordentlich.«
Der arme, fast bettelarme Kirillow, der sich übrigens niemals seiner Armut bewußt wurde, zeigte jetzt offenbar mit Stolz seine wertvollen Waffen, die er sich ohne Zweifel mit großen Opfern angeschafft hatte.
»Haben Sie immer noch denselben Gedanken?« fragte Stawrogin nach einem etwa eine Minute lang dauernden Stillschweigen mit einiger Vorsicht.
»Ja,« antwortete Kirillow kurz, der sogleich am Tone erkannt hatte, wonach er gefragt wurde, und begann, die Waffen vom Tische wieder wegzuräumen.
»Wann denn?« fragte Nikolai Wsewolodowitsch noch vorsichtiger, wieder nach einem ziemlich langen Schweigen.
Kirillow hatte unterdessen die beiden Kästchen wieder in den Koffer getan und sich auf seinen früheren Platz gesetzt.
»Das hängt nicht von mir ab, wie Sie wissen; sobald es mir gesagt wird,« murmelte er, durch die Frage anscheinend etwas in Verlegenheit gesetzt, gleichzeitig aber mit völliger Bereitwilligkeit, auf alle anderen Fragen zu antworten.
Seine schwarzen, glanzlosen Augen waren unverwandt mit einem ruhigen, aber gutherzigen, freundlichen Blicke auf Stawrogin gerichtet.
»Ich habe jedenfalls Verständnis dafür, daß man sich erschießen kann,« begann mit etwas finsterem Gesichte Nikolai Wsewolodowitsch von neuem nach einem langen, wohl drei Minuten währenden, nachdenklichen Stillschweigen. »Ich habe es mir selbst manchmal vorgestellt, und da hatte ich immer einen neuen Gedanken: wenn man nun eine Übeltat beginge oder besonders etwas Schmähliches, das heißt eine so gemeine und ... lächerliche Tat, daß die Menschheit tausend Jahre lang daran denken und einen verabscheuen würde, und dann auf einmal der Gedanke: ›ein einziger Schuß in die Schläfe, und alles ist vorbei!‹ Was kümmern einen dann noch die Menschen, und daß sie einen tausend Jahre lang verabscheuen werden, nicht wahr?«
»Sie nennen das einen neuen Gedanken?« sagte Kirillow, nachdem er eine kleine Weile nachgedacht hatte.
»Ich ... will ihn nicht schlechthin neu nennen ... Als ich einmal nachdachte, da kam mir dieser mir neue Gedanke zum Bewußtsein.«
»Der Gedanke kam Ihnen zum Bewußtsein?« wiederholte Kirillow. »Das ist gut. Es gibt viele Gedanken, die immer da sind und auf einmal neu werden. Das ist sicher. Es erscheint mir jetzt vieles so, als ob ich es zum erstenmal sähe.«
»Gesetzt, Sie hätten vorher auf dem Monde gelebt,« unterbrach ihn Stawrogin, der nicht auf ihn hingehört hatte und seinen eigenen Gedanken weiterspann, »und gesetzt, Sie hätten dort all solche lächerlichen Schändlichkeiten begangen; Sie wissen von hier aus genau, daß man dort tausend Jahre lang, ewig, auf dem Monde über Sie lachen und Ihren Namen verabscheuen wird; aber jetzt sind Sie hier und betrachten den Mond von hier aus: was kümmert Sie dann hier all das, was Sie dort angerichtet haben, und daß die dort Lebenden Sie tausend Jahre lang verabscheuen werden? Nicht wahr?«
»Ich weiß es nicht,« antwortete Kirillow; »ich bin nicht auf dem Monde gewesen,« fügte er ohne Ironie hinzu, nur zur Feststellung der Tatsache.
»Wem gehörte denn das Kind von vorhin?«
»Die Schwiegermutter der alten Frau ist angekommen; nein, ihre Schwiegertochter ... ganz egal. Vorgestern. Sie liegt krank, mit dem Kinde; nachts schreit es sehr; der Magen. Die Mutter schläft; aber die alte Frau bringt es her; ich spiele Ball. Der Ball ist aus Hamburg. Ich habe ihn in Hamburg gekauft, um damit zu werfen und ihn zu fangen; das stärkt den Rücken. Ein kleines Mädchen.«
»Sie haben Kinder gern?«
»O ja,« antwortete Kirillow, jedoch in ziemlich gleichgültigem Tone.
»Also lieben Sie auch das Leben?«
»Ja, auch das Leben; wieso?«
»Wenn Sie doch beabsichtigen, sich zu erschießen.«
»Nun und? Warum bringen Sie das zusammen? Das Leben ist eine Sache für sich und das andere auch. Das Leben existiert; aber der Tod existiert gar nicht.«
»Sie haben angefangen, an ein künftiges ewiges Leben zu glauben?«
»Nein, nicht an ein künftiges ewiges Leben, sondern an ein ewiges Leben hier. Es gibt Augenblicke, man gelangt zu Augenblicken, wo die Zeit auf einmal stehen bleibt und zur Ewigkeit wird.«
»Und Sie hoffen zu einem solchen Augenblicke zu gelangen?«
»Ja.«
»Das ist in unserer Zeit wohl kaum möglich,« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch langsam und nachdenklich und ebenfalls ohne alle Ironie. »In der Offenbarung St. Johannis schwört der Engel, daß es keine Zeit mehr geben wird.«
»Ich weiß. Das ist da sehr richtig gesagt, klar und genau. Sobald ein jeder Mensch das Glück erreicht hat, wird es keine Zeit mehr geben, weil sie dann nicht mehr nötig ist. Ein sehr richtiger Gedanke.«
»Wohin wird denn die Zeit versteckt werden?«
»Nirgendshin. Die Zeit ist kein Gegenstand, sondern eine Idee. Sie wird im Geiste erlöschen.«
»Alte philosophische Gemeinplätze, immer dieselben seit dem Anfang der Dinge,« murmelte Stawrogin mit einer Art von geringschätzigem Bedauern.
»Immer dieselben! Immer dieselben seit dem Anfang der Dinge und niemals andere!« fiel Kirillow mit blitzenden Augen ein, als ob in diesem Gedanken für ihn ein Triumph läge.
»Sie sind wohl sehr glücklich, Kirillow?«
»Ja, sehr glücklich,« antwortete dieser, als ob er die allergewöhnlichste Antwort gäbe.
»Aber Sie waren doch erst neulich so betrübt; Sie hatten sich über Liputin geärgert.«
»Hm! ... Jetzt schimpfe ich nicht. Damals wußte ich noch nicht, daß ich glücklich war. Haben Sie einmal ein Blatt gesehen, ein Baumblatt?«
»Ja.«
»Ich sah neulich ein gelbes Blatt; wenig Grün daran; an den Rändern war es vermodert. Der Wind hatte es fortgetragen. Als ich zehn Jahre alt war, schloß ich im Winter manchmal absichtlich die Augen und stellte mir ein grünes, hellgeädertes Blatt vor, auf dem die Sonne glänzte. Ich machte die Augen auf und traute ihnen nicht, weil es so gut gewesen war, und schloß sie wieder.«
»Was wollen Sie damit sagen? Ist das eine Allegorie?«
»N-nein ... weshalb? Keine Allegorie; ich meine einfach ein Blatt, nur ein Blatt. Das Blatt ist gut. Alles ist gut.«
»Alles?«
»Ja. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, daß er glücklich ist; nur darum. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird sogleich glücklich, augenblicklich. Diese Schwiegermutter wird sterben, und das kleine Mädchen wird zurückbleiben, – alles ist gut. Ich habe das auf einmal entdeckt.«
»Aber wenn jemand Hungers stirbt, oder wenn jemand ein Mädchen beleidigt und entehrt, – ist das auch gut?«
»Ja, es ist gut. Und wenn jemand einem kleinen Kinde den Kopf zerschmettert, so ist auch das gut, und wenn er ihn nicht zerschmettert, ist es ebenfalls gut. Alles ist gut, alles. All denen geht es gut, welche wissen, daß alles gut ist. Wenn die Menschen wüßten, daß es ihnen gut geht, dann würde es ihnen gut gehen; aber solange sie nicht wissen, daß es ihnen gut geht, wird es ihnen schlecht gehen. Das ist der ganze Gedanke, der ganze; weiter gibt es keinen!«
»Wann haben Sie denn erkannt, daß Sie so glücklich sind?«
»In der vorigen Woche, am Dienstag; nein, es war am Mittwoch; denn es war schon Mittwoch, in der Nacht.«
»Bei welchem Anlaß denn?«
»Ich erinnere mich nicht; ohne besonderen Anlaß; ich ging im Zimmer auf und ab ... es ist ja ganz egal. Ich hielt die Uhr an; es war zwei Uhr siebenunddreißig Minuten.«
»Das sollte wohl symbolisch bedeuten, daß die Zeit stehen bleiben muß.«
Kirillow schwieg eine Weile.
»Die Menschen sind nicht gut,« begann er dann auf einmal wieder, »weil sie nicht wissen, daß sie gut sind. Sobald sie das erkennen werden, werden sie kein Mädchen mehr vergewaltigen. Sie müssen erkennen, daß sie gut sind, und alle werden sofort gut werden, alle, ohne Ausnahme.«
»Also Sie selbst, Sie haben erkannt, daß Sie gut sind?«
»Ja, ich bin gut.«
»Darin stimme ich Ihnen übrigens bei,« murmelte Stawrogin finster.
»Wer da lehren wird, daß alle gut sind, der wird die Welt zur Vollendung führen.«
»Den, der das gelehrt hat, hat man gekreuzigt.«
»Er wird kommen, und sein Name wird Menschgott sein.«
»Gottmensch?«
»Menschgott; das ist ein Unterschied.«
»Zünden Sie selbst schon das Lämpchen vor dem Heiligenbilde an?«
»Ja, diesmal habe ich es angezündet.«
»Sind Sie gläubig geworden?«
»Die alte Frau hat es gern, daß das Lämpchen brennt ... und heute hatte sie keine Zeit,« murmelte Kirillow.
»Aber Sie selbst beten noch nicht?«
»Ich bete zu allem. Sehen Sie, da kriecht eine Spinne an der Wand; ich sehe sie an und bin ihr dankbar dafür, daß sie da kriecht.«
Seine Augen brannten wieder. Er sah seinem Gaste mit festem, unverwandtem Blicke gerade ins Gesicht. Dieser hörte ihm mit finsterer, widerwilliger Miene zu, in der jedoch kein Spott lag.
»Ich möchte darauf wetten: wenn ich wieder herkomme, werden Sie schon auch an Gott glauben,« sagte er, indem er aufstand und nach seinem Hute griff.
»Warum?« fragte Kirillow, der sich ebenfalls erhob.
»Wenn Sie erkennten, daß Sie an Gott glauben, dann würden Sie an ihn glauben; aber da Sie noch nicht wissen, daß Sie an Gott glauben, so glauben Sie auch nicht an ihn,« antwortete Nikolai Wsewolodowitsch lächelnd.
»Das ist doch etwas anderes,« erwiderte Kirillow, nachdem er ein Weilchen nachgedacht hatte. »Sie haben meinen Gedanken verdreht. Ein weltmännischer Scherz. Erinnern Sie sich, was Sie in meinem Leben für eine bedeutende Rolle gespielt haben, Stawrogin!«
»Leben Sie wohl, Kirillow.«
»Kommen Sie einmal in der Nacht! Wann?«
»Sie haben doch nicht vergessen, was wir morgen vorhaben?«
»Ach ja, ich hatte es vergessen; aber seien Sie unbesorgt; ich werde die Zeit nicht verschlafen; um neun Uhr. Ich bin imstande aufzuwachen, wann ich will. Ich sage beim Hinlegen: ›Um sieben Uhr!‹ und wache um sieben auf; oder: ›Um zehn Uhr!‹ und wache um zehn auf.«
»Sie besitzen ja merkwürdige Eigenschaften,« sagte Nikolai Wsewolodowitsch und blickte ihm in das blasse Gesicht.
»Ich werde Ihnen das Tor aufschließen.«
»Bemühen Sie sich nicht! Schatow wird mich hinauslassen.«
»Ah so, Schatow! Gut! Leben Sie wohl!«
Fußnoten
1 Puschkin duellierte sich mit d'Antès-Heckeren und wurde von diesem erschossen.
Anmerkung des Übersetzers.