III.


Erstens also traten alle, die in den drei Equipagen gefahren waren, gleichzeitig in dichtem Schwarm in das Wartezimmer. Zu Julija Michailownas Gemächern gehörte ein besonderer Eingang, gleich von der Haustür aus links; aber diesmal nahmen alle den Weg durch das Wartezimmer, und zwar, wie ich glaube, eben deshalb, weil sich Stepan Trofimowitsch hier befand, und weil alles, was sich mit ihm begeben hatte, sowie auch die Vorgänge mit den Schpigulinschen Arbeitern schon beim Einfahren in die Stadt zu Julija Michailownas Kenntnis gelangt waren. Derjenige, der sie so schnell davon unterrichtet hatte, war Ljamschin gewesen; er war wegen irgendeines Verschuldens zu Hause gelassen worden und hatte nicht an der Fahrt teilgenommen; infolgedessen hatte er alles früher erfahren als die andern. Voller Schadenfreude war er auf einem gemieteten Kosakengaul den Weg nach Skworeschniki entlang geritten, um die heimkehrende Kavalkade mit den fröhlichen Nachrichten zu begrüßen. Ich glaube, Julija Michailowna wurde trotz ihres außerordentlich festen Charakters doch ein wenig verlegen, als sie diese erstaunliche Neuigkeit hörte; übrigens dauerte das bei ihr wahrscheinlich nur einen Augenblick. Die politische Seite der Sache zum Beispiel konnte ihr keine Sorge machen: Peter Stepanowitsch hatte ihr schon etwa viermal nachdrücklich gesagt, die Schpigulinschen Krakeeler müßten alle durchgepeitscht werden, und Peter Stepanowitsch war seit einiger Zeit wirklich für sie eine bedeutende Autorität geworden. »Aber ... das soll er mir dennoch büßen,« dachte sie sicherlich bei sich, wobei »er« sich natürlich auf ihren Gemahl bezog. In aller Eile merke ich an, daß Peter Stepanowitsch diesmal an der gemeinsamen Ausfahrt ebenfalls (und zwar anscheinend absichtlich) nicht teilgenommen hatte und vom frühen Morgen an nirgends von jemandem gesehen worden war. Ich erwähne bei dieser Gelegenheit noch, daß Warwara Petrowna, nachdem sie die Gäste bei sich zu Hause empfangen hatte, mit ihnen zusammen nach der Stadt zurückgekehrt war (in ein und demselben Wagen mit Julija Michailowna), in der Absicht, jedenfalls an der letzten Komiteesitzung über das morgige Fest teilzunehmen. Die Nachrichten, welche Ljamschin über Stepan Trofimowitsch mitteilte, mußten natürlich auch sie interessieren und sie vielleicht sogar aufregen.

Die Abrechnung mit Andrei Antonowitsch begann unverzüglich. Ach, er merkte das beim ersten Blick auf seine schöne Gemahlin! Mit offener Miene und mit einem bezaubernden Lächeln ging sie schnell auf Stepan Trofimowitsch zu, streckte ihm ihr reizend behandschuhtes Händchen hin und überschüttete ihn mit den schmeichelhaftesten Begrüßungen, als ob sie den ganzen Vormittag über keine andere Sorge gehabt hätte, als nur möglichst schnell herbeizueilen und Stepan Trofimowitsch ihre Freude darüber auszusprechen, daß sie ihn endlich in ihrem Hause sehe. Auf die Haussuchung am Morgen deutete sie mit keiner Silbe hin, wie wenn sie noch nichts davon wüßte. Kein Wort zu ihrem Manne, keinen Blick nach der Seite hin, wo er stand, gerade als ob er gar nicht im Zimmer wäre. Und damit nicht genug: sie nahm auch Stepan Trofimowitsch sofort gebieterisch in Beschlag und führte ihn weg in den Salon, als ob er mit Lembke keinerlei Auseinandersetzungen gehabt hätte, oder als ob, wenn solche stattgefunden hätten, es nicht der Mühe wert sei, sie fortzusetzen. Ich wiederhole: es scheint mir, daß Julija Michailowna trotz all ihrer gesellschaftlichen Gewandtheit in diesem Falle einen großen Fehler beging. Besonders behilflich war ihr dabei Karmasinow (der an der Fahrt auf Julija Michailownas besondere Bitte teilgenommen und auf diese Art, wiewohl nur beiläufig, endlich auch Warwara Petrowna einen Besuch abgestattet hatte, worüber diese schwach genug war in das größte Entzücken zu geraten). Schon von der Tür aus (er trat etwas später ein als die andern) schrie er, als er Stepan Trofimowitsch erblickte, auf und lief mit offenen Armen auf ihn zu, wobei er sogar Julija Michailowna unterbrach.

»Wie viele Sommer und Winter sind vergangen, seit wir uns zum letzten Male gesehen haben! Endlich! ... Excellent ami!«

Er machte Miene, als ob er sich mit ihm küssen wolle, und hielt ihm natürlich nur seine Backe hin. Stepan Trofimowitsch, der sich nicht sogleich zu fassen wußte, sah sich genötigt, diese zu küssen.

»Cher,« sagte er zu mir am Abend, als er sich die Erlebnisse dieses Tages ins Gedächtnis zurückrief, »ich überlegte in diesem Augenblicke: wer von uns beiden ist gemeiner? Er, der mich umarmte, um mich herabzuwürdigen, oder ich, der ich ihn und seine Backe verachtete und sie trotzdem küßte, obwohl ich mich doch hätte abwenden können ... Pfui!«

»Nun, dann erzählen Sie, erzählen Sie!« sagte Karmasinow mit Kaubewegungen und lispelnd, als ob der andere ihm so ohne weiteres sein ganzes Leben während dieser fünfundzwanzig Jahre hätte erzählen können.

Aber diese dumme Oberflächlichkeit gehörte zum feinsten Ton.

»Erinnern Sie sich, daß wir uns zum letztenmal in Moskau sahen, bei dem Diner zu Ehren Granowskis, und daß seitdem vierundzwanzig Jahre vergangen sind ...« begann Stepan Trofimowitsch sehr vernünftig und daher sehr wenig dem feinsten Tone entsprechend.

»Ce cher homme,« unterbrach ihn Karmasinow familiär mit seiner kreischenden Stimme und drückte ihm mit der Hand allzu freundschaftlich die Schulter zusammen. »Führen Sie uns nur recht schnell in Ihren Salon, Julija Michailowna; er wird sich da hinsetzen und alles erzählen.«

»Und dabei habe ich diesem nervösen alten Weibe niemals nahe gestanden,« fuhr an demselben Abend Stepan Trofimowitsch, zitternd vor Ingrimm, fort, sich mir gegenüber zu beklagen. »Wir waren fast noch Jünglinge, und ich begann schon damals ihn zu hassen ... gerade so wie er mich, selbstverständlich ...«

Julija Michailownas Salon füllte sich schnell. Warwara Petrowna befand sich in einem Zustande besonderer Aufregung, obwohl sie sich bemühte gleichmütig zu erscheinen; aber ich beobachtete zwei- bis dreimal, daß sie haßerfüllte Blicke auf Karmasinow und zornige Blicke auf Stepan Trofimowitsch richtete. Die zornigen Blicke waren eine Art Vorausbezahlung und gingen aus Eifersucht und Liebe hervor: hätte Stepan Trofimowitsch diesmal irgendeine Ungeschicklichkeit begangen und dadurch dem andern die Möglichkeit gegeben, ihn in Gegenwart aller zu blamieren, so wäre sie, glaube ich, sogleich aufgesprungen und hätte ihn geprügelt. Ich habe vergessen zu sagen, daß auch Lisa anwesend war, und noch nie hatte ich sie sorgloser, heiterer und glücklicher gesehen. Selbstverständlich war auch Mawriki Nikolajewitsch da. Unter dem Schwarm der jungen Damen und der halbverlotterten jungen Männer, die Julija Michailownas gewöhnliche Suite bildeten, und bei denen man dieses verlotterte Wesen als Fröhlichkeit gelten ließ und wohlfeilen Zynismus als Verstand, unter diesen bemerkte ich zwei bis drei neue Persönlichkeiten: einen erst kürzlich zugereisten scherwenzelnden Polen, ferner einen deutschen Doktor, einen gesunden, alten Mann, der laut und mit großem Genusse alle Augenblicke über seine eigenen Witze lachte, und endlich einen sehr jungen Fürsten aus Petersburg von automatenhafter Haltung, mit dem würdigen Anstande eines Staatsmannes und schrecklich langen Vatermördern. Aber es war deutlich, daß Julija Michailowna diesen Gast besonders hochschätzte und sich sogar beunruhigte, die Mitglieder ihres Salons könnten sich vor ihm zu sehr gehen lassen.

»Cher monsieur Karmazinoff,« begann Stepan Trofimowitsch, indem er sich malerisch auf dem Sofa zurechtsetzte und auf einmal nicht weniger als Karmasinow zu lispeln anfing, »cher monsieur Karmazinoff, das Leben eines Menschen, der noch aus unserer alten Zeit stammt und gewisse Anschauungen hat, muß selbst in einem Zeitraume von fünfundzwanzig Jahren einförmig erscheinen ...«

Der Deutsche lachte laut und stoßweise, ordentlich wiehernd, offenbar in der Annahme, daß Stepan Trofimowitsch etwas sehr Lächerliches gesagt habe. Dieser blickte ihn mit besonders herausgekehrter Verwunderung an, ohne übrigens dadurch auf ihn irgendwelchen Eindruck zu machen. Auch der Fürst blickte hin, indem er sich zu dem Deutschen mit seinen ganzen Vatermördern umkehrte und das Pincenez aufsetzte, wiewohl ohne das geringste Zeichen von Interesse.

»... Muß einförmig erscheinen,« wiederholte Stepan Trofimowitsch absichtlich und reckte dabei jedes Wort so lang und ungeniert wie nur möglich. »Von der Art war auch mein Leben während dieses ganzen Vierteljahrhunderts, et comme on trouve partout plus de moines que de raison, und da ich dem vollständig zustimme, so ist es gekommen, daß ich während dieses ganzen Vierteljahrhunderts ...«

»C'est charmant, les moines,« flüsterte Julija Michailowna, sich zu der neben ihr sitzenden Warwara Petrowna wendend.

Warwara Petrowna antwortete mit einem stolzen Blicke. Aber Karmasinow ärgerte sich im stillen über den Effekt, den die französische Phrase gemacht hatte, und beeilte sich, Stepan Trofimowitsch mit seiner kreischenden Stimme zu unterbrechen:

»Was mich anlangt, so habe ich mich in dieser Hinsicht vollkommen beruhigt und sitze nun schon seit mehr als sechs Jahren in Karlsruhe. Und als im vorigen Jahre die städtische Behörde eine neue Kanalisation anzulegen beschloß, da fühlte ich in meinem Herzen, daß diese Karlsruher Kanalisationsfrage mir wichtiger und interessanter war als alle Fragen meines lieben Vaterlandes ... was die ganze Zeit der sogenannten hiesigen Reformen anlangt.«

»Ich kann nicht umhin, Ihnen das nachzufühlen, wenn auch mit widerstrebendem Herzen,« erwiderte Stepan Trofimowitsch seufzend und ließ bedeutsam den Kopf sinken.

Julija Michailowna triumphierte: das Gespräch begann tiefsinnig zu werden und von den großen Richtungen zu handeln.

»Ein Rohrwerk zur Ableitung der Schmutzwässer?« erkundigte sich der Doktor laut.

»Jawohl, Doktor, eine Kanalisation, und ich habe den Herren damals sogar bei der Aufstellung des Projektes geholfen.«

Der Doktor lachte knatternd. Nach ihm lachten viele und diesmal dem Doktor gerade ins Gesicht; indes bemerkte dieser es nicht und war über das allgemeine Gelächter sehr erfreut.

»Gestatten Sie mir, hierin anderer Ansicht zu sein als Sie, Karmasinow,« schaltete Julija Michailowna eilig ein. »Karlsruhe in Ehren; aber Sie mystifizieren Ihre Zuhörer gern, und wir glauben Ihnen diesmal nicht. Welcher russische Schriftsteller hat so viele allermodernste typische Charaktere geschaffen, so viele höchst aktuelle Fragen gelöst und gerade auf die Hauptpunkte hingewiesen, aus denen sich der Typus der heutzutage wirkenden Männer zusammensetzt? Und da wollen Sie uns einreden, Sie wären gegen die Heimat gleichgültig und interessierten sich gewaltig für die Karlsruher Kanalisation! Ha-ha!«

»Ja, ich habe allerdings«, lispelte Karmasinow, »in der Gestalt Pogoschews alle Mängel der Slawophilen und in der Gestalt Nikodimows alle Mängel der Freunde der westeuropäischen Kultur zur Darstellung gebracht ...«

»Alle wahrhaftig nicht,« flüsterte Ljamschin leise.

»Aber ich tue das nur so nebenbei, nur um irgendwie die Zeit totzuschlagen und ... um all die zudringlichen Forderungen meiner Landsleute zu befriedigen.«

»Es ist Ihnen wohl bekannt, Stepan Trofimowitsch,« fuhr Julija Michailowna enthusiastisch fort, »daß wir morgen den Genuß haben werden, ein reizendes Produkt zu hören, eine der letzten, auserlesensten belletristischen Inspirationen Semjon Jegorowitschs; sie führt den Titel ›Merci‹. Er kündigt darin an, daß er in Zukunft nicht mehr schreiben werde, um keine Schätze der Welt, selbst wenn ein Engel vom Himmel oder, besser gesagt, die ganze vornehme Gesellschaft ihn bitten sollte, seinen Entschluß zu ändern. Kurz, er legt die Feder für das ganze Leben nieder, und dieses reumütige ›Merci‹ wendet sich an das Publikum und dankt demselben für das dauernde Entzücken, mit dem es so viele Jahre lang die dem ›ehrenhaften russischen Gedanken‹ von ihm ununterbrochen geleisteten Dienste begleitet hat.«

Julija Michailowna war auf dem Gipfel der Glückseligkeit.

»Ja, ich werde mich verabschieden: ich werde mein ›Merci‹ sagen und wegreisen, und dort ... in Karlsruhe ... werde ich meine Augen schließen,« begann Karmasinow, der dem Lobe gegenüber allmählich schwach wurde.

Wie viele unserer großen Schriftsteller (und große Schriftsteller gibt es bei uns sehr viele) konnte er Lob nicht vertragen und begann in solchem Falle sogleich schwach zu werden, trotz seines Scharfsinnes. Aber ich meine, das ist verzeihlich. Man sagt, einer unserer Shakespeares sei in einem Privatgespräche geradezu mit der Äußerung herausgeplatzt: »Wir großen Männer können nicht anders« und so weiter, und er habe es überhaupt nicht bemerkt.

»Dort in Karlsruhe werde ich meine Augen schließen. Uns großen Männern bleibt, wenn wir unser Werk getan haben, nichts weiter übrig, als baldigst die Augen zuzumachen, ohne nach einer Belohnung Ausschau zu halten. So werde auch ich es machen.«

»Geben Sie mir Ihre Adresse, dann will ich zu Ihnen nach Karlsruhe an Ihr Grab kommen,« bemerkte der Deutsche mit unmäßigem Gelächter.

»Jetzt werden auch Leichen mit der Bahn versandt,« sagte unerwartet einer der unbedeutenden jungen Männer.

Ljamschin winselte geradezu vor Entzücken. Julija Michailowna machte ein finsteres Gesicht. Nikolai Stawrogin trat ins Zimmer.

»Mir ist gesagt worden, die Polizei habe den Einfall gehabt, Sie anzutasten?« sagte er laut, indem er sich mit Übergehung aller andern an Stepan Trofimowitsch wandte.

»Dieser Einfall war ein Hereinfall,« witzelte Stepan Trofimowitsch.

»Aber ich hoffe, er wird nicht den geringsten Einfluß auf meine Bitte haben,« fiel Julija Michailowna wieder ein. »Ich hoffe, Sie werden, unbeirrt durch diese bedauerliche Unannehmlichkeit, von der ich bisher noch keine klare Vorstellung habe, nicht unsere schönsten Erwartungen täuschen und uns nicht des Genusses berauben, Ihre Vorlesung bei der literarischen Matinee zu hören.«

»Ich weiß nicht ... ich bin jetzt ...«

»Aber das macht mich wirklich unglücklich, Warwara Petrowna: stellen Sie sich das nur vor: gerade wo ich mich darauf freute, bald einen der bedeutendsten, unabhängigsten Geister Rußlands persönlich kennen zu lernen, gerade nun erklärt Stepan Trofimowitsch auf einmal, er beabsichtige sich von uns fernzuhalten.«

»Das Lob ist so laut ausgesprochen worden, daß ich es allerdings nicht hätte hören dürfen,« bemerkte Stepan Trofimowitsch pointiert. »Aber ich glaube nicht, daß meine arme Persönlichkeit morgen für Ihr Fest unentbehrlich ist. Übrigens könnte ich ...«

»Aber Sie verwöhnen ihn!« rief Peter Stepanowitsch, der schnell ins Zimmer hereingelaufen kam. »Kaum habe ich ihn ordentlich in den Zügel genommen, da kommt nun plötzlich an einem einzigen Vormittag Haussuchung, Arretierung, ein Polizist faßt ihn am Kragen, und jetzt verhätscheln ihn noch die Damen im Salon unseres Gouverneurs! Da muß ihm ja jedes Knöchelchen singen vor Entzücken; so einen Glückstag hätte er sich gewiß nie träumen lassen. Da wird er jetzt am Ende anfangen, die Sozialisten zu denunzieren!«

»Das ist nicht möglich, Peter Stepanowitsch. Der Sozialismus ist eine zu große Idee, als daß Stepan Trofimowitsch ihn nicht anerkennen sollte,« verteidigte Julija Michailowna ihn energisch.

»Er ist eine große Idee; aber diejenigen, die ihn verkündigen, sind nicht immer Riesen, et brisons là, mon cher,« schloß Stepan Trofimowitsch, zu seinem Sohne gewendet, und erhob sich in schöner Haltung von seinem Platze.

Aber nun begab sich etwas ganz Unerwartetes. Herr v. Lembke befand sich schon seit einiger Zeit im Salon; indes schien ihn niemand zu bemerken, obgleich alle gesehen hatten, wie er hereinkam. Julija Michailowna, die immer noch an ihrer früheren Idee festhielt, fuhr fort, ihn zu ignorieren. Er hatte neben der Tür Platz genommen und mit finsterer, strenger Miene die Gespräche mit angehört. Als er die Bemerkungen über die Vorgänge vom Vormittag hörte, begann er sich unruhig hin und her zu drehen und den Fürsten starr anzusehen, dessen nach vorn vorragende, steif gestärkte Vatermörder ihn offenbar frappierten. Als er dann Peter Stepanowitschs Stimme hörte und diesen selbst hereinlaufen sah, da fuhr er plötzlich zusammen, und kaum hatte Stepan Trofimowitsch seinen geistvollen Satz über die Sozialisten ausgesprochen, als er plötzlich zu ihm trat, wobei er unterwegs Ljamschin stieß, der sogleich mit einer übertriebenen Geste und erstaunter Miene zur Seite sprang, sich die Schulter rieb und tat, als habe er einen sehr schmerzhaften Stoß erhalten.

»Genug!« sagte v. Lembke, indem er den erschrockenen Stepan Trofimowitsch energisch bei der Hand ergriff und diese aus aller Kraft in der seinigen zusammendrückte. »Genug, die modernen Flibustier sind festgestellt. Kein Wort mehr! Es sind Maßregeln ergriffen ...«

Er hatte so laut gesprochen, daß es durch das ganze Zimmer zu hören gewesen war, und schloß mit starkem Nachdruck. Der Eindruck, den seine Worte hervorbrachten, war ein sehr peinlicher. Alle hatten ein unheimliches Gefühl. Ich sah, wie Julija Michailowna blaß wurde. Aber ein dummer Zufall änderte den Eindruck. Nachdem Lembke erklärt hatte, daß Maßregeln ergriffen seien, drehte er sich kurz um und wollte schnell das Zimmer verlassen; aber nach zwei Schritten stolperte er über den Teppich und wäre beinah vornüber auf die Nase gefallen. Einen Augenblick lang blieb er stehen, betrachtete die Stelle, an der er gestolpert war, und sagte laut: »Das muß abgeändert werden«; dann ging er hinaus. Julija Michailowna eilte hinter ihm her. Sowie sie hinaus war, erhob sich ein Lärm, in welchem es schwer war, etwas zu verstehen. Die einen sagten, er sei angegriffen, andere, er habe einen nervösen Anfall. Wieder andere zeigten mit dem Finger auf die Stirn; Ljamschin hielt in einer Ecke zwei Finger über der Stirn in die Höhe. Es wurden Anspielungen auf gewisse häusliche Vorgänge gemacht, natürlich alles im Flüstertone. Niemand griff nach dem Hute; alle warteten. Ich weiß nicht, was Julija Michailowna inzwischen getan hatte; aber nach ungefähr fünf Minuten kehrte sie zurück und bemühte sich aus aller Kraft, ruhig zu scheinen. Sie antwortete ausweichend, Andrei Antonowitsch sei ein wenig aufgeregt; aber das habe nichts zu bedeuten; das habe er schon von seiner Kindheit an; sie müsse das ja am allerbesten wissen, und das morgige Fest werde ihn sicherlich erheitern. Darauf folgten noch einige schmeichelhafte, aber lediglich um des Anstandes willen gesprochene Worte an Stepan Trofimowitsch und die laute Aufforderung an die Komiteemitglieder, gleich jetzt, ohne Verzug, die Sitzung zu beginnen. Nun erst schickten sich diejenigen, die nicht zum Komitee gehörten, an, nach Hause zu gehen; aber die aufregenden Ereignisse dieses verhängnisvollen Tages waren noch nicht zu Ende ...

Schon gleich von dem Augenblicke an, als Nikolai Wsewolodowitsch hereingekommen war, hatte ich bemerkt, daß Lisa schnell und prüfend nach ihm hinblickte und dann lange die Augen nicht von ihm abwandte, so lange, daß dies schließlich Aufmerksamkeit erregte. Ich sah, daß Mawriki Nikolajewitsch sich von hinten zu ihr herunterbeugte und ihr anscheinend etwas zuflüstern wollte; aber er änderte offenbar seine Absicht, richtete sich schnell wieder gerade und sah wie schuldbewußt alle ringsumher an. Auch Nikolai Wsewolodowitsch erregte Neugier: sein Gesicht war blasser als gewöhnlich und sein Blick auffällig zerstreut. Nachdem er beim Hereinkommen jene Frage an Stepan Trofimowitsch gerichtet hatte, schien er ihn sofort zu vergessen, und er vergaß, glaube ich, wirklich, zu der Wirtin heranzutreten. Lisa sah er überhaupt nicht an, nicht weil er es nicht gewollt hätte, sondern weil er, wie ich behaupte, sie ebenfalls gar nicht bemerkt hatte. Und auf einmal, nach dem kurzen Stillschweigen, das auf Julija Michailownas Aufforderung, ohne Zeitverlust die letzte Sitzung zu beginnen, folgte, auf einmal ließ sich Lisas helle, absichtlich laute Stimme vernehmen. Sie rief Nikolai Wsewolodowitsch an.

»Nikolai Wsewolodowitsch, ein Hauptmann namens Lebjadkin, der sich Ihren Verwandten, den Bruder Ihrer Frau, nennt, schreibt mir fortwährend unpassende Briefe, beklagt sich darin über Sie und erbietet sich, mir Geheimnisse zu enthüllen, die Sie beträfen. Wenn er tatsächlich Ihr Verwandter ist, so verbieten Sie ihm doch, mich in dieser Weise zu beleidigen, und befreien Sie mich von diesen Belästigungen!«

Eine furchtbare Herausforderung lag in diesen Worten; das verstanden alle. Die Beschuldigung war klar und deutlich; Lisa selbst mochte vielleicht erst ganz plötzlich auf diesen Einfall gekommen sein. Es war, wie wenn jemand die Augen zukneift und sich vom Dache hinunterstürzt.

Aber Nikolai Stawrogins Antwort war noch erstaunlicher.

Erstens war schon das seltsam, daß er überhaupt keine Verwunderung zeigte und Lisa mit der ruhigsten Aufmerksamkeit anhörte. Weder Verlegenheit noch Zorn prägte sich auf seinem Gesichte aus. Schlicht und fest, sogar mit der Miene vollständiger Bereitwilligkeit antwortete er auf die verhängnisvolle Frage:

»Ja, ich habe das Unglück, mit diesem Menschen verwandt zu sein. Ich bin der Mann seiner Schwester, einer geborenen Lebjadkina, schon seit fast fünf Jahren. Sie können überzeugt sein, daß ich ihm Ihr Verlangen in kürzester Zeit übermitteln werde, und ich stehe dafür, daß er Sie nicht mehr inkommodieren wird.«

Niemals werde ich den Schrecken vergessen, der sich auf Warwara Petrownas Gesichte malte. Mit irrem Blick stand sie vom Stuhle auf, indem sie, wie um sich zu schützen, die rechte Hand vor sich in die Höhe hob. Nikolai Wsewolodowitsch blickte sie an, blickte Lisa an, blickte die Zuschauer an und lächelte auf einmal in einer grenzenlos hochmütigen Weise; ohne Eile verließ er das Zimmer. Alle sahen, wie Lisa, sowie nur Nikolai Wsewolodowitsch sich umwandte, um hinauszugehen, vom Sofa aufsprang und offenbar eine Bewegung machte, um ihm nachzulaufen; aber sie besann sich noch und lief nicht, sondern ging sachte hinaus, ebenfalls ohne zu jemand ein Wort zu sagen und ohne jemand anzusehen, natürlich in Begleitung des ihr nacheilenden Mawriki Nikolajewitsch..

Von dem Lärm und Gerede in der Stadt an diesem Abend will ich weiter nichts sagen. Warwara Petrowna schloß sich in ihrem Stadthause ein; Nikolai Wsewolodowitsch aber fuhr, wie man sagt, direkt nach Skworeschniki, ohne seine Mutter vorher gesehen zu haben. Stepan Trofimowitsch schickte mich am Abend zu »cette chère amie«, damit ich für ihn um die Erlaubnis bäte, zu ihr kommen zu dürfen; aber sie empfing mich nicht. Er war furchtbar ergriffen und weinte: »Eine solche Ehe! Eine solche Ehe! Eine solche Schmach für die Familie!« wiederholte er alle Augenblicke. Indessen erinnerte er sich auch an Karmasinow und schimpfte gewaltig auf ihn. Auch auf die morgige Vorlesung bereitete er sich energisch vor und zwar (als echter Künstler!) vor dem Spiegel; und er rief sich all die scharfsinnigen Aussprüche und Witze ins Gedächtnis zurück, die er in seinem ganzen Leben produziert und in ein besonderes Heft eingetragen hatte; hiervon wollte er bei der morgigen Vorlesung einige anbringen.

»Mein Freund, ich tue das im Interesse der großen Idee,« sagte er zu mir, offenbar um sich zu rechtfertigen. »Cher ami, ich habe einen Platz, an dem ich fünfundzwanzig Jahre lang gewesen bin, verlassen und bin plötzlich weggereist; wohin, das weiß ich nicht; aber weggereist bin ich ...«


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