Die Tür des Hauses, dessen einziger Bewohner jetzt Schatow war, war nicht zugeschlossen; aber als Stawrogin in den Flur getreten war, befand er sich in vollständiger Finsternis und mußte die Treppe zum Halbgeschoß mit der Hand suchen. Auf einmal wurde oben eine Tür geöffnet, und es wurde Licht sichtbar; Schatow kam nicht selbst heraus, sondern hatte nur seine Tür aufgemacht. Als Nikolai Wsewolodowitsch auf der Schwelle von Schatows Zimmer stand, sah er diesen wartend in der Ecke am Tische stehen.
»Ich komme in einer ernsten Angelegenheit; wollen Sie meinen Besuch annehmen?« fragte er von der Schwelle aus.
»Kommen Sie herein, und setzen Sie sich!« antwortete Schatow. »Schließen Sie die Tür zu; oder warten Sie, ich werde es selbst tun.«
Er schloß die Tür zu, kehrte zum Tische zurück und setzte sich Nikolai Wsewolodowitsch gegenüber. Er war in dieser Woche magerer geworden und schien jetzt zu fiebern.
»Sie haben mich gefoltert,« sagte er leise, fast flüsternd, mit niedergeschlagenen Augen, »Warum sind Sie nicht gekommen?«
»Waren Sie so fest davon überzeugt, daß ich kommen würde?«
»Ja, warten Sie, ich habe davon im Fieber phantasiert ... vielleicht phantasiere ich auch jetzt ... Warten Sie!«
Er stand auf und nahm vom Rande des obersten seiner drei Bücherbretter einen Gegenstand herunter. Es war ein Revolver.
»Ich meinte einmal in der Nacht, als ich fieberte, Sie würden herkommen, um mich zu töten, und früh am Morgen kaufte ich mir bei dem Taugenichts, dem Ljamschin, für mein letztes Geld diesen Revolver; ich wollte mich Ihnen doch nicht wehrlos ergeben. Nachher kam ich wieder zu mir ... Ich habe weder Pulver noch Kugeln; seitdem liegt er da auf dem Bücherbrett unnütz herum. Warten Sie ...«
Er trat ans Fenster und wollte die Luftklappe öffnen.
»Werfen Sie ihn nicht hinaus; wozu?« hielt ihn Nikolai Wsewolodowitsch zurück. »Er hat Geld gekostet, und morgen würden die Leute sagen, daß bei Schatow unter dem Fenster Revolver umherliegen. Legen Sie ihn wieder hin; so ist's recht; setzen Sie sich! Sagen Sie, warum haben Sie mir gewissermaßen reuig Ihre Befürchtung gebeichtet, daß ich herkommen würde, um Sie zu töten? Ich bin auch jetzt nicht hergekommen, um mich mit Ihnen zu versöhnen; sondern ich muß Ihnen eine notwendige Mitteilung machen. Klären Sie mich zunächst darüber auf: Sie haben mich nicht wegen meiner Beziehungen zu Ihrer Frau geschlagen?«
»Sie wissen selbst, daß das nicht der Grund war!« erwiderte Schatow, wieder zu Boden blickend.
»Auch nicht etwa, weil Sie dem dummen Gerede über Darja Pawlowna Glauben beimäßen?«
»Nein, nein, gewiß nicht! Dummheit! Meine Schwester hat mir von Anfang an gesagt ...« versetzte Schatow ungeduldig in scharfem Ton; er stampfte sogar ein wenig mit dem Fuße auf.
»Also habe ich richtig geraten, und Sie haben auch richtig geraten,« fuhr Stawrogin in ruhigem Tone fort. »Sie haben recht: Marja Timofejewna Lebjadkina ist meine legitime, mir vor viereinhalb Jahren in Petersburg angetraute Ehefrau. Also ihretwegen haben Sie mich geschlagen?«
Schatow hörte dies mit größter Überraschung und schwieg.
»Ich hatte es erraten; aber ich wollte es nicht glauben,« murmelte er endlich und sah Stawrogin mit einem seltsamen Blicke an.
»Und da haben Sie mich geschlagen?«
Schatow wurde dunkelrot und murmelte unzusammenhängend:
»Ich tat es wegen Ihres Falles ... wegen der Lüge. Ich trat an Sie nicht in der Absicht heran, Sie zu bestrafen; als ich an Sie herantrat, wußte ich noch nicht, daß ich Sie schlagen würde ... Ich habe es getan, weil Sie in meinem Leben eine so bedeutende Rolle gespielt haben ... Ich ...«
»Ich verstehe, ich verstehe; sparen Sie die Worte! Es tut mir leid, daß Sie fiebern; ich habe etwas sehr Notwendiges zu sagen.«
»Ich habe gar zu lange auf Sie warten müssen,« erwiderte Schatow, am ganzen Leibe zitternd, und erhob sich halb von seinem Platze. »Sagen Sie, was Sie hergeführt hat; ich werde dann ebenfalls reden ... nachher ...«
Er setzte sich wieder.
»Diese Angelegenheit gehört einem anderen Gebiete an,« begann Nikolai Wsewolodowitsch, indem er ihn forschend anblickte. »Gewisse Umstände haben mich genötigt, gleich heute eine solche Stunde zu wählen und zu Ihnen zu kommen, um Sie zu benachrichtigen, daß Sie vielleicht werden getötet werden.«
Schatow blickte ihn wild an.
»Ich weiß, daß mir möglicherweise Gefahr droht,« sagte er in gemessenem Tone; »aber woher kann das Ihnen, gerade Ihnen bekannt sein?«
»Weil ich ebenfalls zu ihnen gehöre, wie Sie, und ebenso wie Sie ein Mitglied ihres Bundes bin.«
»Sie ... Sie sind ein Mitglied des Bundes?«
»Ich sehe Ihnen an den Augen an, daß Sie von mir alles andre eher erwartet hätten als dies,« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch leise lächelnd. »Aber erlauben Sie, also wußten Sie schon, daß man Ihnen nach dem Leben trachtet?«
»Ich habe es nicht geglaubt. Und auch jetzt glaube ich es nicht, trotz Ihrer Worte, obgleich ... obgleich man bei diesen Narren auf alles gefaßt sein muß!« rief er auf einmal wütend und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Aber ich fürchte sie nicht! Ich habe mit ihnen gebrochen. Dieser Mensch ist viermal zu mir gelaufen gekommen und hat mir gesagt, ich dürfe es ... aber« (er blickte Stawrogin an) »was ist Ihnen denn eigentlich bekannt?«
»Beunruhigen Sie sich nicht; ich täusche Sie nicht,« fuhr Stawrogin in ziemlich kühlem Tone fort, mit der Miene eines Menschen, der nur seine Pflicht erfüllt. »Sie examinieren mich, was mir bekannt ist? Es ist mir bekannt, daß Sie in diesen Bund im Auslande eingetreten sind, vor zwei Jahren und noch zur Zeit seiner alten Organisation, kurz vor Ihrer Reise nach Amerika und wohl unmittelbar nach unserm letzten Gespräche, über das Sie mir so viel in Ihrem Briefe aus Amerika geschrieben haben. Apropos, entschuldigen Sie, daß ich Ihnen nicht ebenfalls mit einem Briefe geantwortet, sondern mich darauf beschränkt habe ...«
»Geld zu schicken; warten Sie einen Augenblick!« unterbrach ihn Schatow, zog eilig den Tischkasten auf und suchte unter den darin liegenden Papieren eine regenbogenfarbene Banknote heraus. »Hier, nehmen Sie die hundert Rubel zurück, die Sie mir damals geschickt haben; ohne Ihre Hilfe wäre ich dort zugrunde gegangen. Ich könnte Ihnen das Geld noch lange nicht zurückgeben, wenn mir nicht Ihre Mutter beigestanden hätte: sie hat mir diese hundert Rubel vor neun Monaten in meiner Armut nach meiner Krankheit geschenkt. Aber, bitte, fahren Sie fort! ...«
Er atmete nur mühsam.
»In Amerika haben Sie Ihre Ansichten geändert und wollten, als Sie nach der Schweiz zurückgekehrt waren, austreten. Man hat Ihnen keine Antwort gegeben, sondern Sie beauftragt, hier in Rußland von irgendjemandem eine Druckerei zu übernehmen und sie bis zur Übergabe an eine Person aufzubewahren, die von seiten des Bundes sich bei Ihnen melden werde. Ich kenne nicht alle Einzelheiten; aber in der Hauptsache verhält es sich wohl so, nicht wahr? In der Hoffnung oder unter der Bedingung, daß dies die letzte Forderung sei, die der Bund an Sie stelle, und daß man Sie nachher ganz loslassen werde, haben Sie das übernommen. All dies, mag es sich nun so verhalten oder nicht, habe ich nicht von den Mitgliedern des Bundes, sondern ganz zufällig gehört. Aber eines scheinen Sie bis jetzt noch gar nicht zu wissen: diese Herren beabsichtigen ganz und gar nicht, sich von Ihnen zu trennen.«
»Das ist sinnlos!« schrie Schatow. »Ich habe ehrlich erklärt, daß ich vollständig aus dem Bunde ausscheide! Das ist mein Recht, das Recht meines Gewissens und meines Verstandes ... Das werde ich mir nicht gefallen lassen! Es gibt keine Macht, die imstande wäre ...«
»Wissen Sie, schreien Sie nicht so!« unterbrach ihn Nikolai Wsewolodowitsch sehr ernst. »Diesem Werchowenski ist es zuzutrauen, daß er uns jetzt vielleicht mit seinen eigenen Ohren oder durch fremde Ohren belauscht, womöglich auf Ihrem eigenen Flur. Sogar der Trunkenbold Lebjadkin war wohl verpflichtet, Sie zu beobachten, und vielleicht auch umgekehrt Sie ihn, nicht wahr? Sagen Sie mir lieber: hat sich Werchowenski jetzt mit Ihren Argumenten einverstanden erklärt oder nicht?«
»Er war einverstanden; er sagte, ich dürfte es und ich hätte das Recht ...«
»Nun, dann hat er Sie betrogen. Ich weiß, daß sogar Kirillow, der fast gar nicht zu ihnen gehört, Nachrichten über Sie geliefert hat; Agenten haben sie in Menge, sogar solche, die gar nicht wissen, daß sie dem Bunde dienen; Sie sind fortwährend beaufsichtigt worden. Peter Werchowenski ist unter anderm auch zu dem Zwecke hierher gekommen, um Ihre Angelegenheit endgültig zu erledigen, und hat dazu Vollmacht erhalten, nämlich Sie in einem geeigneten Momente als einen, der zuviel weiß und denunzieren könnte, beiseite zu schaffen. Ich wiederhole Ihnen, daß das zuverlässig richtig ist; und gestatten Sie mir hinzuzufügen, daß man aus irgendwelchem Grunde vollkommen davon überzeugt ist, daß Sie ein Spion sind und, wenn Sie nicht schon denunziert haben, es doch tun werden. Hat denn das seine Richtigkeit?«
Schatow zog den Mund schief, als er hörte, wie eine solche Frage in einem so gewöhnlichen Tone an ihn gerichtet wurde.
»Wenn ich ein Spion wäre, bei wem sollte ich dann eine Denunziation anbringen?« fragte er zornig, ohne geradezu zu antworten. »Nein, kümmern Sie sich nicht um mich; mag mich der Teufel holen!« rief er, und griff auf einmal auf den andern Gedanken zurück, der ihn heftig erschüttert hatte, nach allen Anzeichen unvergleichlich viel mehr als die Nachricht von seiner eigenen Gefahr. »Sie, Sie, Stawrogin, wie konnten Sie sich nur in eine so schamlose, talentlose, lakaienhafte, abgeschmackte Gesellschaft verirren? Sie ein Mitglied dieses Bundes! Ist das Nikolai Stawrogins würdig?« rief er beinah in Verzweiflung.
Er schlug sogar die Hände zusammen, als ob es nichts Betrübenderes und Trostloseres für ihn geben könne als diese Entdeckung.
»Entschuldigen Sie,« sagte Nikolai Wsewolodowitsch, der wirklich erstaunt war; »aber Sie scheinen mich als eine Art Sonne zu betrachten und sich selbst im Vergleich mit mir als ein kleines Käferchen. Ich habe das bei dem Briefe bemerkt, den Sie mir aus Amerika schrieben.«
»Sie ... Sie wissen ... Ach, lassen wir mich lieber ganz beiseite!« brach Schatow plötzlich ab. »Wenn Sie etwas zur Erklärung Ihrer Handlungsweise sagen können, so tun Sie es ... Antworten Sie auf meine Frage!« wiederholte er in starker Erregung.
»Mit Vergnügen. Sie fragen, wie ich in eine so gemeine Gesellschaft habe hineingeraten können. Nach meiner Mitteilung von vorhin fühle ich mich Ihnen gegenüber sogar zu einiger Offenherzigkeit in bezug auf diesen Punkt verpflichtet. Sehen Sie, strenggenommen gehöre ich diesem Bunde gar nicht an, habe ihm auch früher nicht angehört und bin weit mehr als Sie berechtigt, mich von ihnen loszusagen, weil ich gar nicht beigetreten bin. Im Gegenteil habe ich gleich zu Anfang erklärt, daß ich nicht ihr Genosse bin, und wenn ich ihnen gelegentlich geholfen habe, so habe ich das nur so aus Langerweile getan. Ich habe mich bis zu einem gewissen Grade an der Reorganisation des Bundes auf Grund eines neuen Planes beteiligt, das ist alles. Aber sie sind jetzt anderen Sinnes geworden und haben sich gesagt, daß auch meine Entlassung gefährlich sei, und es scheint, daß auch ich verurteilt bin.«
»Oh, bei denen wird immer gleich Todesstrafe verhängt, alles nach den Vorschriften, auf einem Blatt Papier mit einem Siegel, und drei bis vier Leute unterschreiben es. Und Sie glauben, daß diese Menschen imstande sind, etwas zu leisten!«
»Da haben Sie zum Teil recht, zum Teil unrecht,« fuhr Stawrogin in dem früheren gleichmütigen, sogar matten Tone fort. »Ohne Zweifel besitzen sie viel Phantasie, wie das in solchen Fällen immer ist: ein kleines Häufchen hat übertriebene Vorstellungen von seiner Größe und von seiner Bedeutung. Meiner Ansicht nach ist der einzige wirkliche Kopf unter ihnen Peter Werchowenski, und es ist gar zu bescheiden von ihm, wenn er sich nur für einen Agenten des Bundes hält. Übrigens ist die Grundidee nicht dümmer als andere dieser Art. Sie haben Verbindungen mit der Internationale; sie haben es verstanden, Agenten in Rußland anzustellen, und sind dabei sogar auf recht originelle Methoden verfallen ... aber selbstverständlich nur theoretisch. Was aber ihre hiesigen Absichten anlangt, so ist ja die Bewegung unserer russischen Organisation etwas so Dunkles und fast immer etwas so Unerwartetes, daß man bei uns in der Tat auf alles gefaßt sein muß. Beachten Sie auch, daß Werchowenski ein hartnäckiger Mensch ist!«
»Diese Wanze, dieser Ignorant, dieser Dummkopf, der von Rußland nichts versteht!« schrie Schatow aufgebracht.
»Da kennen Sie ihn schlecht. Allerdings verstehen sie überhaupt alle wenig von Rußland, aber doch nicht viel weniger als Sie und ich; und außerdem ist Werchowenski ein Schwärmer.«
»Werchowenski ein Schwärmer?«
»O ja. Es gibt einen Punkt, wo er aufhört, ein Hansnarr zu sein, und sich in einen Halbverrückten verwandelt. Erinnern Sie sich, bitte, an einen Ausspruch, den Sie selbst einmal getan haben: ›Wissen Sie, wie stark ein einzelner Mensch sein kann?‹ Bitte, lachen Sie nicht; er ist sehr wohl imstande, den Hahn einer Pistole abzudrücken. Diese Menschen sind überzeugt, daß auch ich ein Spion bin. Weil sie ihre Sache nicht durchzuführen verstehen, sind sie alle sehr geneigt, jemanden der Spionage zu beschuldigen.«
»Aber Sie fürchten sich ja nicht.«
»N-nein ... Ich fürchte mich nicht sehr ... Aber Ihre Sache liegt ganz anders. Ich habe Sie gewarnt, damit Sie sich jedenfalls in acht nehmen. Meiner Ansicht nach brauchen wir uns nicht dadurch gekränkt zu fühlen, daß uns von Dummköpfen Gefahr droht: die Sache selbst geht über ihren Verstand, und gegen Leute, die, wie Sie und ich, von anderer Art sind als sie, heben sie die Hand auf. Indessen es ist ein Viertel auf zwölf,« sagte er nach einem Blicke auf die Uhr und stand vom Stuhle auf. »Ich möchte gern noch eine ganz andersartige Frage an Sie richten.«
»Um Gottes willen!« rief Schatow und sprang hastig auf.
»Was haben Sie?« Nikolai Wsewolodowitsch sah ihn fragend an.
»Fragen Sie, fragen Sie, wenn es sein muß!« rief Schatow in unbeschreiblicher Aufregung. »Aber unter der Bedingung, daß auch ich Ihnen eine Frage vorlegen darf. Ich bitte Sie inständig, es mir zu erlauben ... ich muß notwendig ... Sprechen Sie Ihre Frage aus!«
Stawrogin wartete einen Augenblick und begann dann:
»Ich habe gehört, daß Sie hier auf Marja Timofejewna einigen Einfluß hatten, und daß sie Sie gern sah und gern reden hörte. Verhält es sich so?«
»Ja ... sie hörte mich gern reden,« erwiderte Schatow etwas verlegen.
»Ich habe die Absicht, in den nächsten Tagen meine Ehe mit ihr hier in der Stadt öffentlich bekannt zu geben.«
»Ist das denn möglich?« flüsterte Schatow ganz erschrocken.
»Wie meinen Sie das? Die Sache hat keine Schwierigkeiten; die Trauzeugen sind hier. Es ist damals in Petersburg alles in völlig gesetzlicher, ordnungsmäßiger Weise zugegangen, und wenn es bisher nicht veröffentlicht worden ist, so ist dies nur deshalb unterblieben, weil die beiden einzigen Trauzeugen, Kirillow und Peter Werchowenski, und schließlich Lebjadkin selbst (den ich die Ehre habe jetzt meinen Verwandten zu nennen) ihr Wort darauf gaben, zu schweigen.«
»Das meinte ich nicht ... Sie sprechen so ruhig davon ... aber fahren Sie fort! Hören Sie, sind Sie nicht etwa mit Gewalt zu dieser Ehe gezwungen worden? Wie?«
»Nein, es hat mich niemand mit Gewalt dazu gezwungen,« versetzte Nikolai Wsewolodowitsch, über Schatows eilige, hitzige Frage lächelnd.
»Und was redet sie denn von ihrem Kinde?« fragte Schatow in fieberhafter Hast und zusammenhangslos.
»Sie redet von einem Kinde? Oh! Das wußte ich nicht; das höre ich zum erstenmal. Sie hat kein Kind gehabt und konnte keines haben: Marja Timofejewna ist Jungfrau.«
»Ah! Habe ich es doch gedacht! Hören Sie!«
»Was ist Ihnen, Schatow?«
Schatow verbarg das Gesicht in den Händen und wandte sich um; aber plötzlich faßte er Stawrogin kräftig an den Schultern.
»Wissen Sie wenigstens, wissen Sie wenigstens,« schrie er, »weswegen Sie das alles angerichtet haben, und weswegen Sie sich jetzt zu einer solchen Buße entschließen?«
»Ihre Frage ist verständig und kränkend; aber ich beabsichtige, Sie ebenfalls in Verwunderung zu versetzen: ja, ich weiß beinahe, weswegen ich mich damals verheiratet habe und weswegen ich mich jetzt zu einer solchen ›Buße‹, wie Sie sich ausdrücken, entschließe.«
»Lassen wir das jetzt ... davon später; warten Sie noch mit Ihrer Mitteilung; reden wir von der Hauptsache, von der Hauptsache: ich habe zwei Jahre auf Sie gewartet.«
»Ja?«
»Ich habe sehr lange auf Sie gewartet; ich habe unaufhörlich an Sie gedacht. Sie sind der einzige Mensch, der imstande wäre ... Ich habe schon aus Amerika darüber an Sie geschrieben.«
»Ich erinnere mich sehr gut Ihres langen Briefes.«
»War er zu lang zum Durchlesen? Ich gebe es zu; es waren sechs Briefbogen. Schweigen Sie, schweigen Sie! Sagen Sie: können Sie mir noch zehn Minuten schenken, aber jetzt, sofort? ... Ich habe sehr lange auf Sie gewartet!«
»Bitte, ich gewähre Ihnen eine halbe Stunde, aber nicht mehr, wenn Ihnen das möglich ist.«
»Aber unter der Bedingung,« fiel Schatow wütend ein, »daß Sie Ihren Ton ändern. Hören Sie, ich fordere es, während ich darum bitten müßte ... Verstehen Sie, was das bedeutet: fordern, während man bitten müßte?«
»Ich verstehe es, daß Sie sich auf diese Weise über alles Gewöhnliche hinwegsetzen, um höhere Ziele zu erreichen,« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch ein wenig lächelnd. »Ich sehe auch zu meinem Leidwesen, daß Sie fiebern.«
»Ich bitte um Achtung vor mir; ich verlange sie!« schrie Schatow. »Nicht vor meiner Person (die mag der Teufel holen!), sondern vor etwas anderem, nur für diese Zeit, für einige Worte ... Wir sind hier zwei Wesen und begegnen uns in der Unendlichkeit ... zum letztenmal auf der Welt. Legen Sie Ihren Ton ab, und nehmen Sie einen menschlichen an! Reden Sie wenigstens einmal in Ihrem Leben mit menschlicher Stimme! Ich sage das nicht um meinetwillen, sondern um Ihretwillen. Begreifen Sie auch wohl, daß Sie mir diesen Schlag ins Gesicht schon allein deswegen verzeihen müssen, weil ich Ihnen dadurch Gelegenheit gegeben habe, Ihre grenzenlose Kraft zu erkennen? ... Sie lächeln wieder in Ihrer suffisanten, weltmännischen Weise. Oh, wann werden Sie mich verstehen! Weg mit dem junkerhaften Benehmen! Verstehen Sie doch, daß ich das fordere; sonst werde ich nicht reden, um keinen Preis!«
Seine Wut ging fast bis zu fieberhaftem Irrereden; Nikolai Wsewolodowitsch machte ein finsteres Gesicht und schien vorsichtiger zu werden.
»Wenn ich noch auf eine halbe Stunde hiergeblieben bin,« sagte er ernst und nachdrücklich, »obwohl meine Zeit kostbar ist, so seien Sie überzeugt, daß ich Sie wenigstens mit Interesse anzuhören beabsichtige, und ... und daß ich von Ihnen viel Neues zu hören erwarte.«
Er setzte sich auf einen Stuhl.
»Setzen Sie sich!« schrie Schatow und setzte sich plötzlich selbst hin.
»Gestatten Sie mir aber daran zu erinnern,« bemerkte Stawrogin noch einmal, »daß ich Ihnen eine Bitte in betreff Marja Timofejewnas aussprechen wollte, eine Bitte, die wenigstens für diese von großer Wichtigkeit ist ...«
»Nun?« fragte Schatow finster; er sah aus wie jemand, der an der wichtigsten Stelle unterbrochen worden ist, und der, obgleich er den andern anblickt, die Frage desselben doch noch nicht verstanden hat.
»Und daß Sie mich nicht haben zu Ende reden lassen,« schloß Nikolai Wsewolodowitsch lächelnd.
»Ach was, Unsinn, nachher!« winkte Schatow geringschätzig ab, nachdem er endlich das Verlangen seines Gegenübers begriffen hatte, und ging geradeswegs auf sein Hauptthema los.