II.


Lembke trat in Begleitung des Polizeimeisters plötzlich mit schnellen Schritten ein, blickte uns zerstreut an und wollte, ohne uns zu beachten, nach rechts in sein Arbeitszimmer gehen; aber Stepan Trofimowitsch trat vor ihn hin und versperrte ihm den Weg. Seine hohe Gestalt und seine ungewöhnliche Erscheinung machten Eindruck; Lembke blieb stehen.

»Wer ist das?« murmelte er überrascht, wie wenn er den Polizeimeister fragte; aber er drehte den Kopf gar nicht zu ihm hin und fuhr fort, Stepan Trofimowitsch zu betrachten.

»Der Kollegienassessor a.D. Stepan Trofimowitsch Werchowenski, Exzellenz,« antwortete Stepan Trofimowitsch, indem er mit würdigem Anstande den Kopf beugte.

Seine Exzellenz sah ihn immer noch an, indes mit ganz stumpfem Blicke.

»In was für einer Angelegenheit?« fragte er in der lakonischen Art eines hohen Beamten mißmutig und ungeduldig und wandte Stepan Trofimowitsch sein Ohr zu; er mochte ihn für einen gewöhnlichen Bittsteller halten, der eine schriftliche Eingabe mitgebracht hatte.

»Ich bin heute von einem Beamten, der in Euer Exzellenz Namen handelte, einer Haussuchung unterworfen worden; ich würde daher wünschen ...«

»Wie war der Name? Wie war der Name?« fragte Lembke ungeduldig, wie wenn ihm etwas einfiele.

Stepan Trofimowitsch wiederholte seinen Namen mit noch größerer Würde.

»A-a-ah! Das ... das ist jene Pflanzstätte ... Mein Herr, Sie haben sich von einer Seite gezeigt ... Sie sind Professor? Professor?«

»Ich habe einmal die Ehre gehabt, der Jugend an der ***er Universität einige Kollegien zu halten.«

»Der Ju-gend!« wiederholte Lembke. Er war ordentlich zusammengezuckt, obgleich ich darauf wetten möchte, daß er noch immer nicht recht verstand, um was es sich handelte, vielleicht nicht einmal, mit wem er sprach.

»Ich werde das nicht dulden, mein Herr!« rief er auf einmal in heftigem Zorne. »Ich dulde keine Jugend. Das sind nur Proklamationen. Das ist ein Attentat auf die Gesellschaft, mein Herr, Seeräuberei, Flibustiertum ... Um was wollten Sie bitten?«

»Im Gegenteil, Ihre Frau Gemahlin hat mich gebeten, morgen bei ihrem Feste etwas vorzutragen. Ich bitte um nichts; ich bin hergekommen, um mein Recht zu suchen ...«

»Bei dem Feste? Es wird kein Fest stattfinden. Ich werde Ihr Fest nicht zulassen! Kollegien? Kollegien?« schrie er wütend.

»Ich möchte Sie sehr bitten, mit mir höflicher zu sprechen, Exzellenz, nicht mit den Füßen zu stampfen und mich nicht wie einen kleinen Knaben anzuschreien.«

»Verstehen Sie wohl auch, mit wem Sie reden?« rief Lembke, rot vor Zorn.

»Vollkommen, Exzellenz!«

»Ich schütze die Gesellschaft mit meinem Leibe, und Sie suchen sie zu vernichten! ... Sie ... Übrigens erinnere ich mich Ihrer: Sie waren ja wohl Erzieher im Hause der Generalin Stawrogina?«

»Ja, ich war ... Erzieher ... im Hause der Generalin Stawrogina.«

»Und Sie haben da im Laufe von zwanzig Jahren eine Pflanzstätte all der schlechten Elemente angelegt, die sich jetzt angesammelt haben ... das sind alles die Früchte Ihrer Tätigkeit ... Ich glaube, ich habe Sie soeben auf dem Platze gesehen. Aber nehmen Sie sich in acht, mein Herr, nehmen Sie sich in acht; Ihre Gesinnung ist uns bekannt. Verlassen Sie sich darauf, ich werde Sie im Auge behalten. Ich darf Ihre Kollegien nicht gestatten, mein Herr; ich darf es nicht. Kommen Sie mir nicht mit solchen Bitten!«

Er wollte wieder vorbeigehen.

»Ich wiederhole, daß Sie sich irren, Exzellenz: Ihre Frau Gemahlin ist es gewesen, die mich gebeten hat, bei dem morgigen Feste eine Vorlesung zu halten, kein Kolleg, sondern eine Vorlesung über ein literarisches Thema. Aber ich werde jetzt meinerseits die Vorlesung ablehnen. Meine gehorsamste Bitte aber ist, mir, wenn möglich, zu erklären, warum und weshalb ich der heutigen Haussuchung unterworfen worden bin. Man hat mir einige Bücher und Papiere weggenommen, sowie einige mir teure Privatbriefe und sie auf einer Schubkarre durch die Stadt transportiert ...«

»Wer hat die Haussuchung abgehalten?« fragte Lembke, der jetzt auf einmal völlig zur Besinnung kam, zusammenfuhr und ganz rot wurde.

Er wandte sich schnell zu dem Polizeimeister hin. In diesem Augenblicke erschien in der Tür die lange, gebückte, ungeschickte Gestalt Blümers.

»Eben dieser Beamte da,« sagte Stepan Trofimowitsch, auf ihn hinweisend.

Blümer trat mit schuldbewußter, aber keineswegs schüchterner Miene heran.

»Vous ne faites que des bêtises,« warf ihm Lembke ärgerlich und verdrießlich hin, kam nun auf einmal zu sich und war wie verwandelt.

»Entschuldigen Sie ...« stammelte er außerordentlich verlegen und wurde dabei dunkelrot; »es war alles ... es war alles wahrscheinlich nur eine Ungeschicklichkeit, ein Mißverständnis ... nur ein Mißverständnis.«


»Exzellenz,« bemerkte Stepan Trofimowitsch, »in meiner Jugend war ich einmal Zeuge eines charakteristischen Vorganges. Im Korridor des Theaters trat jemand schnell an einen andern heran und versetzte ihm in Gegenwart des ganzen Publikums eine schallende Ohrfeige. Nachdem er sofort erkannt hatte, daß das mißhandelte Gesicht gar nicht dasjenige war, dem er die Ohrfeige zugedacht hatte, sondern ein ganz anderes, jenem nur einigermaßen ähnliches, sagte er ärgerlich und eilig wie jemand, der seine kostbare Zeit nicht verlieren möchte, genau so wie jetzt Euer Exzellenz: ›Ich habe mich geirrt ... entschuldigen Sie; es war ein Mißverständnis, nur ein Mißverständnis.‹ Und als der Geschlagene sich trotzdem noch beleidigt fühlte und Lärm machte, bemerkte er ihm sehr ärgerlich: ›Aber ich sage Ihnen ja, daß es nur ein Mißverständnis war; was machen Sie denn noch für Geschrei!‹«

»Das ... das ist allerdings sehr komisch ...« erwiderte Lembke mit gezwungenem Lächeln. »Aber ... aber sehen Sie denn wirklich nicht, wie unglücklich ich selbst bin?«

Er schrie beinah auf, und es schien, als wolle er das Gesicht mit den Händen bedecken.

Dieser unerwartete krankhafte, beinah von Schluchzen begleitete Ausruf machte einen unerträglich peinlichen Eindruck. Es war dies wahrscheinlich seit dem gestrigen Tage der erste Augenblick, wo er ein volles klares Bewußtsein alles dessen hatte, was vorgegangen war, und daran schloß sich nun sofort eine vollständige, demütige, sich ergebende Verzweiflung; wer weiß – noch ein Augenblick, und er wäre vielleicht in ein durch den ganzen Saal hörbares Schluchzen ausgebrochen. Stepan Trofimowitsch blickte ihn zuerst befremdet an; aber dann ließ er auf einmal den Kopf sinken und sagte mit tief gerührter Stimme:

»Exzellenz, beunruhigen Sie sich nicht weiter über meine streitsüchtige Beschwerde, und befehlen Sie nur, daß mir meine Bücher und Briefe zurückgegeben werden ...«

Er wurde unterbrochen. Gerade in diesem Augenblicke kehrte Julija Michailowna mit der ganzen Gesellschaft, die sie begleitet hatte, geräuschvoll zurück. Aber dies möchte ich möglichst eingehend schildern.

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