Gateway verdanke ich alle meine Millionen, aber auch die Gänsehaut, die mir jetzt über den Rücken läuft. Bei meiner Ankunft hier kam es mir vor, als würde ich mich selbst als Heimkehrer begrüßen. Ich sah mich als jungen, völlig mittellosen, verängstigten, verzweifelten Menschen, der nur die Wahl hatte, einen Flug zu wagen, der ihn umbringen konnte, oder an einem Ort zu bleiben, an dem niemand leben wollte. Es hatte sich nicht sehr verändert. Noch immer wollte niemand hier leben, obwohl es Leute gab, die es taten, und auch viele Touristen herkamen. Zumindest waren die Flüge nicht mehr so gefährlich wie früher. Beim Anlegen teilte ich meinem Programm Albert Einstein mit, dass ich eine philosophische Entdeckung gemacht hatte, und zwar die, dass die Dinge sich angleichen. Gateway wird sicherer und der ganze Heimatplanet Erde immer gefährlicher. »Vielleicht gibt es ein Gesetz der Erhaltung des Elends, das für jedes menschliche Wesen ein durchschnittliches Quantum an Unglücklichsein bereithält, und wir können es lediglich in die eine oder die andere Richtung verteilen.«

»Wenn du solche Sachen von dir gibst, Robin«, seufzte er, »dann mache ich mir Gedanken, ob meine Diagnoseprogramme so gut sind, wie sie sein sollten. Bist du sicher, dass du keine Schmerzen von deiner Operation hast?« Er saß – oder schien zu sitzen – auf der Kante des Pilotensitzes und überwachte die Landung, während er sich mit mir unterhielt. Ich wusste, dass das eine rein rhetorische Frage gewesen war, da er mich die ganze Zeit beobachtete.

Sobald das Schiff angelegt hatte, zog ich Alberts Datenfächer heraus, klemmte ihn unter den Arm und machte mich auf den Weg zu meinem neuen Schiff. »Keine Besichtigungstour?«, fragte Essie und betrachtete mich mit fast dem gleichen Ausdruck wie Albert. »Möchtest du, dass ich mitkomme?«

»Ich bin so gespannt auf das neue Schiff«, gab ich zur Antwort. »Ich will es mir nur schnell ansehen. Du kannst mich dort später treffen.« Ich wusste, sie war darauf erpicht festzustellen, wie sich ihre geliebten Filialen hier entwickelten. Natürlich wusste ich nicht, wem sie dort über den Weg laufen würde.

Eines der weniger komplizierten Artefakte, das die Hitschi zurückgelassen hatten, war der anisokinetische »Schubser« – ein einfaches Werkzeug, das einen ankommenden Stoß mit gleicher Kraft in jeden beliebigen Winkel zur Stoßkraft umwandeln und weiterleiten konnte. Die zugrunde liegende Theorie erwies sich nicht nur als begründet, sondern auch als elegant. Weniger im Sinne des Erfinders war der Nutzen, den die Menschen daraus zogen: Das beliebteste Erzeugnis aus anisokinetischem Material war eine Matratze mit »Federn«, deren Kraft wie ein Vektor nicht skalar verlief und dabei, wie man sagt, eine anregende Unterstützung bei sexueller Tätigkeit bewirkte. Sexuelle Aktivität! Wie viel Zeit fleischliche Intelligenz doch bei solchen Dingen verschwendet.

Ich dachte daher auch an nichts Besonderes, als ich durch die Luke in meine eigene, persönliche, von Menschen gebaute interstellare Raumjacht kletterte. Verdammt noch mal, ich war wirklich fast so gespannt, wie ich Essie gegenüber vorgegeben hatte. Ein Traum meiner Kindheit war in Erfüllung gegangen. Er war Wirklichkeit geworden. Und er gehörte mir. Es war alles vorhanden.

Nun beinahe alles. Das Schiff wies eine Eignerkabine mit einem phantastisch breiten anisokinetischen Bett auf und eine richtige Toilette im Nebenraum. Es hatte eine bis oben hin gefüllte Vorratskammer und eine beinahe richtige Küche. Es verfügte auch über Arbeitskabinen, eine für Essie und eine für mich, in denen sich versteckte Kojen befanden, falls wir Lust auf gegenseitigen Besuch verspürten. Es war mit dem ersten von Menschenhand gebauten Antriebssystem ausgerüstet, das als Zivilfahrzeug erfolgreich den Testflug mit Überlichtgeschwindigkeit bestanden hatte – zugegeben, einige Teile waren Hitschi. Man hatte sie aus kaputten Erkundungsschiffen geborgen, aber das meiste stammte von Menschenhand. Und es war kraftvoll, mit einem größeren und schnelleren Triebwerk. Es war auch an ein Heim für Albert gedacht worden: einen Fächerhalter, über dem sein Name eingraviert war. Ich steckte ihn an seinen Platz, schaltete ihn aber nicht ein, weil ich mich lieber ganz allein umsehen wollte. Es gab auch Datenfächer mit Musik und PV-Theaterstücken, Nachschlagewerken und Expertenprogrammen, um alles zu tun, wozu ich oder Essie Lust hatten. Auch einen Bildschirm wie den auf dem großen S. Ya.-Transporter gab es hier, zehnmal so groß wie die kleinen verschmierten Scheiben auf den Erkundungsschiffen. Es war alles vorhanden, was ich mir auf einem Schiff wünschen konnte. Nur etwas fehlte. Es hatte noch keinen Namen.

Ich setzte mich auf die Kante des großen anisokinetischen Betts. Der Schub fühlte sich merkwürdig an meinem Hintern an, weil er ganz nach oben gerichtet war, nicht wie bei normalen Matratzen, die einen von den Seiten einengten. Es war ein guter Ort, um über das Namensproblem nachzudenken, da die Person, nach der ich das Schiff nennen wollte, das Bett mit mir teilen würde. Allerdings hatte ich schon das Transportschiff nach ihr genannt.

Natürlich gab es Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Ich konnte das Schiff Semya nennen. Oder Essie. Oder die Mrs. Broadhead, obwohl Letzteres ziemlich dumm klang.

Die Sache war eilig. Wir waren aufbruchbereit. Uns hielt nichts auf Gateway außer der Tatsache, dass ich es nicht über mich bringen konnte, mit einem Schiff loszufahren, das keinen Namen hatte. Ich ging hinüber in die Steuerkabine und ließ mich auf den Pilotensitz fallen. Dieser war für ein menschliches Unterteil gebaut und allein dadurch schon eine immense Verbesserung gegenüber den alten Modellen.

Als Kind in den Nahrungsgruben pflegte ich oft auf einem Küchenstuhl vor dem Radarherd zu sitzen und mir vorzustellen, dass ich ein Gateway-Schiff in die entferntesten Ecken des Universums steuerte. Jetzt tat ich genau das Gleiche. Ich streckte meine Hand aus und berührte die Räder für den Kurs und bildete mir ein, die Startwarze zu drücken und … und … nun, ich phantasierte. Ich sah mich durchs All rasen auf genau die gleiche sorglose, abenteuerliche, straffreie Art, wie ich es mir als Kind vorgestellt hatte, Quasare umkreisen. Hinauseilen zu den benachbarten, fremden Galaxien. Eindringen in den Silikonstaubschleier um den Kern. Einem Hitschi begegnen! In ein Schwarzes Loch eindringen …

Meine Phantasien brachen an diesem Punkt zusammen. Das war zu persönlich, zu echt. Aber da fiel mir plötzlich ein Name für das Schiff ein. Er passte vollkommen zu Essie.

Wahre Liebe.

Es war der perfekte Name!

Wenn das stimmte, warum hinterließ er bei mir ein Gefühl unbestimmter Rührseligkeit, Liebeskummer und Schwermut?

Aber diesen Gedanken wollte ich nicht weiterverfolgen.

Auf alle Fälle hatte ich jetzt einen Namen gefunden. Nun galt es, einige Dinge zu erledigen: Die Registrierung musste ergänzt werden, die Versicherungspolicen mussten geändert – die Welt musste von meiner Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden. Der beste Weg, das alles zu bewerkstelligen, war, es Albert zu übertragen. Ich rüttelte seinen Datenfächer, um sicherzugehen, dass er fest saß, und schaltete ihn ein.

Ich hatte mich an den neuen Albert noch nicht gewöhnt und war daher sehr überrascht, als er nicht in seiner holographischen Kiste, ja nicht einmal in der Nähe seines Datenfächers auftauchte, sondern im Gang zur Hauptkabine. Er stand da und hielt mit der einen Hand seinen Ellenbogen umschlossen, eine Pfeife in der anderen, und schaute sich friedlich alles an, sodass die ganze Welt geglaubt hätte, er sei eben erst hereingekommen. »Ein wunderschönes Schiff, Robin«, sagte er. »Herzlichen Glückwunsch.«

»Ich wusste nicht, dass du so herumhüpfen kannst.«

»Ich hüpfe keineswegs herum, mein lieber Robin«, klärte er mich freundlich auf. »Es gehört zu meinem Programm, eine größtmögliche Simulation der Wirklichkeit zu bieten. Wie ein Geist aus der Flasche zu erscheinen, würde doch nicht realistisch aussehen, oder?«

»Du bist ein prima Programm, Albert«, musste ich zugeben.

Er lächelte und ergänzte: »Und auch sehr wachsam, Robin, wenn ich das sagen darf. Zum Beispiel, ich glaube, dass deine liebe Frau soeben kommt.« Er trat beiseite – völlig überflüssigerweise –, als Essie hereintrat. Sie keuchte und sah aus, als versuche sie, ihre Bestürzung nicht zu zeigen.

»Was ist los?«, fragte ich und war selbst plötzlich aufgeregt.

Sie antwortete nicht gleich. »Du hast also nichts gehört?«, fragte sie endlich.

»Was gehört?«

Sie schaute mich überrascht und gleichzeitig erleichtert an. »Albert? Du hast noch keine Verbindung mit dem Datennetz aufgenommen?«

»Das wollte ich gerade tun, Mrs. Broadhead«, gab er höflich Bescheid.

»Nein! Nicht! Da ist … äh … da sind noch einige Änderungen in der Vorspannung durchzuführen, eine Anpassung an die Gateway-Bedingungen.« Albert spitzte nachdenklich die Lippen, sagte aber nichts. Ich war nicht so schweigsam.

»Essie, spuck’s aus! Was ist los?«

Sie setzte sich auf die Bank des Kommunikators und fächelte sich Kühlung zu.

»Dieser Schurke Wan ist hier!«, sagte sie. »Der ganze Asteroid redet darüber. Ich bin erstaunt, dass du es noch nicht gehört hast. Puh! Ich bin so gerannt! Ich hatte Angst, dass du dich furchtbar aufregst.«

Ich lächelte nachsichtig. »Die Operation ist schon einige Wochen her, Essie«, erinnerte ich sie. »Ich bin nicht so schwächlich – und über Wan würde ich mich schon gar nicht so aufregen. Hab doch ein bisschen Vertrauen in mich!«

Sie sah mich genau an und nickte dann. »Stimmt«, gab sie zu. »War dumm von mir. Gut, ich geh’ wieder an die Arbeit«, fuhr sie fort. Damit stand sie auf und trat zur Tür. »Aber, denk dran, Albert – keine Schnittstellen mit dem Netz, bis ich zurückkomme!«

»Warte!«, rief ich. »Du hast ja noch gar nicht meine Neuigkeiten gehört.« Sie blieb lange genug stehen, dass ich stolz verkünden konnte: »Ich habe einen Namen für das Schiff gefunden. Wahre Liebe. Was meinst du?«

Sie brauchte lange, um darüber nachzudenken. Ihr Ausdruck war viel nachdenklicher und nicht so begeistert, wie ich erwartet hatte. Dann meinte sie: »Ja, das ist ein sehr guter Name, Robin. Gott schütze sie und alle, die auf ihr segeln, ja? Jetzt muss ich gehen.«


Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe verstand ich Essie immer noch nicht ganz. Ich teilte das Albert mit. Er saß ganz entspannt auf dem Hocker vor Essies Frisierkommode und betrachtete sich im Spiegel. Er zuckte nur die Schultern. »Meinst du, dass ihr der Name nicht gefallen hat?«, fragte ich. »Es ist ein schöner Name!«

»Das finde ich auch, Robin«, stimmte er mir zu und probierte verschiedene Posen im Spiegel aus.

»Sie schien sich auch gar nicht das Schiff ansehen zu wollen.«

»Ich glaube, ihr geht etwas im Kopf herum«, vermutete er.

»Aber was? Ich schwör’ dir, manchmal verstehe ich sie nicht«, versicherte ich noch einmal.

»Ich gebe zu, ich auch nicht, Robin«, pflichtete er mir bei. Er wandte sich vom Spiegel ab und zwinkerte mir zu. »Ich habe aber angenommen, dass es in meinem Fall so ist, weil ich eine Maschine bin und sie ein Mensch. Was könnte es denn in deinem Fall sein?«

Ich sah ihn leicht verstört an. Dann grinste ich. »Du bist ziemlich komisch mit deinem neuen Programm, Albert«, sagte ich. »Was hast du denn davon, in den Spiegel zu schauen, wo du doch gar nichts sehen kannst, wie ich weiß?«

»Was hast du davon, die Wahre Liebe anzuschauen, Robin?«

»Musst du immer eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten?«, monierte ich. Er lachte laut. Es war wirklich eine überzeugende Vorstellung gewesen. Schon immer, seit ich das Albert-Programm hatte, konnte er lachen und eigene Witze reißen. Man wusste aber stets, dass es ein Bild war, das lachte. Man konnte ihn sich als Bild einer wirklichen Person vorstellen, wenn man wollte – wie ich es meistens tat –, wie das Bild einer Person am P-Phone. Aber da war nie … wie soll ich das ausdrücken? Nie eine Präsenz. Jetzt war sie da. Ich konnte ihn nicht riechen, aber ich konnte seine physische Anwesenheit im Zimmer mit mehr Sinnen wahrnehmen als nur durch Hören oder Sehen. Temperatur? Masse? Ich weiß es nicht. Es war das, woran man erkennt, dass jemand mit einem im Zimmer ist.

»Die Antwort ist«, erklärte er wieder ernst, »dass diese äußere Erscheinung meine Entsprechung für ein neues Schiff oder einen neuen Sonntagsanzug – oder welche Analogie du auch immer wählen willst – ist. Ich sehe sie mir nur mal an, um festzustellen, ob sie mir gefällt. Wie gefalle ich dir denn? Das ist schließlich viel wichtiger.«

»Sei nicht so bescheiden, Albert!«, bemerkte ich. »Dein Aussehen gefällt mir sehr gut. Ich wünschte nur, du wärst an die Datennetze angeschlossen. Ich wüsste gerne, ob die Leute, die ich bearbeitet habe, irgendetwas wegen der Terroristen unternommen haben, zum Beispiel.«

»Ich werde selbstverständlich deine Befehle ausführen, Robin«, beeilte er sich, mir zu versichern. »Aber Mrs. Broadhead hat sich sehr klar ausgedrückt.«

»Nein. Ich will nicht, dass du dich in die Luft jagst oder deine Unterprogramme ruinierst. Ich weiß, was ich mache«, sagte ich und stand auf, als die Glühbirne über meinem Kopf aufleuchtete. »Ich gehe hinaus auf den Korridor und stöpsele mich in das Kom-Netz ein – vorausgesetzt«, scherzte ich, »dass ich nicht vergessen habe, wie man telefoniert.«

»Das kannst du natürlich machen«, räumte er ein. Seine Stimme klang aus irgendeinem Grund besorgt. »Es ist aber nicht nötig, Robin.«

»Eigentlich nicht«, gab ich zu und blieb auf halbem Weg zur Tür stehen. »Aber ich bin neugierig, wie du weißt.«

»Um deine Neugier zu stillen«, erwiderte er lächelnd, während er sich eine Pfeife stopfte – aber es war ein gezwungenes Lächeln, dachte ich. »Also, dann will ich dir sagen, dass ich vor unserer Landung ständig Verbindung mit dem Netz hatte. Es gab nichts wirklich Neues. Es ist natürlich möglich, dass das Ausbleiben von Nachrichten auch interessant sein könnte, sogar ermutigend.«

Ich hatte mich an den neuen Albert noch nicht ganz gewöhnt. Ich setzte mich wieder und sah ihn an.

»Dr. Einstein, es macht dir Spaß, in Rätseln zu sprechen, du alter Saukopf«, scherzte ich.

»Nur, wenn ich eine Information übermittle, die nicht ganz klar ist.« Er lächelte. »General Manzbergen nimmt zurzeit keine Anrufe von dir entgegen. Der Senator sagt, er hat getan, was er konnte. Maitre Ijsinger behauptet, dass Kwiatkowski und unser Freund aus Malaysia auf die Bemühungen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, nicht reagiert haben. Und von den Albanern hat er nur die Nachricht bekommen: ›Machen Sie sich keine Sorgen!‹«

»Dann geschieht doch etwas!«, rief ich und sprang wieder auf.

»Etwas könnte geschehen«, verbesserte er mich. »Und wenn etwas geschieht, können wir nichts anderes tun, als es geschehen lassen. Auf alle Fälle, Robin«, fuhr er schmeichelnd fort, »wäre es mir persönlich sehr viel lieber, wenn du das Schiff jetzt nicht verlassen würdest. Aus einem ganz einfachen Grund: Woher weißt du, dass da draußen nicht wieder jemand mit einem Gewehr auf dich wartet?«

»Ein Terrorist? Hier?«

»Hier oder in Rotterdam – warum ist ein Ort unwahrscheinlicher als der andere? Erinnere dich, bitte, Robin, dass ich mit solchen Dingen meine Erfahrungen habe. Die Nazis haben einmal zwanzigtausend Mark auf meinen Kopf als Preis ausgesetzt. Du kannst sicher sein, dass ich sehr vorsichtig war, damit sich keiner diesen Preis holen konnte.«

Ich blieb an der Tür stehen. »Die Wazis?«

»Die Nazis, Robin. Eine Gruppe von Terroristen, die vor vielen Jahren in Deutschland die Macht an sich gerissen haben. Das war damals, als ich noch lebte.«

»Als du was?«

»Ich meine natürlich«, er zuckte mit den Achseln, »als der Mensch, dessen Namen du mir gegeben hast, gelebt hat. Von meinem Standpunkt aus ist dieser Unterschied völlig unwichtig.« Er steckte zerstreut die gestopfte Pfeife in die Tasche und setzte sich so natürlich und freundlich hin, dass ich mich unwillkürlich auch wieder setzte.

»Ich glaube, ich habe mich an dein neues Ich noch nicht ganz gewöhnt, Albert«, entschuldigte ich mich.

Wenn es auch interessant ist, mich aus Robins Perspektive zu sehen, ist es nicht sehr angenehm. Mrs. Broadheads Programmierung beschränkte mich darauf, so zu sprechen, zu handeln und sogar zu denken, wie es der ursprüngliche Albert Einstein getan hätte, wenn er noch am Leben wäre und meine Rolle übernommen hätte. Robin scheint das für grotesk zu halten. In gewissem Sinn hat er Recht. Menschliche Wesen sind grotesk.

»Dazu wäre doch jetzt die beste Gelegenheit, Robin.« Er lächelte und plusterte sich auf. Er war viel kompakter geworden. Die alten Hologramme zeigten ihn in über einem Dutzend charakteristischer Posen, mit ausgeleiertem Pullover oder T-Shirt, mit oder ohne Socken, in Pantoffeln oder Segeltuchschuhen, mit Pfeife oder Bleistift. Heute hatte er auch ein T-Shirt an, aber darüber trug er eine dieser weiten europäischen Strickjacken mit Knöpfen und Taschen, die wie ein Sakko aussehen, aber aus Wolle gestrickt sind. An dieser Jacke war ein Ansteckknopf, auf dem stand »Zwei Prozent«. Außerdem war sein Kinn von blassen, kaum sichtbaren Stoppeln bedeckt, sodass man den Eindruck bekam, dass er sich heute Morgen nicht rasiert hatte. Aber natürlich hatte er sich nicht rasiert! Er würde sich nie rasieren, weil er nur die holographische Projektion einer Computerkonstruktion war – aber so überzeugend und mitreißend, dass ich ihm beinahe meinen Rasierapparat angeboten hätte!

Ich lachte und schüttelte den Kopf. »Was bedeutet ›Zwei Prozent‹?«

»Ach«, antwortete er verlegen. »Das war so eine Parole in meiner Jugendzeit. Wenn zwei Prozent der Menschheit sich weigern würden zu kämpfen, gäbe es keinen Krieg.«

»Glaubst du das auch jetzt noch?«

»Ich hoffe es, Robin«, verbesserte er mich. »Die aktuellen Nachrichten sind dieser Hoffnung nicht gerade förderlich, das muss ich zugeben. Möchtest du noch den Rest der Nachrichten hören?«

»Ich sollte wohl«, erwiderte ich und sah zu, wie er wieder zu Essies Frisierkommode hinüberschlenderte und sich dort niederließ. Er spielte mit dem Parfümfläschchen und anderem weiblichem Schnickschnack, der dort zur Dekoration herumstand, während er sprach. Er benahm sich so normal, so menschlich, dass dies mich von dem, was er sagte, ablenkte. Das war auch gut so, denn die Nachrichten waren schlecht. Die Terroristen waren aktiver als je zuvor. Die Zerstörung der Lofstromschlaufe war tatsächlich der erste Schritt eines Aufstandes gewesen, und ein kleiner, blutiger Krieg tobte in dem Teil Südamerikas. Terroristen hatten Botulismustoxin4 ins Staines-Reservoir geschüttet, und jetzt musste ganz London Durst leiden. Solche Nachrichten wollte ich nicht hören. Das sagte ich ihm auch.

Er seufzte und stimmte mir zu. »Es waren freundlichere Tage, als ich noch lebte«, meinte er wehmütig. »Wenn auch nicht vollkommen, das steht fest. Vielleicht hätte ich Präsident des Staates Israel werden können, wusstest du das, Robin? Ja. Aber ich konnte nicht annehmen. Ich war immer für den Frieden gewesen, und ein Staat muss manchmal einen Krieg führen. Loeb5 vertraute mir einmal an, dass alle Politiker krank sein müssen, und ich fürchte, er hatte Recht.« Er setzte sich auf und strahlte. »Aber hier ist auch eine gute Nachricht, Robin! Die Broadhead Awards für Wissenschaftliche Entdeckungen …«

»Die was?«

»Aber erinnere dich doch, Robin«, verlangte er ungeduldig. »Das System der Preise. Du hast mich kurz vor deiner Operation bevollmächtigt, die Sache einzuleiten. Die Idee beginnt bereits, Früchte zu tragen.«

»Du hast das Geheimnis der Hitschi gelüftet?«

»Ach, Robin, ich stelle fest, dass du scherzt«, sagte er mit leichtem Tadel. »Natürlich nichts so Überwältigendes. Aber es gibt da einen Physiker in Laguna Beach – Beckfurt. Kennst du seine Arbeiten? Er hat ein System vorgeschlagen, um flachen Raum zu schaffen.«

»Nein. Ich weiß nicht einmal, was flacher Raum bedeutet.«

»Na schön«, sagte er und fand sich mit meiner Unwissenheit ab. »Das spielt jetzt auch keine Rolle. Er arbeitet zurzeit an einer mathematischen Analyse fehlender Masse. Es sieht so aus, Robin, als sei dieses Phänomen ganz jung! Irgendwie ist innerhalb der letzten paar Millionen Jahre Masse zum Universum hinzugefügt worden!«

»Na so was!«, bemerkte ich und versuchte ein Gesicht zu machen, als verstünde ich es. Ich konnte ihn aber nicht täuschen.

Ungeduldig forderte er mich auf: »Robin, erinnere dich doch an den Toten Menschen – das heißt die Tote Frau – auf der jetzigen S. Ya. Broadhead, die uns vor vielen Jahren zu der Auffassung bringen wollte, dass dieses Phänomen etwas mit einer Handlung der Hitschi zu tun hätte. Wir haben das seinerzeit verworfen, da kein Grund zu dieser Annahme zu bestehen schien.«

»Ich erinnere mich«, warf ich ein, was nur teilweise stimmte. Ich erinnerte mich: Albert hatte die wilde Vorstellung, dass aus einem nicht näher ausgeführten Grund die Hitschi das Universum kollabieren ließen, um einen neuen Urknall und damit ein neues Universum mit etwas anderen physikalischen Gesetzen zu schaffen. Aber dann hatte Albert seine Meinung geändert. Mit Sicherheit hatte er mir alle seine Gründe dafür vorgetragen, aber ich hatte nicht viel davon behalten. »Mach?«, fragte ich. »Irgendetwas mit diesem Mach? Und jemand, der Davies hieß?«

»Genau richtig, Robin!«, lobte er mich und strahlte vor Freude. »Machs Hypothese schlug einen Anlass für die Handlungen der Hitschi vor, aber Davies’ Paradoxon stellte dies als unwahrscheinlich hin. Jetzt hat Beckfurt analytisch nachgewiesen, dass Davies’ Paradoxon nicht unbedingt zutreffen muss, wenn man annimmt, dass die Zahl der Expansionen und Kontraktionen des Universums unendlich ist!« Er stand auf und ging hin und her. Er war mit sich so zufrieden, dass er nicht still sitzen konnte. Ich verstand nicht, worüber er sich so freute.

»Albert«, fragte ich unsicher. »Willst du andeuten, dass das Universum uns um die Ohren fliegen wird und wir alle zu – wie nennst du das? – Phloem zermalmt werden?«

»Ganz genau, mein lieber Junge!«

»Und darüber bist du glücklich?«

»Allerdings! Ach«, sagte er und blieb an der Tür stehen. »Ich sehe wo du Schwierigkeiten hast. Das wird nicht bald geschehen, sondern ist eine Angelegenheit von wenigstens einigen Milliarden Jahren, das steht fest.«

Ich lehnte mich zurück und schaute ihn an. Es war nicht so leicht, sich an diesen neuen Albert zu gewöhnen! Er schien nichts dabei zu finden, fröhlich über all die halbgaren Vorstellungen zu plaudern, die seit der Ausschreibung der Preise eingegangen waren. Unbekümmert äußerte er auch, was er sich dabei gedacht hatte. Gedacht?

»Moment mal«, unterbrach ich ihn und runzelte die Stirn. Da war etwas, das ich nicht kapierte. »Wann?«

»Wann was, Robin?«

»Wann hast du darüber nachgedacht? Du warst doch ausgeschaltet, wenn wir uns nicht unterhalten haben.«

»Stimmt genau, Robin. Als ich ›ausgeschaltet war‹, wie du es nennst.« Seine Augen funkelten verschmitzt. »Jetzt hat mich Mrs. Broadhead mit einer fest installierten, umfangreichen Datenbank ausgestattet. Ich höre jetzt nicht mehr auf zu existieren, wenn du mich ausschaltest.«

»Das wusste ich nicht.«

»Und es macht mir so viel Freude, wie du dir gar nicht vorstellen kannst! Einfach denken! Mein ganzes Leben habe ich mir das sehnlichst gewünscht. Als junger Mann habe ich vor Freude geweint, wenn ich die Möglichkeit hatte, still dazusitzen und zu denken – zum Beispiel, wie man für bekannte mathematische und physikalische Theoreme die Beweise wiederherstellen konnte. Jetzt kann ich das sehr oft tun, und noch viel schneller als damals, als ich noch lebte! Ich bin deiner Frau dafür zu tiefstem Dank verpflichtet.« Er spitzte ein Ohr. »Da kommt sie zurück, Robin«, sagte er. »Mrs. Broadhead? Mir ist gerade eingefallen, dass ich Ihnen für diese neue Programmierung noch meinen Dank aussprechen muss.«

Sie sah ihn leicht verwundert an und schüttelte den Kopf. »Liebster Robin«, begann sie. »Ich muss dir etwas mitteilen. Einen Moment.« Sie wandte sich an Albert und warf ihm einige schnelle Sätze auf Russisch zu. Er nickte und machte ein ernstes Gesicht. Manchmal brauche ich sehr lange, um etwas mitzubekommen. Aber jetzt hatte sogar ich kapiert, dass etwas vorging, das ich wissen sollte. »Raus mit der Sprache, Essie!«, verlangte ich. Ich war sehr in Unruhe, vor allem, weil ich den Grund meiner Unruhe nicht kannte. »Was ist los? Hat Wan etwas verbrochen?«

Robin verstand Davies’ Paradoxon nicht ganz, aber er verstand ja nicht einmal das viel berühmtere Olbers-Paradoxon, das den Astronomen damals im 19. Jahrhundert so viel zu schaffen gemacht hatte. Olbers sagte: Wenn das Universum unendlich ist, muss es auch eine unendliche Zahl von Sternen geben. Das bedeutet, dass wir nicht einzelne Sterne am schwarzen Himmel sehen können, sondern eine feste, strahlend weiße Kuppel aus Sternenlicht. Er wies das mathematisch nach. (Er wusste allerdings nicht, dass die Sterne zu Galaxien zusammengeschlossen waren, was die mathematischen Gegebenheiten veränderte.) Dann argumentierte ein Jahrhundert später Paul Davies: Wenn es stimmt, dass das Universum zyklisch ist und sich immer wieder ausweitet und zusammenzieht, dann ist es einem winzigen Teil aus Materie oder Energie möglich, sich aus dem Druck herauszuhalten und ins nächste Universum überzuwechseln. Eine unendliche Zeitspanne später würde dieses Restlicht unendlich anwachsen und wieder zu einem Olbers-Himmel führen. Er wusste aber nicht, dass die Zahl der Schwingungen, denen ein kleines Energieteilchen draußen ausgesetzt war, nicht unendlich war.

»Wan hat Gateway verlassen. Nicht einen Augenblick zu früh. Er hatte Schwierigkeiten mit der Gateway AG und vielen anderen. Ich will aber nicht über Wan sprechen. Ich habe eine Frau in meinem Lokal gesehen, die der Frau sehr ähnlich war, liebster Robin, die du vor mir geliebt hast – Gelle-Klara Moynlin. Sie war ihr so ähnlich, dass ich dachte, sie sei vielleicht die Tochter.«

Ich starrte sie an. »Was … woher weißt du überhaupt, wie Klara ausgesehen hat?«

»Ach, Robin«, entgegnete sie ungeduldig. »Fünfundzwanzig Jahre – und ich bin Spezialist im Datenabrufen! Du glaubst, ich könnte das nicht arrangieren? Ich kenne sie genau, Robin. Jedes Detail ist aufgezeichnet.«

»Ja, aber … sie hatte nie eine Tochter.« Ich hielt inne. Plötzlich war mir der Gedanke gekommen, ob ich das auch sicher wusste. Ich hatte Klara sehr geliebt, aber nicht sehr lange. Es war durchaus möglich, dass es in ihrem Leben Dinge gab, die sie mir in der kurzen Zeit gar nicht hatte erzählen können.

»Ehrlich«, fuhr Essie verlegen fort. »Mein erster Gedanke war, sie sei vielleicht deine Tochter. Theoretisch, du verstehst? Aber es wäre möglich. Du könntest der Lady ein Kind gemacht haben, oder? Aber jetzt …« Sie wandte sich wieder Albert zu. »Albert! Bist du mit dem Suchen fertig?«

»Ja, Mrs. Broadhead.« Er nickte und schaute ernst drein. »In Gelle-Klara Moynlins Akten findet sich kein Hinweis, dass sie je ein Kind geboren hat.«

»Und?«

Er machte sich umständlich mit seiner Pfeife zu schaffen. »Es besteht kein Zweifel in Bezug auf die Identität, Mrs. Broadhead. Sie ist vor zwei Tagen angekommen – mit Wan.«

Essie seufzte. »Dann gibt es keinen Zweifel, dass die Frau im Lokal Klara und keine Schwindlerin war«, folgerte sie tapfer.

In diesem Augenblick, in dem ich mich bemühte, das zu erfassen, was man mir soeben mitgeteilt hatte, in diesem Augenblick wünschte ich mir am sehnlichsten die lindernde, heilende Anwesenheit meines alten Psychoanalyseprogramms, Sigfrid Seelenklempner. Ich brauchte Hilfe.

Klara? Lebendig? Hier? Wenn das unmöglich Scheinende wahr war, was sollte ich tun?

Es war leicht, mir einzureden, dass ich Klara nichts schuldete, dass ich alles bezahlt hatte. Die Währung, mit der ich bezahlte, war lange Trauer, tiefe und treue Liebe, ein Gefühl des Verlusts, das auch drei Jahrzehnte nicht ganz zum Verstummen bringen konnten. Und zwischen uns war ein Abgrund, den ich nicht überbrücken konnte. Erträglich machte das für mich nur, dass ich schließlich doch gelernt hatte zu glauben, dass es nicht meine Schuld war.

Aber nun hatte sich dieser Abgrund irgendwie selbst überbrückt. Sie war hier! Und ich war hier – mit meiner Frau und einem gut geordneten Leben und keinem Platz für die Frau, der ich versprochen hatte, sie immer und ausschließlich zu lieben.

»Da ist noch mehr«, sagte Essie und beobachtete mein Gesicht.

Ich war in dem Moment kein guter Gesprächspartner. »Ja?«

»Noch mehr. Wan ist mit zwei Frauen gekommen, nicht nur mit einer. Die zweite ist Dolly Walthers, die untreue Frau des Mannes, den wir in Rotterdam getroffen haben, erinnerst du dich? Junge Person. Vom Weinen ist ihr Augen-Make-up verschmiert – sonst eine hübsche junge Frau, aber nicht mit hübschen Gedanken. Die U.S.-Militärpolizei hat sie verhaftet, als Wan ohne Erlaubnis abflog. Also bin ich zu ihr gegangen und wollte mit ihr reden.«

»Dolly Walthers?«

»Robin, bitte, hör zu! Ja, Dolly Walthers. Sie konnte mir nur wenig sagen, weil die MPs andere Pläne mit ihr hatten. Die Amerikaner wollen sie ins Hohe Pentagon bringen. Die Brasilianer versuchten das zu stoppen. Großer Krach. Aber die Amerikaner haben schließlich gewonnen.«

Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich verstanden hatte. »Kapiere! Die Amerikaner haben Dolly Walthers verhaftet.«

Essie sah mich scharf an. »Geht es dir auch gut, Robin?«

»Aber sicher! Ich fühle mich wohl. Ich mache mir nur wegen der Spannungen zwischen den Amerikanern und den Brasilianern Sorgen. Ich hoffe, dass dieser Vorfall sie nicht davon abhält, ihre Daten zu koordinieren.«

»Ah«, sagte Essie, »jetzt verstehe ich. Du warst in Sorge, ich war aber nicht sicher, worüber.« Dann biss sie sich auf die Lippe. »Entschuldige bitte, liebster Robin. Ich bin auch ein bisschen durcheinander, glaube ich.«

Sie setzte sich auf die Bettkante und zuckte empfindlich zusammen, als die anisokinetische Matratze nach ihr stieß. »Die praktische Seite zuerst«, entschied sie und runzelte die Stirn. »Was machen wir jetzt? Hier die Alternativen: Erstens, abfahren wie geplant und das Objekt untersuchen, das Walthers gefunden hat. Zweitens, wir versuchen mehr Informationen über Gelle-Klara Moynlin zu bekommen. Drittens, wir essen und schlafen eine Nacht, ehe wir irgendetwas unternehmen – weil«, fügte sie tadelnd hinzu, »du nicht vergessen darfst, Robin, dass du immer noch Rekonvaleszent nach einer schweren Abdomenoperation bist. Ich persönlich bin für Alternative drei. Was denkst du?«

Während ich noch über diese schwierige Frage nachdachte, räusperte sich Albert.

»Mrs. Broadhead? Mir ist gerade eingefallen, dass es nicht sehr teuer wäre, vielleicht ein paar hunderttausend Dollar, einen Eimer für ein paar Tage zu chartern und ihn auf eine Fotoaufklärungsmission hinauszuschicken.« Ich sah zu ihm hin und versuchte, seinen Gedankengängen zu folgen. »Er könnte das Objekt, an dem Sie interessiert sind, aufspüren«, erklärte er weiter. »Dann beobachten und uns darüber Bericht erstatten. Schiffe für einen einzelnen Passagier sind im Augenblick nicht sehr gefragt, glaube ich. Außerdem sind davon mehrere auf Gateway vorhanden.«

»Was für eine gute Idee!«, rief Essie. »Das wollen wir machen, ja? Arrangiere alles, Albert! Und gleichzeitig koch etwas besonders Leckeres für unser erstes Essen auf, äh, auf dem neuen Schiff Wahre Liebe!«

Da ich nichts dagegen hatte, machten wir es so. Ich brachte keinen Einwand vor, weil ich im Schockzustand war. Das Schlimmste daran ist, man weiß nicht, dass man sich im Schockzustand befindet. Ich hielt mich für hellwach und klar. Ich aß, was man mir vorlegte, und bemerkte nichts Merkwürdiges, bis Essie mich in das große, federnde Bett steckte.

»Warum sagst du nichts?«, fragte ich.

»Weil du die letzten zehnmal, wenn ich mit dir gesprochen habe, nicht geantwortet hast«, stellte sie ohne jeden Vorwurf fest. »Ich sehe dich morgen früh.«

Mir war gleich klar, was das zu bedeuten hatte. »Du willst in der Gästekabine schlafen?«

»Ja. Nicht aus Ärger, Liebes, auch nicht aus Kummer. Will dich nur ein bisschen allein lassen, ja?«

»Naja … Ich meine, ja! Sicher, Liebling. Das ist wahrscheinlich eine gute Idee«, räumte ich ein. Langsam dämmerte es mir, dass Essie wirklich verstört war und sie nicht wollte, dass ich mir ihretwegen Sorgen machte. Ich nahm ihre Hand und küsste das innere Handgelenk, ehe ich sie gehen ließ. Ich raffte mich sogar noch zu einem Gespräch auf. »Essie? Hätte ich dich fragen sollen, ehe ich dem Schiff einen Namen gab?«

Sie spitzte den Mund. »Wahre Liebe ist ein guter Name«, meinte sie verständnisvoll.

Trotzdem schien sie noch Vorbehalte zu haben. Ich wusste nicht, warum. »Ich hätte dich gefragt«, begründete ich mein Verhalten. »Aber es kam mir so schäbig vor, den Menschen zu fragen, nach dem man das Schiff nennen will. Das wäre genauso, als würde ich dich fragen, was du dir zum Geburtstag wünschst, statt mir selbst darüber den Kopf zu zerbrechen.«

Sie lächelte entspannt. »Robin, Liebes, aber du fragst sonst immer. Nicht wichtig, ehrlich! Und, ja, Wahre Liebe ist ein wirklich hervorragender Name, jetzt wo ich weiß, dass die wahre Liebe, an die du gedacht hast, ich bin.«


Ich vermute, Albert hatte wieder einen seiner kleinen Zaubertränke gemixt; denn ich schlief sofort ein. Aber ich schlief nicht lange. Drei oder vier Stunden später lag ich hellwach, ziemlich ruhig und sehr verwirrt im anisokinetischen Bett.

Draußen an der Peripherie von Gateway, wo die Andockgruben sind, herrscht wegen der Rotation etwas Zentrifugalkraft. Unten wird oben. Aber nicht an Bord der Wahren Liebe. Albert hatte das Schiff angeworfen. Dieselbe Kraft, die uns während des Flugs davon abhielt umherzutreiben, neutralisierte den Schub der Drehung des Asteroiden und polte ihn um. Ich wurde behutsam ins Bett gepresst. Ich fühlte das schwache Summen der Versorgungssysteme, welche die Luft erneuerten, den Druck in den Röhren konstant hielten und alle Arbeiten ausführten, die das Schiff am Leben erhielten. Ich wusste, dass Albert erscheinen würde, wenn ich seinen Namen aussprach – in welcher Aufmachung wusste ich natürlich nicht. Es hätte sich fast gelohnt, ihn zu rufen, um zu sehen, ob er durch die Tür sprechen oder unter dem Bett hervorkriechen würde, um mich zu unterhalten. Ich glaube, im Essen war nicht nur ein Schlafmittel, sondern auch ein Stimmungsaufheller, denn ich fühlte mich trotz meiner Probleme ganz entspannt – allerdings konnte dieses Wohlbefinden die Probleme nicht lösen.

Welche Probleme lösen? Das war das erste Problem. Meine Dringlichkeitsliste war in den letzten Wochen so oft umgeworfen worden, dass ich nicht mehr wusste, was ich an die Spitze setzen sollte. Da war das harte, gefährliche Problem der Terroristen. Das musste aus mehr als nur meinen persönlichen Gründen gelöst werden, war aber eine Position nach unten gerutscht, als Audee Walthers mir sein Problem in Rotterdam auf den Tisch gelegt hatte. Dann war noch das Problem meiner Gesundheit, das schien aber, zumindest vorübergehend, in den Hintergrund getreten zu sein. Und dann war da das neue und unlösbare Problem Klara. Ich war sicher, jedes Problem für sich erledigen zu können, auch alle vier auf einmal – so oder so –, aber wie ganz genau? Was sollte ich tun, wenn ich aufstand?

Da ich darauf keine Antwort wusste, blieb ich liegen.

Ich schlief wieder ein. Als ich diesmal aufwachte, war ich nicht allein. »Guten Morgen, Essie«, sagte ich und griff nach ihrer Hand.

»Guten Morgen«, erwiderte sie und hielt meine Hand mit der liebevollen, vertrauten Geste an ihre Wange. Dann sprach sie aber ein Thema an, das uns nicht vertraut war. »Du fühlst dich gut, Robin? Gut! Ich habe über unsere Situation nachgedacht.«

»Ach ja«, bemerkte ich. Ich spürte, wie ich mich langsam verkrampfte. Die friedliche Entspannung wurde Stück für Stück angeknabbert. »Und welche Situation ist das?«

»Die Klara-Moynlin-Situation, was sonst?«, antwortete sie. »Ich sehe, es ist sehr schwierig für dich, Robin, Liebes.«

»Ach«, gab ich zu. »So was passiert nun mal.« Es war nicht die Situation, die ich unbefangen mit Essie besprechen konnte; aber das hielt Essie nicht davon ab, sie mit mir diskutieren zu wollen.

»Lieber Robin«, begann sie von neuem. Ihre Stimme klang ruhig, und auch ihr Gesichtsausdruck zeigte im schwachen Licht keine Regung. »Es hat keinen Zweck, alles zurückzuhalten. Das staut sich und explodiert.«

Ich drückte ihre Hand. »Hast du Nachhilfe bei Sigfrid Seelenklempner genommen? Genau das hat er auch immer gesagt.«

»Es war ein gutes Programm. Bitte, glaube mir, ich verstehe, was in deinem Herzen vorgeht.«

»Ich weiß, dass du das tust, aber …«

»Aber«, sie nickte, »dir ist es peinlich, mit mir darüber zu reden, weil ich in diesem Fall die andere Frau bin. Ohne mich gäbe es kein Problem.«

»Verdammt noch mal! Das ist nicht wahr!« Ich hatte nicht brüllen wollen, aber vielleicht hatte sich in mir wirklich einiges aufgestaut.

»Falsch, Robin! Es ist wahr. Wenn ich nicht existierte, könntest du Klara suchen und auch zweifellos finden und dann entscheiden, was du in dieser quälenden Situation machen willst. Vielleicht werdet ihr wieder ein Liebespaar. Vielleicht nicht – Klara ist eine junge Frau. Vielleicht will sie kein altes Wrack mit Ersatzteilen als Liebhaber! Nein, ich schließe diese Möglichkeit aus! Tut mir Leid.«

Sie dachte einen Augenblick lang nach und verbesserte sich dann: »Nein, stimmt nicht. Es tut mir kein bisschen Leid! Wir lieben uns. Ich schätze das sehr hoch, aber das Problem bleibt! Aber, Robin, keiner ist schuld daran. Du nicht – ich nicht! Und auf keinen Fall trägt Klara Moynlin die Schuld. Die ganze Schuld, die Angst und Sorgen sind in deinem Kopf. Nein, Robin, versteh mich nicht falsch! Das kann in deinem Kopf furchtbar wehtun, besonders bei einem Menschen mit einem so ausgeprägten Gewissen, wie du es hast. Aber es ist ein Papiertiger! Blas – und er fliegt weg! Das Problem ist nicht, dass Klara wieder da ist, sondern dass du dich schuldig fühlst.«

Es war offensichtlich, dass ich nicht der Einzige gewesen war, der heute Nacht schlecht geschlafen hatte. Essie hatte diese Rede öfter und lange geprobt.

Ich setzte mich auf und sog die Luft ein. »Ist das Kaffee, was du mitgebracht hast?«

»Nur, wenn du willst, Robin.«

»Ich will.« Während sie mir die Kanne und eine Tasse reichte, dachte ich nach. »Bestimmt hast du Recht«, stimmte ich ihr zu. »Ich weiß es. Ich weiß aber nicht, wie Sigfrid immer zu sagen pflegte, wie ich dieses Wissen in mein Leben integrieren soll.«

Sie nickte. »Kapiere. Ich habe Fehler gemacht. Hätte Sigfrids Unterprogramme in Albert einbauen sollen, statt der Feinschmeckerküche. Ich habe mir schon Änderungen überlegt, weil mir das schwer auf dem Gewissen liegt.«

»Aber Liebling, das ist doch nicht deine …«

»… Schuld! Nein. Das ist der Kern unserer Unterhaltung, korrekt?« Essie beugte sich vor und gab mir einen flüchtigen Kuss. Dann schaute sie wieder besorgt. »Warte, Robin, ich ziehe den Kuss zurück. Bei psychoanalytischer Arbeit ist der Analytiker nicht wichtig. Das hast du mir oft gesagt. Wichtiger ist, was im Kopf des Patienten geschieht – bei dir. Also kann der Analytiker eine Maschine sein, sogar eine rudimentäre Maschine oder ein Idiot mit Mundgeruch oder ein Mensch mit Doktorgrad … oder ich.«

»Du?«

Sie zuckte zusammen. »Ich habe schon schmeichelndere Töne von dir gehört«, beschwerte sie sich.

»Du willst mich analysieren?«

»Ja, warum nicht?«, bestätigte sie kämpferisch. »Als Freund. Als guter und intelligenter Freund will ich dir zuhören. Ich verspreche kein Urteil. Ich verspreche Folgendes, Robin: Als Freund will ich dich reden lassen, schreien, weinen, kämpfen, bis alles herauskommt. Damit du klar siehst, was du willst und fühlst.«

Mein Herz schmolz bei ihren Worten dahin. Ich konnte nur noch stammeln: »Ach, Essie …« Ich hätte ohne Schwierigkeiten jederzeit losheulen können.

Stattdessen nahm ich noch einen Schluck Kaffee und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass das funktionieren würde«, gab ich zu bedenken. Es tat mir Leid, was man mir sicher auch anhörte; aber ich war auch – wie konnte man das Gefühl beschreiben? – interessiert. Technisch interessiert. Interessiert, wie an einem kniffligen Problem, das gelöst werden musste.

»Warum soll es nicht funktionieren?«, fragte sie aufgebracht. »Hör, Robin, ich habe das genau überlegt. Ich erinnere mich an alles, was du darüber erzählt hast. Ich zitiere direkt: Der beste Teil der Sitzungen war, wie du gesagt hast, wenn du auf dem Weg zu Sigfrid geprobt hast, was Sigfrid sagen und was du antworten wirst.«

»Hab’ ich das gesagt?« Ich war immer erstaunt, wie viel Essie von dem müßigen Geplapper eines gemeinsamen Vierteljahrhunderts im Gedächtnis behielt.

»Ganz genau«, stellte sie zufrieden fest. »So, warum nicht ich? Nur weil ich persönlich beteiligt bin?«

»Nun, das würde es schon komplizieren.«

»Schwierige Sachen soll man sofort tun«, erklärte sie fröhlich. »Unmögliche brauchen manchmal fast eine Woche.«

»Ich hab’ dich lieb«, sagte ich. »Aber …« Ich dachte nach. »Sieh mal, es ist nicht nur eine Frage des Zuhörens. Bei der ganzen Seelenklempnerei ist das Wichtigste, dass das Programm auch das ganze nonverbale Zeug registriert. Verstehst du, was ich meine? Das ›Ich‹, das dort redet, weiß nicht immer, was es sagen will. Es sperrt sich, weil es schmerzhaft ist, das ganze alte Zeug herauszulassen, und es will keine Schmerzen.«

»Ich würde deine Hand halten, wenn du Schmerzen hast, Robin.«

»Natürlich würdest du das. Aber würdest du das nonverbale Zeug verstehen? Das innere, schweigende ›Ich‹ spricht in Symbolen. Träume. Freudsche Versprecher. Unerklärliche Abneigungen. Ängste. Bedürfnisse. Zucken und Zwinkern. Allergien – alle diese Dinge, Essie, und noch tausend andere, wie Impotenz, Kurzatmigkeit, Juckreiz, Schlaflosigkeit. Ich will damit nicht sagen, dass ich an all diesen Dingen leide …«

»Sicher nicht an allen!«

»… aber sie gehören zu dem Wortschatz, den Sigfrid lesen konnte. Ich kann es nicht und du auch nicht.«

Essie seufzte und nahm die Niederlage hin. »Dann bleibt nur noch Plan B«, schlug sie vor. »Albert! Mach das Licht an! Komm herein!«

Langsam gingen die Lichter an, und Albert Einstein trat durch die Tür. Er reckte und streckte sich nicht wirklich, erweckte aber trotzdem den Eindruck eines ältlichen Genies, das eben aus den Federn gekrochen war und nun für alles bereit war; aber noch nicht ganz wach. »Hast du den Fotoaufklärer gechartert?«, fragte Essie.

»Er ist schon unterwegs, Mrs. Broadhead«, gab er Bescheid.

Mir kam es so vor, als hätte ich dem Unternehmen eigentlich noch nicht zugestimmt, aber vielleicht doch. »Und«, fuhr sie fort, »sind alle Meldungen abgeschickt, wie vereinbart?«

»Alle, Mrs. Broadhead.« Er nickte. »Wie Sie es angeordnet hatten. An alle hochstehenden Persönlichkeiten im militärischen Bereich oder in der Regierung der Vereinigten Staaten, die Robin einen Gefallen schuldig sind, mit der Bitte, sie möchten ihre Beziehungen darauf verwenden, dass die Leute im Pentagon uns mit Dolly Walthers sprechen lassen.«

»Ja. Das ist, was ich angeordnet habe«, stimmte ihm Essie zu. Dann wandte sie sich mir zu. »Du siehst, jetzt gibt es nur noch diesen Weg. Geh und finde Dolly! Geh und finde Wan! Geh und finde Klara!« Ihre Stimme klang fest, aber ihr Ausdruck war plötzlich nicht mehr so zuversichtlich und sehr verwundbar. »Dann werden wir sehen, Robin. Alles Glück für uns alle.«

Sie war so schnell, dass ich ihr nicht folgen konnte. Meine Augen fielen mir vor Überraschung fast heraus. »Essie! Was geht hier vor? Wer hat gesagt …«

»Das war ich, liebster Robin! Ich kann nicht fertig werden mit Klara als Geist im Unterbewusstsein. Vielleicht, wenn die echte, lebende Klara dir gegenübersteht. Das ist der einzige Weg, korrekt?«

»Essie!« Ich war tief erschüttert. »Du hast diese Meldungen geschickt? Du hast meine Unterschrift gefälscht?«

»Moment mal. Robin! Warte!«, erwiderte sie, nun ihrerseits erschüttert. »Was heißt gefälscht? Ich habe die Meldungen mit ›Broadhead‹ unterschrieben. Das ist doch mein Name, oder nicht? Habe ich das Recht, meinen Namen unter etwas zu setzen, ja oder nein?«

Ich sah sie nur frustriert an. Völlig frustriert. »Weib«, sagte ich, »du bist zu gerissen für mich, weißt du das? Woher hab’ ich nur die Ahnung, dass du jedes Wort unserer Unterhaltung schon kanntest, ehe sie stattfand?«

Selbstzufrieden zuckte sie mit den Schultern. »Schließlich bin ich Informationsspezialistin, liebster Robin, und kann mit Informationen umgehen, besonders nach fünfundzwanzig Jahren an dem Objekt, das ich sehr liebe und glücklich sehen will. Ich habe angestrengt nachgedacht, was zu tun ist und was du erlauben wirst, dann habe ich die logischen Schlussfolgerungen gezogen. Ich würde noch viel mehr tun. Wenn nötig, Robin«, schloss sie. Dann stand sie auf und reckte sich. »Ich würde tun, was am besten für dich ist, sogar für sechs Monate weggehen oder so, damit du und Klara eure Probleme lösen könnt.«


Nach zehn Minuten hatte Albert die Erlaubnis zum Abflug erhalten, während Essie und ich uns wuschen und anzogen. Die Wahre Liebe flitzte aus ihrer Andockgrube, und wir waren auf dem Weg zum Hohen Pentagon.

Meine liebe Frau, Essie, hatte viele Tugenden. Eine davon war eine Uneigennützigkeit, dass mir die Luft wegblieb. Eine andere war ihr Sinn für Humor, den sie manchmal in ihre Programme einbaute. Albert war wie ein forscher Pilot gekleidet: Lederkappe mit flatternden Ohrenklappen, weißer Richthofenschal, den er wie der Rote Baron um den Hals geschlungen trug. So saß er auf dem Pilotensitz und beobachtete wild entschlossen die Armaturen. »Du kannst dir das sparen, Albert«, bemängelte ich.

Er drehte den Kopf und lächelte dümmlich. »Ich wollte dich nur unterhalten«, gab er vor und nahm die Lederkappe ab.

»Ist dir auch voll gelungen.« Ich hatte mich wirklich amüsiert. Alles in allem fühlte ich mich gut. Man konnte eine durch ungelöste Probleme entstandene niederschmetternde Depression nur so bekämpfen, dass man sich den Problemen stellte – auf die eine oder andere Weise –, und das jetzt war eine Weise. Ich wusste die liebevolle Fürsorge meiner Frau zu schätzen. Ich schätzte auch die Art, wie mein neues Schiff dahinglitt. Ich schätzte sogar die geschickte Art und Weise, mit welcher der holographische Albert sich seiner Kappe und seines Schals entledigte. Sie verschwanden nicht einfach. Er rollte sie zusammen und verstaute sie zwischen den Beinen. Ich nehme an, er wartete mit dem Verschwindenlassen, bis niemand hinschaute. »Ist deine ganze Konzentration nötig, um das Schiff zu fliegen, Albert?«, fragte ich.

»Nein, eigentlich nicht«, antwortete er. »Es hat ein automatisches Navigationsprogramm.«

»Dann ist also deine Anwesenheit lediglich ein weiterer Versuch, mich bei guter Laune zu halten? Warum versuchst du nicht etwas anderes? Plaudere mit mir! Erzähl mir etwas von den Dingen, mit denen du so gerne angibst. Du weißt schon! Kosmologie, die Hitschi, der Sinn des Ganzen und Gott.«

»Wenn du meinst«, sagte er ergeben. »Aber vielleicht möchtest du vorher noch diese Nachricht sehen, die gerade hereingekommen ist.«

Essie sah aus der Ecke zu mir herüber. Sie ging gerade die gesammelten Kundenkommentare durch, als Alberts Starfoto vom großen Schirm verschwand. Jetzt stand dort:

Robinette, mein Junge, für einen Kerl, der die Brasilianer dazu gebracht hat, sich auf den Rücken zu legen und totzustellen, ist nichts unmöglich. Das Hohe Pentagon ist über deinen Besuch informiert und angewiesen, dir jeden Gefallen zu tun. Die Bude gehört dir.

Manzbergen.

»Bei Gott!«, rief ich überrascht und erfreut zugleich. »Sie haben es getan! Sie haben ihre Unterlagen zur Verfügung gestellt!«

Albert nickte. »Sieht so aus, Robin. Du kannst mit Recht auf deine Bemühungen stolz sein.«

Essie kam herüber und küsste mich in den Nacken. »Diese Bemerkung unterschreibe ich«, schnurrte sie. »Ausgezeichnet, Robin! Du bist ein Mann mit großem Einfluss!«

»Ach was«, wiegelte ich ab und grinste. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. Wenn die Brasilianer ihre Unterlagen über die Suche und Lokalisierung den Amerikanern überlassen hatten, konnten die Amerikaner diese mit ihren eigenen Angaben kombinieren und einen Weg finden, um mit den verdammten Terroristen und ihrem Wahnsinn verbreitenden TPSE da draußen im All fertig zu werden. Kein Wunder, dass General Manzbergen mit mir so zufrieden war! Ich war selbst mit mir zufrieden. Hier konnte man wieder mal sehen, dass man bei unüberwindlich erscheinenden Problemen nur eines entschieden anpacken muss, dann verschwinden auch alle anderen ganz von selbst … »Was?«

»Ich habe gefragt, ob du immer noch an einer Unterhaltung interessiert bist«, fragte Albert sehnsüchtig.

»Aber sicher. Warum nicht?« Essie saß wieder in ihrer Ecke, sah aber mehr zu Albert als auf ihre Berichte.

»Wenn es dir recht ist«, schlug Albert schüchtern vor, »würde es mir Freude machen, statt über Kosmologie und Eschatologie und fehlende Masse über mein früheres Leben zu sprechen.«

Essie verzog das Gesicht und machte den Mund auf, um etwas zu sagen. Aber ich winkte ab. »Lass ihn reden, Liebes! Ich glaube nicht, dass meine Gedanken sich jetzt auf fehlende Masse konzentrieren können.«

Und so erzählte uns Albert auf dem kurzen, angenehmen Flug zum Hohen Pentagon aus seinem Leben. Er hatte es sich im Pilotensitz bequem gemacht und die Hände über dem runden Bäuchlein in der ausgeleierten Strickjacke gefaltet. Er schwärmte von den Tagen, als er noch im Patentbüro in der Schweiz gearbeitet hatte, und wie die Königin von Belgien sein Geigenspiel auf dem Klavier begleitet hatte. Und unterdessen wurde meine Freundin-dritter-Hand, Dolly Walthers, mit allem Nachdruck von den Offizieren des militärischen Nachrichtendienstes im Hohen Pentagon vernommen. Und unterdessen beseitigte mein Noch-nicht-Freund Kapitän die Spuren seiner Intervention und betrauerte seine verlorene Liebe. Und unterdessen war meine Einmal-mehr-als-Freundin Klara Moynlin …

Ich wusste nicht, was Klara unterdessen tat, jedenfalls damals nicht. Eigentlich wollte ich auch die Einzelheiten gar nicht wissen.

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