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Was es uns erleichterte, der Selbsterkenntnis auszuweichen, war, dass wir voreinander und manchmal jeder sogar vor sich selbst so taten, als bereiteten wir uns besonders genau auf den Tag vor, an dem der richtige Flug sich anbieten würde.

Das zu tun, fiel nicht schwer. Zwischen den Flügen taten viele richtige Prospektoren das Gleiche. Es gab eine Gruppe, die sich ›Hitschi-Sucher‹ nannte und sich jeden Mittwochabend traf; gegründet worden war sie von einem Prospektor namens Sam Kahane, fortgeführt von anderen, während er auf einer Reise war, die nichts erbrachte, und wieder zusammengerufen von ihm zwischen Flügen, wenn er darauf wartete, dass die beiden anderen Mitglieder seiner Besatzung sich für den nächsten Flug wieder in Form brachten. (Unter anderem hatten sie infolge eines Defekts im Nahrungsmittelkühlschrank Skorbut mitgebracht.) Sam und seine Freunde waren homosexuell und anscheinend in einer festen Dreierbeziehung verbunden, aber das wirkte sich auf sein Interesse an Hitschi-Kunde nicht aus. Er hatte Tonbänder von allen Vorträgen mehrerer Lehrgänge über Exostudien vom East Texas-Reservat besorgt, wo Professor Hegramet sich zur höchsten Autorität in der Hitschi-Forschung auf der ganzen Welt aufgeschwungen hatte. Ich erfuhr vieles, was ich nicht gewusst hatte, wenngleich die wesentliche Tatsache – nämlich die, dass es, was die Hitschi anging, viel mehr Fragen als Antworten gab – bestehen blieb.

Und wir traten Gruppen zur körperlichen Ertüchtigung bei, wo wir Muskelstärkungsübungen machten, wobei man jedes Glied nur wenige Zentimeter bewegen musste, und Massagetechniken erlernten. Es machte uns viel Spaß, vor allem auf sexuellem Gebiet. Klara und ich lernten, mit unseren Körpern erstaunliche Dinge anzustellen. Wir besuchten einen Kochkurs (mit Standardrationen kann man allerhand anfangen, wenn man mit Kräutern und Gewürzen umzugehen versteht). Wir erwarben eine Auswahl an Sprachenbändern, für den Fall, dass unsere zukünftigen Crew-Mitglieder kein Englisch sprachen, und übten miteinander Taxifahrer-Italienisch und -Griechisch. Wir traten sogar einer Astronomengruppe bei. Sie hatte Zugang zu den Teleskopen Gateways; wir verbrachten allerhand Zeit damit, uns außerhalb der Ekliptikebene die Erde und die Venus anzusehen. Francy Hereira schloss sich dieser Gruppe an, wenn er Freigang hatte. Klara mochte ihn, ich auch, und wir machten es uns zur Gewohnheit, in unseren Zimmern – nun ja, in Klaras Zimmern, aber da war ich eben oft – nach dem Gruppenabend ein Glas zu trinken. Francy war tief, beinahe sinnlich, an dem interessiert, was sich dort draußen befand. Er wusste alles über Quasare und Schwarze Löcher und Seyfert-Galaxien, ganz zu schweigen von Dingen wie Doppelsternen und Novae. Wir spekulierten oft darüber, wie es sein mochte, aus einem Transit in die Wellenfront einer Supernova einzutreten. Das konnte vorkommen. Die Hitschi waren bekannt dafür, dass sie ein Interesse daran gehabt hatten, astrophysikalische Ereignisse aus erster Hand zu beobachten. Manche ihrer Kurse waren zweifellos so programmiert, dass sie die Besatzungen in die Nähe interessanter Vorgänge brachten, und eine Supernova im Entstehen war gewiss ein interessanter Vorgang. Nur war es jetzt sehr viel später, und die Supernova mochte nicht mehr bloß im Entstehen sein.

»Ich möchte wissen, ob es das nicht sein könnte, was manchen von den vermissten Expeditionen zugestoßen ist«, meinte Klara und lächelte, um zu zeigen, dass sie das nur in abstraktem Sinn meinte.

»Es ist eine absolute statistische Gewissheit«, sagte Francy und erwiderte das Lächeln, um zu zeigen, dass er die Spielregeln anerkannte. Er hatte sein an sich schon gutes Englisch so verbessert, dass er es nahezu akzentfrei sprach. Außerdem beherrschte er Deutsch, Russisch und eine ganze Reihe anderer romanischer Sprachen neben seinem Portugiesisch. »Trotzdem fliegen die Leute.«

Klara und ich schwiegen kurze Zeit, dann lachte sie. »Manche tun es«, sagte sie.

»Das hört sich so an, als wollten Sie selbst hinaus, Francy«, meinte ich hastig.

»Haben Sie je daran gezweifelt?«

»Hm, ja, eigentlich schon. Ich meine, Sie sind in der brasilianischen Marine. Sie können doch nicht einfach aufhören, oder?«

»Ich kann jederzeit aufhören«, erklärte er. »Ich kann hinterher nur nicht mehr nach Brasilien zurück.«

»Und lohnt sich das für Sie?«

»Mehr als das«, erwiderte er.

»Selbst bei dem Risiko, nicht zurückzukommen oder so auszusehen wie die Rückkehrer heute?« Das war ein Fünfer-Schiff gewesen, gelandet auf einem Planeten mit Pflanzen ähnlich dem Giftsumach. Es sei sehr schlimm gewesen, hatten wir gehört.

»Ja, versteht sich«, erklärte er.

Klara wurde unruhig.

»Ich glaube, ich möchte jetzt schlafen«, sagte sie.

In ihrer Stimme schwang etwas Besonderes mit. Ich sah sie an und sagte: »Ich begleite dich zu deinem Zimmer.«

»Das ist nicht nötig, Bob.«

»Ich mache es trotzdem«, erklärte ich. »Gute Nacht, Francy. Wir sehen uns nächste Woche.«

Klara war schon halb den Fallschacht hinunter, und ich musste mich beeilen, um sie einzuholen. Ich packte das Kabel und rief ihr nach: »Wenn du wirklich willst, gehe ich in mein Zimmer.«

Sie schaute nicht hinauf, sagte aber auch nicht, dass es das war, was sie wollte, also stieg ich an ihrer Etage aus und folgte ihr zu ihren Räumen. Kathy schlief fest im Vorraum, Hywa döste vor einer Holoscheibe in unserem Schlafzimmer. Klara schickte sie nach Hause und vergewisserte sich noch einmal, dass das Kind bequem lag. Ich setzte mich auf die Bettkante und wartete auf sie.

»Vielleicht bekomme ich meine Periode«, sagte Klara, als sie zurückkam. »Tut mir Leid. Ich bin einfach nervös.«

»Ich gehe, wenn du das willst.«

»Menschenskind, Bob, hör auf, das immer wieder zu sagen!« Sie setzte sich neben mich und lehnte sich an, damit ich den Arm um sie legen konnte. »Kathy ist so süß«, meinte sie nach einer Weile beinahe sehnsüchtig.

»Du möchtest selbst gern ein Kind, nicht?«

»Ich werde ein eigenes haben.« Sie lehnte sich zurück und zog mich mit. »Wenn ich nur wüsste, wann das sein wird. Ich brauche viel mehr Geld, als ich habe, um einem Kind ein anständiges Leben bieten zu können. Und ich werde nicht jünger.«

Wir lagen einen Augenblick so da, dann sagte ich in ihr Haar: »Ich möchte das auch, Klara.«

Sie seufzte.

»Denkst du, das weiß ich nicht?« Dann spannte sie die Muskeln an und setzte sich auf: »Wer ist das?«

Jemand kratzte an der Tür. Sie war nicht abgesperrt; wir schlossen nie ab. Aber es kam auch nie jemand ohne Aufforderung herein. Diesmal schon.

»Sterling?«, wunderte sich Klara. Sie entsann sich ihrer guten Manieren. »Bob, das ist Sterling Francis, Kathys Vater. Bob Broadhead.«

»Hallo«, sagte er. Er war viel älter, als ich vermutet hatte, mindestens fünfzig, und sah verbraucht und erschöpft aus. »Klara«, fuhr er fort, »ich bringe Kathy mit dem nächsten Schiff nach Hause. Ich glaube, ich nehme sie gleich mit, wenn es dir nichts ausmacht. Ich möchte nicht, dass sie es von jemand anderem erfährt.«

Klara griff nach meiner Hand, ohne mich anzusehen.

»Was erfährt?«

»Von ihrer Mutter.« Francis rieb sich die Augen, dann sagte er: »Ach, hast du das nicht gewusst? Jan ist tot. Ihr Schiff ist vor ein paar Stunden zurückgekommen. Alle vier in der Landekapsel sind in eine Art Schwamm geraten; ihre Körper schwollen an, und sie starben. Ich habe ihre Leiche gesehen. Sie sieht …« Er verstummte. »Wer mir wirklich Leid tut, ist Annalee«, sagte er. »Sie blieb in der Umlaufbahn, während die anderen hinunterflogen, und sie brachte Jans Leiche zurück. Sie war wohl übergeschnappt. Warum die Mühe? Jan kann es gleichgültig sein … Nun ja. Sie konnte nur zwei mitbringen, mehr Platz war nicht im Kühlschrank, und ihre Rationen …« Er verstummte wieder und schien nicht weitersprechen zu können.

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