Es hat abermals den Anschein, als funktioniere Sigfrids Klimaanlage schon wieder nicht, aber ich erwähnte nichts davon. Er wird mir nur mitteilen, dass die Temperatur exakt 22,5 Grad Celsius beträgt, wie immer, und fragen, warum ich seelischen Schmerz durch zu große Hitzeempfindung ausdrücke. Von diesem Quatsch habe ich wirklich genug.
»Überhaupt habe ich von dir einfach genug, Siggy«, sage ich laut.
»Das tut mir Leid, Rob. Aber ich wäre dankbar, wenn du mir ein bisschen mehr über deinen Traum erzählen könntest.«
»Ach, Scheiße.« Ich lockere die Haltegurte, weil sie unbequem sind. Das unterbricht auch den Anschluss von einigen Messgeräten Sigfrids, aber zur Abwechslung weist er mich einmal nicht darauf hin. »Der Traum ist ziemlich langweilig. Wir sind im Raumschiff. Wir kommen zu einem Planeten, der mich anstarrt wie mit einem menschlichen Gesicht. Ich kann die Augen wegen der Brauen nicht sehr gut sehen, aber auf irgendeine Weise weiß ich, dass er weint, und das ist meine Schuld.«
»Erkennst du das Gesicht, Bob?«
»Keine Ahnung. Einfach ein Gesicht. Weiblich, glaube ich.«
»Weißt du, weshalb es weint?«
»Das nicht, aber ich bin verantwortlich dafür, was es auch sein mag. Da bin ich sicher.«
Pause. Dann: »Würde es dir etwas ausmachen, die Gurte wieder anzulegen, Rob?«
Ich bin plötzlich auf der Hut.
»Was ist los?«, frage ich bitter. »Glaubst du, ich springe auf und falle dich an?«
»Nein, Robbie, das glaube ich natürlich nicht, aber ich wäre dir dankbar, wenn du es tun würdest.«
Ich tue es, langsam und widerwillig.
»Ich frage mich, was die Dankbarkeit eines Computerprogramms wert ist.«
Er beantwortet das nicht, er wartet einfach. Ich lasse ihm diesmal den Sieg und sage: »Also gut, ich stecke wieder in der Zwangsjacke. Was willst du mir sagen, dass ich festgehalten werden muss?«
»Von dieser Art wahrscheinlich gar nichts, Robbie«, entgegnet er. »Ich frage mich nur, warum du dich dafür verantwortlich fühlst, dass das Mädchengesicht weint.«
»Das würde ich auch gerne wissen«, erkläre ich, und das ist die Wahrheit, wie ich sie sehe.
»Ich weiß von manchen Dingen in deinem Leben, an denen du dir die Schuld gibst, Robbie«, sagt er. »Dazu gehört der Tod deiner Mutter.«
Ich gab ihm Recht.
»Mag sein, auf irgendeine dumme Weise.«
»Und ich glaube, du fühlst dich sehr schuldig, was deine Geliebte angeht, Gelle-Klara Moynlin.«
Ich werfe mich ein wenig hin und her.
»Hier ist es verdammt heiß«, beklage ich mich.
»Hast du das Gefühl, dass die eine oder andere dir wirklich die Schuld gegeben hat?«
»Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?«
»Vielleicht kannst du dich an etwas erinnern, das sie gesagt haben?«
»Nein, kann ich nicht!« Er wird sehr persönlich, und ich möchte objektiv bleiben, deshalb sage ich: »Ich gebe zu, dass ich eine deutliche Neigung habe, mir Verantwortung aufzuladen. Das ist schließlich ein ganz klassisches Muster, nicht wahr? Du findest mich in jedem Lehrbuch auf Seite zweihundertsiebenundsiebzig.«
Er gibt mir nach, indem er mich kurze Zeit unpersönlich werden lässt.
»Aber auf derselben Seite steht vermutlich, dass die Verantwortung selbst aufgeladen ist, Rob«, sagt er. »Du tust dir das selbst an, Robbie.«
»Ohne Zweifel.«
»Du brauchst keine Verantwortung zu übernehmen, die du nicht haben willst.«
»Gewiss nicht. Ich will es ja.«
Er fragt beinahe beiläufig: »Hast du irgendeine Vorstellung davon, warum das so ist? Weshalb willst du fühlen, dass alles, was schief geht, deine Verantwortung ist?«
»Ach, Mist, Sigfrid«, sage ich angewidert, »deine Schaltkreise sind wieder mal durcheinander. So ist das ganz und gar nicht. Es ist eher – also, es ist so: Wenn ich mich zum Festmahl des Lebens niederlasse, Sigfrid, beschäftige ich mich so gründlich damit, wie ich die Rechnung bezahlen soll, und frage mich, was die anderen Leute von mir denken werden, weil ich für sie bezahle, und auch, ob ich genug Geld in der Tasche habe, um alles zu bezahlen, dass ich gar nicht zum Essen komme.«
Er sagt sanft: »Ich möchte diese literarischen Ausflüge von dir nicht ermutigen, Bob.«
»Bedaure.« Stimmt gar nicht. Er macht mich rasend.
»Aber um dein eigenes Bild zu gebrauchen, Bob, warum hörst du dir nicht an, was die anderen Leute sagen? Vielleicht sagen sie etwas Nettes oder etwas Wichtiges über dich.«
Ich wehre den Drang ab, die Gurte abzustreifen, seiner grinsenden Puppe ins Gesicht zu schlagen und die Bude für immer zu verlassen. Er wartet, während es in meinem Schädel brodelt, dann platze ich heraus: »Ich soll sie mir anhören! Sigfrid, du irrer, alter Ratterkasten, ich tue nichts anderes! Ich möchte, dass sie sagen, sie liebten mich. Ich möchte sogar, dass sie sagen, sie hassten mich, irgendetwas, nur, dass sie es zu mir sagen, aus dem Innersten heraus. Ich habe so viel damit zu tun, dem Innersten zu lauschen, dass ich es nicht einmal höre, wenn mich jemand bittet, ihm das Salz zu geben.«
Pause. Ich habe das Gefühl, als müsste ich explodieren. Dann sagt er bewundernd: »Du drückst solche Dinge wunderschön aus, Robbie. Aber was ich in Wirklichkeit …«
»Hör auf, Sigfrid!«, brülle ich, nun endlich wirklich wütend; ich streife die Gurte ab und setze mich auf. »Und hör auf, mich Robbie zu nennen! Das tust du nur, wenn du meinst, ich wäre kindisch, und ich bin kein Kind mehr!«
»Das stimmt nicht ga…«
»Aufhören, habe ich gesagt!« Ich springe von der Liege und greife nach meiner Handtasche. Ich ziehe den Papierstreifen heraus, den S. Ya. mir nach den vielen Drinks und den langen Stunden im Bett gegeben hat. »Sigfrid«, fauche ich, »ich habe viel von dir einstecken müssen. Jetzt bin ich an der Reihe!«