FLUGBERICHT
Fahrzeug 3-31, Flug 08D27. Besatzung C. Pitrin, N. Ginza, J. Krabbe.
Transitzeit hinaus 19 Tage 4 Stunden. Position unbestimmt, Nähe (± 2 Lj.) Zeta Tauri.
Zusammenfassung. ›Herausgetreten in transpolarer Umlaufbahn um Planeten 0,88 Erdradius bei 0,4 AE. Planet besaß 3 geortete kleine Satelliten. Sechs weitere Planeten durch Computerberechnung vermutet. Primärstern K 7.
Landung vorgenommen. Der Planet hatte offenbar eine Aufwärmperiode durchgemacht. Es gibt keine Eiskappen, und die derzeitigen Küstenlinien scheinen nicht sehr alt zu sein. Keine Spuren von Habitation festgestellt. Kein intelligentes Leben.
Die Feinkontrolle entdeckte in unserer Umlaufbahn, was eine Hitschi-Rendezvousstation zu sein schien. Wir näherten uns. Sie war intakt. Beim gewaltsamen Eindringen explodierte sie, und N. Ginza wurde getötet. Unser Fahrzeug wurde beschädigt, und wir flogen zurück. Auf dem Heimweg starb J. Krabbe. Keine Artefakte sichergestellt. Biotische Proben vom Planeten bei Beschädigung des Fahrzeugs zerstört.‹
»Ich warte auf die richtige Mission«, antwortete ich.
»Wie lange wollen Sie warten? Ihre Kopfsteuer ist noch für drei Tage bezahlt, und was dann?«
»Tja«, sagte ich, beinahe wahrheitsgemäß, »ich wollte ohnehin heute zu Ihnen kommen. Ich möchte einen Posten hier auf Gateway.«
»Pah!« (Ich hatte das vorher noch nie einen Menschen sagen hören, aber so klang es.) »Sind Sie deshalb nach Gateway gekommen, um die Kanalisation auszuräumen?«
Ich war ziemlich sicher, dass das ein Bluff war, weil es gar nicht so viel Kanalisation gab; die Schwerkraft reichte für das Fließen der Abwässer nicht aus. »Die richtige Mission könnte jeden Tag kommen.«
»O gewiss, Bob. Wissen Sie, Leute wie Sie machen mir Sorgen. Haben Sie eigentlich eine Ahnung davon, wie wichtig unsere Arbeit hier ist?«
»Na, ich denke schon …«
»Da draußen wartet ein ganzes Universum auf uns, das wir entdecken und nach Hause bringen können! Gateway ist die einzige Möglichkeit, es zu erreichen. Jemand wie Sie, der in den Plankton-Farmen aufgewachsen ist …«
»Eigentlich waren es die Nahrungsgruben in Wyoming.«
»Wie auch immer! Sie wissen, wie verzweifelt die Menschheit braucht, was wir ihr geben können. Neue Technologien. Neue Energiequellen. Nahrung! Neue Welten zu besiedeln.« Sie schüttelte den Kopf und tippte auf die Tasten des Sortierers auf ihrem Schreibtisch, gleichzeitig wütend und besorgt. Ich nahm an, sie wurde danach eingeschätzt, wie viele von uns Faulenzer und Parasiten sie dazu brachte hinauszufliegen, wie es uns anstand. Das erklärte ihre Feindseligkeit – vorausgesetzt, man konnte ihren Wunsch, auf Gateway zu bleiben, damit erklären. Sie wandte sich vom Sortierer ab und stand auf, um einen Karteischrank an der Wand zu öffnen. »Angenommen, ich finde einen Posten für sie«, sagte sie über die Schulter. »Das Einzige, was Sie können, und das hier von Nutzen sein kann, ist Ihr Prospektorberuf, und den üben Sie nicht aus.«
»Ich nehme al… fast alles«, sagte ich.
Sie sah mich prüfend an, dann ging sie an ihren Schreibtisch zurück. Sie war erstaunlich graziös, wenn man bedachte, dass sie eine Masse von hundert Kilogramm mit sich herumschleppte. Vielleicht erklärte der Wunsch einer dicken Frau, nicht zu erschlaffen, die Tatsache, dass sie auf Gateway blieb.
»Sie werden die minderwertigste Hilfsarbeit übernehmen müssen«, warnte sie. »Dafür bezahlen wir nicht viel. Hundertachtzig am Tag.«
»Nehme ich!«
»Ihre Kopfsteuer muss davon bezahlt werden. Ziehen Sie das ab, und vielleicht noch zwanzig Dollar am Tag für Essen, was bleibt Ihnen dann?«
»Ich kann ja immer noch Nebenarbeiten übernehmen, wenn ich mehr brauche.«
Sie seufzte.
»Sie schieben den Tag nur hinaus, Bob. Ich weiß nicht. Mr. Hsien, der Direktor, überwacht alle Bewerbungen scharf. Ich werde kaum rechtfertigen können, dass ich Sie eingestellt habe. Und was machen Sie, wenn Sie krank werden und nicht arbeiten können? Wer bezahlt dann Ihre Steuer?«
»Dann muss ich eben wieder heim.«
»Und die ganze Ausbildung war umsonst?« Sie schüttelte den Kopf. »Sie widern mich an, Bob.«
Aber sie stellte mir eine Arbeitskarte aus, die mich aufforderte, mich beim Vorarbeiter in Etage Grand, Sektor Nord, zur Einteilung im Pflanzbereich zu melden.
Das Gespräch mit Emma Fother behagte mir nicht, aber das hatte man mir schon vorher prophezeit. Als ich am Abend mit Klara darüber sprach, sagte sie, ich wäre sogar gut davongekommen.
»Ein Glück, dass du Emma erwischt hast. Der alte Hsien lässt die Leute manchmal hängen, bis ihr Steuergeld weg ist.«
»Was dann?« Ich stand auf, setzte mich auf ihre Liege und suchte nach meinen Schuhen. »Hinaus zur Luftschleuse?«
»Mach keine Witze, dazu kann es wirklich kommen. Hsien ist ein alter Mao-Typ, sehr hart mit Leuten, die der Gesellschaft nichts bringen.«
»Das musst du sagen!«
Sie grinste, drehte sich herum und rieb ihre Nase an meinem Rücken. »Der Unterschied zwischen dir und mir ist der, Bob, dass ich von meiner ersten Mission ein paar Kröten beiseite gelegt habe«, sagte sie. »Sie hat nicht viel eingebracht, aber doch einiges. Außerdem war ich schon draußen, und sie brauchen Leute wie mich, um Leute wie dich auszubilden.«
Ich lehnte mich an ihre Hüfte und drehte mich halb herum. Es gab gewisse Themen, über die wir nicht viel sprachen, aber …
»Klara?«
»Hm?«
»Wie ist das bei einer Mission?«
Sie rieb kurz ihr Kinn an meinem Unterarm und betrachtete die Holoaufnahme der Venus an der Wand.
»Unheimlich«, antwortete sie.
Ich wartete, aber sie sagte nichts weiter, und das hatte ich vorher schon gewusst. Ich hatte bereits auf Gateway Angst. Ich brauchte nicht auf den Hitschi-Bustrip zu gehen, um zu wissen, was unheimlich war. Ich spürte es schon.
»Es bleibt dir wirklich keine andere Wahl, Bob«, sagte sie, beinahe zärtlich.
Ich wurde plötzlich wütend.
»Nein, die habe ich nicht! Du hast mein ganzes Leben exakt beschrieben, Klara. Ich hatte nie eine Wahl – nur einmal, als ich in der Lotterie gewann und beschloss, hierher zu kommen. Und ich bin nicht sicher, ob ich da die richtige Entscheidung getroffen habe.«
Sie gähnte und rieb sich wieder an meinem Arm.
»Wenn wir mit dem Sex fertig sind«, entschied sie, »möchte ich etwas essen, bevor ich schlafe. Komm mit in die ›Blaue Hölle‹. Ich lade dich ein.«
Im Pflanzbereich wurden die Pflanzen gepflegt, vor allem der Efeu, durch den Gateway bewohnbar blieb. Ich meldete mich zum Dienst, und zu meiner – angenehmen – Überraschung entpuppte sich der Vorarbeiter als mein beinloser Nachbar, Shikitei Bakin.
Er begrüßte mich, wie mir schien, mit echter Freude.
»Wie schön von Ihnen, dass Sie bei uns mitmachen, Robinette«, sagte er. »Ich hatte erwartet, dass Sie gleich losfliegen.«
»Das mache ich auch, Shicky, und zwar bald. Wenn ich das richtige Startangebot auf dem Schirm sehe, weiß ich Bescheid.«
»Gewiss.« Er beließ es dabei und stellte mich den anderen Gärtnern vor. Ich konnte mir nicht viel merken, nur, dass das Mädchen eine Art Beziehung zu Professor Hegramet, dem bekannten Hitschiologen auf der Erde hatte, und die beiden Männer jeweils schon zweimal draußen gewesen waren. Ich brauchte mir auch nichts zu merken. Wir wussten alle, was mit uns los war. Keiner von uns war schon bereit, sich auf die Startliste setzen zu lassen.
Ich war nicht einmal bereit, mir über den Grund Gedanken zu machen.
Zeit zum Nachdenken hätte man bei der Arbeit genug gehabt. Shicky setzte mich sofort ein. Ich musste mit Klebemasse Halterungen an den Hitschi-Metallwänden anbringen. Es handelte sich um eine Art Spezialkleber. Er klebte am Hitschi-Metall ebenso wie an den gerippten Folien der Pflanzenkästen und enthielt kein Lösungsmittel, das verdunstete und die Luft verpesten konnte. Angeblich war er sehr teuer. Wenn man sich damit beschmierte, musste man lernen, damit zu leben, jedenfalls so lange, bis die Haut darunter abstarb und abblätterte. Wenn man versuchte, ihn auf andere Weise loszuwerden, gab es Blut.
Als die für diesen Tag vorgesehenen Halterungen angebracht waren, marschierten wir alle zum Rieselfeld hinunter, wo wir Kästen holten, die mit Klärschlamm gefüllt und mit Zellulosefilm überzogen waren. Wir schoben sie in die Halterungen, drehten die selbstsperrenden Bolzen, damit sie festsaßen, und brachten Wassertanks an. Die Kästen hätten auf der Erde jeder an die hundert Kilogramm gewogen, aber auf Gateway fiel das eben nicht ins Gewicht; selbst die Folie, aus der sie bestanden, genügte, um sie starr an die Halterungen zu klemmen. Als wir fertig waren, füllte Shicky persönlich die Kästen mit Keimlingen, während wir zu den nächsten Halterungen gingen. Es war komisch, ihn zu beobachten. Er trug Kästen mit den kleinen Efeuschößlingen an Gurten um den Hals, wie einen Bauchladen. Er hielt sich mit einer Hand in Kastenhöhe und schob mit der anderen Schößlinge durch den Überzug in den Klärschlamm.
Es war leichte Arbeit, sie erfüllte eine nützliche Funktion (fand ich jedenfalls), und die Zeit verging dabei. Shicky trieb uns nicht übermäßig an. Solange wir sechzig Halterungen anbrachten und füllten, war es ihm gleichgültig, ob wir uns verdrückten, wenn das unauffällig geschah. Klara kam ab und zu vorbei, manchmal mit der Kleinen, und wir bekamen auch sonst Besuch. Wenn es ruhig zuging und niemand da war, mit dem man sich gut unterhalten konnte, durfte man auch mal eine Stunde fort. Ich erforschte Gebiete von Gateway, die ich noch nicht gekannt hatte, und jeden Tag wurde die Entscheidung hinausgeschoben.
Wir sprachen alle darüber hinauszufliegen. Fast jeden Tag konnten wir den dumpfen Knall und das Vibrieren hören, wenn ein Landefahrzeug sich vom Dock löste und das ganze Schiff hinaustrieb, bis dorthin, wo der Hitschi-Hauptantrieb sich einschalten konnte. Beinahe ebenso oft spürten wir den schwächeren, kürzeren Schlag, wenn irgendein Schiff zurückkehrte. Abends gingen wir meist auf irgendeine Party. Mein Lehrgang war inzwischen schon fast vollständig fort. Sheri war mit einem Fünfer hinausgeflogen – ich traf sie vor ihrem Abflug nicht mehr und konnte sie also nicht fragen, warum sie es sich anders überlegt hatte. Ich war auch nicht sicher, ob ich es wirklich wissen wollte; das Schiff, in dem sie flog, war sonst nur mit Männern besetzt. Sie sprachen Deutsch, aber Sheri meinte wohl, sie käme gut durch, auch ohne viel zu reden. Die Letzte war Willa Forehand. Klara und ich gingen zu Willas Abschiedsfeier und am nächsten Morgen zu den Docks, um ihren Start zu verfolgen. Ich sollte eigentlich arbeiten, aber ich nahm an, dass Shicky nichts einzuwenden haben würde. Leider war auch Mr. Hsien zur Stelle, und ich konnte sehen, dass er mich erkannte.
»Oh, Scheiße«, sagte ich zu Klara.
Sie kicherte und griff nach meiner Hand, und wir suchten das Weite. Wir schlenderten dahin, bis wir einen Aufwärts-Schacht fanden, und fuhren zur nächsten Etage hinauf. Wir setzten uns an den Superior-See.
»Bob«, sagte sie, »ich bezweifle, dass er dich hinauswirft, nur weil du einmal geschwänzt hast. Wahrscheinlich beschimpft er dich nur.«
Ich zuckte die Achseln und warf einen Filtersteinsplitter in den sich hochwölbenden See, der sich gute zweihundert Meter vor uns hinauf und um die Innenschale von Gateway erstreckte. Ich fühlte mich mies und fragte mich, ob ich den Punkt erreichte, an dem die Angst vor einem scheußlichen Tod im Weltraum von der Angst, mich auf Gateway zu verstecken, überholt wurde. Die Angst ist etwas Seltsames. Ich fühlte sie nicht. Ich wusste, der einzige Grund, warum ich hier blieb, war der, dass ich Angst hatte, aber es kam mir nicht so vor, als hätte ich Angst, sondern als sei ich nur angemessen vorsichtig.