Die hundert Louisdor der Königin

Ereignisse haben die merkwürdige Eigenschaft, sich bisweilen zu häufen.

Jeanne de La Motte-Valois hatte ihren unverhofften Schatz noch nicht genügend bewundert, als es abermals an der Tür läutete. Frau Clothilde, sparsam mit ihren Schritten, behauptete wiederum, nichts gehört zu haben. Als sie schließlich doch hinaushumpelte, hörte Jeanne die Stimme eines Mannes, dann wurde die Tür geschlossen, und die Alte brachte einen Brief herein.

Jeanne betrachtete unter der trüben Lampe prüfend das Siegel: neun Goldrauten auf rotem Feld. Wer führte ein solches Wappen?

Behutsam, das Siegel nicht zu verletzen, öffnete sie den Umschlag.

»Madame«, las sie, »die Person, an welche Sie ein Gesuch gerichtet haben, würde morgen abend bei Ihnen vorsprechen, sofern es Ihnen beliebte, sie zu empfangen.«

Keine Unterschrift? Du liebe Zeit, dachte Jeanne, an wie viele Leute habe ich geschrieben! Wer kann der Absender sein? Ein Mann oder eine Frau? ... Die Schrift - reinliche Sekretärsbuchstaben. Der Stil - gönnerhaft und altmodisch. »Ein Gesuch gerichtet haben .« Das soll demütigend wirken, also ist es eine Frau. »... würde bei Ihnen vorsprechen«? Eine Frau hätte geschrieben: »Erwartet Sie morgen abend.« Also ist es ein Mann. Gut, aber wer führt neun Goldrauten auf rotem Feld? ... Die

Rohan, natürlich. Ich habe dem Kardinal geschrieben. Sieh an, der alternde Weiberheld, der Ehrgeizling Rohan will bei mir vorsprechen! Oh, unbesorgt, er soll die Tür offen finden.

Nach vielen Berechnungen, die Verwendung ihres kleinen Reichtums betreffend, nach einer fast schlaflosen Nacht begab sich Madame de La Motte am nächsten Morgen in einem Wagen, der eher ein fahrbarer Stuhl war, von einem kräftigen Auvergnaten gelenkt, nach der Place Royale. Unter den Arkaden der Südseite ließ sie vor dem Laden des Tapezierers und Dekorateurs Meister Fingret halten. Meister Fingret führte buchstäblich alles, was zur Ausstattung einer Wohnung gehörte: alte Möbel, neu aufgepolstert, Ahnenbildnisse, Spinette, Spitzendecken, Nippes, sowohl den Krimskrams wie die Kostbarkeiten früherer Zeiten.

Für hundert Taler Monatsmiete hatte Jeanne binnen einer Stunde eine Einrichtung beisammen, die ihr prachtvoll dünkte. Eine Stunde darauf war im dritten Stock des Hauses in der Rue Saint-Claude eine Wohnung, bestehend aus Salon, Schlafzimmer und Vorraum, gemietet. Und da Meister Fingret genug pünktliche Arbeiter zur Verfügung hatte, konnte Jeanne bald die Freude genießen, vor einem geheizten Kamin auf einem guten Teppich zwischen Spiegeln und vergoldeten Wandleuchtern zu lustwandeln.

Auf ihre Toilette verwandte sie alle Sorgfalt der Koketterie. Die Tür zum Schlafraum ließ sie absichtlich halb geöffnet, damit das Fußende des Bettes zu sehen sei, das nach Versicherung von Meister Fingret einst der Pompadour gehört hatte.

Es wurde acht Uhr, neun, zehn, elf. Um Mitternacht schleuderte Jeanne wütend das Buch in eine Ecke, in dem sie vor Ungeduld weniger gelesen hatte, als die verstrichenen Stunden erlaubt hätten.

Aber bei allem Zorn gegen ihr böses Los fand sie eine Entschuldigung für den Kardinal: er als Hofmann hatte schließlich tausend wichtigere Verpflichtungen, als in der Rue Saint-Claude zu erscheinen. Zudem und vor allem kannte er die kleine Valois noch nicht. Nach einem ersten Besuch bei ihr hätte sie einen solchen Wortbruch nicht verziehen.

Sie lief vor ihren neuen Spiegel. Die Prüfung ihrer Erscheinung gab ihr so viel Selbstvertrauen zurück, daß sie lächelnd die Kerzen löschte.

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