Gläubiger und Schuldner

Zitternd vor Erregung schritt Kardinal Rohan zum Boudoir der Königin. Jeanne hatte ihn angemeldet, ihm stumm die Hand gedrückt und sich zurückgezogen.

Drei Schritte vor der Majestät verneigte er sich ehrerbietig. Die Königin reichte ihm zum Zeichen der Versöhnung die Hand.

»Monsieur«, sagte sie, »man hat mir von Ihrer Handlungsweise berichtet. Sie tilgt in der Tat viel früheres Unrecht. Seien Sie willkommen.«

»Erlauben Sie mir zu versichern, Madame«, sagte der Fürst, »daß dieses Unrecht weniger groß wäre, wenn Eure Majestät mir ein Wort der Erklärung erlauben wollten.«

»Sie könnten sich nur entlasten«, erwiderte Marie-Antoinette freundlich, »indem Sie auf Vergangenes zu sprechen kämen, und das könnten Sie nicht, ohne mich zu verletzen. Indessen wollen wir das kaum gelöschte Feuer nicht von neuem entfachen, wir könnten uns sonst die Finger daran verbrennen. Es behagt mir sehr viel besser, Sie in neuem Licht zu sehen, als den ergebenen Freund, als der Sie sich erwiesen haben.«

»Bis zum Tod ergeben.«

»Ergeben auch bis zum Ruin, Herr Kardinal? Nein, nicht wahr? Das wäre zuviel. Seien Sie ohne Sorge, glücklicherweise kann alles geregelt werden, wie ich soeben zuverlässig erfuhr. Sie haben für mich gebürgt, ich werde die Wechsel einlösen. Ich danke Ihnen dafür. Vom ersten Termin ab ist alles meine Sorge.«

»So hätte ich Eurer Majestät nur noch das Halsband zu überreichen«, sagte der Kardinal und zog mit einer Verneigung das Etui aus der Tasche.

Die Königin warf keinen Blick darauf, sondern legte es, vor Freude bebend, auf eine Kommode.

Der Kardinal wagte einige höfliche Worte, die gut aufgenommen wurden, doch entging ihm nicht, daß die Königin ihm nicht volle Aufmerksamkeit schenkte. Ihre Gedanken waren bei dem Geschmeide, und in ihrer Zerstreutheit überließ sie ihm sogar ihre Hand, die er entzückt küßte. Dann verabschiedete er sich, um nicht zu stören, und verließ das Gemach begeistert und hoffnungstrunken.

In drei Monaten würde er Minister sein, wenn Jeanne ihm weiterhin so gute Dienste leistete; er würde Klerus und Volk miteinander aussöhnen und damit das bedenklich aufgesplitterte Staatsgefüge wieder festigen. Er würde der wachsenden Unbeliebtheit der Königin entgegenwirken und sie in eine Popularität ohnegleichen verwandeln; er würde von der englischen Politik lernen, er würde ... Ja, ein Wort der Königin, und seine herrlichen Pläne könnten Wirklichkeit werden.

Um die erste Rate für das Halsband, fünfhunderttausend Francs, bereit zu haben, hatte er seine letzten Güter verkauft und all seine Einkünfte und Pfründen für das nächste Jahr verpfändet. Aber die Aussöhnung mit der Königin sollte ihn gar nicht ein so ruinöses Opfer kosten, denn die Königin war imstande, den Schmuck selbst zu bezahlen; ihm aber blieb das Verdienst der Erfindung, das sie ihm sicher danken würde.

In glücklichen Träumen kehrte er nach Paris zurück, nachdem er Jeanne Bericht erstattet und heißen Dank gesagt hatte. Sie wollte jetzt erkunden, welchen Eindruck der Kardinal bei Ihrer Majestät hinterlassen hatte, er aber sah einem Rendezvous entgegen, um das ihn ein Anonymus mit dem folgenden Schreiben ersuchte: »Monseigneur, jemand wünscht mit Ihnen über die Deckung einer nicht unbedeutenden Summe zu sprechen. Die besagte Person wird sich heute abend bei Ihnen einfinden und um eine Audienz bitten.«

Verhieß dieses Schreiben nicht unverhofften Zustrom von Geld? Es käme ihm nicht ungelegen.

Der Unbekannte ließ sich am Abend als der Graf de Cagliostro melden. Doch als er das Audienzzimmer betrat, erstarrte der Kardinal.

»Großer Gott!« rief er aus. »Wen sehe ich?«

»Nicht wahr, Monseigneur«, sagte Cagliostro lächelnd, »ich bin gar nicht verändert.«

»Ist das möglich«, murmelte Herr de Rohan, »Joseph Balsamo lebt? Es hieß doch, er sei bei jenem Brand damals umgekommen? Joseph Balsamo .«

»Graf Phönix, ja, Monseigneur, lebendiger als je.«

»Warum haben Sie Ihren Namen abgelegt?«

»Weil er allzu viele betrübliche und peinliche Erinnerungen wachrufen würde. Hätten nicht auch Sie abgelehnt, Joseph Balsamo zu empfangen?«

»Aber nein, gewiß nicht«, stammelte der Kardinal, »Sie haben mir damals einen so großen Dienst erwiesen ... Machen Sie noch immer Gold?«

»Gold? O nein, dazu fehlt mir eine unentbehrliche Ingredienz, die mein weiser Lehrer, der greise Althotas, mit sich in den Tod genommen hat.«

Noch immer staunend und innerlich bebend aus unbestimmbarer Furcht und Faszination vor diesem geheimnisvollen Mann, blickte der Kardinal auf seinen Besucher.

»Ja, Monseigneur«, fuhr dieser fort, »die Zeit der Magie ist vorüber, ich bin kein Weiser mehr, nur noch Weltmann und Gelehrter, und auch Sie sind nicht mehr ein schöner junger Mann, sondern ein schöner Fürst und Prälat. Erinnern Sie sich jenes Tages in meinem Kabinett, als ich Ihnen die Liebe einer blonden Frau versprach! .«

Der Kardinal erbleichte, dann errötete er. Schrecken und Freude beschleunigten seinen Herzschlag.

»Ich erinnere mich«, sagte er, »aber undeutlich.«

»Wir wollen sehen«, sagte Cagliostro lächelnd, »ob ich noch für einen Magier gelten kann. Warten Sie ...«, und er begann zu sinnen und sich zu versenken, »diese blonde Frau Ihrer verliebten Träume, wo ist sie? Ah, ich sehe sie, ... ja, Sie selbst haben sie heute gesehen, mehr noch, Sie haben sie besucht ...«

Der Kardinal drückte seine eisige Hand auf sein pochendes Herz.

»Monsieur«, sagte er so matt, daß Cagliostro ihn kaum hörte, »ich bitte Sie .«

»Wollen wir von etwas anderem sprechen?« fragte der Magier höflich, und er ließ sich ungezwungen auf einem Sofa nieder, ohne die Einladung abzuwarten, die der Kardinal bisher vor lauter Überraschung versäumt hatte. Verblüfft über soviel Freiheit sah der Prälat seinem Besucher zu. Doch sollte er in ganz anderer Weise verblüfft werden, als dieser, mit einemmal sehr ernst werdend, auf jene nicht unbedeutende Summe des Billetts zu sprechen kam. Sie belief sich auf genau fünfhunderttausend Francs, die der Kardinal nicht, wie erhofft, zu erhalten, sondern seinem Gast zu erstatten hatte. Dieses Geld hatte Joseph Balsamo einst dem Fürsten geliehen, doch hatte dieser geglaubt, seiner Schuld ledig zu sein, als er vor zehn Jahren Balsamos Tod erfuhr.

Aschfahl geworden, starrte der Prälat auf die Schuldverschreibung, die er vor so langem ausgestellt und dann gänzlich vergessen hatte und die ihm nun von seinem unerwartet wiederauferstandenen Gläubiger vorgelegt wurde.

»Ich bestätige, von Herrn Joseph Balsamo die Summe von fünfhunderttausend Francs erhalten zu haben, die ich auf erste Einforderung zurückerstatten werde.

Louis de Rohan«

Was sollte er tun? Wie ein Blitzschlag zertrümmerte diese Forderung die schönen Traumgebäude des Kardinals. Er zitterte am ganzen Leibe. Die Unheimlichkeit dieses Überfalls schnürte ihm die Kehle zu. Welcher rätselhafte Zufall hatte es gefügt, daß diese alte Schuld genau den Betrag ausmachte, den er zu seinen großen Zwecken erst vor wenigem zusammengetragen hatte?

Kaltblütig beobachtete Cagliostro sein Gegenüber.

»Seien Sie überzeugt, Monseigneur«, sagte er schließlich, »daß ich das Geld jetzt nicht verlangen würde, wenn ich mich nicht tatsächlich am Ende meiner Mittel sähe und wenn ich nicht wüßte, daß Sie augenblicklich über diese Summe verfügen.«

Der Kardinal blickte Cagliostro entgeistert an.

»Nicht wahr«, fuhr dieser fort, »Sie haben dreißigtausend Livres in Gold, zehntausend in Silber und den Rest in Kassenscheinen in diesem Schrank?«

Herr de Rohan ließ jeden Gedanken fahren, den furchtbaren Hellseher um einen Aufschub zu bitten. Er erhob sich stumm und zahlte.

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