Ein Finanzminister

Ein Billett Madame de La Mottes hatte die Königin, die nach Andrees Weggang tief betrübt war, wieder aufgeheitert. Es enthielt die Versicherung, daß der Kredit geregelt sei und daß die Ware vertraulich geliefert werde. Lächelnd verbrannte die Königin das Schreiben und sah mit einiger Spannung dem Besuch Herrn de Calonnes, des Finanzministers, entgegen. Von seiner Bereitwilligkeit hing es ab, ob der Schmuck wirklich ihr Eigentum würde.

Mit Herrn de Calonne hat die Geschichte sich ausführlich beschäftigt, aber der Roman, der die großen Perspektiven weniger genau aufzeigt, kann die Phantasie vielleicht mehr durch Details befriedigen.

Herr de Calonne war ein Mann von Witz, von sehr viel Witz sogar. Jener Generation der zweiten Jahrhunderthälfte zugehörig, die weniger den Tränen als der Vernunft anhing, hatte er das Unglück, das über Frankreich schwebte, klar erkannt und sein Interesse mit dem allgemeinen verbunden. Wie Ludwig XV. sagte er sich: Nach uns die Sintflut! und suchte überall Blumen, den unaufhaltsamen Weg in den Abgrund damit zu bestreuen.

Calonne hatte von d'Alembert rechnen, von Diderot logisch schlußfolgern, von Voltaire spotten und von Rousseau träumen gelernt. Er war stark genug, dem volkstümlichen Necker, seinem gescheiterten Vorgänger im Amt, ins Gesicht zu lachen. Necker, dessen Rechenschaftsberichte über die katastrophale Finanzsituation des Landes ganz Frankreich aufgeklärt hatten, wußte Calonne in den Augen derer lächerlich zu machen, die ihn noch eben so sehr gefürchtet hatten. König und Königin, die vor Necker gezittert hatten, gewöhnten sich allmählich daran, ihn von einem eleganten Politiker verspottet zu sehen, der alle Berechnungen summarisch mit dem Witzwort erledigte: »Wozu soll man sich bemühen zu beweisen, daß man nichts beweisen kann?«

In der Tat hatte Necker zuletzt nur mehr bewiesen, daß er außerstande war, die Finanzen zu sanieren; Herr de Calonne übernahm diese Aufgabe, als ob sie für seine Schultern zu leicht wäre.

Was hatte Necker gewollt? Reformen. Sein Reformismus hatte die Geister erschreckt, denn nur wenige konnten dabei gewinnen und diese wenigen auch nur wenig; viele aber verloren dabei um so mehr. Wenn Necker eine gerechtere Steuerbelastung anstrebte, die Ländereien und Einkünfte von Adel und Klerus tributpflichtig machen wollte, rannte er an gegen Mauern, forderte er schonungslos das unter den gegebenen Verhältnissen Unmögliche. Wie kann man Mißstände abstellen, indem man mit denen darüber verhandelt, die an diesen Mißständen interessiert sind? Setzt man einen Feind von der Stunde in Kenntnis, da man seine Festung erstürmen will?

Calonne hatte das begriffen. Statt dem unvermeidlichen Zusammenbruch entgegenzuarbeiten, beschleunigte er ihn. In diesem Sinn war er in der Tat mehr ein Freund der Nation als der Schweizer Necker. Er legte es darauf an, König und Adel binnen zwei Jahren in den Bankrott zu treiben, den man immerhin noch zehn Jahre hätte hinauszögern können, und dann, nach zwei Jahren, zu sagen: Jetzt, ihr Reichen, müßt ihr zahlen, denn die Armen hungern und werden euch fressen, wenn ihr sie nicht nährt.

Wie war es möglich, daß der König diesen kühnen Plan und seine Folgen nicht durchschaute? Wahrscheinlich ahnte er schaudernd, wohin sein Minister ihn führte, schloß aber ohnmächtig die Augen und glaubte, es werde schon alles irgendwie gut gehen. Wer am Ende ist, hofft immer auf Wunder. Und die Königin, hatte sie klareren Durchblick als ihr Gemahl? Diese ganze Halsbandgeschichte beweist ihre tödliche Blindheit.

Herr de Calonne, schön, hochgewachsen, vornehm und überlegen, trat also bei der Königin ein, die mit ihm ein huldreiches Gespräch über tausend Nichtigkeiten anknüpfte, ehe sie die Frage stellte, die sie eigentlich bewegte:

»Wie ist es, lieber Herr de Calonne, haben wir Geld?«

»Geld? Aber gewiß, Madame, wir haben immer Geld.«

»Großartig! Ich habe nie einen Menschen gefunden, der in Finanzfragen so einsichtig wäre wie Sie.«

»Welche Summe benötigen Eure Majestät?«

»Erklären Sie mir zuerst, woher Sie Geld aufgetrieben haben, da Herr Necker doch stets unfähig war, welches flüssig zu machen?«

»Herr Necker hatte vollkommen recht, Madame. Am 5. November 1783, als ich das Ministerium übernahm, bestand der gesamte Staatsschatz aus genau eintausendzweihundert Francs. Doch hätte Herr Necker, anstatt zu sagen, es ist kein Geld da, kurzerhand Anleihen aufgenommen, wie ich es tat - hundert Millionen im ersten Jahr, hundertfünfundzwanzig im zweiten, im dritten noch einmal achtzig -, dann wäre er wirklich ein Finanzmann gewesen. Jeder Kanzlist kann sagen: Es ist kein Geld in der Kasse. Die wahre Kunst ist aber zu sagen: Wir haben Geld.«

Marie-Antoinette lachte.

»Sie sind unvergleichlich, Calonne, ich beglückwünsche Sie. Aber wie wird man diese Schulden bezahlen? Denn bezahlen muß man sie doch einmal, nicht wahr?«

»Madame«, entgegnete Calonne mit einem Lächeln, dessen furchtbare Hintergründigkeit zu ermessen der Königin gar nicht in den Sinn kam, »man wird diese Schulden bezahlen. Dafür bürge ich Ihnen.« »Ich verlasse mich auf Sie«, sagte Marie-Antoinette. »Gewiß haben Sie neue Ideen?«

»Ich habe eine, die der Nation zwanzig Millionen und der Kasse Eurer Majestät sieben bis acht Millionen einbringen wird.«

»Diese Millionen werden hier wie dort willkommen sein. Woher sollen sie uns zufließen?«

»Eure Majestät weiß sicherlich, daß die Goldmünze nicht in allen europäischen Staaten den gleichen Wert hat. In Spanien gilt das Gold zum Beispiel seit fünf, sechs Jahren achtzehn Unzen mehr als in Frankreich. Wer Gold aus Frankreich nach Spanien exportiert, verdient ungefähr vierzehn Unzen je Münze. Wüßten alle Geldleute, was ich weiß, gäbe es binnen Jahresfrist in Frankreich keinen einzigen Louisdor mehr.«

»Wie wollen Sie das verhindern?«

»Ganz einfach, ich erhöhe den Wert des Goldes um fünfzehn Prozent. Niemand wird mehr einen Louisdor in den Truhen verwahren, wenn er merkt, daß sein Gold Prozente abwirft. Dann lassen wir die Währung umprägen, und die Goldmünze, die heute dreißig Louis wert ist, wird auf zweiunddreißig umnominiert.«

Die Königin fand ihr Interesse an den Finanzfragen des Staates hinreichend befriedigt und nannte, mit einiger Scheu allerdings, die Summe, die sie fürs erste benötigte, also fünfhunderttausend Francs.

»Ach«, rief der geniale Calonne, »nach Ihrem Zögern fürchtete ich, es handle sich um eine beträchtlichere Summe.«

»Sie können also?«

»Aber gewiß.«

»Ohne daß der König .«

»Oh, das ist unmöglich, Madame; meine Abrechnungen werden monatlich dem König vorgelegt. Doch gibt es kein Beispiel, daß er sie je gelesen hätte. Ich rechne mir diese Tatsache zur Ehre an.«

»Wann bekomme ich das Geld?«

»Ich werde es für den Zweiten des Monats bereitstellen. Eure Majestät können es am Dritten abheben.«

»Ich habe dabei kein gutes Gewissen«, sagte Marie-Antoinette, »ich brauche es nämlich, um einer Laune zu frönen.«

»Desto besser! Dann wird dieses Geld zum Teil wenigstens unserer Industrie und unserem Handel zugute kommen.«

»Sie haben eine entzückende Art, mich zu trösten, Herr de Calonne. Mir wäre der Gedanke zu schmerzlich, daß das arme Volk diese Laune bezahlen sollte.«

»Seien Sie unbesorgt, Majestät, das arme Volk wird sie nicht bezahlen, weil es längst nichts mehr besitzt; und wo nichts ist, verlieren selbst Könige ihr Recht.«

Und mit einer Verneigung entschwand er.

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