Die Fahrt nach Versailles

Der Droschkenkutscher, den der Offizier ansprach, war auf seinem Sitz mehr erfroren als eingeschlafen.

»Holla!« schrie ihm der junge Mann ins Ohr und rüttelte ihn. »Diese Damen wollen nach Versailles.«

»Viereinhalb Meilen bei dem Glatteis?« entgegnete der Kutscher. »Unmöglich! Da gehen mir die Pferde kaputt. Und wenn man heil hinkommt, muß man auch noch zurück.«

»Bieten Sie ihm einen Louisdor«, sagte die Jüngere leise zu dem jungen Mann.

Der Offizier machte dem Kutscher das Angebot.

»Also gut«, knurrte er, »aber ich will mein Geld im voraus, das ist mein Recht.«

Die Ältere begann in ihren Taschen zu suchen.

»Mein Gott, Andree, ich habe kein Geld bei mir. Haben Sie welches?«

Die Angeredete fand ebensowenig Geld in ihren Taschen. Der junge Offizier bemerkte die Verlegenheit der Frauen. Gelassen zog er einen Louisdor aus seiner Börse und reichte ihn dem Mann. Dieser wog das Geldstück erst prüfend in der Hand, dann steckte er es ein.

»Und nun, Kerl, fahre die Damen, und zwar anständig!«

»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Herr«, erwiderte barsch der Kutscher.

Unterdessen flüsterte die Jüngere der Älteren bittend zu: »Lassen Sie den Herrn nicht fort, Madame.«

»Wieso?« sagte die Ältere. »Wir fragen den Offizier nach Namen und Adresse und schicken ihm morgen sein Geld zurück.«

»Aber wenn der Kutscher unterwegs Schwierigkeiten macht?«

»Wir haben seine Droschkennummer.«

»Das würde uns wenig nützen, wenn wir heute nacht nicht in Versailles wären.«

Nach kurzer Überlegung billigte die Ältere Andrees Bedenken. Sie erklärte dem jungen Mann in bestimmten Worten, daß sie seiner Begleitung bedürften, und der Offizier stieg gehorsam mit den Damen in den Fiaker.

Tiefe Stille herrschte in dem Gefährt. Anscheinend sind es doch Damen, dachte der junge Mann. Vielleicht haben sie sich bei einem Rendezvous verspätet und kehren jetzt beschämt und geängstigt nach Versailles zurück. Aber wenn sie von Rang sein sollten, warum fahren sie dann ein Kabriolett und kutschieren selbst, und warum haben sie dann kein Geld bei sich? Vielleicht hatte der Lakai ihre Börse? Immerhin war das Kabriolett von makelloser Eleganz, und das Pferd - das war mindestens seine hundertfünfzig Louisdor wert. Nur sehr reiche Frauen können ein solches Gespann klaglos der Zerstörung überlassen. Abenteuerinnen würden auch kein so vollendetes Französisch sprechen.

Kurz, die Gedanken des jungen Mannes wurden seinen Reisegefährtinnen immer günstiger. Der Duft erlesenen Parfüms berauschte seine Sinne. Er verglich beide Frauen miteinander, soweit das Halbdunkel in der Kutsche dies zulassen wollte, und empfand immer lebhaftere Neugier, die ihn selbst verwunderte, für die ältere, während er die aufmerksamen Blicke, die die jüngere dann und wann nach ihm sandte, kaum vermerkte. Als schließlich eine Unterhaltung sich entspann, die seitens der Damen mit so viel vornehmer Zurückhaltung als sicherer Weitläufigkeit wie fühlbarer Sympathie für ihn geführt wurde, bedauerte der Offizier ganz und gar nicht mehr, seinen Abend den schönen Fremden geopfert zu haben. Vielmehr empfand er ein nie gekanntes Glück und das Verlangen, daß diese Fahrt nicht enden möge, und er beklagte insgeheim, wie schnell die lange Zeit verflogen war, als der Kutscher meldete, daß man in Versailles sei, und fragte, wo die Damen auszusteigen wünschten.

»Auf der Place d'Armes«, entschied die Ältere, und an den Offizier gewandt, setzte sie huldvoll hinzu: »Wir haben Ihnen viel Mühe bereitet. Wir danken Ihnen für Ihre liebenswürdige Hilfe. Bitte, nennen Sie uns Ihren Namen und Ihre Adresse.«

Nach einigem höflichen Zögern gab der junge Mann der Bitte statt: »Ich bin Graf Georges de Charny, diene in der königlichen Marine und wohne Hotel de Prince, Rue de Richelieu.«

Als er jedoch Anstalt machte, den Damen aus dem Fiaker zu helfen, erklärte die Ältere: »Nein, Herr de Charny, bleiben Sie der artige Kavalier, der Sie bislang waren. Geben Sie mir sogar Ihr Ehrenwort, daß Sie den Wagenschlag jetzt schließen, ohne sich weiter nach uns umzusehen.«

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