Die Viper

Madame de La Motte, wir erinnern uns, war die Entführung Olivas mißglückt, und so viele gemietete Spione sie aussandte, die Verschwundene aufzuspüren, der Erfolg blieb ihr versagt. Sie geriet darüber in unbeschreibliche Angst, und da ihr Befehl auf Befehl überbracht wurde, bei der Königin zu erscheinen, beschloß sie, einige Tage unterzutauchen, um ihre Lage gründlich zu durchdenken.

Verschleiert und bei Nacht begab sie sich nach Bar-sur-Aube, wo sie ein kleines Absteigequartier unterhielt. In dieser Abgeschiedenheit genügten ihr zwei Tage, ihre Ängste zu bändigen, neue Kraft zu finden und das Gebäude ihrer Verleumdungen zu befestigen.

Die Polizei konnte dem Hof von ihrem Aufenthalt in Bar-sur-Aube erst Mitteilung machen, als Jeanne bereits zum Kampf gerüstet war.

Durch ihre Flucht hatte sie die Verhaftung des Kardinals verspätet erfahren. Jede andere Frau hätte jetzt aufgegeben, aber Jeanne begriff nur, daß sie nun niemanden mehr zu schonen brauchte. Die Königin, so rechnete sie kaltblütig, hat es verschmäht, sich mit dem Kardinal im stillen zu vergleichen und die Juweliere zu bezahlen, das heißt, sie hat contra angesagt. Sie unterschätzt die Kräfte, die mir zu Gebote stehen.

So weit war Jeanne, als ein Offizier der Geheimpolizei bei ihr erschien und mitteilte, daß er sie an den Hof zu führen habe.

Man stelle sich nun Marie-Antoinette vor, ihren unsäglichen Groll, ihren kaum verhohlenen Zorn, ihr Triumphgefühl, als dieser Dämon vor sie hintrat, den sie noch nicht zur Genüge kannte, dessen verhängnisvollen Einfluß auf ihr Geschick sie jedoch mit geheimem Grauen ahnte. Endlich mußte die Wahrheit ans Licht kommen, endlich würden alle die abscheulichen, rätselvollen Verstrickungen gelöst werden, endlich setzte die Königin der Schlange, die sie gebissen hatte, den Fuß auf den Kopf!

Das Herz voller Geheimnisse, den Kopf voll von Ideen, als letzten Motor die Verzweiflung, so stand Jeanne vor ihrer Gegnerin.

Mit langsamer, feierlicher Verbeugung waren auf Geheiß der Königin zwei ihrer Frauen eingetreten, um mit gesenkten Lidern und geschlossenen Lippen dem Verhör beizuwohnen. Die beiden Zeugen, dachte Jeanne, wird sie wohl schnell hinausschik-ken müssen.

»Ah, da sind Sie endlich!« rief Marie-Antoinette. »Sie verstekken sich also?«

»Ich hätte mich versteckt? Aber nein, Madame«, erwiderte Jeanne mit ihrer sanftesten Stimme, »wenn ich mich hätte verstecken wollen, hätte man mich nicht gefunden.«

»Sie sind aber doch geflohen? Oder wie nennen Sie Ihre überstürzte Abreise?«

»Ich habe Paris verlassen, das ist wahr, Madame.«

»Ohne meine Erlaubnis?«

»Ich befürchtete, Eure Majestät werde mir den kleinen Urlaub nicht bewilligen, den ich benötigte, um in Bar-sur-Aube gewisse Angelegenheiten zu erledigen. Ich war seit zehn Tagen dort, als der Befehl Eurer Majestät mich erreichte. Übrigens muß ich gestehen, daß ich mich nicht so unentbehrlich wähnte ... nur darum habe ich versäumt, Eure Majestät von meiner Abwesenheit in Kenntnis zu setzen.« »Sie haben recht, Madame«, sagte Marie-Antoinette mit schneidender Schärfe, »wie hätte ich Ihnen einen Urlaub zu bewilligen -nehmen Sie denn hier ein Amt ein?«

Jeanne mußte ihren Stolz bezähmen, ehe sie demütig antwortete:

»Madame, ich nehme hier kein Amt ein, aber Eure Majestät hatten mich mit einem so kostbaren Vertrauen beehrt, daß ich mich durch meine Dankbarkeit mehr verpflichtet glaubte, als es andere durch ihre Pflicht sein mögen.«

»Was dieses Vertrauen betrifft«, sagte die Königin verächtlich, »wollen wir die Rechnung gleich in Ordnung bringen.«

Und da die Königin, um sich zu beruhigen, eine geringe Pause machte, ehe sie das eigentliche Verhör begann, nutzte Jeanne die Frist.

»Mein Gott«, rief sie, »wie streng sprechen Eure Majestät mit mir. Ich zittere .«

»Damit sind Sie noch nicht am Ende«, versetzte Marie-Antoinette, »wissen Sie, daß Herr de Rohan in der Bastille ist?«

»Man hat es mir gesagt.«

»Und Sie erraten, warum?«

Jeanne blickte die Königin fest an, dann sah sie zu den beiden Hofdamen hin, als ob diese sie störten.

»Ich weiß es nicht, Madame«, sagte sie.

»Aber Sie werden immerhin wissen, daß Sie mir von jenem Halsband gesprochen haben, nicht wahr?«

»Allerdings, Madame.«

»Habe ich das Arrangement, das Sie mir vorschlugen, abgelehnt oder angenommen?«

»Eure Majestät haben es abgelehnt.«

Die Königin war befriedigt.

»Eure Majestät hat mir eine Anzahlung von zweihundertfünf-zigtausend Francs eingehändigt«, fuhr Jeanne fort. »Und als Herr de Calonne kein Geld flüssig machen konnte, übergaben Sie mir das Etui, um es den Juwelieren Boehmer & Bossange zurückzubringen.«

»Und was haben Sie getan?«

Jeanne war sich der Bedeutung der Worte, die sie jetzt sagte, voll bewußt.

»Ich habe die Juwelen dem Herrn Kardinal gegeben«, antwortete sie langsam.

»Dem Herrn Kardinal? Und warum nicht den Juwelieren?«

»Um Vergebung, Madame, aber da Herr de Rohan an dem Gegenstand, der Eurer Majestät gefiel, so interessiert war, fürchtete ich ihn zu verletzen, wenn ich ihm nicht die Gelegenheit bot, in der Angelegenheit selbst zu entscheiden.«

»Und wie kommt es, daß Sie von den Juwelieren eine Quittung erhalten haben?«

»Herr de Rohan hat mir diese Quittung übergeben.«

»Und jener Brief, den Sie den Juwelieren als ein Schriftstück von meiner Hand überbrachten?«

»Herr de Rohan bat mich, ihn zu überbringen.«

»Demnach wäre immer wieder und an allem Herr de Rohan allein schuld!« rief die Königin zornig aus.

»Ich weiß nicht, was Eure Majestät damit sagen will«, erwiderte Jeanne.

»Ich sage, daß die Quittung der Juweliere falsch ist!«

»Falsch, Madame?«

»Und die angebliche Schuldverschreibung von mir ist ebenso falsch.«

»Oh!« rief Jeanne, noch tiefer erstaunt als vorher.

»Man wird Sie Herrn de Rohan konfrontieren, um endlich Klarheit in dieser Sache zu schaffen.«

»Mich konfrontieren?« sagte Jeanne unschuldig. »Aber wozu sollte ich dem Herrn Kardinal konfrontiert werden?«

»Weil er Ihnen dringend zu beweisen wünscht, daß Sie ihn hintergangen haben.«

»Wenn dem so ist, verlange ich die Konfrontation.«

»Sie wird stattfinden, dessen versichere ich Sie, Madame. Sie leugnen also zu wissen, wo das Halsband ist?«

»Woher sollte ich das wissen?«

»Sie leugnen auch, Herrn de Rohan bei gewissen Intrigen geholfen zu haben?«

»Eure Majestät hat das Recht, mir Ihre Gnade zu entziehen, aber nicht, mich zu beleidigen. Ich bin eine Valois, Madame.«

»Der Herr Kardinal hat gewisse Verleumdungen verbreiten lassen, die er ernsthaft behauptet, beweisen zu können.«

»Ich verstehe nicht.«

»Der Kardinal hat erklärt, daß er mir Briefe geschrieben habe.«

Jeanne blickte der Königin ins Gesicht und gab keine Antwort.

»Verstehen Sie mich nicht?« fragte die Königin.

»Ich verstehe, ja, Majestät.«

»Und was antworten Sie darauf?«

»Ich werde antworten, wenn ich Herrn de Rohan gegenüberstehe.«

»Wenn Sie etwas wissen, dann helfen Sie uns, indem Sie es uns sagen.«

»Majestät, Sie erniedrigen mich ohne Grund.«

»Das ist keine Antwort.«

»Und doch werde ich hier keine andere geben«, sagte Jeanne und blickte erneut nach den beiden Hofdamen.

Die Königin begriff, aber trotz ihrer Neugier gab sie nicht nach. Aus Jeannes Andeutungen, aus ihrer zugleich demütigen und frechen Haltung sprach die Sicherheit, die nur dem Besitz eines Geheimnisses entspringt. Dieses Geheimnis hätte sie durch Nachgiebigkeit wohl erkaufen können, aber sie verwarf dieses Mittel als ihrer unwürdig.

»Herr de Rohan wurde in die Bastille geschickt, weil er zuviel reden wollte«, sagte Marie-Antoinette. »Hüten Sie sich, Madame, daß Ihnen nicht ein Gleiches widerfährt, weil Sie schweigen.«

Jeanne grub sich die Nägel ins Fleisch, aber sie lächelte.

»Ein reines Gewissen scheut die Verfolgung nicht«, sagte sie. »Kann die Bastille mich eines Verbrechens überführen, das ich nicht begangen habe?«

Die Königin blickte zornflammend.

»Wollen Sie endlich sprechen?«

»Ich habe nichts zu sagen, Madame, außer Ihnen allein.«

»Ach, wären wir so weit? Sie wollen geschlossene Türen? Sie scheuen den Skandal des Geständnisses, nachdem Sie mich dem öffentlichen Verdacht ausgesetzt haben?«

Jeanne hob den Kopf sehr gerade.

»Sprechen wir nicht mehr davon«, sagte sie stolz. »Was ich tat, habe ich für Sie getan.«

»Welch eine Unverschämtheit! Madame de La Motte, Sie schlafen heute nacht in der Bastille.«

»Mag sein, Madame, doch ehe ich einschlafe, werde ich wie jeden Abend zu Gott beten, er möge die Ehre und das Glück Eurer Majestät erhalten«, sagte die Angeklagte.

Die Königin erhob sich wütend, eilte ins Nebenzimmer und schlug die Türen hinter sich zu.

Ihr Spiel kenne ich auswendig, dachte Jeanne, ich glaube, ich habe gewonnen.

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