Olivier de Charny war in der folgenden Nacht wieder auf der Lauer gewesen und hatte, vor Wut, Schmerz und Eifersucht berstend, ein neuerliches Stelldichein der gleichen Personen beobachtet. Diesmal war der Kavalier vor der Königin niedergesunken und hatte mit glühender Inbrunst ihre Hände geküßt, die sie ihm willig überlassen hatte. In der Nacht darauf aber war die Königin mit jenem Herrn sogar in den Apollobädern verschwunden. Charny hatte seinen Augen nicht trauen wollen, und unsägliche Qualen waren über ihn hereingebrochen. In seiner unschuldigen Geradheit hätte er nie zu glauben gewagt, daß das Verbrechen so weit gehen könnte.
In einem Anfall von blindwütiger Raserei hatte er sich auf die Begleiterin der Königin stürzen wollen, die vor den Bädern, an einer laubumrankten Säule lehnend, Wache hielt. Aber die Sinne waren ihm geschwunden, röchelnd war er ins Moos gesunken, und als er zu sich kam, hatte er nur mehr frische Fußspuren im Rasen und hinter der Parkmauer die Hufeindrücke eines Pferdes ausmachen können.
Entschlossen, seiner Qual ein rasches Ende zu bereiten, ließ er sich morgens in ein schwarzes Samtgewand kleiden und eilte nach dem Schloß Trianon.
Es war zehn Uhr. Die Königin trat gerade aus der Kapelle, wo sie die Messe gehört hatte. Überall, wo sie vorbeikam, neigten sich ehrfurchtsvoll die Köpfe und Degen. Schön war die Königin mit ihrem lächelnden Mund, ihren müden, aber von sanfter Klarheit strahlenden Augen.
Plötzlich bemerkte sie unter den Umstehenden Charny und errötete leicht.
Er hatte den Kopf nicht geneigt. Bleich wie ein Gestorbener und starr blickte er sie an, und sie las in seinen Augen neues Unheil.
»Ich glaubte Sie auf Ihren Gütern, Herr de Charny?« richtete sie das Wort an ihn.
»Ich bin wieder zurück, Madame«, entgegnete er knapp.
Erstaunt lauschte die Königin dem Unterton seiner Rede nach.
»Guten Morgen, Gräfin«, begrüßte sie Madame de La Motte und blinzelte ihr vertraulich zu. Charny zitterte. Aufmerksam betrachtete er diese Frau.
Jeanne war unruhig geworden und wandte sich ab. Wie ein Irrsinniger folgte ihr Charny, um ihr noch einmal ins Gesicht zu blicken.
Die Königin fuhr fort, nach rechts und links zu grüßen, ließ aber die beiden nicht aus den Augen.
»Sollte er den Verstand verloren haben?« überlegte sie. »Armer Junge.«
Sie trat wieder zu ihm.
»Wie befinden Sie sich, Herr de Charny«, fragte sie sanft.
»Sehr gut, Madame, aber Gott sei Dank doch nicht so gut wie Eure Majestät.«
Dabei verneigte er sich auf eine Art, die Marie-Antoinette noch mehr erschreckte als seine sonderbaren Worte.
Es steckt etwas dahinter, dachte Jeanne.
»Wo wohnen Sie jetzt?« fragte die Königin.
»In Versailles, Madame, seit drei Nächten.«
Die Königin zeigte keinerlei Bewegung. Jeanne überlief es kalt.
»Haben Sie mir etwas zu sagen?« fragte die Königin den jungen Mann.
»Ach, Madame, ich hätte Eurer Majestät nur zu viel zu sagen!«
»Dann kommen Sie!«
Die Königin kehrte in ihre Gemächer zurück. Durch Gebärden bedeutete sie ihrem Gefolge, daß sie nicht gestört zu werden wünschte.
Charny war zu erregt, um den ruhigen Fragen der Königin ebenso ruhig zu entgegnen. Immer ungebärdiger werdend, schleuderte er seine Anklage gegen sie heraus, sich überstürzend, berichtete er alles, was er gesehen hatte.
Marie-Antoinette war zu Eis erstarrt. So unschuldig sie sich fühlte, so leichtsinnig sie war, sie spürte dennoch unbestimmt, daß etwas Dunkles, Unfaßbares um sie war. Die mysteriöse Doppelgängerin war erneut gegen sie ins Spiel getreten, sie war also noch immer nicht verhaftet worden. Was hatte man gegen sie vor? Wer steckte hinter dieser anhaltenden Verfolgung? Und wie sollte sie diesem verzweifelten jungen Mann, der sie glühend liebte und an dessen Achtung ihr so viel lag, überzeugen, daß er, wie auf dem Opernball, nicht sie, sondern nur eine andere Frau gesehen haben konnte?
Sie bat ihn, sie schwor, Tränen traten ihr in die Augen, doch Charny vergrub den Kopf in beide Hände und blieb stumm.
»Sie lieben mich«, sagte sie bitter, »und doch halten Sie mich für treulos. Sie wissen, daß eine Unbekannte ihre Ähnlichkeit mit mir mißbraucht, aber Sie zweifeln an mir. Erinnere dich, Olivier, erinnere dich und glaube mir, daß ich keine ehrlose Frau bin.«
Und bei den letzten Worten hatte sie seine Hände genommen und so inständig auf ihn eingesprochen, daß er aufstöhnte. Ihre Berührung, ihr Atem hatten ihn berauscht. Und ihre Worte, verrieten sie nicht, daß auch sie ihn liebte? Er blickte in ihre Augen, aber Marie-Antoinette entzog sich dem Feuer, das sie zu ver-brennen drohte, indem sie sich abwandte und langsam auf und ab zu gehen begann.
»Herr de Charny«, sagte die Königin endlich, »Sie sind mir eine Genugtuung schuldig. Hören Sie, was ich verlange. Gehen Sie heute nacht noch einmal in den Park. Entlarven Sie diese Leute, koste es, was es wolle. Wie Sie es tun, ist Ihre Sache. Beweisen Sie mir so Ihre Liebe, erobern Sie sich selbst den Beweis meiner Unschuld. Ich werde kommen und Ihnen durch meine Gegenwart bezeugen, daß Sie sich geirrt haben. Gewiß, das ist tollkühn, aber ich weiß mir keinen anderen Rat. Gehen Sie jetzt und lassen Sie keinen Menschen etwas von unserem Vorhaben erraten.«
Charny küßte ihre Hände und ging. Im zweiten Vorzimmer sah er unter den wartenden Damen die Gräfin, die ihn durchdringend musterte.
Madame de La Motte verbrachte den übrigen Tag in Versailles wie auf glühenden Kohlen. Die Königin ließ im Kreis ihrer Vertrauten nichts erkennen, was Jeannes Argwohn bestätigte oder widerlegte. Dennoch stand ihr Entschluß fest. Sobald sie für heute entlassen würde, mußte sie zu Herrn de Rohan fahren und dem verliebten Narren begreiflich machen, daß er die Königin wegen der Gefahr der Entdeckung nicht mehr sehen könne. Sie mußte ihm suggerieren, daß er ihr schreiben dürfe, wenn er seine Briefe ihr, Jeanne, anvertraute. Diese Briefe würden den Kardinal außerstande setzen, jemals gegen Madame de La Motte Klage zu erheben, wenn sie ihn zwingen würde, das Halsband zu bezahlen.
Im übrigen mußte Oliva verschwinden.
So kam es, daß Charny und die Königin zur Nacht vergeblich auf eine Wiederholung jener Parkszenen warteten.