Der Kardinal Rohan

Unverdrossen erneuerte Jeanne am nächsten Morgen die Vorbereitungen für den Empfang.

Um sieben Uhr abends läutete es. Sie hatte noch keine Zeit gehabt, ungeduldig zu werden. Ihr Herz schlug so heftig, daß man es hätte hören können.

Frau Clothilde meldete »die Person, die vorgestern geschrieben hat«.

Dann trat mit leichtem Schritt, in Samt und Seide, ein Herr herein, der in dem niedrigen Raum zehn Fuß zu messen schien.

Daß »die Person« ihr Inkognito zu wahren wünschte, behagte Jeanne nicht, und sie wußte es zu vereiteln.

»Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?« fragte sie in bestimmtem Ton.

Der Herr blickte sich nach der Tür um, durch die Frau Clothilde verschwunden war.

»Ich bin der Kardinal Rohan«, antwortete er dann.

Madame de La Motte erwiderte mit einer tiefen Verneigung. Darauf lud sie den Gast ein, in einem Lehnstuhl Platz zu nehmen, und setzte sich anstatt auf einen Stuhl, wie die Etikette es verlangt hätte, in einen großen Sessel.

Da der Kardinal sah, daß zwangloser Umgang erwünscht wurde, legte er seinen Hut auf den Tisch und begann, nach Jeannes Herkunft und Vergangenheit sich zu erkundigen. Er lauschte ihren Erklärungen, ohne aus seinem Eindruck ein Hehl zu machen.

Er glaubte nicht an die Echtheit dieser Abstammung. Er sah, die Frau war reizend und arm, das genügte.

Jeanne, mit feinem Gespür begabt, täuschte sich nicht über seine Gedanken. Aber sie gedachte diesen goldenen Fisch nicht mehr aus ihrem Netz zu lassen.

»Man hat mir die Schwierigkeiten Ihrer Lage sehr übertrieben geschildert, wie ich sehe«, sagte er, sich leichthin umblikkend, »Ihre Wohnung ist recht angenehm.«

»Für eine Grisette vielleicht«, versetzte Jeanne.

»Nennen Sie diese Möbel die Einrichtung einer Grisette?«

»Sie werden sie kaum als die einer Prinzessin anerkennen wollen, Monseigneur.«

»Sie sind also Prinzessin?« erwiderte de Rohan mit jener fast unmerklichen Ironie der Noblen.

»Ich bin eine geborene Valois, Monseigneur, wie Sie ein Rohan sind. Soviel weiß ich.«

Jeanne hatte so selbstbewußt gesprochen, daß der Kardinal betroffen war.

»Madame«, sagte er, »ich vergaß, daß mein erstes Wort eine Entschuldigung hätte sein müssen. Mein Versprechen, Sie am gestrigen Abend aufzusuchen, wurde durch den Empfang des Gouverneurs de Suffren zunichte.«

»Monseigneur erweisen mir überaus hohe Ehre, heute an mich zu denken. Graf de La Motte, mein Gemahl, wird es außerordentlich bedauern, daß er wegen seiner militärischen Dienstpflichten das Vergnügen Ihrer Gesellschaft entbehren muß.«

Der Kardinal wurde aufmerksam.

»Sie leben allein, Madame?«

»Ganz allein, Monseigneur.«

»Das will viel heißen bei einer so schönen jungen Frau.«

»Und auch wieder nichts, Monseigneur, wenn Sie bedenken, daß diese Frau in jeder anderen Gesellschaft als der, von der ihre Armut sie fernhält, nicht an ihrem Platz wäre.« »Madame«, begann der Kardinal nach kurzem Schweigen, indem er seinen Lehnstuhl näher rückte, »ich wüßte gern, wie ich Ihnen dienlich sein könnte.«

»Gar nicht, Eminenz, Sie überhäufen mich mit Ehre.«

»Reden wir offen. Soeben beklagten Sie sich noch.«

»Ich sehe, Monseigneur, sie wollen mir Almosen anbieten. Ich habe Almosen empfangen, aber ich will keine mehr. Ich bin genug gedemütigt worden.«

»Ihr Stolz gefällt mir!« rief der Kardinal. »Aber Unglück entehrt nicht. Nun, wie ist es, Sie sind doch nicht am Ende Ihrer Mittel?«

Jeanne antwortete nicht.

»Gewiß verfügen Sie noch über diesen oder jenen Besitz, Familienschmuck zum Beispiel?« Und er wies auf die goldene Dose, die Jeanne in ihrer weißen Hand gleichmütig spielen ließ. »Ein originelles Stück«, fuhr er fort, »erlauben Sie? - Ah, ein Porträt!« rief er überrascht.

»Kennen Sie die Person, die es darstellt?« fragte Jeanne.

»Es ist Maria Theresia, die Kaiserin von Österreich.«

»Wirklich?« rief Jeanne. »Sind Sie sicher, Monseigneur?«

»Woher haben Sie diese Dose?«

»Von einer Dame, die gestern hier war.«

Der Kardinal betrachtete Jeanne, betrachtete die Dose und wieder Jeanne.

»Richtig gesagt, waren es zwei Damen, Monseigneur.«

»Und eine der beiden hat Ihnen dieses Stück hiergelassen?« fragte der Kardinal mißtrauisch.

»Sie hat es vergessen. Leider weiß ich den Namen der Dame nicht, sonst hätte ich ihr die Dose umgehend zurückgeschickt. Sie wird sie bestimmt vermissen.«

»Sie kennen die Dame nicht?«

»Ich weiß nur, daß sie die Vorsteherin einer Versailler Wohlfahrtsstiftung ist. Sehen Sie, Frauen empfange ich, sie demütigen uns nicht, wenn sie uns helfen. Diese Dame hat hundert Louisdor auf meiner Kommode hinterlassen.«

»Hundert Louisdor!« rief der Kardinal überrascht. »Verzeihen Sie, Madame, ich staune nicht, daß man Ihnen eine so große Summe gab. Im Gegenteil, Sie verdienen auf Grund Ihrer Abstammung jegliche Unterstützung. Mich wundert nur, daß die Dame von einer Wohlfahrtsstiftung kam; für gewöhnlich spenden sie entschieden kleinere Almosen. Könnten Sie die Dame wohl beschreiben?«

Und nun, da Jeanne die Neugier ihres Besuchers geweckt hatte, da sie ihn im Zweifel sah, ob Jeanne ihm nur etwas vorspiele oder ob sie tatsächlich den Besuch der Königin erhalten und ob sie die Königin wirklich nicht erkannt hatte oder sich nur den Anschein gab, ließ sich die kleine Gräfin jedes Wort, mit dem sie die hohe Besucherin beschrieb, aus dem Munde ziehen. Als Jeanne schließlich angab, die begleitende jüngere Dame sei mit dem Taufnamen Andree angeredet worden, blieben dem Kardinal keine Zweifel mehr. Der in Versailles umlaufende Klatsch hatte ihn bereits gestern über den Ausflug Marie-Antoinettes und den anschließenden morgendlichen Streit mit dem König unterrichtet.

Um sicherzugehen, erkundigte sich der Kardinal noch, an welche Personen des Hofes sie Bittgesuche gerichtet habe. Jeanne nannte mehrere und erklärte, daß sie keinen Erfolg gehabt hätte.

»Seltsam, daß Sie sich nie an die Königin gewendet haben!« fragte er forschend.

»An die Königin habe ich mich nie gewandt«, entgegnete Jeanne schlicht. »Ich habe mich lediglich um eine Audienz bemüht, doch vergeblich.«

Während Jeanne lauernd die Reaktionen des Herrn de Rohan beobachtete und sich fragte, welche Beweggründe er haben mochte, für die Handlungen Marie-Antoinettes ein so deutliches Interesse zu bekunden, begriff sie immerhin mit Genugtuung, daß sie dem Kardinal mittlerweile nicht allein vollkommen unverdächtig und aufrichtig; sondern auch sehr anziehend erschien. Er betrachtete sie jetzt mit unverhohlenem Wohlgefallen, hinter dem ein besonderes Interesse sich verbarg.

»Nun, Gräfin«, sagte er endlich, »ich selbst werde Sie, wenn nötig, nach Versailles bringen und Ihnen alle Türen öffnen.«

»Wie gütig von Ihnen, Monseigneur!« rief Jeanne entzückt.

Der Kardinal rückte näher, dann versank er neuerlich in Schweigen.

»Monseigneur«, sagte Jeanne, »Sie wahren bisweilen ein Stillschweigen, das mich beunruhigt. Ein Mann wie Sie läßt die Höflichkeit nur gegen zwei Arten von Frauen außer acht.«

»Was meinen Sie, Gräfin? Sie erschrecken mich.«

Er nahm ihre Hand.

»Nun, gegen Frauen, die er zu sehr liebt, und gegen solche, die er zu wenig achtet.«

»Gräfin, Sie machen mich erröten. Sie sprechen, als wären Sie mir gram.«

»Nein, Monseigneur, bisher haben Sie meinen Zorn noch nicht verdient.«

Damit warf sie ihm einen Blick zu, von dem der Kardinal, ein Kenner der Frauen, sich gestehen mußte, selten einen verführerischeren auf sich gezogen zu haben.

»Und ich will ihn auch niemals verdienen, Madame, von diesem Tag an, der mir das Vergnügen beschert hat, Sie kennenzulernen.«

Und der Kardinal drückte einen langen Kuß aufJeannes schlanke Hand.

»Wenn ich wüßte«, fuhr die Sirene fort, »daß ich in einem so erhabenen Geist wie dem Ihrigen den mindesten Platz einnehmen könnte, würde mich das ein Jahr lang trösten.«

»Ein Jahr! Das ist wenig ... Hoffen wir auf länger, Gräfin.«

»Nun gut, ich sage nicht nein, Herr Kardinal«, antwortete sie lächelnd.

Die einfache Anrede »Herr Kardinal« hätte den stolzen Mann verletzen können, aber die Dinge standen inzwischen so, daß er sie vielmehr als eine Gunst aufnahm. Und der Kuß, den Herr de Rohan jetzt aufJeannes Finger drückte, war respektvoll, zärtlich und kühn zugleich. Mit einem Rest Zeremonie verneigten sie sich lächelnd voreinander und tauschten einen Blick, der künftige Vertraulichkeit versprach.

Endlich, dachte Jeanne, wird die große Welt sich mir öffnen.

Ich habe doppelten Gewinn gemacht, dachte der Kardinal, als er seine Kutsche bestieg. Diese Frau ist nicht nur bezaubernd, sie ist auch klug. Sie wird die Königin zu erobern wissen, wie sie mich erobert hat.

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